Aber ich lasse mir nicht das Maul verbinden, und so sei es mit Wonne augesprochen unter uns Wissenden: Fra Martino hat eine gerechte Sache, und sie wird sich behaupten.«

Dem Herzog machte es Spaß und er empfand eine Schadenfreude es zu erleben, wie der große germanische Ketzer von einem Sachwalter des Heiligen Vaters verherrlicht wurde. Freilich überlief ihn eine Gänsehaut, daß solches in seiner Gegenwart und in seinem Palaste geschehe. Er winkte die Diener weg, welche eben die Früchte aufgesetzt hatten und der spannenden Unterhaltung ihre stille Aufmerksamkeit widmeten.

Jetzt forderte Morone, der sich auf seinem Stuhle hin und her geworfen, mit flammenden Augen den Florentiner auf: »Ihr seid ein Staatsmann, Guicciardin, und auch ich pfusche ins Handwerk. Wohlan, begründet Eure merkwürdigen Sätze: Bruder Martinus tut ein gerechtes Werk, und dieses Werk wird gelingen und dauern.«

Guicciardin leerte ruhig seinen Becher, während der schöne Lälius ein Zuckerbrot zerbröckelte, der Herzog nach seiner Art sich im Sessel gleiten ließ und Morone begeistert von dem seinigen aufsprang.

»Nicht wahr, Herrschaften«, begann der Florentiner, »kein Kind, kein Tor würde es ertragen, wenn ein Ding vorgeben wollte, dasselbe Ding geblieben zu sein, nachdem es sich in sein Gegenteil verwandelt hätte, zum Beispiel das Lamm in den Wolf, oder ein Engel in einen Teufel. Wie wir nun in unserm gebildeten Italien von der heiligen Gestalt denken mögen, die sich in den Päpsten fortsetzt, eines ist nicht zu leugnen: daß sie nur Gutes und Schönes gewollt hat. Und ihre Nachfolger, die das Werk und Amt des Nazareners übernommen haben – sehet nur die viere der Wende des Jahrhunderts! Da ist der Verschwörer, der unsern gütigen Julian gemeuchelt hat! Dann kommt der schamlose Verkäufer der göttlichen Vergebung! Nach ihm der Mörder, jener unheimliche zärtliche Familienvater! Keine Fabelgestalten, sondern Ungeheuer von Fleisch und Blut, in kolossalen Verhältnissen vor dem Auge der Gegenwart stehend! Und der vierte, den ich von jenen trenne: unser großer Julius, ein Heros, der Gott Mars, aber ein Gegensatz noch schreiender als jene dreie zu dem sanftmütigen Friedestifter! Viermal nacheinander dieser Widerspruch, das ist ein Hohn gegen die menschliche Vernunft. Es nimmt ein Ende: entweder verschwindet jene erste himmlische Gestalt in dieser dampfenden Hölle und flammenden Waffenschmiede, oder Bruder Martinus löst sie mit einem scharfen Schnitt von solchen Nachfolgern und Amtsbrüdern.«

»Das ist lustig«, meinte der Herzog, während der Kanzler wie besessen in die Hände klatschte.

»Eine Predigt Savonarolas«, ließ sich der schöne Lelio vernehmen, ein Gähnen verwindend. »Wenn wir Fra Martino in Venedig hätten, so könnten wir ihn zügeln und sachdienlich verwenden. Aber seinem germanischen Trotzkopf überlassen, wird er, fürcht ich, über kurz oder lang dem andern auf den Scheiterhaufen folgen.«

»Nein«, versetzte Guicciardin heiter, »seine braven deutschen Fürsten werden ihr Schwert vor ihn halten und ihn schützen.«

»Doch wer schützt seine Fürsten?« spottete der Venezianer.

Guicciardin schlug eine fröhliche Lache auf. »Der Heilige Vater«, sagte er. »Sehet, Herrschaften, das ist eine jener verdammt feinen Zwickmühlen, wie sie der Zufall oder ein Besserer in der Weltgeschichte anlegt. Seit unsere Päpste sich verweltlicht haben und einen Staat in Italien besitzen, ist ihnen das kleine Szepter teurer als der lange Hirtenstab. Ist nicht, diesem Szepter zuliebe, unser Clemens im Begriff dem frommgläubigen Kaiser förmlich den Krieg zu erklären? Einem Heiligen Vater aber, der mit Kanonen auf ihn schießt, wird Karl kaum den Gefallen tun, seine tapfern germanischen Landsknechte in die Kirche zurückzuzwingen. Und umgekehrt: wenn die ketzerischen deutschen Fürsten gegen die Kaiserliche Majestät sich empören und Panier aufwerfen, wird der Heilige Vater nicht ihre Seele vorläufig in Ruhe lassen und sich heimlich ihrer Waffen bedienen? Unterdessen aber wächst der Baum und streckt seine Wurzeln.«

Jetzt wurde der Herzog unruhig. Es kam die angenehme Stunde seines Tagewerkes, in welcher er seine Hunde und Falken mit eigenen Händen fütterte. »Herrschaften,« sagte er, »mich würde dieser germanische Mönch nicht verführen. Man hat mir sein Bildnis gezeigt: ein plumper Bauernkopf, ohne Hals, tief in den Schultern. Und seine Gönner, die saxonischen Fürsten Bierfässer!«

Guicciardin zerdrückte den feinen Kelch in der Hand und einen Fluch zwischen den Zähnen. »Es ist schwül hier im Saale«, entschuldigte er sich, und gleich hob der Herzog die Tafel auf. »Wir wollen frische Luft schöpfen«, meinte er. »Auf Wiedersehen, Herrschaften, nach Sonnenuntergang, im grünen Kabinette.«

Er verließ das Zimmer, um dem Venezianer, an welchem er ein Wohlgefallen fand, seine Gebäude, Terrassen und Gärten zu zeigen. Es waren noch jene unvergleichlichen Anlagen, welche der letzte Visconte gebaut und mit seinem gespenstischen Treiben erfüllt hatte, die Überbleibsel jener »Burg des Glückes«, wo er, wie ein scheuer Dämon in seinem Zauberschlosse, Italien mit vollendeter Kunst regierte, und aus welcher er seine Günstlinge, sobald sie erkrankten, wegtragen ließ, damit niemals der Tod an diese Marmorpforten klopfe.

Ein guter Teil der alten Pracht war verfallen, oder zertreten und verschüttet durch den Krieg und die neu aufgeworfenen Bollwerke. Immerhin blieb noch genug übrig für die schmeichelnde Bewunderung des schönen Lälius, und Franz Sforza verlebte ein paar hübsche Stunden. Nur da sie eine Reitbahn betraten, welche der Bourbon während seiner mailändischen Statthalterschaft errichtet, verschatteten sich die fürstlichen Züge, um sich dann aber, gleich wieder zu erheitern. Er hatte das schallende Gelächter Guicciardins vernommen und darauf diesen selbst erblickt, der sich in eine ländliche Veranda hemdärmlig mitten unter lombardische Stallknechte gesetzt hatte, mit ihnen Karten spielte und einem herben Landweine zusprach. »Die Vergnügungen eines Republikaners«, spottete Franz Sforza. »Er erholt sich von seinem fürstlichen Umginge.« Der schöne Lelio lächelte zweideutig, und sie setzten ihren Lustwandel fort.

Der erste, welcher sich in dem moosgrünen Kabinette einfand, wenn er es nicht etwa gleich nach aufgehobener Tafel betreten und nicht wieder verlassen hatte, war Girolamo Morone. Er stand vertieft in das Bild. Eine Weile mochte er die entzückten Augen an dem holdseligen Weibe geweidet haben, jetzt aber, durchforschte er mit angestrengtem Blicke das Antlitz des Pescara, und was er aus den starken Zügen heraus – oder in dieselben hineinlas, gestaltete sich in dem erregten Manne zu heftigen Gebärden und abgebrochenen Lauten. »Wie wirst du spielen, Pescara?« stammelte er, die schalkhafte Frage, die in Victorias unschuldigem Auge lag, ingrimmig wiederholend und die pechschwarze Braue zusammenziehend.

Da erhielt er einen kräftigen Schlag auf die Schulter.