Ich stand die ganze Zeit Todesangst aus wegen der Katzen, die hier sehr umherschleichen.«
»Sie sind ein liebes Stadtkind,« sagte Ilse. »Ach, die Menschen sind hier glücklich, wenn sie nur einen armen Plattmönch im Garten erhalten. Zu Hause schwirrte, flog und sang das von allen Bäumen, und wenn's nicht etwas Besonderes war, konnte man sich gar nicht um das Einzelne kümmern. Hier wird Einem jedes Thierchen werthvoll und wehmüthig. Zuletzt auch die Sperlinge. Ich bin am ersten Morgen erschrocken über diese armen Geschöpfe. Sie sind ihren Kameraden draußen gar nicht zu vergleichen, so struppig und abgestoßen sind ihre Federn, und am ganzen Leibe sind sie schwarz und rußig wie Kohlenbrenner. Ich hätte gern einen Schwamm genommen und die ganze Bande abgewaschen.«
»Es würde nichts helfen, denn sie werden gleich wieder angemalt,« sagte Laura kleinlaut, »das macht der Ruß in den Dachrinnen.«
»Wird man in der Stadt so verstäubt und von allen Seiten gestoßen? Das ist traurig. Es ist doch schöner auf dem Lande,« und als Ilse das leise gestand, wurden ihr bei dem Gedanken an den fernen Waldhügel wider Willen die Augen feucht. »Ich bin nur noch fremd hier,« setzte sie muthiger hinzu. »Die Stadt wäre schon gut, wenn nur nicht gar zu viel Menschen darin wären, die kränken mich noch mit ihrem Anstarren, so oft ich allein auf der Straße gehe.«
»Ich will Sie begleiten,« rief Laura hingerissen, »wenn Sie wollen, ich will immer bereit sein.«
Das war ein freundliches Anerbieten, und es wurde dankbar angenommen. Und Laura bat in ihrer Freude darüber, daß Ilse sie jetzt auch in ihr Geheimzimmer begleite. Sie stiegen in den Oberstock hinauf. Dort wurde das kleine Sopha, der Epheu, Schäfer und Schäferin bewundert, zuletzt das neue Fortepiano.
»Spielen Sie mir etwas vor,« bat Ilse. »Ich kann nichts. Wir hatten ein altes Clavier, da habe ich nur wenig Takte von meiner lieben Mutter gelernt, wenn die Kinder tanzten.« Laura ergriff ein schönes Notenheft, dessen erstes Blatt kunstvoll mit vergoldeten Elfen und Lilien geziert war, und spielte innerlich bebend, aber mit hübscher Fingerfertigkeit das Elfenstück herunter. Und sie erklärte lachend und ihre dunklen Löckchen schüttelnd die Stellen, wo die Geister angehuscht kamen und geheimnißvoll durcheinander schwatzten. Ilse war hoch erfreut. »Wie schnell die kleinen Finger fliegen!« sagte sie und betrachtete mit Bewunderung die feine Hand Laura's, »sehen Sie, wie groß meine Hand dagegen ist, und wie hart die Haut, das kommt vom Anfassen in der Wirthschaft.« Und Laura sah bittend zu ihr auf: »Wenn ich nur Sie singen hörte.«
»Ich vermag nichts als Gesangbuchlieder und ein paar alte Dorfmelodien.«
»O singen Sie doch,« bat Laura, »ich will Sie zu begleiten suchen.«
Ilse begann eine alte Weise, und Laura suchte eine bescheidene Begleitung und horchte hingerissen auf den kräftigen Klang der Stimme, sie fühlte ihr Herz in den Tonwellen zittern und wagte beim letzten Vers leise einzustimmen.
Sofort suchte sie nach einem Liede, das beide kannten, und als der gemeinsame Gesang so ziemlich gelungen war, klatschte Laura begeistert in die Hände, und es wurde der Beschluß gefaßt, ein oder das andere leichte Lied einzuüben und den Professor damit zu überraschen.
Dabei ergab sich, daß Ilse nur selten ein kleines Concert gehört und nur einige Male auf Reisen in ihrer Umgegend ein Schauspiel gesehen hatte, und nicht mehr als eine Oper.
»Das Stück hieß der Freischütz,« sagte Ilse. »Sie war des Oberförsters Tochter, und sie hatte eine Freundin, geradeso lustig und mit solchen hübschen Locken und treuen Augen, wie Sie haben. Und der Mann, den sie liebte, verlor sein Vertrauen auf des Himmels gnadenvollen Schutz, und um das Mädchen für sich zu erhalten, verleugnete er, und gab sich dem Bösen. Das war fürchterlich. Ihr wurde das Herz schwer, und die Ahnung kam über sie, aber sie verlor nicht die Kraft und nicht das Vertrauen zu der Hilfe von oben. Und ihr Glaube rettete den Geliebten, über den der Böse schon seine Hand hielt.« Darauf schilderte sie getreulich den ganzen Verlauf des Stückes. »Es war hinreißend,« sagte sie, »ich war damals noch jung, und als ich in unser Quartier kam, konnte ich mich nicht fassen, und der Vater mußte mich schelten.« Laura lauschte auf dem Fußbänkchen zu Ilse's Füßen, hielt die Hand der Professorin fest, ließ sich wie ein kleines Kind, das ein Märchen hört, erzählen, was sie doch so gut wußte, und die Fremde war ihr unendlich rührend. »Wie warm Sie das schildern, es ist, als ob man ein Gedicht liest.«
»Ach nein,« erwiederte Ilse kopfschüttelnd, »gerade diese Artigkeit verdiene ich am wenigsten, ich habe in meinem ganzen Leben keinen Vers gemacht, und ich bin so prosaisch, daß ich gar nicht weiß, wie ich mit meinem ungeschickten Wesen in der Stadt zurechtkommen werde. Denn hier macht man Verse! Sie summen um einen in der Luft wie die Mücken im Sommer.«
»Meinen Sie?« frug Laura, das Köpfchen senkend.
»Denken Sie, auch ich Fremde habe Verse erhalten.«
»Das finde ich natürlich,« sagte Laura und drückte ihr Taschentuch in Falten, um die Verwirrung zu verbergen.
»Auf der Bank im Park habe ich kleine Sträuße gefunden mit lieben kleinen Gedichten, und den Namen meiner Heimat mit Buchstaben und Punkten. Sehen Sie, erst ein großes B und dann –«
Laura sah in ihrem Entzücken über den Bericht vom Taschentuch auf, ihre Wangen waren mit Purpur Ueübergossen, aber aus den Augen lachte der Schelm. Ilse blickte in das strahlende Gesicht, und während sie sprach, erriet sie die Geberin. Da beugte sich Laura auf Ilse's Hand, sie zu küssen, Ilse aber hob ihr den Lockenkopf in die Höhe, drohte ihr mit dem Finger und küßte sie auf den Mund.
»Sie sind mir nicht böse,« bat Laura, »daß ich so dreist war.«
»Es war lieb und schön.
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