Vor ihr schimmerte es hell unter den Bäumen und es regte sich, da sie heranflog. Zwei Männer hoben sich vom Boden, eine Gestalt fuhr ihr entgegen, Ilse aber schlug den Arm zurück, der zum Schlag gegen sie ausholte, daß der Mann taumelte, und warf sich über die weinenden Kleinen, welche im Rasen lagen. Hinter Ilse sprang Felix herzu und packte den Mann, der Doctor rang im nächsten Augenblick mit einem andern, der wie ein Aal unter seinen Händen dahinglitt und in der Dunkelheit verschwand. Der erste Räuber aber hob sein Messer gegen den Arm des Professors, entrang sich der Hand, welche ihn festhielt, und war im nächsten Augenblick durch die Hecke gebrochen. Man hörte das Knarren im Geäst, dann war Alles wieder still.
»Sie leben!« rief Ilse am Boden knieend mit fliegendem Athem und umschlang die Kleinen, welche jetzt ein klägliches Geschrei ausstießen. Es war Riekchen im bloßen Hemde und Franz, auch halb ausgeschält. Die Kinder waren den Augen der Mamsell und dem Schutz der Schlafstube entschlüpft und in den Garten geschlichen, um die Feuer der Komödianten zu sehen, von denen die Geschwister erzählten. Da waren sie den Genossen der Bande, welche Greifbares suchten, in die Hände gefallen und der Kleider entledigt worden.
Ilse nahm die schreienden Kinder auf ihre Arme, vergebens wollten die Freunde ihr die Last abnehmen. Lautlos eilte sie mit den Geretteten nach dem Hause, sie stürzte in das Zimmer und beide festhaltend kniete sie vor dem Sopha über ihnen, und die Freunde hörten ihr unterdrücktes Schluchzen. Aber nur auf wenige Augenblicke verlor sie die Haltung. Sie richtete sich auf und sah über die Dienstleute, welche in ängstlichem Gedränge die Stube füllten. »Den Kindern ist kein Leid geschehen,« rief sie, »geht, wo ihr die Wache habt und holt mir einen der Herren.« Der Inspector trat aus dem Haufen. »Das war ein Raub auf unserem Grunde,« sagte Ilse, »und die ihn verübt, soll das Gesetz erreichen. Ich bitte, lassen Sie die Bande in ihrem Lager aufheben.«
»In der Schlucht hinter dem Dorf ist ihr Feuer,« erwiederte der Inspector, »man sieht den rothen Rauch vom Oberstock. Aber, Fräulein – ich sage es ungern – wäre nicht vorsichtiger, man ließe die Schurken entlaufen? Ein großer Theil unserer Ernte liegt in Garben, sie zünden uns in der Nacht aus Rache die Haufen an oder wagen noch Aergeres, um ihre Leute wieder frei zu machen.«
»Nein,« rief Ilse, »bedenken Sie nicht, zögern Sie nicht. Ob die Argen uns zu schaden vermögen oder nicht, darüber entscheidet ein höherer Wille, wir thun, was unsere Pflicht ist. Der Frevel fordert Strafe und der Herr dieses Gutes ist zum Wächter des Gesetzes gestellt.«
»Lassen Sie uns eilen,« mahnte der Professor den Beamten, »wir begleiten Sie.«
»Nun, mir ist's nach dem Herzen,« versetzte der Inspector überlegend, »der Hofverwalter bleibt hier, wir Andern suchen die Bande am Feuer.«
Er eilte hinaus. Der Doctor faßte einen Knotenstock, der in einer Zimmerecke lehnte. »Das wird genügen,« sagte er lächelnd dem Freunde. »Ich halte mich zu einiger Schonung verpflichtet gegen diese lüderlichen Zigeunersöhne, welche ihr Indisch noch nicht ganz vergessen haben.« Im Begriff, das Zimmer zu verlassen, hielt er an: »Du aber bleibst zurück, denn du blutest.«
Aus dem Aermel des Professors fielen einzelne Blutstropfen zur Erde.
Das Antlitz der Jungfrau wurde fahl wie die Thür, bei welcher sie stand, und sie hielt sich zitternd an den Pfosten. »Um unsertwillen,« murmelte sie tonlos. Plötzlich eilte sie auf den Professor zu und neigte sich auf die Hand herab, sie zu küssen, erschrocken hielt Felix die Leidenschaftliche zurück. »Es ist nicht der Rede werth, Fräulein,« rief er, »ich bewege den Arm nach Gefallen.« Der Doctor zwang ihn, den Rock auszuziehen und Ilse flog nach Verbandzeug. Fritz aber untersuchte mit der Ruhe eines alten Studenten die wunde Stelle. »Es ist ein kurzer Stich in die Muskeln des Unterarmes,« tröstete er sachverständig das Fräulein, »etwas Heftpflaster wird genügen.« Der Professor fuhr wieder in den Rock und ergriff den Hut: »Vorwärts,« sagte er.
»O nein, bleiben Sie bei uns!« flehte Ilse ihm nacheilend. Der Professor sah in das angsterfüllte Gesicht, schüttelte ihr herzlich die Hand und verließ mit dem Freunde das Zimmer.
Der eilige Tritt der Männer verklang. Ilse durchschritt allein die Räume des Hauses, Thüren und Fensterläden waren geschlossen, an der Thür nach dem Hofe wachte Hans, den Säbel des Vaters in der Hand, vom Oberstock beobachteten die Hausmädchen Hofraum und Garten. Ilse trat in die Kinderstube, wo die armen Kleinen, von der Mamsell und den Geschwistern umringt, in ihren Betten saßen und zwischen den letzten Thränen und dem Schlafe kämpften. Ilse küßte die Müden und drückte sie in die Kissen, dann eilte sie hinaus in den Hof und lauschte ängstlich bald nach der Richtung, in welcher die Bande lagerte, bald nach der andern Seite, wo Hufschlag die Ankunft des Vaters verkünden sollte. Alles war still.
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