Die vier Jahreszeiten

Wedekind, Frank

Die vier Jahreszeiten

 

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Frank Wedekind

Die vier Jahreszeiten

 

Die Jahreszeiten

 

Genieße, was die Jahreszeit mit sich bringt:

Radieschen, Erdbeeren, grüne Erbsen und Pflaumen!

Was der Verändrung in Sonne und Luft entspringt,

Ist stets das Beste für deinen gebildeten Gaumen.

 

Radieschen knackt man, wenn man noch jung und keusch

Und sich noch die ersten Zähne nicht ausgebissen;

Die prallen Bäckchen zerbersten mit lautem Gekreisch,

Die Zunge schwelgt in unsäglichen Bitternissen.

 

Erdbeeren aus Wald und Garten, wie duften sie fein,

Die großen voll Saft, die kleinen sind mir noch lieber.

Ich mache sie trunken zuvor mit gezückertem Wein,

Pechvögel nur erkranken am Nesselfieber.

 

Die grünen Erbsen brauch ich schon gar gekocht;

Die tolle Jugend allein frißt sie aus den Schoten.

Ich habe sie stets nur gepfeffert zu kosten vermocht,

Und neuerdings auch hat sie der Arzt mir verboten.

 

Die üppigen Pflaumen des Herbstes genieß ich fast nur

Als Mittel zum Zweck bei unbehaglicher Stauung

Im Unterleib statt Karlsbader Brunnenkur.

Es grölen die Därme im Chor den Gesang der Verdauung. –

 

Noch manches wäre notwendig hier beigedruckt,

Wie Mammut-Trüffeln, die aus Thessalien stammen;

Doch hab ich den ganzen Hymnus schon vollgespuckt,

So läuft mir dabei das Wasser im Munde zusammen.

 

 

 

Frühling

 

Felix und Galathea

Fragment

 

Den Sommer 1881 verbrachte ich infolge einer Rippenfellentzündung nicht auf dem Gymnasium, sondern in meinem Elternhaus. Ich fürchtete sehr, mich zu langweilen, und beschloß daher, ein Schäferleben zu führen. Ein Milchmädchen war vorhanden. Unsre drei Eselinnen, auf denen wir in früheren Jahren geritten hatten, mußten als Schafe herhalten. Ich besang meine Umgebung mit dem einzigen Zweck, meine siebzehnjährigen Kameraden, sobald ich wieder unter ihnen sein würde, an unsern ziemlich häufigen Kneipabenden mit meinen Versen zu unterhalten. Das Heft, in dem das ganze Schäfergedicht enthalten war, hat in späteren Zeiten einmal ein Freund in Verwahrung genommen und verloren. Vor mir liegen einige Fragmente, die mir trotz ihrer äußersten Anspruchslosigkeit lieb geblieben sind.

Präludium oder wie ein schönes Lied in einer schönen

Situation entstanden ist

 

Es graut der Morgen und die Sterne sinken,

Bis alle in der kalten Flut ertrinken.

Die große Sonne majestätisch brennt

Schon feuerrot am fernen Firmament.

Kalliope, die schönste der neun Musen,

Erhebt sich in der goldnen Strahlen Schein

Von ihrem Lager, und ihr stolzer Busen

Saugt lechzend frische Morgendüfte ein.

Noch ganz entkleidet, ohne mit den Reizen

Der hohen göttlichen Gestalt zu geizen,

Tritt sie hinaus ins Freie der Natur.

Aus ihren großen, dunkelblauen Augen sprühen

Schon wieder neue, wunderbare Phantasien,

Und ihr Gedanke folgt der irren Spur

Der teuren Helden, die sie zu besingen

Die straffgespannten Saiten läßt erklingen.

Des Waldes dunkle Kühle nimmt sie auf,

Und folgend eines Baches klarem Lauf

Gelangt sie rasch mit zielbewußtem Schritte

In ihres Reiches unwegsame Mitte.

Hier läßt sie sich auf einen Baumstumpf nieder.

Im weiten Umkreis herrscht das tiefste Schweigen

Bis auf ein Wispern in den höchsten Zweigen,

Bis auf ein Felsenecho ihrer Lieder.

Die Strahlen schießen senkrecht nun herunter,

Die ganze Schöpfung, eben noch so munter,

Erschlafft im Zittern ausgestoßner Gluten.

Kalliope tritt an des Baches Rand,

Sie legt die goldne Laute aus der Hand,

Sie steigt hinab in die kristallnen Fluten.

Die Wasser kommen zögernd angezogen,

Sie läßt von ihnen sich das Haar zerwühlen,

Die volle Brust, den weißen Leib bespülen,

Glückatmend treibt sie auf den kalten Wogen.

Sie dichtet summend eine Melodie,

Gedanken haben Fleisch und Blut erhalten,

Als Menschenkinder wandeln die Gestalten

Vorbei an ihrer klaren Phantasie.

Im schönen Land Italien weilt ihr Sinn,

Ihr Herz verschwendet seine reichsten Gaben.

Sie singt von Felix, einem Hirtenknaben,

Von Galathea einer Schäferin.

 

 

Chor der Alten

Majestätisch und mit Schweigen

Treten leise wir hervor,

Rufend, aufgestellt im Reigen:

Galathea, sieh dich vor!

Hör uns alte Greise an,

Die wir in der Zukunft lesen,

Was schon öfter dagewesen

Und auch dir passieren kann.

Siehst du jenen bleichen Knaben

Hinter seinen Schafen traben?

Galathea, siehst du nicht,

Daß er mit sich selber spricht?

Mit der Zunge, wie vor Hitze,

Leckt er sich die Nasenspitze.

Felix nennt der Knabe sich;

Galathea, hüte dich!

Sieh, er schmiedet seine Pläne,

Kommt dann in dem Kleid des Schafes,

Stört die Ruhe deines Schlafes,

Plötzlich weist er dir die Zähne

Und bevor du ihm entflohn,

Beißt er dir die Kehle schon.

Drauf packt er dich bei den Händen,

Um sein Mordwerk zu vollenden;

Deine Glieder strampeln noch,

Aber er bekommt dich doch.

Plötzlich fühlst du aus den Knien

Alle Kraft von hinnen ziehen,

Deine Muskeln werden schwach,

Du beschränkst dich auf ein Ach.

Er indes wird immer toller,

Seine Miene sorgenvoller;

Dabei brüllt er wie ein Leu,

Weil ihm das Gefühl noch neu.

Dich jedoch packt erst ein Schlucken,

Dann ein Zittern, dann ein Zucken,

Und dann wird dir so gewaltig,

Wie du's nie an dir erprobt.

Und du küßt ihn mannigfaltig,

Daß er's nur nicht lassen wolle,

Bis sich der erwartungsvolle

Jubel in dir ausgetobt. –

Das ist so in großen Zügen

Das gefährliche Vergnügen,

Dran der bleiche Knabe denkt,

Wenn er seine Schafe tränkt.

Du kannst freilich nicht begreifen,

Welche Pläne in ihm reifen,

Denn noch bist du nicht gerissen

Aus dem Traume deiner Kindheit,

Aus der Ruhe deiner Blindheit

Durch ein unheilvolles Wissen.

Doch er wird die Heißbegehrte

Lehren, was das Schätzenswerte

Hier auf Erden und wozu

Er nicht auch so dumm wie du.

 

 

Zwiegespräch

zwischen Felix, dem Schäfer,

und Galathea, der Schäferin

 

Felix

 

Galathea, wie lange schon

Hab ich dich nun gebeten!

Galathea, nur kalter Hohn

War die Antwort auf all mein Flöten,

Auf mein Trompeten, auf mein Schalmein,

Auf meine entzückenden Weisen!

Oh, Mädchen, du hast ein Herz von Stein

Und eine Tugend von Eisen!

 

Galathea

 

Mein lieber Felix, was bist du nur

So traurig im schönsten Lenze?

Komm mit mir hinaus auf die Blumenflur,

Da schwellen die üppigsten Kränze.

Sieh, wie die Vögel so zärtlich tun,

Wie die Hunde so selig schlafen.

Sieh, wie so friedlich im Grase ruhn

Die Böcke bei unsern Schafen.

 

Felix

 

Oh, Galathea, die Böcke sind satt,

Die Schafe in Rührung zerflossen.

Von meinen Empfindungen aber hat

Sich keine den deinen erschlossen.

Es brodelt in mir wie in einem Vulkan,

Ich muß mich beständig kratzen;

Und wird mir nicht bald Genüge getan,

Dann werde ich nächstens zerplatzen.

 

Galathea

 

Ach, Felix, wir leben im Monat August,

Da schwitzt man begreiflicherweise;

Und wenn du dich überdies kratzen mußt,

Dann hast du wahrscheinlich Läuse.

Sieh nur, welch reizenden Kranz ich hier

Aus Himmelsschlüsseln gewunden!

Kränz ich damit deine Locken dir,

Dann ist alles Jucken verschwunden.

 

Felix

 

Es handelt sich nicht um das Jucken der Haut;

Das würd ich wohl schwerlich noch spüren! –

Oh, Galathea, sei meine Braut;

Du hast keine Zeit zu verlieren.

An deinem letzten harmlosen Schrei

Möcht ich so gerne mich freuen.

Du findest ja auch deine Rechnung dabei,

Du wirst es gewiß nicht bereuen.

 

Galathea

 

Oh, Felix, ich habe, solang ich weiß,

Noch nie eine Rechnung gefunden;

Doch wird auch mir jetzt auf einmal so heiß,

Und meine Ruh ist verschwunden.

Auch spür ich ein Jucken, so sonderbar,

Wo, läßt sich genau nicht entscheiden.

Ich glaube, daß welche aus deinem Haar

In meinen Locken schon weiden.

 

Felix

 

Bleib endlich mit deinen Läusen fort!

Du willst mich gar nicht verstehen!

Dich freut es, mir jedes gefühlvolle Wort

Im Munde herum zu drehen.

Dir fehlen, scheint mir, am Schädel herum

Die allernötigsten Schrauben.

Oh, Mädchen, bist du denn wirklich so dumm,

Wie deinem Gesicht nach zu glauben?

 

Galathea

 

Ich bin nicht dümmer, als Gott mich schuf.

Ich danke dem Himmel deswegen.

Es ist nicht so einfach, mit dem Vesuv

Eine Unterhaltung zu pflegen.

Du sprichst so verworren, so unbestimmt;

Ich bin nicht klug draus geworden.

Man fürchtet, wenn man es wörtlich nimmt,

Du wolltest einen ermorden.

 

Felix

 

Oh, Galathea, spotte nicht mein,

Und sei mir nicht böse, du Süße,

Denn meine Gefühle sind ebenso rein

Wie deine zwei lieblichen Füße.

Ich suche mein Himmelreich und mein Glück,

Den Wahnfried all meiner Sorgen.

Nur fehlt mir dazu das nöt'ge Geschick;

Ich find es vielleicht erst morgen.

 

Galathea

 

Oh, Felix, wüßt ich, wohin nur gleich

Sich deine Blicke verkriechen!

Auch wirst du auf einmal so kreidebleich

Und fängst so stark an zu riechen.

Das ist doch ein seltsam entsetzlicher Brauch,

Dein Bild ist gänzlich verschwommen.

Hei-hei-hei-hei-heiratest du mich denn auch,

Wenn ich in die Wochen gekommen?

 

Felix

 

Galathea, jetzt wird mir die Welt zu eng.

Ich hab die Besinnung verloren.

Mir donnert dein Schneng-tege-tege-teng-teng-teng

Wie höllischer Spott in den Ohren.

Du selber trägst die Verantwortlichkeit

Für die Wirkungen deiner Partien.

Der Übelstand, welcher nach Abhilfe schreit,

Ist längst aufs höchste gediehen.

 

Galathea

 

Oh, Fe-, oh, Felix, oh, Felix, oh, Fe-,

Oh, Felix, ist dir auch behaglich?

Wenn ich deine zornigen Blicke seh,

Scheint mir dein Vergnügen sehr fraglich.

Nicht herrlicher denk ich es mir, wenn ich

Das ewige Leben erwerbe;

Doch deine Grimassen sind fürchterlich,

Du machst mich tot, ich sterbe.

 

 

Chor der Nymphen

Seit Jahrtausenden

Weilen wir hier

An diesem Teiche.

Immer das gleiche

Schauen wir.

Verlockende Worte

Von Lust und Freuden

Führten die Menschen

Zu allen Zeiten

Zu diesem Orte.

Die römischen Frauen

Wo sind sie geblieben?

Wir sehn sie nicht mehr.

Hier kamen sie her,

Um in den lauen

Fluten zu lieben.

 

Auch unsre Genossen

Dem Himmel entsprossen,

Die Oreaden

In Busch und Bäumen

Sie pflegten zu baden

Hier und zu träumen.

Die zottigen Faune,

Mit denen wir liebten,

Im Jagen uns übten

In wilder Laune.

Sie alle schwebten,

Die einst hier lebten,

Zum Himmel wieder,

Aus diesen Triften

Empor zu den Lüften,

Zu ihrem Gebieter.

 

 

Chor der Nixen

Ihr glücklichen Kinder

Schlürft das Vergnügen;

Bald wird es versiegen;

Ein langer Winter

Rafft es dahin.

Euer Sinn

Schaut nicht vorwärts,

Schaut nicht zurück.

Vergängliches küßt ihr,

Sorglos genießt ihr

Den Augenblick.

 

Wir können nicht lieben;

Von Wind und Wellen

Umhergetrieben,

Bis wir zerschellen,

Ward uns als Leben

Nicht mehr gegeben

Als euch im Traum.

Wunschlos entstehen wir,

Wunschlos vergehen wir

Wieder zu Schaum.

 

 

Zwiegesang

zwischen Felix, dem Schäfer, und Galathea,

der Schäferin

 

Felix

 

In dem wundervollen Morgensonnenschein,

Galathea, ach wie bist du hold!

Deine Schwanenbrust erstrahlt wie Elfenbein,

Deine Locken schimmern wie das Gold!

Freudig darf ich deinen Leib umschlungen halten,

Auf den Knien einen strammen Jungen halten!

Und in deinen Marmorarmen selig sein,

Ohne daß uns drob der Himmel grollt.

 

Galathea

 

In der wundervollen frischen Morgenluft

Hab ich meinen Felix innig lieb.

Aus den Wiesen strömt ein holder Blumenduft.

Und bisweilen macht ein Vogel »piep«.

Wolln wir uns nicht unter eine Hecke strecken

Und zur Unterhaltung eine Schnecke necken?

Bis zu neuen Taten uns der Kuckuck ruft,

Wenn zu tun uns noch was übrigblieb.

 

Felix

 

Und der wundervolle Morgensonnenglanz,

Galathea, macht dich doppelt süß.

Dir zu Häupten fliegt ein bunter Schwalbenschwanz,

Und ein Brummer fliegt dir um die Füß.

Und ich darf dir deine goldnen Locken küssen,

Ohne daß wir in der Stube hocken müssen.

Deine Gegenwart genieß ich voll und ganz,

Die Vergangenheit erscheint mir mies.

 

Galathea

 

In dem wundervollen frischen Morgenhauch

Kommst du, Felix, wie ein junger Gott.

Deine Lippen atmen keinen Tabaksrauch,

Deine Beine hebst du flink und flott.

Willst du nicht noch mal nach deiner Flöte greifen

Und ein hübsches Liebeslied von Goethe pfeifen?

Das bleibt doch in Ewigkeit der schönste Brauch,

Leugnen kann es nur ein Hottentott.

 

Felix und Galathea

 

Und so sagen wir denn bis zum nächsten Jahr

Euch, ihr lieben Freunde, gute Nacht,

Hoffend, daß es kein zu großer Blödsinn war;

Uns auf jeden Fall hat's Spaß gemacht.

Deshalb wolln wir auch nur recht viel Leute haben,

Die an Kunstgenüssen sich wie heute laben.

Dann gedeihen alle Künste wunderbar,

Bis der Weltenbau zusammenkracht.

 

 

Finale

Es streicht durch die Wälder ein kalter Wind,

Die Blätter fallen herab.

Und Galathea, das süße Kind,

Ich legte sie eben ins Grab.

 

Still deckt ich sie zu und weinte nicht;

Sie war noch immer so schön.

Ich küßte ihr holdes Angesicht

Auf baldiges Wiedersehn.

 

 

An Madame de Warens

Nimm dieses Bild, mit ihm die alte Treue,

Das reine Herz, das einst sich dir geweiht.

Vertrauensvoll erfleht es sich aufs neue

Nur einen Funken deiner Göttlichkeit.

Noch ist der zarte Flor ja nicht zerrissen,

Mit dem du mich in schöner Zeit umwobst,

Darin du mich empor aus Finsternissen

Zum blauen Äther deiner Liebe hobst.

Nun möcht an deiner Brust es wiedrum rasten

Und lauschen deiner Stimme weichem Klang.

Die Melodien, die es dort erfaßten,

Sie hallen fort noch manchen Sommer lang.

 

Die Welt ist überreich an Glück und Freuden,

Doch reicher, hohe Königin, bist du.

Du wagst die Schätze sorglos zu vergeuden,

Die andre hüten in besorgter Ruh.

Und stets von neuem hast du reich zu geben

Des Golds, das deiner Seele Tiefen füllt.

Wie manchen Schmerz in deiner Nächsten Leben

Hast du mit mildem Himmelstrost gestillt.

Der Mensch verzweifelt unter schweren Qualen,

Siecht hin und altert in Entmutigung,

Da leuchten deines Auges warme Strahlen

Und der gebeugte Geist ist wieder jung.

 

Verlaß mich nicht; ich habe dir zu danken,

Was Schönes jetzt in meinem Herzen ruht.

Der Flammenbecher, den vereint wir tranken,

Goß lautres Feuer in mein junges Blut.

Verlaß mich nicht; mir lacht aus deinen Zügen

Mein Himmel, wenn du mir zur Seite stehst;

Verlaß mich nicht, du würdest mich betrügen

Um meinen Himmel, wenn du von mir gehst.

Ich weiß nicht, was mir noch auf Erden bliebe;

Mein Leben strömt aus deinem Augenlicht.

Ich müßte sterben ohne deine Liebe,

Du Himmelskönigin, verlaß mich nicht!

 

 

Galathea

Oh, wie brenn ich vor Verlangen,

Galathea, schönes Kind,

Dir zu küssen deine Wangen,

Weil sie so verlockend sind.

 

Daß ich auch die Gnade fände,

Galathea, schönes Kind,

Dir zu küssen deine Hände,

Weil sie so verlockend sind.

 

Und was tät ich nicht du süße

Galathea, schönes Kind,

Dir zu küssen deine Füße,

Weil sie so verlockend sind.

 

Und mich treibt der Pulse Stocken,

Galathea, schönes Kind,

Dir zu küssen deine Locken,

Weil sie so verlockend sind.

 

Aber deinen Mund enthülle,

Mädchen, meinen Küssen nie,

Denn in seiner Reize Fülle

Küßt ihn nur die Phantasie.

Debutant

 

Kennst du die hohe, dunkle Gartenpforte,

Die ernst verschwiegen an der Straße steht?

Wohl niemand ahnte, welche süßen Worte

In ihrem Schutz der Abendwind verweht.

 

Dort trat ich ein; von freudigem Erwarten

Schwoll mir das Herz wie dem beschenkten Kind;

Ein leises Flüstern wehte durch den Garten

Von guten Geistern, die dort heimisch sind.

 

Auf schatt'ger Bank ließ ich mich zaudernd nieder

Und trank der Rose wollustschweren Duft;

Ob meinem Haupt knistert es im Flieder;

Zwei Vöglein zwitschern durch die Abendluft.

 

Wie aber ward mir, als du vor mich tratst,

Ein Götterbild aus fernen Griechenzeiten,

Als du bedeutungsvoll und lächelnd batst,

Dich tiefer in den Garten zu begleiten.

 

Dort wurde mir aus Abend und aus Morgen

Der erste Lebenstag, den ich gelebt –

Oh, daß so lange mir das Glück verborgen,

Nach dem das Herz dem Knaben schon gebebt!

 

Oh, Ella, Ella, tausend Seligkeiten

In einen einz'gen Atemzug gedrängt;

Die Triebe aus der Menschheit frühsten Zeiten,

Von wonnekund'ger Götterhand gelenkt;

 

Der Kindheit ahnungsvolle, lose Spiele

Verwandelt in unendlichen Genuß;

Oh, Ella, alle himmlischen Gefühle

In einem einz'gen Liebeskuß –

 

Welch hohes Wort, das Menschengeist ersann,

Welch reicher Dank mag diese Stunde lohnen!

Laß ewig mich in deinem Garten wohnen,

Ist alles, was die Lippe stammeln kann.

 

In seiner Büsche stillem Heiligtum

Nahm ich, als Balsam jeder Erdenqual,

Von deinem Mund das heilige Abendmahl

Zum großen Liebesevangelium.

 

 

Madame de Warens

Ich soll ihn lassen

Und kann's nicht fassen;

Und du, mein Herz,

Du darfst es wagen,

Noch fort zu schlagen

Bei solchem Schmerz?

 

 

Das Wüstenschiff

Bist schön wie eine Lilie;

Ich lieb dich, ich lieb dich.

Du bist aus guter Familie;

Ich liebe dich, ach so heiß!

Reich mir dein schlankes Händchen,

Und von dem schmalen Gelenk

Lös ich das schneeweiße Bändchen

Mir ewig zum Gedenk.

Wie Sammet so weich,

Wie die Sonne so warm,

Wie der Mondenschein bleich

Ist dein zierlicher Arm.

Das Mieder züchtig verschlossen ...

Nein, werd mir nicht bang,

Der Gefühle gewaltiger Drang

Hat sich schon stürmisch ergossen.

Nun nur noch einen zärtlichen Blick,

Dann kehr ich zurück

In mein reinliches Kämmerlein,

Schließe mich ein

Und denke dein

Am Fenster im Mondenschein. – Sela.

 

 

Gebet eines Kindes

Wann endlich wird der müden Welt

Die heißersehnte Ruh beschieden,

Die über uns am Himmelszelt

Beseelt der Sterne ew'gen Frieden?

 

Glücksel'ger Tag, wenn einst hienieden

Das wüste Toben eingestellt,

Sich liebend in die Arme fällt,

Was sich von Anbeginn gemieden!

 

Du heil'ge Nacht, aus Kampfgebraus

Flieh ich mit jammernder Gebärde

Zu dir, daß uns geholfen werde.

 

Gieß deinen milden Segen aus

Und sieh, es würde dieses Haus

Zum schönsten Paradies der Erde!

 

 

Pennal

Länger kann mein Herz ich nicht bezähmen –

Ach du lieber Gott, ich tat es nie! –

Doch Sie dürfen es nicht übelnehmen,

Aber ich gesteh's, ich liebe Sie.

Und wenn ich Sie auf der Straße sehe,

Dann ergreift es mich, ich weiß nicht wie;

Dann wird es mir klar und ich gestehe

Ihnen noch einmal: Ich liebe Sie.

 

Ob ich gehe, stehe, liege, sitze,

Ob ich meinen Aufsatz schreiben soll,

Ob ich über der Grammatik schwitze,

Stets erscheint Ihr Bild verheißungsvoll.

Und wenn Sie mir nicht zu schreiben denken,

Dann soll ein verheißungsvoller Blick,

Den Sie im Vorübergehn mir schenken,

Bote sein von meinem größten Glück.

 

Aber wenn mein Herz zu kühn gewesen,

Wenn sich Ihre Blicke wenden ab,

Werden Sie vielleicht im Tagblatt lesen,

Wo ein Lebensmüder fand sein Grab.

So, Sie kennen nun mein Liebesfeuer;

Winkt mir heitres, winkt mir düstres Los?

Meine Freude wäre ungeheuer;

Meine Schmerzen wären riesengroß.

 

 

In usum Delphini

Nicht mit kalten Theorien

Stille das bewegte Blut!

Die besonnten Jahre fliehen,

Und gebrochen liegt dein Mut.

 

Reiß dich stracks zur Tiefe nieder!

Doppelt schön ist dein Geschick

Steigst du neubegeistert wieder

Auf zum lichten Sonnenblick.

 

Öde schwindet dem das Leben,

Der in langem Kuß verweilt,

Bis dem zögernden Bestreben

Stürmisch die Natur enteilt.

 

 

Liebesantrag

Laß uns mit dem Feuer spielen,

Mit dem tollen Liebesfeuer;

Laß uns in den Tiefen wühlen,

Drin die grausen Ungeheuer.

 

Menschenherzens wilde Bestien,

Schlangen, Schakal und Hyänen,

Die den Leichnam noch beläst'gen

Mit den gier'gen Schneidezähnen.

 

Laß uns das Getier versammeln,

Laß es stacheln uns und hetzen,

Und die Tore fest verrammeln

Und uns königlich ergötzen.

 

 

Ilse

Ich war ein Kind von fünfzehn Jahren,

Ein reines unschuldsvolles Kind,

Als ich zum erstenmal erfahren,

Wie süß der Liebe Freuden sind.

 

Er nahm mich um den Leib und lachte

Und flüsterte: O welch ein Glück!

Und dabei bog er sachte, sachte

Den Kopf mir auf das Pfühl zurück.

 

Seit jenem Tag lieb ich sie alle,

Des Lebens schönster Lenz ist mein;

Und wenn ich keinem mehr gefalle,

Dann will ich gern begraben sein.

 

 

Wegweiser

Zum Wassertrinker bin ich nicht geboren,

Das kann euch meine edle Muse zeigen;

Sie singt beim Wein und fällt in tiefes Schweigen,

Wenn sich der letzte Schluck im Bauch verloren.

 

Dem Wasser hab ich ew'gen Haß geschworen,

Weil ihm der Zauberdünste keiner eigen,

Die traumschwer aus dem dunklen Becher steigen,

Den ich zum Weiser mir des Wegs erkoren.

 

Er ist ein gar verständiger Geselle,

Er drängt direkt mich zu des Tempels Schwelle

Und öffnet meinem Blick die dunklen Türen.

 

Im Taumel tapp ich nach der heiligen Zelle

Und muß des Ortes Weihe nur verspüren,

Dann ist's kein Kunststück mehr, mich zu verführen.

 

 

Wendla

Sieh die taufrische Maid,

Erst eben erblüht;

Durch ihr knappkurzes Kleid

Der Morgenwind zieht.

 

Wie schreitet sie rüstig,

Jubiliert und frohlockt,

Und ahnt nicht, wer listig

Unterm Taxusbusch hockt.

 

Der allerfrechste Weidmann

Im ganzen Revier,

Er tut ihr ein Leid an

In frevler Jagdbegier.

 

In einem langen Kleide

Geht sie nun bald einher,

Sinnt vergangener Zeiten

Und jubelt nicht mehr.

 

 

Francisca

Francisca, mein reizender Falter,

Hätt'st du nicht zu eng für dein Alter

Den keimenden Busen geschnürt,

Dann klafften wohl nicht die Gewänder,

Sobald ich nur eben die Bänder

Mit harmlosem Finger berührt.

 

Nun wehr auch nicht meinem Entzücken,

Als Erster die Küsse zu pflücken

Der zarten, jungfräulichen Haut.

Mich blendet die schneeige Weiße,

Solang ich das Fleisch nicht, das heiße,

Mit bebenden Lippen betaut.

 

Denn gleich wie die Knospe der Blume

Nichts ahnt von der Pracht und dem Ruhme

Der Rose am üppigen Strauch,

So seh ich bescheiden erst schwellen

Die keuschen, die kindlichen Wellen,

Umweht von berauschendem Hauch.

 

Oh! glaub mir, die Monde entfliehen,

Die Rosen verwelken, verblühen

Und fallen dem Winter zum Raub.

Es kommen und gehen die Jahre,

Man legt deinen Leib auf die Bahre

Und alles wird Moder und Staub.

 

 

Frühling

Willkommen, schöne Schäferin

In deinem leichten Kleide,

Mit deinem leichten frohen Sinn,

Willkommen auf der Weide.

 

Sieh, wie so klar mein Bächlein fließt,

Zu tränken deine Herde!

Komm setz dich, wenn du müde bist,

Zu mir auf die grüne Erde.

 

Und trübt sich der Sonne goldiger Schein,

Und fällt ein kühlender Regen,

Dann ist mein Mantel nicht zu klein,

Wollen beide darunter uns legen.

 

 

An einen Jüngling

Jüngling, laß dich nicht gelüsten

Nach des Paradieses Äpfeln;

Von den straffsten Mädchenbrüsten

Wird dir nichts als Kummer tröpfeln.

 

Wagst du dich heran und findst du

Lust an diesen weißen Teufeln,

Armer Freund, wie bald beginnst du

Selbst von Traurigkeit zu träufeln.

 

Just die Kühnsten, Elegantsten

Werden früh zu müden Krüppeln,

Und die einst am flottsten tanzten,

Müssen lahm zur Grube trippeln.

 

 

Idyll

Zum Kellner sprach die Kellnerin:

Mir wird so sonderbar zu Sinn,

Ich finde mich ganz verändert.

Wie bin ich Ärmste doch bisher

Empfindungsbar, gedankenleer

Durchs Gastlokal geschlendert!

 

Nun möcht ich jauchzen und möchte schrein,

Möcht leise wimmern und selig sein

Und sehne mich fort ins Weite;

Ich sehne mich tief in die Einsamkeit,

Und trotzdem wird mir so weich, so weit

So wohlig an deiner Seite.

 

O Kellnerknabe, sag an, sag an,

Was hast du Böser mir angetan;

Mein Friede liegt in Scherben.

Mir ahnt ein Glück, ich ermeß es nicht,

Ich fluche sein, ich vergeß es nicht,

Ich möchte am liebsten sterben.

 

 

Weltweisheit

Wir waren Philister und merkten es, wie

Die Kräfte des Geistes erschlafften;

Da warfen wir uns auf die Philosophie,

Die tiefste der Wissenschaften.

 

Da haben wir gründlich uns eingeprägt

Die Sprüche der großen Gelehrten;

Und was man im Fleisch und im Blute trägt,

Das weiß man dann auch zu verwerten.

 

Erschöpfe die Stunden, genieße die Zeit,

Laß Katzen und Hunde verzagen.

Die Reue, den Fluch und die Niedrigkeit,

Wir lernten es stoisch ertragen.

 

Als Stoiker lebten wir über Tag,

Kein Staubgeborner stand höher;

Doch wenn die Nacht auf den Bergen lag,

Dann wurden wir Epikuräer.

 

So flossen die Jahre der Jugend dahin,

Die Schöpfung ein blühender Garten,

Mit duftigen Blumen und Mädchen darin

Von allen exotischen Arten.

 

Und wenn uns dann schließlich die Kraft gebricht,

Zu frönen unsern Gelüsten,

Dann beugen das Haupt wir noch lange nicht,

Dann werden wir Pessimisten.

 

Dann spotten wir über die eitle Welt,

Und der Menschheit kleinliches Trachten,

Dann lernen wir, was uns zu sauer fällt,

Aus tiefster Seele verachten.

 

Dann hebe die Schwingen, Phantasie,

Zu jenen himmlischen Höhen,

Zu jenen Gegenden, die noch nie

Ein sterbliches Auge gesehen.

 

Dort, wo ein rosiges Morgenrot

Den fernen Äther entzündet,

Hat sich Frau Eva nach ihrem Tod

Ein neues Eden gegründet.

 

Es scharrte mein Musengaul vor der Tür,

Da bin ich aufgestiegen,

Da flog ich, Liebchen, zu dir, zu dir,

In deinen Armen zu liegen.

 

Und als ich mich sonnte in deinem Blick,

War Angst und Not verschwunden.

Da hab ich das irdische Liebesglück

Weit süßer als je gefunden.

 

Das Eis zerschmolz, das Herz ward weit

Und jubelte Frühlingslieder.

Und mit der jungen Begehrlichkeit

Kam die junge Gesundheit wieder.

 

Laut jauchzt ich auf aus voller Brust:

O laß mich bei dir bleiben,

In deiner unvergänglichen Lust

Auf ewig mich zu betäuben!

 

Da kracht der Himmel, die Erde bebt,

Es donnert die Atmosphäre,

Und meine sündige Seele verschwebt

In duftige, luftige Leere.

 

 

Der Gefangene

Oftmals hab ich nachts im Bette

Schon gegrübelt hin und her,

Was es denn geschadet hätte,

Wenn mein Ich ein andrer wär.

 

Höhnisch raunten meine Zweifel

Mir die tolle Antwort zu:

Nichts geschadet, dummer Teufel,

Denn der andre wärest du!

 

Hilflos wälzt ich mich im Bette

Und entrang mir dies Gedicht,

Rasselnd mit der Sklavenkette,

Die kein Denker je zerbricht.

 

 

Stallknecht und Viehmagd

Carmen bucolicon

 

Die Bärin wohnt im tiefen Walde,

Im tiefen Wald wohnt auch der Bär,

Und an demselben Aufenthalte,

Da wohnen Bären bald noch mehr.

 

Und im Olymp, da wohnen Götter,

Darunter Venus und Apoll;

Dort hat man ewig schönes Wetter

Und jeder Gott ist liebevoll.

 

Auf ödem Felde schafft die Viehmagd,

Tut ob der Arbeit manchen Schrei,

Jedoch Cupido, der sich nie plagt,

Wälzt sich im Grase nebenbei.

 

Nun kommt der Stallknecht mit den Kühen;

Auch Ochsen ziehen an dem Pflug,

Doch muß er selbst das meiste ziehen,

Dann geht es eben flott genug.

 

Cupido duckt sich listig nieder,

Er legt den Bogen an mit Lust

Und schießt die Viehmagd durch das Mieder

In ihre ahnungslose Brust.

 

Der Stallknecht kommt herbeigesprungen,

Auf daß er rasch ihr Hilfe bringt;

Cupido trifft den guten Jungen,

Daß er mit ihr zu Boden sinkt.

 

Da liegen Stallknecht nun und Viehmagd

Und schauen sich verwundert an,

Und nachher tun sie, was man nie sagt,

Doch was man leicht erraten kann.

 

 

Heimweh

Über bemooste Steine

Fällt ein rauschender Quell,

Glitzert im Mondenscheine,

Funkelt so silberhell.

 

Sinnend saß ich daneben,

Sah, wie die Welle schäumt,

Hab vom vergangenen Leben,

Hab von der Zukunft geträumt.

 

In der Tiefe der Wogen

Sah ich gar mancherlei,

Viele Gestalten zogen

Grüßend an mir vorbei.

 

Waren die lieben Seelen,

Die mich dereinst erfreut,

Die meinem Herzen fehlen

Hier in der Einsamkeit.

 

Tausendmal laß dir danken,

Lieblicher Silberbach,

Daß du den Heimwehkranken

Tröstest im Ungemach;

 

Daß du aus alten Tagen

Freundliches mir erzählt,

Daß ich dir durfte klagen,

Was meinem Herzen fehlt.

 

 

Frühlingslied

Aus dem Französischen

 

Hörtest du die Sonne frohlocken,

Als du aus dem Fenster geschaut:

Wald und Feld und Wiesen sind trocken,

Warten auf Bräutigam und Braut.

Zieh dein weißes Hemd an, mein Schätzchen,

Das du keusch im Kasten verwahrt,

Komm hinaus zum lauschigen Plätzchen,

Wo sich die Vöglein längst gepaart!

 

Ja, das ist ja der holde Mai!

Laßt uns wandeln zu zwei und zwei

Durch den Hochwald auf blumigen Pfaden!

Wo das Auge des Himmels lacht,

Küssen wir, daß es man so kracht

Vom Genick hinab in die Waden!

 

Horch, wie ohne Geld in den Zweigen

Sieben Treppen hoch unterm Dach

All die Künstler zwitschern und geigen!

Keiner zählt seine Barschaft nach.

Und die Blümelein auf den Auen,

Dran dein Auge sich innig erquickt,

Brauchen sie auf den Pfennig zu schauen,

Wo sie umsonst ihr Schneider schmückt!

 

Ja, das ist ja ... usw.

 

Ach wie billig ist doch das Leben,

Wenn man keine Ausgaben hat.

Höchste Wonne liegt gleich daneben,

Bringst du sie mir doch mit aus der Stadt.

Sicherlich läßt du mich nicht darben,

Wenn auf meine Kosten du fährst.

Trägt der Wald doch der Hoffnung Farben,

Hoff ich, daß du mir drin gehörst.

 

Ja, das ist ja ... usw.

 

Alsdann wolln zu Mittag wir speisen,

Wo des Rasens Tischtuch uns winkt.

Unsere Mahlzeit soll euch beweisen,

Wie man als Künstler ißt und trinkt.

Deine Locken sind das Gemüse,

Deine Lippen spenden das Bier.

Von den Schultern bis auf die Füße,

Alles ist Gänsebraten mir.

 

Ja, das ist ja ... usw.

 

Gibst du mir den Laufpaß, o Schrecken,

Kalt und ohne Herz wie Granit,

Deine Finger sollst du dir lecken,

Ich singe einfach nicht mehr mit.

Wie ein Mühlstein werd ich verenden,

Den man um den Hals dir gehängt,

Denn das heißt sein Leben verschwenden,

Wenn sich der Mensch allein ertränkt.

 

Ja, das ist ja ... usw.

 

 

Das Lied vom gehorsamen Mägdlein

Die Mutter sprach in ernstem Ton:

»Du zählst nun sechzehn Jahre schon;

Drum, Herzblatt, nimm dich stets in acht,

Besonders bei der Nacht.

Verlier dich von dem Lebenspfad

Nie seitwärts ins Geheg.

Geh immer artig kerzengrad

Den goldenen Mittelweg.«

 

Da kommt nun in der Dämmerstund

Des Pulvermüllers Heinrich und

Küßt mich – mir ward gleich angst und bang –

Wohl auf die rechte Wang:

»O Heinrich, das verbitt ich mir;

Sieht's Mutter, setzt es Schläg'.

Am allerbesten wählen wir

Den goldenen Mittelweg.«

 

Und plötzlich schreit er glutentflammt:

»Ich führe dich zum Standesamt! –«

»Schweig«, sag ich, »unverschämter Wicht;

Dahin bringst du mich nicht!« –

Da flüstert er und freut sich schier,

Weil ich's mir überleg:

»Nun gut, mein Schatz, dann wählen wir

Den goldenen Mittelweg.«

 

Und wenn ich nun zur Ruh mich leg,

Mir träumt vom goldenen Mittelweg;

Mein Spielzeug macht mir kein Pläsier,

Ich gäb es gern dafür,

Gäb meine Schuh, mein Röcklein fein,

Weiß Gott, ich gäb noch mehr;

Hätt nie geglaubt, daß ich solch ein

Gehorsam Mägdlein wär.

 

 

Der blinde Knabe

O ihr Tage meiner Kindheit,

Nun dahin auf immerdar,

Da die Seele noch in Blindheit,

Noch voll Licht das Auge war:

Meine Blicke ließ ich schweifen

Jedem frei ins Angesicht;

Glauben galt mir für Begreifen

Und Gedanken kannt ich nicht.

 

Ich begann jedoch zu sinnen

Und zu grübeln hin und her,

Und in meiner Seele drinnen

Schwoll ein wildempörtes Meer.

Meine Blicke senkt ich nieder,

Schaute tief in mich hinein

Und erhob sie nimmer wieder

Zu dem goldnen Sonnenschein.

 

Mußt ich doch die Welt verachten,

Die mir Gottes Garten schien,

Denn die Guten läßt er schmachten,

Und die Bösen preisen ihn.

Freude, Lust und Ruh vergehen –

Oh, wie wohl war einst dem Kind!

Meine Seele hat gesehen,

Meine Augen wurden blind!

 

 

 

Sommer

 

Die Wetterfahne

Du auf deinem höchsten Dach,

Ich in nächster Nähe;

Doch die wahre Liebe, ach,

Schwankt in solcher Höhe,

Du in deinem Herzen leer,

Ich in blindem Wahne –

Dreh dich hin, dreh dich her,

Schöne Wetterfahne!

 

Unterhaltend pfeift der Wind,

Saust uns um die Ohren;

Von des Himmels Freuden sind

Keine noch verloren!

Glaubst du, daß verliebt ich bin,

Weil ich dich ermahne?

Dreh dich her, dreh dich hin,

Schöne Wetterfahne!

 

Drehn wir uns auf hohem Turm

Immer frisch und munter!

Ach, der erste Wintersturm

Schleudert dich hinunter.

Wenn dann auch verflogen wär,

Was ich jetzt noch ahne ...

Dreh dich hin, dreh dich her,

Schöne Wetterfahne!

 

 

Abschied

Glück und Segen und alles Gute

Gieß dir hernieder ein schützender Stern;

Könnt ich's erkaufen mit meinem Blute,

Oh, wie erkauft ich es dir so gern.

 

Freu dich sorglos der sonnigen Tage!

Klarblauer Himmel verkläret den Blick;

Aber mit weicher melodischer Klage

Dämpfe die Schmerzen im Mißgeschick.

 

Durch die Täler und über die Höhen

Wandr ich indessen die steinige Bahn;

Fernher winkendes Wiedersehen

Spornt die ermüdeten Schritte an.

 

Breitet sich abends dann mir zu Füßen

Reich die herrliche Lenzesflur,

Drüben die dunklen Berge grüßen

Und der Flüsse leuchtende Spur.

 

Seh ich's alles weit übergossen

Von der sinkenden Sonne Glut,

Oh, wie wird mir das Herz erschlossen,

Dein gedenkend mit neuem Mut.

 

Dein gedenkend, steig ich zu Tale,

Nacht umfängt mich mit düstren Wehn;

Aber im Morgensonnenstrahle

Weiß ich ein freudiges Wiedersehn.

 

 

Konfession

Freudig schwör ich es mit jedem Schwure

Vor der Allmacht, die mich züchtigen kann;

Wie viel lieber wär ich eine Hure

Als an Ruhm und Glück der reichste Mann!

 

Welt, in mir ging dir ein Weib verloren,

Abgeklärt und jeder Hemmung bar.

Wer war für den Liebesmarkt geboren

So wie ich dafür geboren war?

 

Lebt ich nicht der Liebe treu ergeben

Wie es andre ihrem Handwerk sind?

Liebt ich nur ein einzig Mal im Leben

Irgendein bestimmtes Menschenkind?

 

Lieben? – Nein, das bringt kein Glück auf Erden.

Lieben bringt Entwürdigung und Neid.

Heiß und oft und stark geliebt zu werden,

Das heißt Leben, das ist Seligkeit!

 

Oder sollte Schamgefühl mich hindern,

Wenn sich erste Jugendkraft verliert,

Jeden noch so seltnen Schmerz zu lindern,

Den verwegne Phantasie gebiert?

 

Schamgefühl? – Ich hab es oft empfunden;

Schamgefühl nach mancher edlen Tat;

Schamgefühl vor Klagen und vor Wunden;

Scham, wenn endlich sich Belohnung naht.

 

Aber Schamgefühl des Körpers wegen,

Der mit Wonnen überreich begabt?

Solch ein Undank hat mir fern gelegen,

Seit mich einst der erste Kuß gelabt!

 

Und ein Leib, vom Scheitel bis zur Sohle

Allerwärts als Hochgenuß begehrt ...

Welchem reinern, köstlichern Idole

Nachzustreben, ist dies Dasein wert?

 

Wenn der Knie leiseste Bewegung

Krafterzeugend wirkt wie Feuersglut,

Und die Kraft, aus wonniger Erregung

Sich zu überbieten, nicht mehr ruht;

 

Immer unverwüstlicher und süßer,

Immer klarer im Genuß geschaut,

Daß es statt vor Ohnmacht dem Genießer

Nur vor seiner Riesenstärke graut ...

 

Welt, wenn ich von solchem Zauber träume,

Dann zerstiebt zu nichts, was ich getan;

Dann preis ich das Dasein und ich bäume

Zu den Sternen mich vor Größenwahn! – – –

 

Unrecht wär's, wollt ich der Welt verhehlen,

Was mein Innerstes so wild entflammt,

Denn vom Beifall vieler braver Seelen

Frag ich mich umsonst, woraus er stammt.

 

 

Der Taler

Blitzt der Taler im Sonnenschein,

Blitzt dem Kind in die Augen hinein,

Über die Wangen rollen die Tränen.

Mutter zieht gar ein ernst Gesicht:

Vor dem Taler, Schatz, fürchte dich nicht;

Nach dem Taler sollst du dich sehnen.

 

Sieh, mein Herzblatt, auf Gottes Welt

Für uns Menschen gibt's nichts ohne Geld,

Hätt ich dich, Herzblatt, auch nicht bekommen.

Bist noch so unschuldig, noch so klein,

Willst doch täglich gefüttert sein,

Hast es mir selbst aus der Tasche genommen.

 

Darfst nicht weinen, bist all mein Glück;

Gibst mir's tausendfältig zurück.

Sieh, die goldene Sonne dort oben,

Brennt sie dir gleich deine Guckaugen wund,

Nährt und behütet den Erdenrund,

Daß alle Kreaturen sie loben.

 

Nach der Sonne in goldiger Pracht

Haben die Menschen ihr Geld gemacht;

Ohne das Geld muß man elend sterben.

Sonne ist Glück und Glück ist Geld;

Wem es nicht schon in die Wiege fällt,

Der muß es mühevoll sich erwerben.

 

Sieh, mein Herzblatt, den grünen Wald,

Drin der Vögel Gezwitscher erschallt;

Wie das so lieblich ist anzuschauen!

Hast du kein Geld für das morgige Brot,

Dir sind all die Vögelein tot,

Und der Wald ist ein schrecklich Grauen!

 

Geld ist Schönheit! Mit recht viel Geld

Nimmst du den Mann, der dir wohlgefällt,

Keinen Häßlichen, keinen Alten.

Sieh, der Reichen Hände, wie weiß!

Wissen nichts von Frost und von Schweiß;

Haben keine Schwielen noch Falten.

 

Bei uns Armen ist eins mal schön,

Aber nur im Vorübergehn;

Morgen schon ist zerrupft sein Gefieder.

Oder die Schönheit wird ihm zu Geld;

Kommt es hinauf in die große Welt,

Steigt es nicht leicht mehr zu uns hernieder.

 

Kind, hab acht auf wahren Gewinn:

Geld ist Freiheit, ist Edelsinn,

Menschenwürde und Seelenfrieden.

Alles kehrt sich zum goldenen Licht,

Warum sollen wir Menschen es nicht?

Dir, mein Kind, sei das Glück beschieden.

 

 

Der Anarchist

Reicht mir in der Todesstunde

Nicht in Gnaden den Pokal!

Von des Weibes heißem Munde

Laßt mich trinken noch einmal!

 

Mögt ihr sinnlos euch berauschen,

Wenn mein Blut zerrinnt im Sand.

Meinen Kuß mag sie nicht tauschen,

Nicht für Brot aus Henkershand.

 

Einen Sohn wird sie gebären,

Dem mein Kreuz im Herzen steht,

Der für seiner Mutter Zähren

Eurer Kinder Häupter mäht.

 

 

Zur Verlobung

Das Herz so voll, der Kopf so leer,

Ich finde nichts als Worte;

Sie tanzen auf, sie taumeln her,

Und stets am falschen Orte.

 

Das findt sich nicht, das reimt sich nicht;

Nur wirre Klagetöne.

Das gibt mir ewig kein Gedicht

An dich, du schlanke Schöne.

 

Du siehst, ich red auch nur von mir,

Statt deiner zu gedenken,

Wünsch weder Glück noch Segen dir,

Ich wollte dich beinah kränken.

 

Ich wollt ... o Gott, nun geht's nicht mehr,

Mein Aug' quillt mächtig über:

Ich wollt, daß ich ein andrer wär

Und dir ein wenig lieber.

 

 

Mein Lieschen

Mein Lieschen trägt keine Hosen

Schon seit dem ersten April,

Weil sie von der grenzenlosen

Hitze nicht leiden will.

 

Das gibt mir manches zu denken,

So dacht ich auch schon daran,

Ihr ein Paar Hosen zu schenken

Aus duftigstem Tarlatan.

 

Wie leicht kann sie sich beim Hupfen

Erkälten, eh sie's gedacht;

Und bleibt ihr auch nichts als ein Schnupfen,

Man nimmt sich doch lieber in acht.

 

 

Mein Käthchen

Mein Käthchen fordert zum Lohne

Von mir ein Liebesgedicht.

Ich sage: Mein Käthchen verschone

Mich damit, ich kann das nicht.

 

Ob überhaupt ich dich liebe,

Das weiß ich nicht so genau.

Zwar sagst du ganz richtig, das bliebe

Gleichgültig; doch, Käthchen, schau:

 

Wenn ich die Liebe bedichte,

Bedicht ich sie immer vorher,

Denn wenn vorbei die Geschichte,

Wird mir das Dichten zu schwer.

 

 

Morgenstimmung

Leise schleich ich wie auf Eiern

Mich aus Liebchens Paradies,

Wo ich hinter dichten Schleiern

Meine besten Kräfte ließ.

 

Traurig spiegelt sich der bleiche

Mond in meinem alten Frack;

Ach die Wirkung bleibt die gleiche,

Wie das Kind auch heißen mag.

 

Wilhelmine, Karoline,

's ist gesprungen wie gehupft,

Nur daß hier die Unschuldsmiene,

Dort dich die Routine rupft.

 

 

Der Prügelheini

Der Prügelheini, der ist mein Mann,

Der ist eine Menschenplage;

Der prügelt, was er mich prügeln kann,

Die Nächte sowie die Tage.

 

Heut mittag stürzt er noch auf mich los:

»Du bist mir untreu gewesen!

Das steht in Buchstaben riesengroß

Auf deiner Stirne zu lesen!« –

 

»Bei Gott, mein Heini, dir blieb ich treu!

Sonst steht mir nichts auf der Stirne.« –

Da schwang er seinen Prügel aufs neu:

»Dich schlag ich nieder, du Dirne!« –

 

Und als ich ihm zitternd zu Füßen sank,

Ich ärmste von allen Frauen,

Da warf er mich hin auf die Gartenbank

Und hat mich zusammengehauen.

 

 

Die Symbolistin

Dein Auge brennt, dein Atem fliegt,

Blaß bist du wie der Tod;

Und frag ich dich, woran das liegt,

Du wirst wie Blut so rot.

 

Dein Auge senkt sich grambesiegt,

Die Wimper glitzert naß;

Und frag ich dich, woran das liegt,

Du wirst wie Marmor blaß.

 

 

Der Symbolist

Eine mondbestrahlte, blasse Hand

Wand sich nachts aus seinen weißen Decken,

Daß, gelähmt in stummem, starrem Schrecken,

Er nur mühsam sich hinweg gewandt.

 

Jene blasse, mondbestrahlte Hand

Kehrte manchmal wieder – und im Weichen

Schrieb sie sich in geisterhaften Zeichen

In sein schreckensbleiches Nachtgewand.

 

 

Neue Liebe

Du Mädchen in des Lebens vollster Pracht

Hast mich zu lichtem Flammenmeer entfacht;

Das züngelt blutig bis ans Sternenzelt,

Von keinem Blick behütet und bewacht.

 

Und faßt die Flamme nicht die ganze Welt,

Wie dich und den, der dich umfangen hält?

Ein einz'ger Zwieklang durch den weiten Raum,

Der Jubel der vereinten Schöpfung gellt.

 

Vergangenheit wird uns ein düstrer Traum,

Am Horizont ein schwarzer Wolkensaum.

Doch auch das Glück, daraus mein Lied erschallt,

In seiner Göttlichkeit noch faß ich's kaum.

 

Bis daß mich deine irdische Gestalt,

Bis daß mich deiner Sinne Glutgewalt

Von jedem dumpfen Traumgewirr befreit

Durch nie geträumter Freuden Wirklichkeit.

 

 

Lebensregel

Du kannst einzig mit dem Guten

Dauernd gut Geschäfte machen.

Schlechte schuften und verbluten,

Schwindler jubeln und verkrachen.

 

Auf der ganzen Erde Gottes

Wird die Pflicht das Glück beneiden –

Doch am schönsten ist ein flottes

Todesringen zwischen beiden.

 

Nur beherzige die Lehre

Von der Wiege bis zum Grabe:

Der Besiegte hat die Ehre,

Den Besieger ehrt die Habe.

 

 

An Elka

Elka, länger kann ich mich nicht halten,

Meine Sinne toben allzu wild;

Und in allen weiblichen Gestalten

Seh ich schon dein Götterbild!

 

Auch im Traum bist du mir schon erschienen,

Dich entkleidend; oh wie ward mir da!

Schwindlig ward mir hinter den Gardinen,

Als ich deinen Busen sah.

 

Meine beiden Knie wurden brüchig,

Von der Stirne triefte mir das Fett.

Als das Hemd du abgetan, da schlich ich

Wonneschauernd an dein Bett.

 

Mach, daß dieser Traum sich bald erfülle;

Mach, erhabne Königin,

Daß bei dir ich vor Behagen brülle,

Nicht vor Wut, weil ich dir ferne bin.

 

 

Einkehr

Du stille Friedhofmauer,

Scheu tret ich bei dir ein.

Willst du nicht meiner Trauer

Schirmende Heimat sein?

 

In deinem tiefen Frieden,

In deinem kühlen Schoß

Wird allen Ruh beschieden,

Die krank und ruhelos.

 

Wo dunkle Stämme ragen

Um dichtumkränzten Stein,

Fernen vergangnen Tagen

Geb ich ein Stelldichein.

 

Süßselige heilige Schauer

Lösen mir Aug und Sinn –

Du stille Friedhofmauer,

Du meine Beschützerin,

 

Entflohn dem Weltgetriebe

Tret gern ich bei dir ein;

Willst du begrabener Liebe

Schirmende Heimat sein?

Sommer 1898

 

Ich, der alte Ahasver,

Habe große Eile,

Zu verscheuchen wünscht ich sehr

Ewig lange Weile:

Lenke wieder meine Bahn,

Endlos mir beschieden,

Nach dem alten Kanaan

Das ich lang gemieden.

 

Mir ist in der Ferne die Kunde geworden,

Es käme gezogen ein Herrscher von Norden,

Da setzt es vielleicht auch für mich einen Orden.

 

Rückwärts schweift mein Auge matt,

Reuevoll umdustert,

Nach der alten Judenstadt,

Drin ich einst geschustert,

Derart, daß mich heute noch

Gottes Welt verachtet,

Weil ich nicht den Braten roch,

Eh das Lamm geschlachtet!

 

Wär jener gekommen, wie dieser kommt heute,

Mit stolzem Gepränge und großem Geleite,

Ich wäre moralisch gegangen nicht Pleite!

 

Jener ritt die Eselin,

Dieser den Trakehner,

Ehr und Glück trägt dieser hin

Und sein Leben jener.

Durch der Rede reiches Wort

Einzig sind die beiden,

Und ihr Ziehn von Ort zu Ort

Nicht zu unterscheiden.

 

Was aber hilft tief mir im Busen die Reue!

Versagt ich denn jemals dem Herrscher die Treue?! –

Am Ende ereilt mich mein Unglück aufs neue!

 

Kam doch auch zu jener Zeit

Unter Kriegerscharen

In verbrämtem Purpurkleid

Einer angefahren! – –

Wenn der andre nun auch jetzt

Beim Erlöserwerke

Sich vor meine Türe setzt,

Ohne daß ich's merke?!

 

Von ihm stand kein Wort in der Zeitung geschrieben.

Ich hätt ihn ja sonst von der Bank nicht vertrieben!

Und darin ist alles beim alten geblieben. –

 

Ja, wir Menschen stolpern blind

Durch des Lebens Enge.

Oft ist leer wie Schall und Wind

Größtes Festgepränge.

Irrt man ehrfurchtsvollen Blicks,

Ehr und Macht zu suchen,

Kommt der Mächt'ge hinterrücks,

Einen zu verfluchen! –

 

Es wechseln nicht nur an der Börse die Größen! –

Nichts bleibt uns, inmitten von Püffen und Stößen,

Als ununterbrochen das Haupt zu entblößen.

 

 

Menschlichkeit

Der Mensch ist nackt geschaffen, ist nackt;

Daraus erklärt sich seine Vertracktheit.

Wird er vom Wind bei der Wolle gepackt,

Dann schämt er sich seiner kläglichen Nacktheit.

 

Dort, wo es dem rohen Pöbel graut,

Sind der Seele zarteste Saiten zu finden;

Hat einer gar eine durchschimmernde Haut,

Du sollst ihn nicht züchtigen, sondern ergründen.

 

Ist einer über und über behaart,

Dann magst du ihn nach Gefallen bewitzeln.

Kitzliche zu kitzeln ist Knabenart;

Ein Mann liebt vielmehr den Kitzelnden zu kitzeln.

 

 

Gott und Welt

Ich bin ein Mensch von Fleisch und Blut,

Ich fange keine Grillen;

Ich kann des Fleisches Durst so gut

Wie den der Seele stillen.

 

Ich schwinge brünstig mich empor

Zu Gott in schwacher Stunde;

Und werd ich stark, heb ich den Flor

Von heiliger Todeswunde.

 

Weit öffnet sich der Arme Paar

Gleich hellen Tempelpforten;

Ich knie schluchzend am Altar,

Ich bete nicht in Worten.

 

 

Brigitte B.

Ein junges Mädchen kam nach Baden,

Brigitte B. war sie genannt,

Fand Stellung dort in einem Laden,

Wo sie gut angeschrieben stand.

 

Die Dame, schon ein wenig älter,

War dem Geschäfte zugetan,

Der Herr ein höherer Angestellter

Der königlichen Eisenbahn.

 

Die Dame sagt nun eines Tages,

Wie man zur Nacht gegessen hat:

»Nimm dies Paket, mein Kind, und trag es

Zu der Baronin vor der Stadt.«

 

Auf diesem Wege traf Brigitte

Jedoch ein Individium,

Das hat an sie nur eine Bitte,

Wenn nicht, dann bringe er sich um.

 

Brigitte, völlig unerfahren,

Gab sich ihm mehr aus Mitleid hin.

Drauf ging er fort mit ihren Waren

Und ließ sie in der Lage drin.

 

Sie konnt es anfangs gar nicht fassen,

Dann lief sie heulend und gestand,

Daß sie sich hat verführen lassen,

Was die Madam begreiflich fand.

 

Daß aber dabei die Tournüre

Für die Baronin vor der Stadt

Gestohlen worden sei, das schnüre

Das Herz ihr ab, sie hab sie satt.

 

Brigitte warf sich vor ihr nieder,

Sie sei gewiß nicht mehr so dumm;

Den Abend aber schlief sie wieder

Bei ihrem Individium.

 

Und als die Herrschaft dann um Pfingsten

Ausflog mit dem Gesangverein,

Lud sie ihn ohne die geringsten

Bedenken abends zu sich ein.

 

Sofort ließ er sich alles zeigen,

Den Schreibtisch und den Kassenschrank,

Macht die Papiere sich zu eigen

Und zollt ihr nicht mal mehr den Dank.

 

Brigitte, als sie nun gesehen,

Was ihr Geliebter angericht',

Entwich auf unhörbaren Zehen

Dem Ehepaar aus dem Gesicht.

 

Vorgestern hat man sie gefangen,

Es läßt sich nicht erzählen, wo;

Dem Jüngling, der die Tat begangen,

Dem ging es gestern ebenso.

 

 

Meiner entzückenden Kollegin Mary I.

Von vorn besehn bist du die schönste Maid,

Die je mein Herz aus Liebesnot befreit;

Doch wenn du halb nur dich zur Seite kehrst,

Dann dünkt mich schon, daß du ein Knabe wärst.

Drum bleib ich wie dem Glücksrad stets dir nah,

Du – Venus Duplex Amathusia!

 

 

Marys Kochschule

Daß in deinem Engelsköpfchen

So viel Teufelei rumort,

Hätt ich nimmer ahnen können;

Aber deine Küsse brennen,

Wie kein Höllenfeuer schmort.

 

Deiner Seele heiße Sauce

Gießt sich prasselnd auf mich aus;

Mit den neusten Apparaten

Werd ich Ärmster ausgebraten,

Ein bejammernswerter Schmaus.

 

Schließlich öffnest du die Brust mir

Und transchierst mein dampfend Herz,

Weidest dich an seinem Pochen,

Wie's zerrissen und zerstochen

Und in Stücke sprang vor Schmerz.

 

 

Eroberung

Ach, sie strampelt mit den Füßen,

Ach, sie läßt es nicht geschehn,

Ach, noch kann ich ihren süßen

Körper nur zur Hälfte sehn;

Um die Hüfte weht der Schleier,

Um den Schleier irrt mein Blick,

Immer wilder loht mein Feuer,

Ach, sie drängt mich scheu zurück!

 

Mädchen, ich will nichts erzwingen;

Mädchen, gib mir einen Kuß;

Sieh, dich tragen eigne Schwingen

Durch Begierde zum Genuß.

Ach, da schmiegt sie sich und lächelt:

Deine Küsse sind ein Graus;

Und mit beiden Händen fächelt

Sie der Kerze Schimmer aus.

 

 

An eine grausame Geliebte

Hetz deine Meute weit über die Berge hin,

Sie kehrt wieder von Schweiß und von Staub bedeckt.

Gib ihr die Peitsche, gewaltige Jägerin,

Sieh, wie sie dir winselnd die Füße leckt!

 

Eh der Bann zerreißt, eh die Koppel in Stücke springt,

Eh die Brut dir entgegensteht, wenn dein Hifthorn klingt,

Eh dein Ohr ihn vernimmt, aus der Seele den dumpfen Schrei,

Eh reißen Sehnen und Adern und Herz entzwei.

 

Schwing deine Peitsche! Dein gellendes Halali

Tönt wie des Todes wilder Triumphgesang.

Das Auge, blutunterlaufen, sterbensbang,

Späht nach dem Wild deiner Lust und erblickt es nie ...

 

 

Schweig und sei lieb

Als du, mein Held, zum ersten Male mir

Im lichterfüllten Saal entgegentratest

Und lächelnd, fast mit kindlichem Gezier,

Um einen Walzer mich verlegen batest,

Weißt du, was in des Morgens Dämmerstunden,

Eh dich mein Traum von neuem mir verbunden

Ich in mein Tagebuch errötend schrieb? –

 

Schweig und sei lieb!

 

Und als du gestern mir mit raschen Schritten

Nachjagtest – zum Befehl ward mir dein Ruf;

Als Kind hätt ich ihn nie so streng gelitten,

Da stets nur Trotz er mir im Herzen schuf –

Ahnst du, weshalb in fieberheißem Beben,

Weshalb ich rettungslos dir preisgegeben,

Weshalb ich stracks wie angekettet blieb? –

 

Schweig und sei lieb!

 

Von Wahnsinnsstürmen ward mein Sinn umhallt,

Mein Stolz erstarb, der sonst so siegesfrohe ...

Begreifst du die dämonische Gewalt,

Mein Held? Begreifst du, welch empörte Lohe,

Daß sie nicht sengend Herz und Hirn verzehre,

Mich dir mein Glück, mein Leben, meine Ehre,

Mich dir mein alles hinzugeben trieb? –

 

Schweig und sei lieb!

 

 

An Berta Maria, Typus Gräfin Potocka

Wie stapften wir einst als Kinder so stramm

Barfuß durch alle Pfützen

Und ließen uns den kalten Schlamm

Hoch über die Knie spritzen!

 

Wie einst als Kinder durch Hain und Flur,

So stapfen wir heut durchs Leben;

Der ganze Schlamm der modernen Kultur

Bleibt uns an den Beinen kleben.

 

Laß dir's nicht schaudern, was ist dabei!

Wir scheuen nicht Ottern und Nattern,

Solang nur der Kopf und die Brust noch frei

Und im Sturm deine Haare flattern!

 

 

Unterm Apfelbaum

Lieschen kletterte flink hinauf

Bis in die höchsten Äste,

Fing in der Schürze die Äpfel auf

Ihrer Mutter zum Feste.

 

Ich lag unten, verliebt und faul,

Auf dem Rücken im Grase;

Mancher Apfel fiel mir ins Maul,

Mancher mir auf die Nase.

 

Jetzt stand Lieschen auf starkem Ast,

Schelmisch sah sie hernieder;

Ihres Leibes liebliche Last

Wiegte sich hin und wieder.

 

Innig umschlungen hielten sich

Splitternackt ihre Füße,

Taten sich auf und befühlten sich –

Winkten mir tausend Grüße.

 

Durch das Röckchen sandte der Tag

Seine goldenen Strahlen,

Was darunter geborgen lag,

Farbenprächtig zu malen.

 

Schimmernd rings um die weiße Haut

Wob sich die gedämpfte Helle;

Welcher Meister hat je gebaut

Prächtiger eine Kapelle.

 

Kindlich faltet ich da die Händ',

Forderte heiß und brünstig:

Was kein irdischer Name nennt,

Werde dem Sünder günstig.

 

Sieh, und am nämlichen Abend schon,

Tief in die Kissen gebettet,

Wurden der kindlichen Bitte zum Lohn

Leib und Seele gerettet.

 

 

Schicksal

Stürme durchtoben die bange Brust;

Stürmisches Leid und stürmische Lust

Sausen hindurch mit schaurigem Wehen,

Schleudern mich aus des Mißgeschicks Nacht

Auf zu des Glückes sonnigen Höhen.

Sprachlos begaff ich die strahlende Pracht

Schau ich des Weibes hehre Gestalt,

Wie sie die Träume der Jugend verheißen,

Und es ergreift mich, mit blinder Gewalt

An die pochende Brust sie zu reißen.

Sie aber zieht mich auf schwellende Kissen,

Preßt mich an ihren üppigen Leib,

Und überwältigt von wilden Genüssen

Halt ich umklammert das schöne Weib.

 

Siehe da, gleich einem wogenden Meer

Wälzt sich gewaltig das Unglück her.

Jäh zerschmetternde Blitze flammen

Nieder aus düsterem Wolkenthron;

Über dem trunkenen Erdensohn

Schlagen die schäumenden Fluten zusammen. – –

 

Als die Sonne wiederum schien,

Gleitet ein Nachen darüber hin.

Schimmernd steigt aus der Wellen Gischt

Ein Regenbogen, der bald erlischt;

Von dem Verunglückten fand sich nischt.

 

 

Anwandlung

Wüßtest du, Mädchen, wie das tut,

Wenn dein Arm in dem seinen ruht,

Wenn du an seiner Seite hin

Wandelst in weltbeglückendem Sinn!

Wüßtest du, wie mich der Anblick foltert,

Wie mir der Wunsch in der Seele brennt:

Käm doch das himmlische Firmament

Über euch beide heruntergepoltert!

 

Wolken machen sich nichts daraus,

Wandern weiter und lachen mich aus,

Ob ich euch, ob ich ihnen fluche,

Ob ich mich selbst zu erdrosseln suche –

Schließlich nach langem qualvollem Bangen

Reichst du mir flüchtig die zuckende Hand,

Und das verwickelte Rosenband

Hält mich verdoppelt fester umfangen.

 

Kennst jene Hütte du tief im Wald,

Zweier Büßenden Aufenthalt?

Rings unter hohen rauschenden Bäumen

Wildes Kasteien und tiefes Träumen ...

Nun ich eben mein Bündel geschnürt,

Will mich dieser Gedanke nicht lassen;

Ach und mein Hirn mag es gar nicht fassen,

Daß mich mein Los schon von hinnen führt.

 

 

Albumblatt

Sei er noch so dick,

Einmal reißt der Strick.

Freilich soll das noch nicht heißen,

Daß gleich alle Stricke reißen.

 

Nein, im Gegenteil,

Mancher Strick bleibt heil.

 

 

Die Keuschheit

Schimmernd fülle sich der Teller,

Schimmernd bis zum Rand hinan;

Jeder spende seinen Heller

Gern dem alten Leiermann.

Manch ein Lied hab' ich gesungen,

Das euch tief ins Herz gedrungen;

Doch ein Lied wie dieses hier

Hörtet ihr noch nicht von mir.

 

Eines Abends in der Messe

Lauscht' er hinter ihrem Pult,

Mit erzwungner Totenblässe

Bat er sie um ihre Huld.

Von Madrid bis Kopenhagen

Hat er sich herumgeschlagen,

Tausend Mädchen schon verführt,

Kujoniert und angeschmiert.

 

Und sie bat, daß Gott ihr helfe,

Doch sein Odem war so warm,

Und dieselbe Nacht um elfe

Lag sie schon in seinem Arm.

Weidlich hat er sie belogen,

Hat das Hemd ihr ausgezogen;

Sie ward rot für ihr Geschlecht,

Doch das war ihm grade recht.

 

Als sie nun die Schmach erlitten,

Ward dem Ungeheuer klar,

Daß sie engelrein von Sitten

Und ihm zu gefühlvoll war.

Freilich konnt es ihn beglücken,

Eine frische Blume pflücken;

Für sein weiteres Pläsier

Fehlte die Verderbnis ihr.

 

Und er war wie umgewandelt,

Als ihr nun die Liebe kam;

Hat sie so infam behandelt,

Daß sie schier verging vor Scham;

Stieß sie aus den warmen Kissen,

Hat sie nackt hinausgeschmissen,

Warf ihr ihre Kleider nach,

Schloß die Tür mit einem Krach.

 

Auf dem Vorplatz unter Tränen

Zog sie sich die Strümpfe an,

Fluchte ihres Herzens Sehnen

Und verzieh dem rohen Mann;

Drauf ging sie in ihre Kammer,

Dort sank sie aufs Bett vor Jammer.

Schlug mit beiden Fäusten sich

Wund und weinte bitterlich.

 

Ist's nicht wirklich ein Entsetzen,

Daß es solche Männer gibt,

Die sich nicht mal mehr ergötzen,

Wo ein andrer kindlich liebt.

Weil sie ihre Liebe suchten

Bei den H-, den verfluchten,

Ist der Seele Klang verdumpft,

Ihr Empfinden abgestumpft.

 

In dem nächtlich stillen Garten

Sitzt die keusche Maid voll Gram,

Liebelechzend zu erwarten

Den Geliebten, der nicht kam.

Ach, sie meint, er müsse kommen,

Doch die Sterne sind verglommen

Und der sanfte Mond verblich,

Ohne daß ihr Kummer wich.

 

Und nun ward ihr immer schlimmer,

Immer toller jeden Tag,

Und sie lief ihm auf das Zimmer,

Als er noch zu Bette lag;

Sagt ihm gleich, wozu sie käme,

Daß er sie zur Dienstmagd nehme.

Wenn sie seiner Lust zu schlecht,

Alles, alles sei ihr recht.

 

Aber dieser Fürchterliche

Hatte keinen Trost für sie

Als verdrehte Bibelsprüche

Voll gesalzner Ironie;

Sich an ihrer Scham zu weiden

Zwang er sie, ihn anzukleiden,

Macht sie dabei, ohne Not,

Immer wieder purpurrot.

 

Als den Schlips sie ihm gebunden,

Gab der Mensch ihr einen Tritt

Und ein Schimpfwort ihrer wunden

Seele auf den Heimweg mit.

Doch als sie den Hut genommen,

Spielt er plötzlich dann den Frommen,

Sah sie an und sagte: Du,

Heute abend Rendez-vous!

 

Und sie trat am selben Abend

Wieder in die Wohnung ein,

Einen Strauß am Busen habend,

Denn sie wollte lieblich sein.

Gleich riß er ihn ihr vom Kleide,

Überreicht' ihn voller Freude

Einer Dirne, rotgelockt,

Die geschminkt im Lehnstuhl hockt.

 

Drauf tät er sie zärtlich bitten,

Aufzulösen sich ihr Haar;

Jene hat's ihr abgeschnitten,

Daß sie wie ein Knabe war.

Dann mußt sie das Kleid ablegen,

Ging einher, zum Herzbewegen:

Schuhe, Strümpfe, Höschen, Hemd,

Und der Scheitel links gekämmt.

 

Nun erhob sich die geschminkte,

Dekolletierte Schandperson,

Schlecht verbergend, daß sie hinkte,

Denn sie trieb es lange schon:

Komm, mein Page, und enthülle

Meiner Reize Zauberfülle

Diesem schönen jungen Herrn;

Ach, er hat mich gar zu gern!

 

Und sie tat es ohne Zucken,

Zog ihr selbst die Strümpfe ab,

Mußte all die Dünste schlucken,

Die das Scheusal von sich gab.

Mehrmals, bis das Werk vollendet,

Hat sie stumm den Kopf gewendet,

Hustete aus tiefster Brust,

Wurde beinah unbewußt.

 

Alsdann kam an ihn die Reihe,

Was ihr nicht so gräßlich war;

Leise wimmernd macht das treue

Kind ihn aller Kleidung bar;

Wollt ihm noch die Füße küssen,

Doch er hat sich losgerissen.

Und nun gab der edle Wicht

Ihr in jede Hand ein Licht.

 

So mußt sie sich aufrecht stellen,

Wo der Vorhang offen hing,

Um das Schauspiel zu erhellen,

Das vor ihr in Szene ging.

Durch die Bosheit angefeuert,

Hat er mehrmals es erneuert,

Immer tiefern Höllenschmerz

Bohrend in des Kindes Herz.

 

Treulich tät sich ihm vereinen

Das entmenschte Schauerweib,

Fand am Jammerblick der Kleinen

Teuflisch süßen Zeitvertreib,

Heuchelt, ihr ins Herz zu schneiden,

Außerordentliche Freuden,

Fraß mit Schluchzen und Geschrei

Einen Apfel auch dabei.

 

Als die Roheit sondergleichen

Keinen neuen Reiz mehr bot,

Ließ man sich die Kleider reichen,

Stellte sich dabei halb tot.

Nichts als Püffe, nichts als Tritte

Spürt das Kind bei jedem Schritte.

Drauf löscht er die Lichter aus,

Führt die Schandperson nach Haus.

 

Kommt zurück nach langer Pause,

Und das Mädchen ist noch da,

Denn sie wagt sich nicht nach Hause,

Weil sie so verändert sah;

Bat ihn, daß sie bleiben könnte,

Was er ihr denn auch vergönnte;

Ach, sie dachte nicht daran,

Was der Schreckensmensch ersann.

 

Nachdem er zu Bett gegangen,

Winkt er sie vom Diwan her,

Überreicht ihr einen langen

Scharfgeladenen Revolver.

Bittet kühl um den Gefallen,

Ihn sich vor den Kopf zu knallen,

Denn die Wirkung sei famos,

Und er sei sie endlich los.

 

Ohne etwas zu entgegnen,

Hob sie sich ihn an die Stirn,

Tät noch ihren Mörder segnen

Und durchschoß sich das Gehirn.

Lächelnd schmaucht er die Zigarre

Zum Entstehn der Totenstarre,

Geht dann, seiner Schandtat froh,

Nach dem Polizeibüro!

 

Und nun hat sie ausgelitten,

Diese Maid, die treu geliebt,

Dabei engelrein von Sitten,

Wie es keine zweite gibt.

Alle möge Gott verfluchen,

Wenn sie seine Gnade suchen,

Denn sie liebten nur das Fleisch;

Diese starb im Herzen keusch.

 

 

Das arme Mädchen

Böt mir einer, was er wollte,

Weil ich arm und elend bin,

Nie, und wenn ich sterben sollte,

Gäb ich meine Ehre hin!

Schaudernd eilt das Mädchen weiter,

Ohne Obdach, ohne Brot,

Das Entsetzen ihr Begleiter,

Ihre Zuversicht der Tod.

 

Es klappert in den Laternen

Des Winters eisig Wehn,

Am Himmel ist von den Sternen

Kein einziger zu sehn.

 

Wie sie nun noch eine Strecke

Weiter irrt, sieht sie von fern

An der nächsten Straßenecke

Einen ernsten, jungen Herrn.

Ihm zu Füßen auf die Steine

Bricht sie ohne einen Laut,

Hält umklammert seine Beine,

Und der Herr verwundert schaut:

 

»Wenn dich die Menschen verlassen,

Komm auf mein Zimmer mit mir;

Jetzt tobt in allen Gassen

Nur wilde Begier.«

 

Und sie folgte seinen Schritten,

Hielt sich schüchtern hinter ihm;

Jener hat es auch gelitten,

Wurde weiter nicht intim.

Angelangt auf seinem Zimmer

Zündet er die Lampe an,

Bei des Lichtes mildem Schimmer

Bald sich ein Gespräch entspann:

 

»Es boten mir wohl viele

Ein Obdach für die Nacht,

Doch hatten sie zum Ziele,

Was mich erschaudern macht.«

 

»Ferne sei mir das Verlangen«,

Sprach der ernste, junge Mann,

»Dir zu färben deine Wangen,

Wenn ich's nicht durch Güte kann.«

Bat sie, länger nicht zu weinen,

Holte Wurst und kochte Tee,

Und am Morgen zog er einen

Taler aus dem Portemonnaie.

 

Sie hat ihn bescheiden genommen

Und fand, eh der Tag vorbei,

Als Plätterin Unterkommen

In einer Wäscherei.

 

Aber ach, die Tage gingen

Und die Nächte freudlos hin,

Bluteswallungen umfingen

Ihren frommen Kindersinn.

Immer mußt sie sein gedenken,

Der so freundlich zu ihr war,

Immer mußt den Kopf sie senken

In der muntern Mädchenschar.

 

Und eines Abends um neune

Hielt sie's nicht aus,

Lief ganz alleine

Nach seinem Haus.

 

Er war noch nicht heimgekommen,

Sie verkroch sich unters Bett,

Bis sie seinen Schritt vernommen,

Wo sie gern gejubelt hätt.

Doch sie hielt sich still da unten,

Bis er sich zu Bett gelegt

Und den süßen Schlaf gefunden,

Dann erst hat sie sich geregt.

 

Leise wie eine Elfe

Schlupft sie zu ihm hinein:

»Daß Gott mir helfe –

Ich bin dein!«

 

Doch da hat er sich erhoben,

Wußte erst nicht, was geschah,

Hat die Kissen vorgeschoben,

Als das Kind er nackend sah:

»Nein, jetzt will ich dich nicht haben;

Wohl dir, daß du mir vertraut!

Aber spare deine Gaben,

Denn schon morgen bist du Braut!«

 

Er führte binnen acht Tagen

Sie wirklich zum Altar.

Es läßt sich gar nicht sagen,

Wie glücklich sie war.

 

 

Coralie

1.

Hüpfe nicht mit nacktem Fuße

In den tollen Gischt hinein;

Stürz dich in das Meer der Buße,

Wasch dir deine Seele rein.

 

Badst du doch an diesen Küsten

Deinen Busen marmorweiß,

Nur um dich damit zu brüsten

Abends im Bekanntenkreis.

2.

 

Wie dort durch der Brandung Zischen

Sich erstreckt der Hafendamm,

So erstrecke ich mich zwischen

Dich und deinem Bräutigam.

 

Auf neutralem Boden schlummern

Ist mir ein besondrer Reiz,

Wie das Leben zwischen Pummern

Und Palermo in der Schweiz.

 

Eisig krappelt's übern Rücken,

Schloßenschauer fühl ich nah;

Hingestreckt vor meinen Blicken

Feurig glüht Italia.

Selbstzersetzung

 

Hochheil'ge Gebete, die fromm ich gelernt,

Ich stellte sie frech an den Pranger;

Mein kindlicher Himmel, so herrlich besternt,

Ward wüsten Gelagen zum Anger.

 

Ich schalt meinen Gott einen schläfrigen Wicht;

Ich schlug ihm begeistert den Stempel

Heillosen Betrugs ins vergrämte Gesicht

Und wies ihn hinaus aus dem Tempel.

 

Da stand ich allein im erleuchteten Haus

Und ließ mir die Seele zerwühlen

Von grausiger Wonne, von wonnigem Graus:

Als Tier und als Gott mich zu fühlen.

 

Auch hab ich, den mördrischen Kampf in der Brust,

Am Altar gelehnt, übernachtet,

Und hab mir, dem Gotte, zu Kurzweil und Lust,

Mich selber zum Opfer geschlachtet.

 

 

 

Herbst

 

An die Kritik

Gelegentlich der Berliner Erstaufführung

von »Zensur«

 

Mir muß die Kritik sich wahrlich

Von den schönsten Seiten zeigen;

Zwanzig Jahr war sie beharrlich

Drauf erpicht, mich totzuschweigen.

 

Jetzt, nachdem ich, totgeschwiegen,

Mich zum Trotz ans Licht gerungen,

Speit sie rastlos giftige Lügen,

Unversieglich haßdurchdrungen.

 

Einmal wird sie doch verzichten

Und die klügere Richtung wählen:

Hilft ihr nichts, mich zu vernichten,

Wie wird sie mich dann – bestehlen!

 

 

An Franziska de Warens

Gestern dacht ich eines Kusses,

Wie ihn deine Mutter gab;

In Erinnrung des Genusses

Leckt ich mir die Lippen ab.

 

Ach das war so warm, so saftig,

Daß, ich weiß nicht, wie's geschah

Plötzlich ich sie ganz leibhaftig

Wieder bei mir sitzen sah;

 

Lauschte, wie sie sang und lachte,

Manch bedeutungsvolles Wort;

Aber als ich dein gedachte,

War sie plötzlich wieder fort.

 

 

Das Opfer

Wenn ich bei Tag mein Mädel mir beseh,

Dann seh ich einen kahlen Totenschädel,

Darunter ein Skelett, und seh mein Mädel

Gebrochen knien von schauerlichem Weh.

 

Sie schreit zum Schöpfer: »Laß mich Freudenquell

Nur schleunigst jetzt an ihm vorübergehen!

Sechs Monde noch, dann wär's um ihn geschehen.

Sein Mark wird mürb, der Tod vergafft sich schnell.«

 

»Mich wirft man auf den Mist, das ist normal;

Das Fleisch auf meinen Rippen ist Schimäre.

Ich gäb es, wenn mein liebend Herz nicht wäre,

Schon heute gern den Schlächtern im Spital!«

 

 

Enttäuschung

1.

Trübe Stunden schleichen sachte

Durch die stille Seele mir;

Glück, das ich zu haschen dachte,

Wie so ferne bin ich dir!

 

Mühsam schleppt sich meine Feder

Über ein zerknicktes Blatt,

Leis bewimmernd, was ein jeder

Einmal zu verschmerzen hat.

 

Wenn den alten Mut ich fände,

Fänd ich auch die alte Kraft –

Ach, die wundgestraften Hände

Sind auf lange Zeit erschlafft.

2.

 

Einst lag ich ausgestreckt in wachem Traum,

Ermüdet von der Arbeit langer Nächte,

Da frug ein Kuckucksruf aus hohem Baum,

Was sich das junge Herz wohl wünschen möchte.

 

Der Frage war die Antwort rasch bereit,

Nun durfte nichts mir die Erfüllung rauben,

Und eine unermeßne Seligkeit

Erwuchs mir aus dem frommen Kinderglauben.

 

Des Lebens Sommer ist derweil verblüht

Und Hoffnung sah um Hoffnung ich zerrinnen;

Aus meinem grellerleuchteten Gemüt

Schlich auch beschämt ein dunkler Wahn von hinnen.

 

In diesen Zeilen fand er Unterkunft;

Hier liegt er für des Lebens Rest begraben.

So wird der Mensch ein Krösus an Vernunft

Und, ach, wie bettelarm durch ihre Gaben!

Altes Lied

 

Es war einmal ein Bäcker,

Der prunkte mit einem Wanst,

Wie du ihn kühner und kecker

Dir schwerlich träumen kannst.

 

Er hat zum Weibe genommen

Ein würdiges Gegenstück;

Sie konnten zusammen nicht kommen,

Sie waren viel zu dick.

 

 

Franziskas Abendlied

Weiß die Mutter doch so gut,

Wann die Äpfel reifen.

Und ihr eigen Fleisch und Blut

Will sie nicht begreifen!

 

Wenn ich nicht so trostlos wär,

Ging's mir wohl um Treue;

Kommt das Glück von ungefähr,

Folgt ihm keine Reue.

 

Seht euch nur dies Leben an,

Hühner, Enten, Gänse –

Drüben schwingt der Schnittersmann

Schon die blanke Sense.

 

Baut ich auf den lieben Gott,

Baut auf meine Karten,

Ward bei beiden mir zum Spott,

Lernte fleißig warten!

 

Zwanzig Sommer sind vorbei,

Armes kurzes Leben –

Hast nun einen süßen Mai

Heimlich doch gegeben!

 

Ist die Nacht nicht gar so still,

Stiller wird's am Tage;

Weiß man einmal, was man will,

Scheut man keine Plage.

 

Mütterchen zergrübelt sich,

Streicht die weißen Haare,

Träumt so mancherlei für mich,

Träumt sich nicht das Wahre.

 

Schrecklich ist die Einsamkeit

Nur auf Gottes Erden.

Schön ist auch ein Glück zu zweit,

Will's zu dritt nicht werden.

 

Kommen viele Jahre noch,

Langes kaltes Sterben;

Durft ein einzig Mal ich doch

Um mein Schicksal werben!

 

Not und Schande, Angst und Pein,

Alles will ich tragen.

Wird es nur kein Mägdelein,

Will ich gar nicht klagen.

 

 

Bajazzo

Aus »König Nicolo«

 

Seltsam sind des Glückes Launen,

Wie kein Hirn sie noch ersann,

Daß ich meist vor lauter Staunen

Lachen nicht noch weinen kann!

 

Aber freilich steht auf festen

Füßen selbst der Himmel kaum,

Drum schlägt auch der Mensch am besten

Täglich seinen Purzelbaum.

 

Wem die Beine noch geschmeidig,

Noch die Arme schmiegsam sind,

Den stimmt Unheil auch so freudig,

Daß er's innig liebgewinnt!

 

 

Der Reisekoffer

Bei Tafel saßen in bunter Reih

Damen und Herren; auch saß dabei

Ein junger Mann von blassem Gesicht,

In Haltung und Ausdruck ernst und schlicht,

Durchaus bescheiden, zwar etwas gefräßig,

Aber schweigsam verhältnismäßig.

 

Und wie ein Bach in der Sonne Blinken

Glitt das Gespräch zwischen Scherzen und Trinken.

Man sprach über dieses, man sprach über jenes,

Man sprach über Nützliches, über Schönes,

Und kam über Unfälle und Verbrechen

Schließlich auf Reisekoffer zu sprechen.

 

Da waren nun, wie das so geht hienieden,

Urteil und Ansichten sehr verschieden;

Die Damen lobten die großen, schweren,

Bequem zu packen und rasch zu leeren,

Ohne daß dabei die Toilette

Jemals Schaden genommen hätte.

 

Den Herren hingegen wollte es scheinen,

Angenehmer wären die kleinen,

Die leichten, zusammengeklappten Dinger;

Man könne sie heben mit einem Finger –

Unser Jüngling in guter Ruh

Kaut seinen Bissen und schweigt dazu.

 

Und wie im Schilfe der schaukelnde Nachen

Glitt das Gespräch zwischen Scherzen und Lachen

Von Reisekoffern auf ferne Gefilde

Im schönen Italien, auf Kunstgebilde

Und dann auf das Glück, auf das Glücklicherscheinen

Sowie auf die Liebe im allgemeinen.

 

Unser Jüngling kaut wacker fort,

Hört von dem allen kein Sterbenswort;

Seine Gedanken, begreiflicherweise

Dämmern so weiter im alten Gleise.

Und wie er sich abmüht mit düstrer Stirn,

Löst sich ein Etwas in seinem Hirn

Und klettert herab, und erreicht seine Zung

Und wird nun allmählich zur Äußerung.

Und er tut den Mund auf, er winkt mit der Hand –

Die Damen im Kreise lauschen gespannt,

Die Herren verstummen von Reminiszenzen

Aus schwülen Garderoben mit welkenden Kränzen;

Alles starrt in verhaltenem Grimme,

Und er flötet mit süß melodischer Stimme,

Und dabei leuchtet sein Antlitz hell:

»Ich habe einen von Seehundsfell.«

 

 

Johannistrieb

Lodernd Feuer in den Blicken,

In der Haltung stolze Ruh;

Deines Hauptes leises Nicken

Winkt mir teure Gnade zu;

Ach, und deines Mundes Worte

Ziehn durch eine Siegespforte

Mir in Hirn und Busen ein –

Laß mich ganz dein eigen sein!

 

Siegsgewiß ist deine Haltung

Von der Büste hoch und frisch

Bis zur himmlischen Gestaltung

Deines Füßchens unterm Tisch ...

Meine ganze Seele zittert

Wie der Tiger, welcher wittert

Fernher den an einen Pflock

Angebundnen Ziegenbock.

 

 

Stille Befürchtung

Seit ich dir mein ganzes Herz entladen,

Peinigt mich geheimnisvolles Weh:

Morgens drängt's mich seltsam, mich zu baden;

Abends treibt's mich mächtig ins Café;

 

Nachts umgaukeln mich verrückte Träume

Daß die Seele bang um Hilfe schreit;

Eng bedrücken mich des Himmels Räume,

Die Gewänder werden mir zu weit;

 

Vor den Augen schwirrt ein schwarzer Falter –

Sprich, o sprich, wie soll ich das verstehn!

's ist ein heimlich zartes Knospenalter;

Doch nicht Liebe scheint mir aufzugehn.

 

 

Sehnsucht

Und sei mir noch so traurig auch zu Sinn,

Ich will's nicht glauben, daß ich elend bin.

Der Fluch, das Leid, das mich zugrund gerichtet,

Am Ende war ja alles nur erdichtet.

 

Die Phantasie treibt oft ihr Possenspiel.

Schon manchen hob sie, der zu Boden fiel,

Im Geist empor. Schon manchen aus den Höhen

Des Himmels ließ sie Schreck und Unheil sehen.

 

Laß ab von mir, du große Zauberin!

Erbarm dich mein, entschleire meinen Sinn!

Zerteil die Nacht, mit der du mich geschlagen –

O Sonnenglanz des Glücks, wann wirst du tagen!

 

 

Christine

Bessern soll ich mich? – O Himmel,

Wie werd ich wohl besser!

Eher reiten schwarze Schimmel

Weiße Menschenfresser,

 

Eh daß solch ein Kauz wie ich

In sich geht und bessert sich.

 

Nein, mein Fräulein, ich verzichte

Auf die Tugendpalme;

Schreibe meine Mordgedichte

Tief im Tabaksqualme,

 

Bis der Satan kommt und spricht:

Fort mit dir, du Bösewicht!

 

Ja, der Teufel wird mich holen

Früher oder später,

Und ich Ärmster muß verkohlen

Unter Schmerzgezeter;

 

Haut und Haar und Fleisch und Bein,

Alles muß gebraten sein.

 

Sie indessen wandeln lieblich

In der Engel Scharen,

Blumen tragend, wie dort üblich,

In gelockten Haaren,

 

Und das ganze Angesicht

Angestrahlt vom Himmelslicht.

 

Sehn Sie nun, wie weit geschieden

Unsre beiden Pfade:

Ihnen eines Gartens Frieden,

Mir die Barrikade,

 

Wo man sich bei jedem Schritt

Auf die Hühneraugen tritt.

 

Ihnen freundliche Erbarmung,

Mir der Waffen Blinken

Und des wilden Bärs Umarmung,

Ihnen seine Schinken,

 

Mir des Feinds entmenschter Streit,

Ihnen seine Menschlichkeit!

 

 

Das Lied vom armen Kind oder

Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Es war einmal ein armes Kind,

Das war auf beiden Augen blind,

Auf beiden Augen blind;

Da kam ein alter Mann daher,

Der hört auf keinem Ohre mehr,

Auf keinem Ohre mehr.

Sie zogen miteinander dann,

Das blinde Kind, der taube Mann,

Der arme, alte, taube Mann.

 

So zogen sie vor eine Tür,

Da kroch ein lahmes Weib herfür,

Ein lahmes Weib herfür.

Bei einem Automobilunglück

Ließ sie ihr linkes Bein zurück,

Das ganze Bein zurück.

Nun zogen weiter alle drei,

Das Kind, der Mann, das Weib dabei,

Das arme, lahme Weib dabei.

 

Ein Mägdlein zählte vierzig Jahr,

Derweil sie stets noch Jungfrau war.

Noch keusche Jungfrau war.

Um sie dafür zu strafen hart,

Schuf Gott ihr einen Knebelbart,

Ihr einen Knebelbart.

Sie flehte: Laßt mich mit euch gehn,

Ihr Lieben, laßt mich mit euch gehn,

So wird noch Heil an mir geschehn!

 

Am Wege lag ein räudiger Hund,

Der hatte keinen Zahn im Mund,

Nicht einen Zahn im Mund;

Fand er mal einen Knochen auch,

Er bracht ihn nicht in seinen Bauch.

Ihn nicht in seinen Bauch.

Nun trabte hinter den anderen vier,

Wiewohl es am Verenden schier,

Das alte, räudige Hundetier.

 

Ein Dichter lebt' in tiefster Not,

Er starb den ewigen Hungertod,

Den ewigen Hungertod.

Mit Herzblut schrieb er sein Gedicht,

Man druckt es nicht, man liest es nicht,

Und niemand kennt es nicht.

Sein Leib war krank, sein Geist war wund,

Drum schloß er mit dem räudigen Hund

Der Freundschaft heiligen Seelenbund.

 

Und dann schrieb er zu aller Glück

Ein wundervolles Theaterstück,

Ein wundervolles Stück,

In welchem die Personen sind

Der taube Mann, das blinde Kind,

Das arme, blinde Kind,

Das lahme Weib, die Jungfrau zart

Mit ihrem langen Knebelbart,

Die Jungfrau mit dem Knebelbart.

 

Und eh die nächste Stund entflohn,

Konnt jeder seine Rolle schon,

Die ganze Rolle schon.

Verständnisvoll führt die Regie

Das alte, räudige Hundevieh,

Das räudige Hundevieh.

Drauf ward das Schauspiel zensuriert

Und einstudiert und aufgeführt

Und ward ganz prachtvoll kritisiert.

 

Die Künstler fanden viel Applaus,

Man spannt dem Hund die Pferde aus

Und zieht ihn selbst nach Haus.

Da gab's nun auch Tantiemen viel

Und hohe Gagen für das Spiel,

Das ungemein gefiel. –

Nachdem sie ganz Europa sah,

Da reisten sie nach Amerika,

Nach Nord- und Südamerika.

 

Nun hört zum Schluß noch die Moral:

Gebrechen sind oft sehr fatal,

Sind manchmal eine Qual;

Frau Poesie schafft ohne Graus

Beneidenswertes Glück daraus,

Sie schafft das Glück daraus.

Dann schwillt der Mut, dann schwillt der Bauch,

Und sei's bei einer Jungfrau auch. –

So ist's der Menschheit guter Brauch.

 

 

Tiefer Friede

Die Tage verblassen, die Stunden zergehn,

Die Waffen rasten und rosten;

Ich bin von vorn und von hinten besehn

Ein armer verlorener Posten.

 

Es kreisen die Dohlen, es kriecht das Gewürm,

Die Menschen hassen und lieben;

Ich bin wie ein alter Regenschirm

In Gedanken stehen geblieben.

 

Staub deckt meine Falten, es wackelt der Knauf,

Es wankt das Skelett unterm Knaufe;

Ich wollte, des Schicksals Hand spannte mich auf

Und hielte mich unter die Traufe.

 

 

Die Hunde

Elegie

 

Es waren einmal zwei Hunde,

Wie war das Herz ihnen schwer!

Sie liefen wohl eine Stunde

Hintereinander her.

 

Sie hofften, in liebendem Bunde

Werd ihnen leicht und frei,

Und waren doch nur zwei Hunde,

Und keine Hündin dabei.

 

Das ist die soziale Misere,

Die Sphinx in der Hundewelt,

Daß man vom Hundeverkehre

Die Hündinnen ferne hält.

 

Die Hündinnen werden ja häufig

Gleich nach der Geburt ersäuft,

Und wird eine Hündin läufig,

Verhindert man, daß sie läuft.

 

Man läßt sie aus ihrem Kerker

Tag und Nacht nicht heraus;

Knurrend liegt Bella im Erker

Zu Füßen der Tochter vom Haus.

 

Lisettchen starrt in die Zeilen

Und zittert wohl mit den Knien,

Zuckt mit den Lippen bisweilen,

Und beide denken an ihn.

 

Wallt man im Familienvereine

Sonntags vors Tor hinaus,

Bella geht an der Leine

Zugleich mit der Tochter vom Haus.

 

Hier rücken heran die Studenten,

Dort naht sich Nero galant;

Wie wird von beiden Enden

Die arme Leine gespannt!

 

In einem Rudel Hunde

Kam schließlich man überein,

Es möge nun in der Runde

Jeder mal Hündin sein.

 

Das Auge, angstvoll, trübe,

Schweift ferne zum Horizont,

Als spräch's: Und das hat der Liebe

Himmlische Macht gekonnt.

 

Der kleine Fritz ging vorüber

Und sagte: »Lieber Papa,

Sage mir doch, du Lieber,

Was machen die Hunde da?«

 

Papa entgegnet: »Das nennt man,

Darf dir nicht sagen wie;

An diesen Greueln erkennt man

Das lausige Hundevieh.«

 

 

Autodafé

Du ketzerische Liederbrut,

Ihr Schelme, ihr perfiden Schwätzer,

Aufwiegler ihr für Fleisch und Blut,

Ihr losen, liederlichen Ketzer,

 

Habt acht, euch droht ein Glaubensakt:

Schon steht der Holzstoß hoch geschichtet;

Erbarmungslos hinaufgepackt

Wird, was ich frechen Sinns gedichtet.

 

Empor zum klaren Ätherraum

Hebt sich das Flammenspiel des Brandes:

Ein Totenopfer wüstem Traum,

Die Siegesfackel des Verstandes!

 

 

Alte Liebe

Ich hab dich lieb, kannst du es denn ermessen,

Verstehn das Wort, so traut und süß?

Es schließet in sich eine Welt von Wonne,

Es birgt in sich ein ganzes Paradies.

 

Ich hab dich lieb, so tönt es mir entgegen,

Wenn morgens ich zu neuem Sein erwacht;

Und wenn am Abend tausend Sterne funkeln,

Ich hab dich lieb, so klingt die Nacht.

 

Du bist mir fern, ich will darob nicht klagen,

Dich hegen in des Herzens heil'gem Schrein.

Kling fort, mein Lied! Jauchz auf, beglückte Seele!

Ich hab dich lieb, und nie wirds anders sein.

 

 

Eifersucht

Und wieder seh ich neu entfacht

Die düstre Glut, die treu du hegst

Auf deinem Herd, zur Flammenpracht,

Dein Herz erleuchtend Nacht für Nacht,

Wenn du zur Ruh dich legst.

 

Kaum atme ich still, so kräuselt mild

Erwartung deiner Lippen Saum;

Dann fühl ich selbst, wie jenes Bild

Die lechzende Seele dir erfüllt

Mit grausigem Wundertraum.

 

Tief in die weichen Kissen schmiegt

Sich wollustbebend deine Gestalt.

In kurzem Ringen unterliegt

Dein Pflichtgefühl, und im Sturme siegt

Die grabentstiegene Gewalt.

 

 

Lulu

Ich liebe nicht den Hundetrab

Alltäglichen Verkehres;

Ich liebe das wogende Auf und Ab

Des tosenden Weltenmeeres.

 

Ich liebe die Liebe, die ernste Kunst,

Urewige Wissenschaft ist,

Die Liebe, die heilige Himmelsgunst,

Die irdische Riesenkraft ist.

 

Mein ganzes Innre erfülle der Mann

Mit Wucht und mit seelischer Größe.

Aufjauchzend vor Stolz enthüll ich ihm dann,

Aufjauchzend vor Glück meine Blöße.

 

 

Pirschgang

Laßt mich schnobern, laßt mich schnüffeln

Durch die Stille der Wälder fort.

Schon wittre ich das schwellende Fleisch der Trüffeln,

Der saftigen Brünetten von Perigord.

 

Hier ist der Ort. Ich wetze die Hauer,

Ich bohre den Rüssel wohl in den Grund –

Wie macht doch Arbeit das Leben sauer,

Die Seele krank und die Glieder wund!

 

Gierig verschling ich die prickelnden Früchte,

Bis mich der Satan im Rücken kneipt –

Es ist die alte Passionsgeschichte,

Daß unsere Freude sich selbst entleibt.

 

Sie läßt sich erjagen, sie läßt sich haschen,

Die Pulse fliegen, das Herz schlägt wild.

Und zieht man die Himmelstochter auf Flaschen,

Sie schwindet dahin wie ein Schattenbild. –

 

Noch eine der haltbarsten Delikatessen

Ist frischer Lippen flammender Kuß;

Der Hunger steigert sich mit dem Essen,

Und im Genießen wächst der Genuß.

 

 

An einen Hypochonder

Du runzelst die Stirne,

Du wetterst und schreist,

Dieweil mit der Birne

Den Wurm du verspeist.

 

Was folgst du empfindlich

Der grausigen Spur?

Erfreu dich doch kindlich

Der reichen Natur.

 

Je herber dein Liebchen,

Um so süßer sein Kuß,

Und je kleiner sein Stübchen

Desto größer dein Genuß.

 

 

Die sieben Heller

Großer Gott im Himmel, sieben

Heller sind mir noch geblieben!

Was nur fang ich armer Mann

Mit den sieben Hellern an.

 

Tod und Teufel, wären's zwanzig,

Tanzte gleich noch einen Tanz ich

Auf der Bühne buntbemalt,

Wo man zwanzig Heller zahlt!

 

Wären's fünfzehn! – Einen Teller

Wurst kauft man für fünfzehn Heller.

Hungrig bin ich sowieso;

Eine Wurst macht lebensfroh.

 

Ach, und wären's auch nur zehne!

Ein Schluck Bier, den ich ersehne,

Ist er gleich ein wenig klein,

Muß für zehne käuflich sein.

 

Aber sieben, sieben ganze

Rote Heller, nicht zu Tanze,

Nicht zu Wurst und nicht zu Bier,

Gar zu nichts verwendbar mir –!

 

Lehr mich du, o Fürst der Hölle,

Was tätst du an meiner Stelle,

Wenn im Beutel du zuletzt

Nur noch sieben Heller hättst? –

 

Alsbald zieht der große Weise

Seine düstren Zauberkreise,

Spuckt nach rechts und links und spricht:

Hör mich an, du armer Wicht!

 

Kommt bei Wettersturm und Regen

Dir ein Bettelkind entgegen,

Schwarz von Auge, schwarz von Haar,

Busen im Entwicklungsjahr,

 

Wirf ihr deine sieben Heller

In des Hemdes losen Göller,

Sag ihr, sie sei engelschön,

Schweig und heiß sie weitergehn!

 

Du hast Freude, sie hat Freude,

Freuen werdet ihr euch beide;

Meine Freude hab auch ich,

Segne und belohne dich!

 

 

Der Zoologe von Berlin

Hört ihr Kinder, wie es jüngst ergangen

Einem Zoologen in Berlin!

Plötzlich führt ein Schutzmann ihn gefangen

Vor den Untersuchungsrichter hin.

Dieser tritt ihm kräftig auf die Zehen,

Nimmt ihn hochnotpeinlich ins Gebet

Und empfiehlt ihm, schlankweg zu gestehen,

Daß beleidigt er die Majestät.

 

Dieser sprach: »Herr Richter, ungeheuer

Ist die Schuld, die man mir unterlegt;

Denn daß eine Kuh ein Wiederkäuer,

Hat noch nirgends Ärgernis erregt.

Soweit ist die Wissenschaft gediehen,

Daß es längst in Kinderbüchern steht.

Wenn Sie das auf Majestät beziehen,

Dann beleidigen Sie die Majestät!

 

Vor der Majestät, das kann ich schwören,

Hegt ich stets den schuldigsten Respekt;

Ja, es freut mich oft sogar zu hören,

Wenn man den Beleidiger entdeckt;

Denn dann wird die Majestät erst sehen,

Ob sie majestätisch nach Gebühr.

Deshalb ist ein Mops, das bleibt bestehen,

Zweifelsohne doch ein Säugetier.

 

Ebenso hab vor den Staatsgewalten

Ich mich vorschriftsmäßig stets geduckt,

Auf Kommando oft das Maul gehalten

Und vor Anarchisten ausgespuckt.

Auch wo Spitzel horchen in Vereinen,

Sprach ich immer harmlos wie ein Kind.

Aber deshalb kann ich von den Schweinen

Doch nicht sagen, daß es Menschen sind.

 

Viel Respekt hab ich vor dir, o Richter,

Unbegrenzten menschlichen Respekt!

Läßt du doch die ärgsten Bösewichter

In Berlin gewöhnlich unentdeckt.

Doch wenn hochzurufen ich mich sehne

Von dem Schwarzwald bis nach Kiautschau,

Bleibt deshalb gestreift nicht die Hyäne?

Nicht ein schönes Federvieh der Pfau?«

 

Also war das Wort des Zoologen,

Doch dann sprach der hohe Staatsanwalt;

Und nachdem man alles wohl erwogen,

Ward der Mann zu einem Jahr verknallt.

Deshalb vor Zoologie-Studieren

Hüte sich ein jeder, wenn er jung;

Denn es schlummert in den meisten Tieren

Eine Majestätsbeleidigung.

 

 

Der Lehrer von Mezzodur

In Mezzodur war ein Lehrer,

Sigmund Zus war er genannt,

Als ein braver Mann geachtet,

In der Gegend wohlbekannt.

 

Er war Gatte und auch Vater

Von drei Kindern, noch so klein;

Leider lebte er nicht glücklich,

Denn die Eh ward ihm zur Pein.

 

Ein Verdacht regt sich im Herzen,

Seine Frau sei ungetreu,

Daß ein andrer, nicht er selber,

Vater seiner Kinder sei.

 

Und von Eifersucht gepeinigt

Lebte fürder er dem Wahn;

Als er sich betrogen glaubte,

Reifte leider rasch der Plan.

 

Eines Nachts zwang er die Gattin,

Daß sie ein Bekenntnis schrieb,

Das er selber ihr diktierte

Und ihr Todesurteil blieb.

 

Als sie drin den Vater nannte

Ihrer Kinder – ach! o Gott! –

Schoß er die drei armen Kleinen

In dem Bett mit Kugeln tot.

 

Darauf hat er sie gezwungen,

Sich zu legen auf das Bett,

Hat sie dann auch umgebrungen,

Wie sie ihn auch angefleht.

 

Er legt' nun selber Hand an sich

Und endete dann fürchterlich.

Das Dienstmädchen, das zugegen war,

Mußte leuchten mit dem Licht

Und erzählt's mit Grauen und Entsetzen

Dem Gericht.

 

 

Allbesiegerin Liebe

Kind, jetzt stehst du auf der Höhe

Der Kultur, das ist gewiß;

Du hast Wanzen, Läuse, Flöhe

T . . . ., S . . . ., S . .