Aber denken Sie, es hat uns doch in Verwirrung gesetzt, der Doctor hat Sie wohl beobachtet, aber er hat uns Ihren Namen nicht genannt.«
»Der Doctor?« rief Laura aufspringend, »muß der überall dazwischen kommen.«
»Er hat Ihr Geheimniß treu bewahrt. Nicht wahr, jetzt darf ich meinem Hausherrn Alles sagen? Denn unter uns, ihm war's eine Zeitlang gar nicht recht.«
Das war nun für Laura ein Triumph. Wieder flog sie zu Ilse's Füßen und bat schelmisch, zu erzählen, was der Herr Professor gesagt.
»Das geht nicht an,« entgegnete Ilse gravitätisch, »denn das ist sein Geheimniß.«
So schwand eine Stunde in süßem Geplauder, bis die Uhr schlug und Ilse schnell aufstand. »Mein Mann wird sich wundern, wohin ich verschwunden bin,« sagte sie, »Sie sind ein liebes Fräulein, ist's Ihnen recht, so wollen wir treu zusammenhalten.«
Ach, Laura war das sehr recht, sie begleitete ihren Besuch bis zur Treppe, auf den Stufen fand Laura, daß sie eine Hauptsache vergessen hatte, ihre Stube lag gerade über dem Zimmer der Frau Professorin, und wenn Ilse das Fenster öffnete, konnte sie im Nothfall der Hausgenossin schnelle Nachricht hinaufwinken. Und als Ilse an ihrer Thür schloß, kam Laura noch einmal herabgelaufen, um ihre Freude auszusprechen, daß Ilse ihr diese Stunde geschenkt habe.
Laura ging in ihrem Zimmer mit schnellen Schritten auf und ab und schnippte mit den Fingern, wie Einer, der das große Loos gewonnen hat. Sie vertraute dem geheimen Werke die ganze Weihestunde an, jedes Wort, das Ilse gesprochen, und schloß mit den Versen: »Ich fand dich, Reine! Leben wird mein Traum. Dir schwebt die Seele zwischen Freud' und Schmerzen, ich aber rühr' an deines Kleides Saum und trage liebend dich in meinem Herzen.« Dann setzte sie sich an das Piano und spielte noch einmal mit leidenschaftlichem Ausdruck die Melodie, welche Ilse ihr vorgesungen hatte. Und Ilse hörte unten den innigen Dank für ihren Besuch.
2.
Ein Tag der Besuche.
Der Wagen fuhr vor, Ilse trat, für die ersten Besuche gerüstet, in das Arbeitszimmer des Gatten. »Sieh mich an,« sagte sie, »bin ich so recht?«
»Alles in Ordnung,« rief der Professor, fröhlich seine Frau musternd. Aber es war gut, daß auch ohne seine Hilfe Alles in Ordnung war, denn in Toiletten war des Professors kritischer Blick von zweifelhaftem Werth.
»Jetzt fängt für mich ein neues Spiel an,« fuhr Ilse fort, »wie es zu Hause die Kinder geübt. Ich soll bei deinen Freunden anklopfen und rufen: ›Hollo, holla!‹ und wenn die fremden Frauen fragen: wer ist da? dann werde ich antworten, wie's im Spiele geht: ›ein fremdes Bettelweib.‹ – ›Was will sie denn?‹ – ›Für mich ein Stücklein Brot, für meinen Mann 'nen Kuß, weil er mit mir bitten muß.‹«
»Nun, was die Küsse betrifft, welche ich den Frauen der Collegen austheilen soll,« versetzte der Professor, in die Handschuhe fahrend, »so wäre ich dir im Ganzen verbunden, wenn du das Geschäft übernähmst.«
»Ja, ihr Männer seid darin sehr streng,« sagte Ilse, »auch mein Fränzchen weigerte sich immer, das Spiel zu spielen, weil er den dummen Mädeln keinen Kuß geben wollte. – Ach, wenn ich dir nur keine Unehre mache!«
Sie fuhren durch die Straßen. Der Professor erzählte seiner Frau auf dem Wege von Person und gelehrtem Wesen des Collegen, zu dem sie gerade fuhren. »Zuerst zu lieben Menschen,« sagte er, »der jetzt kommt, ist Professor Raschke, unser Philosoph, und mir ein werther Freund. Ich hoffe, seine Frau wird dir gefallen.«
»Ist er sehr berühmt?« frug Ilse und legte die Hand auf das pochende Herz.
Sie hielten am äußersten Ende der Vorstadt vor einem niedrigen Hause, Gabriel eilte in den Hausflur, den Besuch anzukündigen. Da er die Küche leer fand, klopfte er an die Stubenthür und öffnete endlich, in den Bräuchen des Hauses erfahren, den Eingang zum Hofe. »Herr und Frau Professor sind im Garten.«
Durch den engen Hof traten die Besuchenden in einen Gemüsegarten, dessen Luft der Hauswirth seinem Miether zur vorsichtigen und schonenden Mitbenutzung eingeräumt hatte. Unter der Mittagsonne des Herbsttages schritt ein Ehepaar die geraden Wege entlang. Die Frau trug ein kleines Kind auf dem Arme, der Mann hielt ein Buch in der Hand, aus dem er im Gehen seiner Begleiterin vorlas. Um aber auch seine andere zur Zeit wenig beschäftigte Körperseite für die Familie zu verwerthen, hatte der Professor die Deichsel eines Kinderwagens an den Bund seiner Beinkleider befestigt und fuhr auf solche Weise ein zweites Kind hinter sich her. Die Wandelnden kehrten den Gästen den Rücken zu und bewegten sich langsam, hörend und vorlesend, tragend und fahrend abwärts.
»Ein Zusammenstoß in dem engen Wege ist nicht wünschenswerth,« sagte Felix, »wir müssen warten, bis sie um das Viereck lenken und uns das Gesicht zukehren.« Es dauerte eine gute Weile, bevor der Zug die Hindernisse der Reise überwand, denn der Professor blieb im Eifer des Lesens zuweilen stehen und erklärte etwas, wie aus seinen Handbewegungen zu erkennen war. Neugierig betrachtete Ilse das Aussehen der seltsamen Spaziergänger. Die Frau war bleich und zart, man sah ihr an, daß sie vor Kurzem das Krankenlager verlassen hatte, ihm hing um ein edelgeformtes geistvolles Angesicht langes, dunkeles Haar, auf dem der graue Reif lag. Schon waren sie dicht an die Gäste gekommen, da erst wandte die Frau die Augen von dem Gatten ab und erblickte den Besuch.
»Welche Freude!« rief der Philosoph und senkte sein Buch in die große Rocktasche. »Guten Morgen, College. Ha, da ist ja unsere liebe Frau Professorin. Frau, binde mir den Wagen ab, die Familienbande hemmen.« – Das Ablösen dauerte einige Zeit, da die Hausfrau die Hände nicht frei hatte und Professor Raschke keineswegs stillhielt, sondern vorwärts strebte und bereits die Hände des Collegen und der neuen Professorin in seinen beiden Händen festhielt. »Kommen Sie in das Haus, Sie liebe Gäste,« rief er und ging, während Felix seine Frau der Professorin zuführte, mit großen Schritten voran. Darüber vergaß er seinen Kinderwagen, den Ilse über die Schwelle hob und in den Hausflur rollte. Dort nahm sie das verlassene Kind aus den Betten, die beiden Frauen traten, jede ein kleines Werk der Weltweisheit auf dem Arme, in das Zimmer und sagten dabei einander die ersten freundlichen Worte, während das Kleine auf Ilse's Arm seine Windmühle schwenkte und das jüngste gelehrte Kind auf dem Arme der Mutter zu schreien begann.
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