Diese gab der Colonna ehrerbietig Raum, ohne zu erstaunen über den unbegleiteten Gang und die eilenden Füße der erlauchten Frau, welche jetzt der dem Gewitter vorangehende Sturm beflügelte. Nach und nach aber verlangsamten sich ihre Schritte in dem dichter werdenden Gewühle der nicht breiten Straße, obwohl der schmale Himmel darüber immer dunkler und drohender wurde.
Da erblickte sie über die Menge hinweg eine Kavalkade Herren der spanischen Gesandtschaft begleiteten, wohl zu einer Audienz im Vatikan, den dritten kaiserlichen Feldherrn in der Lombardei, Leyva. Dieser vormalige Stallmeister, der Sohn eines Schenkwirts und einer Dirne, den ein knechtischer Ehrgeiz und ein eiserner Wille emporgebracht, hatte einen plumpen Körper und das Gesicht eines Bullenbeißers, denn Stirn, Nase und Lippe waren ihm von demselben Schwerthiebe gespaltet. Neben ihm auf einem herrlichen andalusischen Vollblute ritt, in einen weißen Mantel gehüllt, ein vornehmer Mann mit braunem Kopf und energischen Zügen, welcher jetzt mit einer devoten Verbeugung Victorien zu grüßen schien; aber er hatte sich nur vor den steinernen Heiligen einer nahen Kirche verneigt.
War es die grelle Gewitterbeleuchtung, oder die gemessen feindselige Haltung der Herren in einer Stadt, von deren dreigekröntem Gebieter sie ihren König insgeheim verraten wußten, oder war es Victorias erregte Einbildungskraft, sie sah und fühlte in der Grandezza der Reiter und Rosse, den in die Hüfte gesetzten Armen, den verächtlich halb über die Schulter auf die Romulussöhne niedergleitenden Blicken und bis in die steifen Bartspitzen den Hohn und die Beleidigung der beginnenden spanischen Weltherrschaft, sie empfand Grauen und Ekel und ein tödlicher Haß regte sich in ihrem römischen Busen gegen diese fremden Räuber und hochfahrenden Abenteurer, welche die neue und die alte Erde zusammen erbeuteten. Warum war der junge Kaiser zugleich der König dieser ruchlosen Nation, in deren Adern maurisches Blut floß und die Italien mit ihren Borjas vergiftet hatte?
Sonst hätte sie wohl der uralte Familiengeist ihres ghibellinischen Geschlechtes, das Jahrhunderte lang seinen Vorteil darin gefunden hatte, der kaiserlichen Sache ohne Gehorsam zu dienen, an Karl gefesselt, aber nein, nicht an diesen Kaiser, auch wenn er kein Spanier gewesen wäre. Sie konnte sich nichts machen aus dem undeutlichen Knaben, den sie nie von Angesicht gesehen, weder sie noch irgendwer in Italien, das jener zu betreten zögerte.
Einen Brief freilich hatte er an sie geschrieben nach dem Siege von Pavia, um sie zu beglückwünschen, daß sie die Gattin Pescaras sei. Aber gerade in diesen kargen Zeilen schien sich ein kümmerliches Gemüt zu spiegeln, und was der großgesinnten Frau am meisten mißfiel, war die in ihren Augen ängstliche und frömmelnde Demut, mit welcher der junge Kaiser Gott und seinen Heiligen die ganze Ehre des Sieges gab. Obwohl selbst dem Himmel dankbar, schätzte Victoria solche Demut gering an einem Manne und an einem Herrscher. War hier nicht das Geständnis, daß der begeisternde Sieg den Fernstehenden kühl gelassen hatte, ja, war hier nicht die kleinliche Absicht, den Lorbeer Pescaras zu schmälern? Darum mußte der Himmel alles getan haben. Victoria aber war brennend eifersüchtig auf den Ruhm ihres Gatten. Und wie ungroßmütig hatte sich Karl erwiesen! Er hatte es über sich gebracht, dem Feldherrn, welchem er Italien verdankte, zwei armselige italienische Städtchen zu verweigern! Nein, einen so kleinen Menschen konnte man gar nicht verraten, man konnte höchstens von ihm abfallen und ihn fahrenlassen.
Jetzt blendete sie ein gewaltiger Blitz, derselbe, der den Kanzler und Guicciardin unter die Dächer des Vatikans zurückgetrieben, und eben da der Regen zu stürzen begann, erreichte sie, rechts durch ein Seitengäßchen biegend, die dunkeln Stufen des Pantheon und seine erhabene – Vorhalle. Ohne das Innere des machtvollen Tempels zu betreten, lehnte sie, die entstehende Kühle einatmend, an eine der enge zusammengerückten gewaltigen Säulen, und unter dem Vordache des alten Bauwerkes kehrte ihr Geist in ein noch früheres Altertum zurück, dessen Tugenden die flüssige Bildkraft des Jahrhunderts verherrlichte, ohne sie zu besitzen oder auch nur begreifen zu können in ihrer eintönigen Starrheit und strengen Wirklichkeit.
Jene tugendhaften Lucretien und Cornelien traten ihr wie Schwestern vor das altertumstrunkene Auge, trug sie doch zwei Namen, die beide so römisch als möglich klangen, und war ihr doch wie jenen hohen Frauen das weiblich Böse unbekannt. Jene schlichten und stolzen Geschöpfe hatten die Eroberer der Welt geboren, Virgils großartiges »Tu regere imperio«, das sie sich wie oft: schon vorgesagt hatte, überwältigte sie jetzt bis zu den Tränen. Sie betrat den Tempel und warf sich nieder in der Mitte desselben unter der wetterleuchtenden Wölbung und rang die Hände und flehte, daß Rom und Italien nicht versinke in das Grab der Knechtschaft. Sie flehte in den christlichen Himmel hinauf und nicht minder zu dem Olympier, der über ihr donnerte, zu alledem, was da rettet und Macht hat, mit der wunderlichen und doch so natürlichen Göttermischung der Übergangszeiten.
Da sie das Pantheon verließ – wie lange sie auf den Knieen gelegen, wußte sie nicht – heiterte sich der italienische Himmel eben wieder auf, und in ihrem gewöhnlichen Wandel, leicht und gemessen, beendigte sie den Weg nach ihrem Palaste. Jetzt kehrten ihre Gedanken zu Pescara zurück. Nicht diese ihre Frauenhände Konnten den Spanier verjagen, sondern nur er vermochte es, welcher in jeder der seinigen einen Sieg hielt, wenn sie und die Umstände ihn dazu überredeten. Durfte sie es hoffen? Hatte sie solche Gewalt über ihn? Und Victoria mußte sich sagen, daß sie trotz ihrer langen und trauten Ehe den innersten Pescara nicht kenne. Sie wußte sein Angesicht, seine Gebärde, die kleinste seiner Gewohnheiten auswendig. Daß der Enthaltsame ihr treu sei, glaubte sie und täuschte sich nicht. Daß er sie anbetete und als sein höchstes Gut mit der äußersten Liebe und Sorgfalt hegte, zärtlich und verehrungsvoll zugleich, darauf war sie stolz. In den seligen Stunden ihres kurzen, stets wieder von Feldzug und Lager aufgehobenen Zusammenseins warf er Pläne und Karten und seinen Livius weg, um sein Weib und gemeinsam mit ihr Meerbläue und wandernde Segel zu betrachten. Er spielte mit ihr Schach und sie gewann. Er bat sie, die Laute zu schlagen, schloß die Augen und lauschte. Er gab ihr für ihre Sonette spitzfindige Themata auf und verschärfte zuweilen den Umriß ihrer allgemeinen Gedanken und weiten Wendungen, denn er selbst hatte früher, in der unfreiwilligen Muße einer Gefangenschaft – und wahrhaftig gar nicht übel für einen Geharnischten – zur Verherrlichung Victorias einen »Triumph der Liebe« gedichtet.
Seine Siege aber erzählte er, jung wie er war und größerer gewärtig, seinem Weibe niemals, da er sie, wie er sagte, weder langweilen noch mit Blut bespritzen wolle, denn ein Feldzug sei eine lange Geduldsprobe, die zu der roten Lache einer Schlachtbank führe. Von Politik sprach er ihr nur gar nicht, weder von Vergangenem noch von Schwebendem, obwohl ihm einmal das Wort entschlüpfte, Menschen und Dinge mit unsichtbaren Händen zu lenken, sei das Feinste des Lebens, und wer das einmal kenne, möge von nichts anderem mehr kosten. Doch gewöhnlich meinte er, Politik sei ein schmutziger Markt und sein Weib dürfe nicht einmal die helle Spitze ihres Fußes in den ekeln Sumpf tauchen.
So gestand sich Victoria, daß ihr der alles untäuschbar durchblickende Pescara undurchdringlich und sein Denken und Glauben verschlossen sei.
War das recht? Durfte es für sie verbotene Türen und verschlossene Kammern geben in der Seele ihres Mannes? Nach den Plänen des Feldherrn und den Ränken des Staatsmannes war sie nicht begierig, aber sie verlangte eingeweiht zu werden in seinen Ehrgeiz und in sein Gewissen. Und jetzt da Pescara vor einer ungeheuren Entscheidung stand, nein, jetzt ließ sie sich nicht abschütteln von seinem kämpfenden Herzen, nicht abspeisen mit einer Liebkosung oder einem Scherze, jetzt wollte sie mitraten und mithandeln. Hatte sie ihm nicht eine frische Seele und eine reine Jugend gebracht? War sie nicht eine Colonna? Brachte sie nicht heute eine Krone? Ob er diese zurückweise, ob er sie aus ihren Händen nehme und sie sich aufs Haupt setze, hier wollte sie seine Mitschuldige oder seine Mitentsagende sein, ein bewußter Teil seiner verschwiegenen Seele. Wäre sie schon bei Pescara! Herz und Sohlen brannten ihr vor Ungeduld, und schon durchschritt sie den Apostelplatz, wo ihr ein geharnischter Jüngling entgegentrat, der unter dem Tor ihres Palastes auf sie gewartet hatte.
»Ich war um Euch in Sorge, erlauchte Frau«, begrüßte er sie, »da Eure Sänfte und Eure Leute ohne Euch aus dem Vatikan zurückgekehrt sind.
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