Nun fühlte er doch, daß er das Gleichgewicht verloren; er wies mit einer Handbewegung den Besuch des Florentiners und des Lombarden ab und trat in die raffaelische Kammer zurück.
Die beiden nicht Empfangenen sahen sich einen Augenblick an, dann ergriff Guicciardin lachend den Arm des Kanzlers und zog ihn sanftgestufte Treppen hinunter, in die vatikanischen Gärten, deren Schattengänge sie nicht aufzusuchen brauchten, denn der Himmel hatte sich mit schwarzen Wolken bedeckt.
»Eigentlich«, plauderte Guicciardin, »mag ich den Alten leiden. So fein er spinnt und so bedacht er redet, ist er doch innerlich ein leidenschaftlicher, ein zorniger Mensch wie ich, und jetzt höchst aufgeregt, weil er der Colonna unsere gefährliche Heimlichkeit geoffenbart hat. Du in deiner Verzückung hast es freilich nicht gesehen, wie er ihr die Gutachten des Accolti und des Angelo de Cesis in die Hand drücken wollte. Zwei käufliche Schurken, die den Meineid mit Bibelstellen belegen! Übrigens ist es ein starkes Ding, daß Clemens in seinen alten Tagen so Kühnes und Folgenschweres unternimmt, und noch mehr, er unternimmt es mit tiefem Mißtrauen gegen sich selbst, ohne Glauben an seinen Stern, denn er hält sich heimlich für einen Pechvogel. Das ist schlimm. Da war denn doch der Leo ein anderer, immer strahlend und triumphierend, und darum immer glücklich, während die gegenwärtige Heiligkeit, wie sie mir neulich im Tone des Jeremias prophezeite, die Ewige Stadt schon geplündert und aus diesen Dächern« – er wies auf den Vatikan – »Rauch und Flamme steigen sieht. Dennoch beginnt er den Kampf gegen den Kaiser, und das rechne ich ihm hoch an, ob es ihm auch zuerst um sein Florenz zu tun ist. Er hat noch Blut in den Adern und knirscht die Zähne, soviel ihm geblieben sind, wenn er den hochmütigen spanischen Adel auf dem Kapitole stolzieren sieht wie in Neapel oder Brüssel. Aber wohin träumst du, Kanzler? von dem Weibe? Natürlich.«
»Ich will zu der Römerin reden wie ein alter Römer!« rief der Kanzler.
»Schön! Nur hüte dich, daß du in der Begeisterung nicht deinen klassischen Bocksfuß unter der Toga hervorstreckest. Sei züchtig, mache große Worte und packe sie fest an ihrer Eitelkeit!«
»An ihrem Herzen will ich sie packen!«
»Das heißt, an ihrer Tintenflasche, denn die Herzen schreibender Weiber sind mit Tinte gefüllt«, lästerte der schmähsüchtige Florentiner. »Aber weißt du, Kanzler« – und Guicciardin kniff ihn kräftig in den Arm – »daß es nicht der Heilige Vater allein ist, den unsere Unternehmung schlaflos macht. Auch ich habe in dieser Woche noch kein Auge geschlossen. Immer muß ich mir diesen Pescara zurechtdenken. Auf seinen Groll gegen den Kaiser gebe ich nichts: sie können sich über Nacht versöhnen. Ebensowenig auf den Einfluß des Weibes. Sie wird ihm die Botschaft des Papstes ausrichten dürfen: weiter wird er nicht auf sie hören. Aber ich glaube auch nicht an seine feudale Treue. Pescara ist kein Cid Campeador, oder wie die Spanier ihren loyalen Helden nennen, dafür ist er zu sehr ein Sohn Italiens und des Jahrhunderts. Er glaubt nur an die Macht und an die einzige Pflicht der großen Menschen, ihren vollen Wuchs zu erreichen mit den Mitteln und an den Aufgaben der Zeit. So ist er und so paßt er uns. Unfehlbar, er wird unsere Beute und wir die seinige. Dennoch ... lache mich aus, Morone ... etwas umhaucht mich: ich wittere Verborgenes oder Geheimgehaltenes, etwas Wesentliches oder auch etwas Zufälliges, etwas Körperliches oder einen Zug seiner Seele, kurz, ein unbekanntes Hindernis, das uns den Weg vertritt und unsere genaue Rechnung fälscht und vereitelt.«
»Aber«, sagte Morone nachdenklich werdend, »wenn er so ist, wie du ihn nimmst, und wenn die Tatsachen liegen, wie wir sie kennen, aus welcher Geisterquelle sollte denn jenes Feindselige aufsteigen?«
»Ich weiß es nicht! Nur – von diesem Pescara geht der Ruf, er verstehe es, einen stürmenden Feind alle Höhen erklimmen zu lassen, um ihm dann plötzlich einen letzten mit Feuerschlünden besetzten und ihn zerschmetternden Wall entgegenzustellen. Wenn in seinem Innern ein solcher Wall gegen uns emporstiege, gerade im Augenblicke da wir glauben seine Seele bewältigt zu haben? Doch weg mit dem Spuk, der nichts ist als die Schwüle vor dem Gewitter, die natürliche Angst und Ungewißheit, die jedem großen und gefährlichen Unternehmen vorangeht.«
Ein Blitz flammte über den Vatikan. Er stand in weißem Feuer und zeigte die schönen Verhältnisse der neuen Baukunst. Unter dem Rollen des Donners verloren sich die zweie zwischen den Säulen eines Portikus, Guicciardin betroffen und sich fragend, was das Omen bedeute, der Kanzler unbekümmert um den Himmel und seine Zeichen, denn er sah sich schon zu den Füßen der Colonna.
Diese hatte im Taumel ihrer Begeisterung den Vatikan über die nächste seiner zahlreichen Treppen und durch eines seiner Nebentore verlassen. Sänfte und Gefolge, welche sie an der Hauptpforte vergeblich erwarteten, hatte sie vergessen und wandelte, mehr von ihrem ehrgeizigen Traume getragen als von dem aufziehenden Gewitter gejagt, mit bewegten Gewanden nach ihrem Palast am Apostelplatze zurück. Sie schritt mit einer geraubten Krone wie die erste Tullia, nicht über den Leichnam des Vaters, sondern über die gemeuchelte Staatstreue; denn die Tochter des Fabricius Colonna und die Gattin Pescaras war eine Neapolitanerin und die Untertanin Karls des Fünften, des Königs von Neapel.
Die krönende Gebärde des Papstes hatte sie überwältigt. Gewöhnung und Umgebung, der Glaube der Jahrhunderte und die überlieferten Formen der Frömmigkeit ließen sie in dem Haupte der Kirche, so entartet diese sein mochte, immer noch eine Werkstätte des göttlichen Willens und ein Gefäß der höchsten Ratschlüsse erblicken – und wie hätte das eigene Selbstgefühl und mehr noch der Stolz auf den Wert ihres Gatten sie zweifeln lassen an dem päpstlichen Rechte, auf das würdigste Haupt eine Krone zu setzen? So konnte ihr die anmaßende Handlung des Mediceers trotz der veränderten Zeiten als ein Ausspruch der Gottheit erscheinen.
Die neue Königin ohne Gefolge hatte den Borgo durcheilt, die Engelsbrücke überschritten und ging nun schon durch die »gerade Gasse«, wie sie hieß, im Gelärme der Menge.
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