Die vier Gerechten Read Online
001 - Die vier Gerechten
EDGAR WALLACE
Kriminalroman
Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Dietlind Bindheim
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
HEYNE BLAUE REIHE 02/2354
Herausgegeben
von Bernhard Matt
Titel der Originalausgabe: THE FOUR JUST MEN
Neuausgabe des Heyne Taschenbuches Band Nr. 02/2062
Copyright © 1983 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne
Verlag GmbH & Co. KG, München
Printed in Germany 1991
Umschlagillustration: Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin
Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München
Satz: Kort Satz GmbH, München
Druck und Bindung: PresseDruck Augsburg
ISBN 3-453-05446-6
Prolog
Wenn man die Plaza del Mina verläßt und die schmale Straße hinuntergeht, wo am Konsulatsgebäude der Vereinigten Staaten von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags die große Flagge schlaff herabhängt, dann den Platz mit dem ›Hôtel de la France‹ überquert, bei der Marienkirche um die Ecke biegt und schließlich die saubere schmale Hauptverkehrsstraße von Cadiz entlangschreitet, dann kommt man zum ›Cafe de Naziones‹.
Um fünf Uhr nachmittags halten sich in dem weitläufigen Salon mit den Säulen nur wenige Menschen auf, und gewöhnlich sind auch die kleinen, runden Tische, die den Bürgersteig vor dem Cafe verstopfen, nicht besetzt.
Doch im Spätsommer des Jahres der Hungersnot saßen vier Männer um einen dieser Tische und sprachen über Geschäfte. Einer von ihnen war Leon Gonsalez, ein anderer Poiccart, der dritte der bemerkenswerte George Manfred, der vierte Thery oder Saimont.
Von diesem Quartett braucht nur Thery dem Kenner zeitgenössischer Geschichte nicht vorgestellt zu werden. Seine Akte liegt im Amt für öffentliche Angelegenheiten. Er ist dort als Thery - alias Saimont - registriert.
Sofern Sie wißbegierig sind und die erforderliche Genehmigung eingeholt haben, können Sie ihn dort auf achtzehn verschiedenen Aufnahmen betrachten - die Hände über der breiten Brust verschränkt, en face, mit einem drei Tage alten Bart, im Profil, mit... Doch wozu alle achtzehn Stellungen aufzählen?
Übrigens wurden dort auch Fotos seiner Ohren - seiner sehr häßlichen Fledermausohren - aufbewahrt und eine lange, umfassende Geschichte seines Lebens.
Signor Paolo Mantegazza, Direktor des Nationalmuseums für Anthropologie in Florenz, hat Thery die Ehre erwiesen und ihn in sein großartiges Werk aufgenommen (siehe das Kapitel: ›Intellektuelle Einschätzung eines Gesichtes‹). Deshalb sage ich, daß Thery all jenen, die sich mit Kriminologie und Physiognomie beschäftigen, nicht vorgestellt werden muß.
Er saß jetzt an einem kleinen Tisch, fühlte sich offensichtlich unbehaglich, zwickte sich in seine fetten Wangen, strich sich seine struppigen Brauen glatt, befummelte die weiße Narbe an seinem unrasierten Kinn und tat all das, was die Menschen unterer Klassen taten, wenn sie sich plötzlich auf gleicher Stufe mit besseren Leuten wiederfanden.
Denn obgleich Gonsalez, mit seinen hellblauen Augen und seinen unruhigen Händen, und Poiccart, ein träger, düsterer argwöhnischer Typ, sowie George Manfred, mit seinem graumelierten Bart und seinem Monokel, in der Verbrecherwelt weniger berühmt waren, so war jeder doch, wie Sie noch erfahren werden, ein großer Mann.
Manfred legte den Heraldo di Madrid beiseite, nahm das Monokel ab, putzte es mit einem makellosen Taschentuch und lachte still vor sich hin.
»Diese Russen sind drollig«, kommentierte er.
Poiccart runzelte die Stirn und griff nach der Zeitung.
»Wer ist es - diesmal?«
»Ein Gouverneur einer der südlichen Provinzen.«
»Tot?«
Manfreds Schnurrbart schien sich in verächtlichem Spott zu kräuseln.
»Bah! Wer hat schon je einen Menschen mit einer Bombe umgebracht? Ja, ja, ich weiß schon, daß es vorgekommen ist. Aber wie plump und primitiv! Es ist, als würde man eine Stadtmauer unterminieren, damit sie einstürzt und - unter anderen - auch deinen Feind erschlägt.«
Poiccart las die Notiz bedächtig und ohne Hast, wie das so seine Art war.
»Der Fürst wurde ernsthaft verletzt, und der Möchtegern-Attentäter hat einen Arm verloren«, las er und schürzte mißbilligend die Lippen.
Gonsalez öffnete und schloß nervös seine Hände, die er nie ruhighalten konnte und die seine Verwirrung deutlich machten.
»Unser Freund hier« - Manfred lachte, und sein Kopf zuckte in Gonsalez' Richtung - »hat so was wie ein Gewissen und. ..«
»Nur ein einziges Mal«, unterbrach ihn Leon rasch. »Und ich war dagegen. Sie erinnern sich doch, Manfred? Und Sie, Poiccart, erinnern Sie sich?« An Thery wandte er sich nicht. »Ich habe abgeraten. Erinnern Sie sich?« Er schien ängstlich darauf bedacht, sich von der unausgesprochenen Anklage freizusprechen. »Es war ein jämmerlicher, kleiner Coup - und ich war in Madrid«, fuhr er atemlos fort. »Einige Männer aus einer Fabrik in Barcelona kamen zu nur und erzählten mir, was sie vorhatten. Ich war zu Tode entsetzt über ihre Unkenntnis der chemischen Gesetze und ihrer Grundlagen. Nachdem ich ihnen die Bestandteile und Mischungsverhältnisse aufgeschrieben hatte, habe ich sie angefleht - ja, fast auf den Knien -, irgendeine andere Methode anzuwenden. Meine Lieben‹, habe ich gesagt, ›ihr spielt da mit etwas, wovor selbst Chemiker Angst hätten. Wenn der Besitzer der Fabrik ein schlechter Mensch ist, dann schaltet ihn unbedingt aus. Erschießt ihn! Lauert ihm auf, nachdem er zu Abend gegessen hat und schwerfällig und träge ist! Haltet ihm mit der rechten Hand ein Bittgesuch unter die Nase und mit der linken... So!‹«
Leon drehte seine Fingerknöchel nach unten und ließ die Faust vor und nach oben auf einen imaginären Tyrannen zu schießen. »Aber sie wollten auf nichts hören, was ich auch sagte.«
Manfred rührte in dem Glas mit der kremigen Flüssigkeit herum, das neben seinem Ellbogen stand, und nickte, während seine grauen Augen amüsiert zwinkerten.
»Ich erinnere mich. Etliche Menschen starben, und der Hauptzeuge bei der Vernehmung des Sprengstoffsachverständigen war der Mann, für den die Bombe bestimmt gewesen war.«
Thery räusperte sich, als wolle er etwas sagen, und die drei sahen ihn neugierig an. In Therys Stimme schwang so etwas wie Groll mit.
»Ich behaupte nicht, so groß wie Sie zu sein, Señores. Die Hälfte der Zeit verstehe ich überhaupt nicht, worüber Sie reden. Sie sprechen von Regierungen und Königen, von Erlassen und Anlässen. Wenn mir jemand ein Unrecht zufügt, schlage ich ihm den Schädel ein« - er zögerte -, »nun ja, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll... Ich meine...
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