Die Jüngsten wurden der Mamsell unter starkem Protest und Thränen übergeben zu sicherer Aufbewahrung in ihren Betten. Dann suchte Ilse alte Röckchen und Linnen zusammen, belud eine Magd mit zwei Broten und schickte sich an, zum Hofthor zu gehen, wo die Frau sie erwarten sollte. Der Doctor hatte sich in seiner Freude über die Fremden aller Sorge um den Freund entschlagen. »Erlauben Sie uns, die Verhandlung mit der Sibylle anzuhören,« bat er.
Sie fanden die Landstreicherin in der Dämmerung vor dem Thor sitzend, neben ihr ein halbwüchsiges Mädchen mit prachtvollen Augen und langen Zöpfen, aber mangelhaftem Gewande. Das Weib erhob sich und nahm mit vornehmer Haltung die Spende in Empfang, welche ihr Ilse reichte.
»Segen über Sie, Fräulein,« rief sie, »alles Glück, das Sie sich jetzt wünschen, soll Ihnen zu Theil werden. Und Sie haben ein Angesicht, welches Glück verheißt. Segen über Ihr goldenes Haar und die blauen Augen. Ihnen danke ich,« schloß sie sich verneigend. »Wollen die Herren nicht auch meinem Mädchen ein Andenken schenken?« Die wilde Schöne hielt ihre Hand hin. »Die Sonne hat ihr das Gesicht verbrannt, seien Sie freundlich gegen die arme Schwarze,« bettelte die Alte, und dabei sah sie lauernd in der Runde umher. Der Professor schüttelte verneinend das Haupt, der Doctor griff nach seiner Börse und legte der Alten ein Geldstück in die Hand. »Das Prophezeien habt ihr aufgegeben?« frug er lachend.
»Es bringt Unglück dem, der wahrsagt, und dem, der fragt,« versetzte die Fremde. »Hüte sich der Herr vor allem, was bellt und kratzt, denn ihm kommt Unglück von Hunden und Katzen.« Ilse und der Professor lachten, die Augen der Landstreicherin suchten unterdeß unruhig in dem Gebüsch.
»Wir können nicht wahrsagen,« fuhr sie geläufig fort, »wir haben keine Macht über die Zukunft und wir irren wie ihr andern auch. Aber Manches sehen wir doch, schönes Fräulein, und ohne daß Sie es verlangen, will ich's Ihnen sagen. Der Herr da neben Ihnen sucht einen Schatz, und er wird ihn finden, aber er soll sich hüten, daß er ihn nicht verliert; und Sie, stolzes Fräulein, werden einem Manne lieb sein, der eine Krone trägt, und Sie werden die Wahl haben, ob Sie eine Königin werden wollen, die Wahl und die Qual,« setzte sie leiser hinzu, und ihre Augen flogen wieder unruhig umher.
»Hinweg mit euch!« rief Ilse unwillig, »solch Geschwätz stimmt schlecht zu euren Worten.«
»Wir wissen nichts,« murmelte die Fremde demüthig, nach dem Zeichen an ihrem Halse fassend. »Wir haben nur unsere Gedanken. Und unsere Gedanken sind eitel oder wahr, je nachdem ein Stärkerer will. Leben Sie wohl, schönes Fräulein,« rief sie mit Nachdruck und schritt mit ihrer Begleiterin in die Tiefe.
»Wie stolz sie dahingeht,« rief der Doctor, »Respect vor dem klugen Weibe, sie wollte nicht wahrsagen, aber sie konnte doch nicht vermeiden, sich durch geheimes Wissen zu empfehlen.«
»Sie hat sich längst bei den Feldarbeitern nach uns Allen erkundigt, und sie kennt den Hof,« versetzte Ilse lachend.
»Wo nur ihr Lager aufgeschlagen ist?« frug der Doctor neugierig.
»Wahrscheinlich hinter dem Dorfe,« versetzte Ilse. »Im Thal sehen wir wohl die Feuer. Die Fremden haben nicht gern, wenn man ihrem Lager nahekommt und zusieht, was sie als Abendkost verzehren.«
Sie stiegen langsam in das Thal hinab und blieben am Ufer des Baches unfern dem Garten stehen. Rings um sie lag das Dunkel des Abends auf Busch und Wiese, das alte Haus auf dem Steine ragte düster unter dem dämmrigen Grau des Himmels. Vor ihren Füßen murmelte das Wasser und die Blätter der Bäume rührten sich im Nachtwind. Schweigend blickten die Drei in die verschwimmenden Formen der Landschaft hinaus, das Seitenthal mit dem Dorf lag unsichtbar in dem tiefen Schatten der Nacht, nicht einmal ein erleuchtetes Fenster war zu sehen. »Sie sind lautlos verschwunden wie die Fledermäuse, welche eben noch durch die Luft flogen,« sagte der Doctor. Aber die Andern antworteten nicht, sie dachten nicht mehr an die Landläufer.
Da klang es durch die Abendluft wie leises Wimmern. Ilse fuhr zusammen und lauschte. Und noch einmal derselbe schwache Ton. »Die Kinder!« schrie Ilse entsetzt und stürzte der Hecke zu, welche den Obstgarten von der Wiese trennte. Sie rüttelte angstvoll an der verschlossenen Pforte, dann brach sie das Geäst der Hecke auseinander und sprang wie eine Löwin hindurch, das Obstgelände hinauf. Die Freunde eilten ihr nach, aber sie erreichten die Schnelle nicht.
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