Da warf er seinen kostbaren Mantel dem Herzog gegenüber an den Marmorboden und lagerte sich geschmeidig, den linken Arm aufgestützt, den rechten in die Hüfte setzend. »Hoheit erlaube«, sagte er.

Karl Bourbon lebte seit seinem Verrate in einer sengenden und verzehrenden Atmosphäre des Selbsthasses. Niemand, sogar der Vornehmste nicht, hätte es gewagt, den stolzen Mann auch nur mit einer Miene an seine Tat zu erinnern und ihn das Urteil erraten zu lassen, welches die öffentliche Meinung seines Jahrhunderts einstimmig und mit ungewöhnlicher Härte über ihn gefällt hatte, aber er kannte dieses strenge Urteil und sein Gewissen bestätigte es. Die gründlichste Menschenverachtung brachte er, bei sich selbst anfangend, der ganzen Welt entgegen, doch beherrschte er sich vollkommen, und niemand benahm sich tadelfreier und redete farbloser, jeden Hohn, jede Ironie, selbst die leiseste Anspielung sich und damit auch den andern untersagend. Nur selten verriet, wie eine plötzlich aus dem Boden zuckende Flamme, ein höllischer Witz oder ein zynischer Spaß den Zustand seiner Seele.

Nachdem der Connétable eine Weile gesonnen, begann er mit angenehmer Stimme und einer leichten Wendung des Kopfes: »Ich bitte Hoheit, mich nicht entgelten zu lassen, was meine Sendung Unwillkommenes für Sie haben könnte. Meine Person völlig zurückstellend, übermittle ich der Hoheit einen Beschluß der Kaiserlichen Majestät, welchen dieselbe in ihrem Ministerrate gefaßt hat, allerdings nach Vernehmung ihrer drei italienischen Feldherrn, Pescara, Leyva und meiner Untertänigkeit.«

»Wie befindet sich Pescara?« fragte der Kanzler, der in gleicher Entfernung von den zwei Hoheiten stand, frech dazwischen. »Ist er geheilt von seiner Speerwunde bei Pavia?«

»Freundchen«, versetzte der Connétable geringschätzig, »ich bitte Euch, nicht zu reden, wo Ihr nicht gefragt werdet.«

Da nahm der Herzog die Frage auf. »Herr Connétable«, sagte er, »wie befindet sich der Sieger von Pavia?«

Bourbon verneigte sich verbindlich. »Ich danke der Hoheit für die huldvolle Nachfrage. Mein erlauchter und geliebter Kollege Ferdinand Avalos Marchese von Pescara ist völlig hergestellt. Er reitet ohne Beschwerde seine zehn Stunden.« Dann fuhr er fort: »Lasset mich jetzt zur Sache kommen, Hoheit. Bittere Arznei will schnell gereicht sein. Die Kaiserliche Majestät wünscht sehr, daß die Hoheit zurücktrete aus der neuen Liga, die Sie mit der Heiligkeit, den Kronen von Frankreich und England und der Republik Venedig abgeschlossen hat oder abzuschließen im Begriffe ist.«

Jetzt fand der Herr von Mailand den Fluß der Rede und beteuerte mit gut gespieltem Erstaunen und herzlicher Entrüstung, daß ihm von einer solchen Liga nichts bekannt sei und er selbst sicherlich der erste wäre, nach seiner Lehenspflicht den Kaiser ungesäumt zu unterrichten, wenn seines Wissens in Oberitalien derlei gegen die Majestät gesponnen würde. Und er legte die Hand auf das feige Herz.

Mit vorgebogenem Haupte höflich lauschend, ließ der Connétable den jungen Heuchler seine Lüge in immer neuen Wendungen wiederholen. Dann erwiderte er in kühlem Tone, mit einer unmerklichen Färbung verächtlichen Mitleids: »Die Worte der Hoheit unangetastet, muß ich glauben, daß Dieselbe von der Sachlage nicht genau unterrichtet ist. Wir denken es besser zu sein. Der Friede zwischen Frankreich und England mit einer bösen Absicht gegen den Kaiser ist eine Tatsache, die uns mit Sicherheit aus den Niederlanden gemeldet wurde. Ebenso gewiß sind wir, daß in Oberitalien gegen uns gerüstet wird. Und soweit sich der Heilige Vater beurteilen läßt, scheint auch er, den wir verwöhnt haben, sich verdeckt gegen uns zu wenden. Zu unterscheiden, was getan und was im Werden ist, kann nicht unsere Aufgabe sein: wir bauen vor. Ehe die Liga«, fügte er mit leiserer Stimme bedeutsam hinzu, »einen Feldherrn gefunden hat.«

Dann stellte er seine Forderung: »Hoheit gibt uns Sicherheit, in Monatsfrist, daß Sie Neutralität hält. Das ist die inständige Bitte Kaiserlicher Majestät. Unter Sicherheit aber versteht sie: Verabschiedung der Schweizer, Beurlaubung der lombardischen Waffen auf die Hälfte, Einstellung aller und jeder Festungsbauten und Überlassung dieses erfindungsreichen Mannes« – er wies mit dem Haupte seitwärts – »an Kaiserliche Majestät. Wo nicht« und er erhob sich ungestüm, als wollte er zu Pferde springen – »wo nicht, blasen wir zum Aufbruch, den letzten September, um Mitternacht, keine Stunde früher, keine später, und besetzen in wenigen Märschen das Herzogtum. Hoheit überlege.« Er verbeugte sich und schied.

Da ihm Morone das Geleite geben wollte, verfiel Bourbon in eine seiner tollen Launen und wies den Kanzler mit einer possenhaften Gebärde ab. »Adieu, Pantalon mon ami!« rief er über die Schulter zurück.

Morone geriet in Wut über diese Benennung, welche seiner Person allen Ernst und Wert abzusprechen schien, und entrüstet auf und nieder schreitend, verwickelte er sich mit den Füßen in den liegengebliebenen Mantel des Connétable; der junge Herzog aber hielt den Kanzler fest, hing sich ihm an den Arm und weinte: »Girolamo, ich habe ihn beobachtet! Er glaubt sich hier schon in dem Seinigen. Schließe ab! heute noch! Sonst entthront mich dieser Teufel!«

Noch lag der hilflose Knabe in den Armen seines Kanzlers, als ein greiser Kämmerer den Rücken vor ihm bog und feierlich das Wort sprach: »Die Tafel der Hoheit ist gedeckt.« Die beiden folgten ihm, der mit wichtiger Miene durch eine Reihe von Zimmern voranschritt. Eines derselben, ein Kabinett, das keinen eigenen Ausgang hatte, schien mit seiner Tapete von moosgrünem Sammet und seinen vier gleichfarbigen Schemeln ein für trauliche Mitteilungen bestimmter Schlupfwinkel zu sein. In seiner Mitte blieb der Herzog verwundert stehen, denn die Hinterwand des sonst leeren Raumes füllte jetzt ein Bild, das er nicht als sein Eigentum kannte. Es war heimlich in den Palast gekommen, eine ihm bereitete Überraschung, das Geschenk des Markgrafen von Mantua, wie auf dem Rahmen zu lesen stand.