usw.

 

 

Das Lied vom gehorsamen Mägdlein

Die Mutter sprach in ernstem Ton:

»Du zählst nun sechzehn Jahre schon;

Drum, Herzblatt, nimm dich stets in acht,

Besonders bei der Nacht.

Verlier dich von dem Lebenspfad

Nie seitwärts ins Geheg.

Geh immer artig kerzengrad

Den goldenen Mittelweg.«

 

Da kommt nun in der Dämmerstund

Des Pulvermüllers Heinrich und

Küßt mich – mir ward gleich angst und bang –

Wohl auf die rechte Wang:

»O Heinrich, das verbitt ich mir;

Sieht's Mutter, setzt es Schläg'.

Am allerbesten wählen wir

Den goldenen Mittelweg.«

 

Und plötzlich schreit er glutentflammt:

»Ich führe dich zum Standesamt! –«

»Schweig«, sag ich, »unverschämter Wicht;

Dahin bringst du mich nicht!« –

Da flüstert er und freut sich schier,

Weil ich's mir überleg:

»Nun gut, mein Schatz, dann wählen wir

Den goldenen Mittelweg.«

 

Und wenn ich nun zur Ruh mich leg,

Mir träumt vom goldenen Mittelweg;

Mein Spielzeug macht mir kein Pläsier,

Ich gäb es gern dafür,

Gäb meine Schuh, mein Röcklein fein,

Weiß Gott, ich gäb noch mehr;

Hätt nie geglaubt, daß ich solch ein

Gehorsam Mägdlein wär.

 

 

Der blinde Knabe

O ihr Tage meiner Kindheit,

Nun dahin auf immerdar,

Da die Seele noch in Blindheit,

Noch voll Licht das Auge war:

Meine Blicke ließ ich schweifen

Jedem frei ins Angesicht;

Glauben galt mir für Begreifen

Und Gedanken kannt ich nicht.

 

Ich begann jedoch zu sinnen

Und zu grübeln hin und her,

Und in meiner Seele drinnen

Schwoll ein wildempörtes Meer.

Meine Blicke senkt ich nieder,

Schaute tief in mich hinein

Und erhob sie nimmer wieder

Zu dem goldnen Sonnenschein.

 

Mußt ich doch die Welt verachten,

Die mir Gottes Garten schien,

Denn die Guten läßt er schmachten,

Und die Bösen preisen ihn.

Freude, Lust und Ruh vergehen –

Oh, wie wohl war einst dem Kind!

Meine Seele hat gesehen,

Meine Augen wurden blind!

 

 

 

Sommer

 

Die Wetterfahne

Du auf deinem höchsten Dach,

Ich in nächster Nähe;

Doch die wahre Liebe, ach,

Schwankt in solcher Höhe,

Du in deinem Herzen leer,

Ich in blindem Wahne –

Dreh dich hin, dreh dich her,

Schöne Wetterfahne!

 

Unterhaltend pfeift der Wind,

Saust uns um die Ohren;

Von des Himmels Freuden sind

Keine noch verloren!

Glaubst du, daß verliebt ich bin,

Weil ich dich ermahne?

Dreh dich her, dreh dich hin,

Schöne Wetterfahne!

 

Drehn wir uns auf hohem Turm

Immer frisch und munter!

Ach, der erste Wintersturm

Schleudert dich hinunter.

Wenn dann auch verflogen wär,

Was ich jetzt noch ahne ...

Dreh dich hin, dreh dich her,

Schöne Wetterfahne!

 

 

Abschied

Glück und Segen und alles Gute

Gieß dir hernieder ein schützender Stern;

Könnt ich's erkaufen mit meinem Blute,

Oh, wie erkauft ich es dir so gern.

 

Freu dich sorglos der sonnigen Tage!

Klarblauer Himmel verkläret den Blick;

Aber mit weicher melodischer Klage

Dämpfe die Schmerzen im Mißgeschick.

 

Durch die Täler und über die Höhen

Wandr ich indessen die steinige Bahn;

Fernher winkendes Wiedersehen

Spornt die ermüdeten Schritte an.

 

Breitet sich abends dann mir zu Füßen

Reich die herrliche Lenzesflur,

Drüben die dunklen Berge grüßen

Und der Flüsse leuchtende Spur.

 

Seh ich's alles weit übergossen

Von der sinkenden Sonne Glut,

Oh, wie wird mir das Herz erschlossen,

Dein gedenkend mit neuem Mut.

 

Dein gedenkend, steig ich zu Tale,

Nacht umfängt mich mit düstren Wehn;

Aber im Morgensonnenstrahle

Weiß ich ein freudiges Wiedersehn.

 

 

Konfession

Freudig schwör ich es mit jedem Schwure

Vor der Allmacht, die mich züchtigen kann;

Wie viel lieber wär ich eine Hure

Als an Ruhm und Glück der reichste Mann!

 

Welt, in mir ging dir ein Weib verloren,

Abgeklärt und jeder Hemmung bar.

Wer war für den Liebesmarkt geboren

So wie ich dafür geboren war?

 

Lebt ich nicht der Liebe treu ergeben

Wie es andre ihrem Handwerk sind?

Liebt ich nur ein einzig Mal im Leben

Irgendein bestimmtes Menschenkind?

 

Lieben? – Nein, das bringt kein Glück auf Erden.

Lieben bringt Entwürdigung und Neid.

Heiß und oft und stark geliebt zu werden,

Das heißt Leben, das ist Seligkeit!

 

Oder sollte Schamgefühl mich hindern,

Wenn sich erste Jugendkraft verliert,

Jeden noch so seltnen Schmerz zu lindern,

Den verwegne Phantasie gebiert?

 

Schamgefühl? – Ich hab es oft empfunden;

Schamgefühl nach mancher edlen Tat;

Schamgefühl vor Klagen und vor Wunden;

Scham, wenn endlich sich Belohnung naht.

 

Aber Schamgefühl des Körpers wegen,

Der mit Wonnen überreich begabt?

Solch ein Undank hat mir fern gelegen,

Seit mich einst der erste Kuß gelabt!

 

Und ein Leib, vom Scheitel bis zur Sohle

Allerwärts als Hochgenuß begehrt ...

Welchem reinern, köstlichern Idole

Nachzustreben, ist dies Dasein wert?

 

Wenn der Knie leiseste Bewegung

Krafterzeugend wirkt wie Feuersglut,

Und die Kraft, aus wonniger Erregung

Sich zu überbieten, nicht mehr ruht;

 

Immer unverwüstlicher und süßer,

Immer klarer im Genuß geschaut,

Daß es statt vor Ohnmacht dem Genießer

Nur vor seiner Riesenstärke graut ...

 

Welt, wenn ich von solchem Zauber träume,

Dann zerstiebt zu nichts, was ich getan;

Dann preis ich das Dasein und ich bäume

Zu den Sternen mich vor Größenwahn! – – –

 

Unrecht wär's, wollt ich der Welt verhehlen,

Was mein Innerstes so wild entflammt,

Denn vom Beifall vieler braver Seelen

Frag ich mich umsonst, woraus er stammt.

 

 

Der Taler

Blitzt der Taler im Sonnenschein,

Blitzt dem Kind in die Augen hinein,

Über die Wangen rollen die Tränen.

Mutter zieht gar ein ernst Gesicht:

Vor dem Taler, Schatz, fürchte dich nicht;

Nach dem Taler sollst du dich sehnen.

 

Sieh, mein Herzblatt, auf Gottes Welt

Für uns Menschen gibt's nichts ohne Geld,

Hätt ich dich, Herzblatt, auch nicht bekommen.

Bist noch so unschuldig, noch so klein,

Willst doch täglich gefüttert sein,

Hast es mir selbst aus der Tasche genommen.

 

Darfst nicht weinen, bist all mein Glück;

Gibst mir's tausendfältig zurück.

Sieh, die goldene Sonne dort oben,

Brennt sie dir gleich deine Guckaugen wund,

Nährt und behütet den Erdenrund,

Daß alle Kreaturen sie loben.

 

Nach der Sonne in goldiger Pracht

Haben die Menschen ihr Geld gemacht;

Ohne das Geld muß man elend sterben.

Sonne ist Glück und Glück ist Geld;

Wem es nicht schon in die Wiege fällt,

Der muß es mühevoll sich erwerben.

 

Sieh, mein Herzblatt, den grünen Wald,

Drin der Vögel Gezwitscher erschallt;

Wie das so lieblich ist anzuschauen!

Hast du kein Geld für das morgige Brot,

Dir sind all die Vögelein tot,

Und der Wald ist ein schrecklich Grauen!

 

Geld ist Schönheit! Mit recht viel Geld

Nimmst du den Mann, der dir wohlgefällt,

Keinen Häßlichen, keinen Alten.

Sieh, der Reichen Hände, wie weiß!

Wissen nichts von Frost und von Schweiß;

Haben keine Schwielen noch Falten.

 

Bei uns Armen ist eins mal schön,

Aber nur im Vorübergehn;

Morgen schon ist zerrupft sein Gefieder.

Oder die Schönheit wird ihm zu Geld;

Kommt es hinauf in die große Welt,

Steigt es nicht leicht mehr zu uns hernieder.

 

Kind, hab acht auf wahren Gewinn:

Geld ist Freiheit, ist Edelsinn,

Menschenwürde und Seelenfrieden.

Alles kehrt sich zum goldenen Licht,

Warum sollen wir Menschen es nicht?

Dir, mein Kind, sei das Glück beschieden.

 

 

Der Anarchist

Reicht mir in der Todesstunde

Nicht in Gnaden den Pokal!

Von des Weibes heißem Munde

Laßt mich trinken noch einmal!

 

Mögt ihr sinnlos euch berauschen,

Wenn mein Blut zerrinnt im Sand.

Meinen Kuß mag sie nicht tauschen,

Nicht für Brot aus Henkershand.

 

Einen Sohn wird sie gebären,

Dem mein Kreuz im Herzen steht,

Der für seiner Mutter Zähren

Eurer Kinder Häupter mäht.

 

 

Zur Verlobung

Das Herz so voll, der Kopf so leer,

Ich finde nichts als Worte;

Sie tanzen auf, sie taumeln her,

Und stets am falschen Orte.

 

Das findt sich nicht, das reimt sich nicht;

Nur wirre Klagetöne.

Das gibt mir ewig kein Gedicht

An dich, du schlanke Schöne.

 

Du siehst, ich red auch nur von mir,

Statt deiner zu gedenken,

Wünsch weder Glück noch Segen dir,

Ich wollte dich beinah kränken.

 

Ich wollt ... o Gott, nun geht's nicht mehr,

Mein Aug' quillt mächtig über:

Ich wollt, daß ich ein andrer wär

Und dir ein wenig lieber.

 

 

Mein Lieschen

Mein Lieschen trägt keine Hosen

Schon seit dem ersten April,

Weil sie von der grenzenlosen

Hitze nicht leiden will.

 

Das gibt mir manches zu denken,

So dacht ich auch schon daran,

Ihr ein Paar Hosen zu schenken

Aus duftigstem Tarlatan.

 

Wie leicht kann sie sich beim Hupfen

Erkälten, eh sie's gedacht;

Und bleibt ihr auch nichts als ein Schnupfen,

Man nimmt sich doch lieber in acht.

 

 

Mein Käthchen

Mein Käthchen fordert zum Lohne

Von mir ein Liebesgedicht.

Ich sage: Mein Käthchen verschone

Mich damit, ich kann das nicht.

 

Ob überhaupt ich dich liebe,

Das weiß ich nicht so genau.

Zwar sagst du ganz richtig, das bliebe

Gleichgültig; doch, Käthchen, schau:

 

Wenn ich die Liebe bedichte,

Bedicht ich sie immer vorher,

Denn wenn vorbei die Geschichte,

Wird mir das Dichten zu schwer.

 

 

Morgenstimmung

Leise schleich ich wie auf Eiern

Mich aus Liebchens Paradies,

Wo ich hinter dichten Schleiern

Meine besten Kräfte ließ.

 

Traurig spiegelt sich der bleiche

Mond in meinem alten Frack;

Ach die Wirkung bleibt die gleiche,

Wie das Kind auch heißen mag.

 

Wilhelmine, Karoline,

's ist gesprungen wie gehupft,

Nur daß hier die Unschuldsmiene,

Dort dich die Routine rupft.

 

 

Der Prügelheini

Der Prügelheini, der ist mein Mann,

Der ist eine Menschenplage;

Der prügelt, was er mich prügeln kann,

Die Nächte sowie die Tage.

 

Heut mittag stürzt er noch auf mich los:

»Du bist mir untreu gewesen!

Das steht in Buchstaben riesengroß

Auf deiner Stirne zu lesen!« –

 

»Bei Gott, mein Heini, dir blieb ich treu!

Sonst steht mir nichts auf der Stirne.« –

Da schwang er seinen Prügel aufs neu:

»Dich schlag ich nieder, du Dirne!« –

 

Und als ich ihm zitternd zu Füßen sank,

Ich ärmste von allen Frauen,

Da warf er mich hin auf die Gartenbank

Und hat mich zusammengehauen.

 

 

Die Symbolistin

Dein Auge brennt, dein Atem fliegt,

Blaß bist du wie der Tod;

Und frag ich dich, woran das liegt,

Du wirst wie Blut so rot.

 

Dein Auge senkt sich grambesiegt,

Die Wimper glitzert naß;

Und frag ich dich, woran das liegt,

Du wirst wie Marmor blaß.

 

 

Der Symbolist

Eine mondbestrahlte, blasse Hand

Wand sich nachts aus seinen weißen Decken,

Daß, gelähmt in stummem, starrem Schrecken,

Er nur mühsam sich hinweg gewandt.

 

Jene blasse, mondbestrahlte Hand

Kehrte manchmal wieder – und im Weichen

Schrieb sie sich in geisterhaften Zeichen

In sein schreckensbleiches Nachtgewand.

 

 

Neue Liebe

Du Mädchen in des Lebens vollster Pracht

Hast mich zu lichtem Flammenmeer entfacht;

Das züngelt blutig bis ans Sternenzelt,

Von keinem Blick behütet und bewacht.

 

Und faßt die Flamme nicht die ganze Welt,

Wie dich und den, der dich umfangen hält?

Ein einz'ger Zwieklang durch den weiten Raum,

Der Jubel der vereinten Schöpfung gellt.

 

Vergangenheit wird uns ein düstrer Traum,

Am Horizont ein schwarzer Wolkensaum.

Doch auch das Glück, daraus mein Lied erschallt,

In seiner Göttlichkeit noch faß ich's kaum.

 

Bis daß mich deine irdische Gestalt,

Bis daß mich deiner Sinne Glutgewalt

Von jedem dumpfen Traumgewirr befreit

Durch nie geträumter Freuden Wirklichkeit.

 

 

Lebensregel

Du kannst einzig mit dem Guten

Dauernd gut Geschäfte machen.

Schlechte schuften und verbluten,

Schwindler jubeln und verkrachen.

 

Auf der ganzen Erde Gottes

Wird die Pflicht das Glück beneiden –

Doch am schönsten ist ein flottes

Todesringen zwischen beiden.

 

Nur beherzige die Lehre

Von der Wiege bis zum Grabe:

Der Besiegte hat die Ehre,

Den Besieger ehrt die Habe.

 

 

An Elka

Elka, länger kann ich mich nicht halten,

Meine Sinne toben allzu wild;

Und in allen weiblichen Gestalten

Seh ich schon dein Götterbild!

 

Auch im Traum bist du mir schon erschienen,

Dich entkleidend; oh wie ward mir da!

Schwindlig ward mir hinter den Gardinen,

Als ich deinen Busen sah.

 

Meine beiden Knie wurden brüchig,

Von der Stirne triefte mir das Fett.

Als das Hemd du abgetan, da schlich ich

Wonneschauernd an dein Bett.

 

Mach, daß dieser Traum sich bald erfülle;

Mach, erhabne Königin,

Daß bei dir ich vor Behagen brülle,

Nicht vor Wut, weil ich dir ferne bin.

 

 

Einkehr

Du stille Friedhofmauer,

Scheu tret ich bei dir ein.

Willst du nicht meiner Trauer

Schirmende Heimat sein?

 

In deinem tiefen Frieden,

In deinem kühlen Schoß

Wird allen Ruh beschieden,

Die krank und ruhelos.

 

Wo dunkle Stämme ragen

Um dichtumkränzten Stein,

Fernen vergangnen Tagen

Geb ich ein Stelldichein.

 

Süßselige heilige Schauer

Lösen mir Aug und Sinn –

Du stille Friedhofmauer,

Du meine Beschützerin,

 

Entflohn dem Weltgetriebe

Tret gern ich bei dir ein;

Willst du begrabener Liebe

Schirmende Heimat sein?

Sommer 1898

 

Ich, der alte Ahasver,

Habe große Eile,

Zu verscheuchen wünscht ich sehr

Ewig lange Weile:

Lenke wieder meine Bahn,

Endlos mir beschieden,

Nach dem alten Kanaan

Das ich lang gemieden.

 

Mir ist in der Ferne die Kunde geworden,

Es käme gezogen ein Herrscher von Norden,

Da setzt es vielleicht auch für mich einen Orden.

 

Rückwärts schweift mein Auge matt,

Reuevoll umdustert,

Nach der alten Judenstadt,

Drin ich einst geschustert,

Derart, daß mich heute noch

Gottes Welt verachtet,

Weil ich nicht den Braten roch,

Eh das Lamm geschlachtet!

 

Wär jener gekommen, wie dieser kommt heute,

Mit stolzem Gepränge und großem Geleite,

Ich wäre moralisch gegangen nicht Pleite!

 

Jener ritt die Eselin,

Dieser den Trakehner,

Ehr und Glück trägt dieser hin

Und sein Leben jener.

Durch der Rede reiches Wort

Einzig sind die beiden,

Und ihr Ziehn von Ort zu Ort

Nicht zu unterscheiden.

 

Was aber hilft tief mir im Busen die Reue!

Versagt ich denn jemals dem Herrscher die Treue?! –

Am Ende ereilt mich mein Unglück aufs neue!

 

Kam doch auch zu jener Zeit

Unter Kriegerscharen

In verbrämtem Purpurkleid

Einer angefahren! – –

Wenn der andre nun auch jetzt

Beim Erlöserwerke

Sich vor meine Türe setzt,

Ohne daß ich's merke?!

 

Von ihm stand kein Wort in der Zeitung geschrieben.

Ich hätt ihn ja sonst von der Bank nicht vertrieben!

Und darin ist alles beim alten geblieben. –

 

Ja, wir Menschen stolpern blind

Durch des Lebens Enge.

Oft ist leer wie Schall und Wind

Größtes Festgepränge.

Irrt man ehrfurchtsvollen Blicks,

Ehr und Macht zu suchen,

Kommt der Mächt'ge hinterrücks,

Einen zu verfluchen! –

 

Es wechseln nicht nur an der Börse die Größen! –

Nichts bleibt uns, inmitten von Püffen und Stößen,

Als ununterbrochen das Haupt zu entblößen.

 

 

Menschlichkeit

Der Mensch ist nackt geschaffen, ist nackt;

Daraus erklärt sich seine Vertracktheit.

Wird er vom Wind bei der Wolle gepackt,

Dann schämt er sich seiner kläglichen Nacktheit.

 

Dort, wo es dem rohen Pöbel graut,

Sind der Seele zarteste Saiten zu finden;

Hat einer gar eine durchschimmernde Haut,

Du sollst ihn nicht züchtigen, sondern ergründen.

 

Ist einer über und über behaart,

Dann magst du ihn nach Gefallen bewitzeln.

Kitzliche zu kitzeln ist Knabenart;

Ein Mann liebt vielmehr den Kitzelnden zu kitzeln.

 

 

Gott und Welt

Ich bin ein Mensch von Fleisch und Blut,

Ich fange keine Grillen;

Ich kann des Fleisches Durst so gut

Wie den der Seele stillen.

 

Ich schwinge brünstig mich empor

Zu Gott in schwacher Stunde;

Und werd ich stark, heb ich den Flor

Von heiliger Todeswunde.

 

Weit öffnet sich der Arme Paar

Gleich hellen Tempelpforten;

Ich knie schluchzend am Altar,

Ich bete nicht in Worten.

 

 

Brigitte B.

Ein junges Mädchen kam nach Baden,

Brigitte B. war sie genannt,

Fand Stellung dort in einem Laden,

Wo sie gut angeschrieben stand.

 

Die Dame, schon ein wenig älter,

War dem Geschäfte zugetan,

Der Herr ein höherer Angestellter

Der königlichen Eisenbahn.

 

Die Dame sagt nun eines Tages,

Wie man zur Nacht gegessen hat:

»Nimm dies Paket, mein Kind, und trag es

Zu der Baronin vor der Stadt.«

 

Auf diesem Wege traf Brigitte

Jedoch ein Individium,

Das hat an sie nur eine Bitte,

Wenn nicht, dann bringe er sich um.

 

Brigitte, völlig unerfahren,

Gab sich ihm mehr aus Mitleid hin.

Drauf ging er fort mit ihren Waren

Und ließ sie in der Lage drin.

 

Sie konnt es anfangs gar nicht fassen,

Dann lief sie heulend und gestand,

Daß sie sich hat verführen lassen,

Was die Madam begreiflich fand.

 

Daß aber dabei die Tournüre

Für die Baronin vor der Stadt

Gestohlen worden sei, das schnüre

Das Herz ihr ab, sie hab sie satt.

 

Brigitte warf sich vor ihr nieder,

Sie sei gewiß nicht mehr so dumm;

Den Abend aber schlief sie wieder

Bei ihrem Individium.

 

Und als die Herrschaft dann um Pfingsten

Ausflog mit dem Gesangverein,

Lud sie ihn ohne die geringsten

Bedenken abends zu sich ein.

 

Sofort ließ er sich alles zeigen,

Den Schreibtisch und den Kassenschrank,

Macht die Papiere sich zu eigen

Und zollt ihr nicht mal mehr den Dank.

 

Brigitte, als sie nun gesehen,

Was ihr Geliebter angericht',

Entwich auf unhörbaren Zehen

Dem Ehepaar aus dem Gesicht.

 

Vorgestern hat man sie gefangen,

Es läßt sich nicht erzählen, wo;

Dem Jüngling, der die Tat begangen,

Dem ging es gestern ebenso.

 

 

Meiner entzückenden Kollegin Mary I.

Von vorn besehn bist du die schönste Maid,

Die je mein Herz aus Liebesnot befreit;

Doch wenn du halb nur dich zur Seite kehrst,

Dann dünkt mich schon, daß du ein Knabe wärst.

Drum bleib ich wie dem Glücksrad stets dir nah,

Du – Venus Duplex Amathusia!

 

 

Marys Kochschule

Daß in deinem Engelsköpfchen

So viel Teufelei rumort,

Hätt ich nimmer ahnen können;

Aber deine Küsse brennen,

Wie kein Höllenfeuer schmort.

 

Deiner Seele heiße Sauce

Gießt sich prasselnd auf mich aus;

Mit den neusten Apparaten

Werd ich Ärmster ausgebraten,

Ein bejammernswerter Schmaus.

 

Schließlich öffnest du die Brust mir

Und transchierst mein dampfend Herz,

Weidest dich an seinem Pochen,

Wie's zerrissen und zerstochen

Und in Stücke sprang vor Schmerz.

 

 

Eroberung

Ach, sie strampelt mit den Füßen,

Ach, sie läßt es nicht geschehn,

Ach, noch kann ich ihren süßen

Körper nur zur Hälfte sehn;

Um die Hüfte weht der Schleier,

Um den Schleier irrt mein Blick,

Immer wilder loht mein Feuer,

Ach, sie drängt mich scheu zurück!

 

Mädchen, ich will nichts erzwingen;

Mädchen, gib mir einen Kuß;

Sieh, dich tragen eigne Schwingen

Durch Begierde zum Genuß.

Ach, da schmiegt sie sich und lächelt:

Deine Küsse sind ein Graus;

Und mit beiden Händen fächelt

Sie der Kerze Schimmer aus.

 

 

An eine grausame Geliebte

Hetz deine Meute weit über die Berge hin,

Sie kehrt wieder von Schweiß und von Staub bedeckt.

Gib ihr die Peitsche, gewaltige Jägerin,

Sieh, wie sie dir winselnd die Füße leckt!

 

Eh der Bann zerreißt, eh die Koppel in Stücke springt,

Eh die Brut dir entgegensteht, wenn dein Hifthorn klingt,

Eh dein Ohr ihn vernimmt, aus der Seele den dumpfen Schrei,

Eh reißen Sehnen und Adern und Herz entzwei.

 

Schwing deine Peitsche! Dein gellendes Halali

Tönt wie des Todes wilder Triumphgesang.

Das Auge, blutunterlaufen, sterbensbang,

Späht nach dem Wild deiner Lust und erblickt es nie ...

 

 

Schweig und sei lieb

Als du, mein Held, zum ersten Male mir

Im lichterfüllten Saal entgegentratest

Und lächelnd, fast mit kindlichem Gezier,

Um einen Walzer mich verlegen batest,

Weißt du, was in des Morgens Dämmerstunden,

Eh dich mein Traum von neuem mir verbunden

Ich in mein Tagebuch errötend schrieb? –

 

Schweig und sei lieb!

 

Und als du gestern mir mit raschen Schritten

Nachjagtest – zum Befehl ward mir dein Ruf;

Als Kind hätt ich ihn nie so streng gelitten,

Da stets nur Trotz er mir im Herzen schuf –

Ahnst du, weshalb in fieberheißem Beben,

Weshalb ich rettungslos dir preisgegeben,

Weshalb ich stracks wie angekettet blieb? –

 

Schweig und sei lieb!

 

Von Wahnsinnsstürmen ward mein Sinn umhallt,

Mein Stolz erstarb, der sonst so siegesfrohe ...

Begreifst du die dämonische Gewalt,

Mein Held? Begreifst du, welch empörte Lohe,

Daß sie nicht sengend Herz und Hirn verzehre,

Mich dir mein Glück, mein Leben, meine Ehre,

Mich dir mein alles hinzugeben trieb? –

 

Schweig und sei lieb!

 

 

An Berta Maria, Typus Gräfin Potocka

Wie stapften wir einst als Kinder so stramm

Barfuß durch alle Pfützen

Und ließen uns den kalten Schlamm

Hoch über die Knie spritzen!

 

Wie einst als Kinder durch Hain und Flur,

So stapfen wir heut durchs Leben;

Der ganze Schlamm der modernen Kultur

Bleibt uns an den Beinen kleben.

 

Laß dir's nicht schaudern, was ist dabei!

Wir scheuen nicht Ottern und Nattern,

Solang nur der Kopf und die Brust noch frei

Und im Sturm deine Haare flattern!

 

 

Unterm Apfelbaum

Lieschen kletterte flink hinauf

Bis in die höchsten Äste,

Fing in der Schürze die Äpfel auf

Ihrer Mutter zum Feste.

 

Ich lag unten, verliebt und faul,

Auf dem Rücken im Grase;

Mancher Apfel fiel mir ins Maul,

Mancher mir auf die Nase.

 

Jetzt stand Lieschen auf starkem Ast,

Schelmisch sah sie hernieder;

Ihres Leibes liebliche Last

Wiegte sich hin und wieder.

 

Innig umschlungen hielten sich

Splitternackt ihre Füße,

Taten sich auf und befühlten sich –

Winkten mir tausend Grüße.

 

Durch das Röckchen sandte der Tag

Seine goldenen Strahlen,

Was darunter geborgen lag,

Farbenprächtig zu malen.

 

Schimmernd rings um die weiße Haut

Wob sich die gedämpfte Helle;

Welcher Meister hat je gebaut

Prächtiger eine Kapelle.

 

Kindlich faltet ich da die Händ',

Forderte heiß und brünstig:

Was kein irdischer Name nennt,

Werde dem Sünder günstig.

 

Sieh, und am nämlichen Abend schon,

Tief in die Kissen gebettet,

Wurden der kindlichen Bitte zum Lohn

Leib und Seele gerettet.

 

 

Schicksal

Stürme durchtoben die bange Brust;

Stürmisches Leid und stürmische Lust

Sausen hindurch mit schaurigem Wehen,

Schleudern mich aus des Mißgeschicks Nacht

Auf zu des Glückes sonnigen Höhen.

Sprachlos begaff ich die strahlende Pracht

Schau ich des Weibes hehre Gestalt,

Wie sie die Träume der Jugend verheißen,

Und es ergreift mich, mit blinder Gewalt

An die pochende Brust sie zu reißen.

Sie aber zieht mich auf schwellende Kissen,

Preßt mich an ihren üppigen Leib,

Und überwältigt von wilden Genüssen

Halt ich umklammert das schöne Weib.

 

Siehe da, gleich einem wogenden Meer

Wälzt sich gewaltig das Unglück her.

Jäh zerschmetternde Blitze flammen

Nieder aus düsterem Wolkenthron;

Über dem trunkenen Erdensohn

Schlagen die schäumenden Fluten zusammen. – –

 

Als die Sonne wiederum schien,

Gleitet ein Nachen darüber hin.

Schimmernd steigt aus der Wellen Gischt

Ein Regenbogen, der bald erlischt;

Von dem Verunglückten fand sich nischt.

 

 

Anwandlung

Wüßtest du, Mädchen, wie das tut,

Wenn dein Arm in dem seinen ruht,

Wenn du an seiner Seite hin

Wandelst in weltbeglückendem Sinn!

Wüßtest du, wie mich der Anblick foltert,

Wie mir der Wunsch in der Seele brennt:

Käm doch das himmlische Firmament

Über euch beide heruntergepoltert!

 

Wolken machen sich nichts daraus,

Wandern weiter und lachen mich aus,

Ob ich euch, ob ich ihnen fluche,

Ob ich mich selbst zu erdrosseln suche –

Schließlich nach langem qualvollem Bangen

Reichst du mir flüchtig die zuckende Hand,

Und das verwickelte Rosenband

Hält mich verdoppelt fester umfangen.

 

Kennst jene Hütte du tief im Wald,

Zweier Büßenden Aufenthalt?

Rings unter hohen rauschenden Bäumen

Wildes Kasteien und tiefes Träumen ...

Nun ich eben mein Bündel geschnürt,

Will mich dieser Gedanke nicht lassen;

Ach und mein Hirn mag es gar nicht fassen,

Daß mich mein Los schon von hinnen führt.

 

 

Albumblatt

Sei er noch so dick,

Einmal reißt der Strick.

Freilich soll das noch nicht heißen,

Daß gleich alle Stricke reißen.

 

Nein, im Gegenteil,

Mancher Strick bleibt heil.

 

 

Die Keuschheit

Schimmernd fülle sich der Teller,

Schimmernd bis zum Rand hinan;

Jeder spende seinen Heller

Gern dem alten Leiermann.

Manch ein Lied hab' ich gesungen,

Das euch tief ins Herz gedrungen;

Doch ein Lied wie dieses hier

Hörtet ihr noch nicht von mir.

 

Eines Abends in der Messe

Lauscht' er hinter ihrem Pult,

Mit erzwungner Totenblässe

Bat er sie um ihre Huld.

Von Madrid bis Kopenhagen

Hat er sich herumgeschlagen,

Tausend Mädchen schon verführt,

Kujoniert und angeschmiert.

 

Und sie bat, daß Gott ihr helfe,

Doch sein Odem war so warm,

Und dieselbe Nacht um elfe

Lag sie schon in seinem Arm.

Weidlich hat er sie belogen,

Hat das Hemd ihr ausgezogen;

Sie ward rot für ihr Geschlecht,

Doch das war ihm grade recht.

 

Als sie nun die Schmach erlitten,

Ward dem Ungeheuer klar,

Daß sie engelrein von Sitten

Und ihm zu gefühlvoll war.

Freilich konnt es ihn beglücken,

Eine frische Blume pflücken;

Für sein weiteres Pläsier

Fehlte die Verderbnis ihr.

 

Und er war wie umgewandelt,

Als ihr nun die Liebe kam;

Hat sie so infam behandelt,

Daß sie schier verging vor Scham;

Stieß sie aus den warmen Kissen,

Hat sie nackt hinausgeschmissen,

Warf ihr ihre Kleider nach,

Schloß die Tür mit einem Krach.

 

Auf dem Vorplatz unter Tränen

Zog sie sich die Strümpfe an,

Fluchte ihres Herzens Sehnen

Und verzieh dem rohen Mann;

Drauf ging sie in ihre Kammer,

Dort sank sie aufs Bett vor Jammer.

Schlug mit beiden Fäusten sich

Wund und weinte bitterlich.

 

Ist's nicht wirklich ein Entsetzen,

Daß es solche Männer gibt,

Die sich nicht mal mehr ergötzen,

Wo ein andrer kindlich liebt.

Weil sie ihre Liebe suchten

Bei den H-, den verfluchten,

Ist der Seele Klang verdumpft,

Ihr Empfinden abgestumpft.

 

In dem nächtlich stillen Garten

Sitzt die keusche Maid voll Gram,

Liebelechzend zu erwarten

Den Geliebten, der nicht kam.

Ach, sie meint, er müsse kommen,

Doch die Sterne sind verglommen

Und der sanfte Mond verblich,

Ohne daß ihr Kummer wich.

 

Und nun ward ihr immer schlimmer,

Immer toller jeden Tag,

Und sie lief ihm auf das Zimmer,

Als er noch zu Bette lag;

Sagt ihm gleich, wozu sie käme,

Daß er sie zur Dienstmagd nehme.

Wenn sie seiner Lust zu schlecht,

Alles, alles sei ihr recht.

 

Aber dieser Fürchterliche

Hatte keinen Trost für sie

Als verdrehte Bibelsprüche

Voll gesalzner Ironie;

Sich an ihrer Scham zu weiden

Zwang er sie, ihn anzukleiden,

Macht sie dabei, ohne Not,

Immer wieder purpurrot.

 

Als den Schlips sie ihm gebunden,

Gab der Mensch ihr einen Tritt

Und ein Schimpfwort ihrer wunden

Seele auf den Heimweg mit.

Doch als sie den Hut genommen,

Spielt er plötzlich dann den Frommen,

Sah sie an und sagte: Du,

Heute abend Rendez-vous!

 

Und sie trat am selben Abend

Wieder in die Wohnung ein,

Einen Strauß am Busen habend,

Denn sie wollte lieblich sein.

Gleich riß er ihn ihr vom Kleide,

Überreicht' ihn voller Freude

Einer Dirne, rotgelockt,

Die geschminkt im Lehnstuhl hockt.

 

Drauf tät er sie zärtlich bitten,

Aufzulösen sich ihr Haar;

Jene hat's ihr abgeschnitten,

Daß sie wie ein Knabe war.

Dann mußt sie das Kleid ablegen,

Ging einher, zum Herzbewegen:

Schuhe, Strümpfe, Höschen, Hemd,

Und der Scheitel links gekämmt.

 

Nun erhob sich die geschminkte,

Dekolletierte Schandperson,

Schlecht verbergend, daß sie hinkte,

Denn sie trieb es lange schon:

Komm, mein Page, und enthülle

Meiner Reize Zauberfülle

Diesem schönen jungen Herrn;

Ach, er hat mich gar zu gern!

 

Und sie tat es ohne Zucken,

Zog ihr selbst die Strümpfe ab,

Mußte all die Dünste schlucken,

Die das Scheusal von sich gab.

Mehrmals, bis das Werk vollendet,

Hat sie stumm den Kopf gewendet,

Hustete aus tiefster Brust,

Wurde beinah unbewußt.

 

Alsdann kam an ihn die Reihe,

Was ihr nicht so gräßlich war;

Leise wimmernd macht das treue

Kind ihn aller Kleidung bar;

Wollt ihm noch die Füße küssen,

Doch er hat sich losgerissen.

Und nun gab der edle Wicht

Ihr in jede Hand ein Licht.

 

So mußt sie sich aufrecht stellen,

Wo der Vorhang offen hing,

Um das Schauspiel zu erhellen,

Das vor ihr in Szene ging.

Durch die Bosheit angefeuert,

Hat er mehrmals es erneuert,

Immer tiefern Höllenschmerz

Bohrend in des Kindes Herz.

 

Treulich tät sich ihm vereinen

Das entmenschte Schauerweib,

Fand am Jammerblick der Kleinen

Teuflisch süßen Zeitvertreib,

Heuchelt, ihr ins Herz zu schneiden,

Außerordentliche Freuden,

Fraß mit Schluchzen und Geschrei

Einen Apfel auch dabei.

 

Als die Roheit sondergleichen

Keinen neuen Reiz mehr bot,

Ließ man sich die Kleider reichen,

Stellte sich dabei halb tot.

Nichts als Püffe, nichts als Tritte

Spürt das Kind bei jedem Schritte.

Drauf löscht er die Lichter aus,

Führt die Schandperson nach Haus.

 

Kommt zurück nach langer Pause,

Und das Mädchen ist noch da,

Denn sie wagt sich nicht nach Hause,

Weil sie so verändert sah;

Bat ihn, daß sie bleiben könnte,

Was er ihr denn auch vergönnte;

Ach, sie dachte nicht daran,

Was der Schreckensmensch ersann.

 

Nachdem er zu Bett gegangen,

Winkt er sie vom Diwan her,

Überreicht ihr einen langen

Scharfgeladenen Revolver.

Bittet kühl um den Gefallen,

Ihn sich vor den Kopf zu knallen,

Denn die Wirkung sei famos,

Und er sei sie endlich los.

 

Ohne etwas zu entgegnen,

Hob sie sich ihn an die Stirn,

Tät noch ihren Mörder segnen

Und durchschoß sich das Gehirn.

Lächelnd schmaucht er die Zigarre

Zum Entstehn der Totenstarre,

Geht dann, seiner Schandtat froh,

Nach dem Polizeibüro!

 

Und nun hat sie ausgelitten,

Diese Maid, die treu geliebt,

Dabei engelrein von Sitten,

Wie es keine zweite gibt.

Alle möge Gott verfluchen,

Wenn sie seine Gnade suchen,

Denn sie liebten nur das Fleisch;

Diese starb im Herzen keusch.

 

 

Das arme Mädchen

Böt mir einer, was er wollte,

Weil ich arm und elend bin,

Nie, und wenn ich sterben sollte,

Gäb ich meine Ehre hin!

Schaudernd eilt das Mädchen weiter,

Ohne Obdach, ohne Brot,

Das Entsetzen ihr Begleiter,

Ihre Zuversicht der Tod.

 

Es klappert in den Laternen

Des Winters eisig Wehn,

Am Himmel ist von den Sternen

Kein einziger zu sehn.

 

Wie sie nun noch eine Strecke

Weiter irrt, sieht sie von fern

An der nächsten Straßenecke

Einen ernsten, jungen Herrn.

Ihm zu Füßen auf die Steine

Bricht sie ohne einen Laut,

Hält umklammert seine Beine,

Und der Herr verwundert schaut:

 

»Wenn dich die Menschen verlassen,

Komm auf mein Zimmer mit mir;

Jetzt tobt in allen Gassen

Nur wilde Begier.«

 

Und sie folgte seinen Schritten,

Hielt sich schüchtern hinter ihm;

Jener hat es auch gelitten,

Wurde weiter nicht intim.

Angelangt auf seinem Zimmer

Zündet er die Lampe an,

Bei des Lichtes mildem Schimmer

Bald sich ein Gespräch entspann:

 

»Es boten mir wohl viele

Ein Obdach für die Nacht,

Doch hatten sie zum Ziele,

Was mich erschaudern macht.«

 

»Ferne sei mir das Verlangen«,

Sprach der ernste, junge Mann,

»Dir zu färben deine Wangen,

Wenn ich's nicht durch Güte kann.«

Bat sie, länger nicht zu weinen,

Holte Wurst und kochte Tee,

Und am Morgen zog er einen

Taler aus dem Portemonnaie.

 

Sie hat ihn bescheiden genommen

Und fand, eh der Tag vorbei,

Als Plätterin Unterkommen

In einer Wäscherei.

 

Aber ach, die Tage gingen

Und die Nächte freudlos hin,

Bluteswallungen umfingen

Ihren frommen Kindersinn.

Immer mußt sie sein gedenken,

Der so freundlich zu ihr war,

Immer mußt den Kopf sie senken

In der muntern Mädchenschar.

 

Und eines Abends um neune

Hielt sie's nicht aus,

Lief ganz alleine

Nach seinem Haus.

 

Er war noch nicht heimgekommen,

Sie verkroch sich unters Bett,

Bis sie seinen Schritt vernommen,

Wo sie gern gejubelt hätt.

Doch sie hielt sich still da unten,

Bis er sich zu Bett gelegt

Und den süßen Schlaf gefunden,

Dann erst hat sie sich geregt.

 

Leise wie eine Elfe

Schlupft sie zu ihm hinein:

»Daß Gott mir helfe –

Ich bin dein!«

 

Doch da hat er sich erhoben,

Wußte erst nicht, was geschah,

Hat die Kissen vorgeschoben,

Als das Kind er nackend sah:

»Nein, jetzt will ich dich nicht haben;

Wohl dir, daß du mir vertraut!

Aber spare deine Gaben,

Denn schon morgen bist du Braut!«

 

Er führte binnen acht Tagen

Sie wirklich zum Altar.

Es läßt sich gar nicht sagen,

Wie glücklich sie war.

 

 

Coralie

1.

Hüpfe nicht mit nacktem Fuße

In den tollen Gischt hinein;

Stürz dich in das Meer der Buße,

Wasch dir deine Seele rein.

 

Badst du doch an diesen Küsten

Deinen Busen marmorweiß,

Nur um dich damit zu brüsten

Abends im Bekanntenkreis.

2.

 

Wie dort durch der Brandung Zischen

Sich erstreckt der Hafendamm,

So erstrecke ich mich zwischen

Dich und deinem Bräutigam.

 

Auf neutralem Boden schlummern

Ist mir ein besondrer Reiz,

Wie das Leben zwischen Pummern

Und Palermo in der Schweiz.

 

Eisig krappelt's übern Rücken,

Schloßenschauer fühl ich nah;

Hingestreckt vor meinen Blicken

Feurig glüht Italia.

Selbstzersetzung

 

Hochheil'ge Gebete, die fromm ich gelernt,

Ich stellte sie frech an den Pranger;

Mein kindlicher Himmel, so herrlich besternt,

Ward wüsten Gelagen zum Anger.

 

Ich schalt meinen Gott einen schläfrigen Wicht;

Ich schlug ihm begeistert den Stempel

Heillosen Betrugs ins vergrämte Gesicht

Und wies ihn hinaus aus dem Tempel.

 

Da stand ich allein im erleuchteten Haus

Und ließ mir die Seele zerwühlen

Von grausiger Wonne, von wonnigem Graus:

Als Tier und als Gott mich zu fühlen.

 

Auch hab ich, den mördrischen Kampf in der Brust,

Am Altar gelehnt, übernachtet,

Und hab mir, dem Gotte, zu Kurzweil und Lust,

Mich selber zum Opfer geschlachtet.

 

 

 

Herbst

 

An die Kritik

Gelegentlich der Berliner Erstaufführung

von »Zensur«

 

Mir muß die Kritik sich wahrlich

Von den schönsten Seiten zeigen;

Zwanzig Jahr war sie beharrlich

Drauf erpicht, mich totzuschweigen.

 

Jetzt, nachdem ich, totgeschwiegen,

Mich zum Trotz ans Licht gerungen,

Speit sie rastlos giftige Lügen,

Unversieglich haßdurchdrungen.

 

Einmal wird sie doch verzichten

Und die klügere Richtung wählen:

Hilft ihr nichts, mich zu vernichten,

Wie wird sie mich dann – bestehlen!

 

 

An Franziska de Warens

Gestern dacht ich eines Kusses,

Wie ihn deine Mutter gab;

In Erinnrung des Genusses

Leckt ich mir die Lippen ab.

 

Ach das war so warm, so saftig,

Daß, ich weiß nicht, wie's geschah

Plötzlich ich sie ganz leibhaftig

Wieder bei mir sitzen sah;

 

Lauschte, wie sie sang und lachte,

Manch bedeutungsvolles Wort;

Aber als ich dein gedachte,

War sie plötzlich wieder fort.

 

 

Das Opfer

Wenn ich bei Tag mein Mädel mir beseh,

Dann seh ich einen kahlen Totenschädel,

Darunter ein Skelett, und seh mein Mädel

Gebrochen knien von schauerlichem Weh.

 

Sie schreit zum Schöpfer: »Laß mich Freudenquell

Nur schleunigst jetzt an ihm vorübergehen!

Sechs Monde noch, dann wär's um ihn geschehen.

Sein Mark wird mürb, der Tod vergafft sich schnell.«

 

»Mich wirft man auf den Mist, das ist normal;

Das Fleisch auf meinen Rippen ist Schimäre.

Ich gäb es, wenn mein liebend Herz nicht wäre,

Schon heute gern den Schlächtern im Spital!«

 

 

Enttäuschung

1.

Trübe Stunden schleichen sachte

Durch die stille Seele mir;

Glück, das ich zu haschen dachte,

Wie so ferne bin ich dir!

 

Mühsam schleppt sich meine Feder

Über ein zerknicktes Blatt,

Leis bewimmernd, was ein jeder

Einmal zu verschmerzen hat.

 

Wenn den alten Mut ich fände,

Fänd ich auch die alte Kraft –

Ach, die wundgestraften Hände

Sind auf lange Zeit erschlafft.

2.

 

Einst lag ich ausgestreckt in wachem Traum,

Ermüdet von der Arbeit langer Nächte,

Da frug ein Kuckucksruf aus hohem Baum,

Was sich das junge Herz wohl wünschen möchte.

 

Der Frage war die Antwort rasch bereit,

Nun durfte nichts mir die Erfüllung rauben,

Und eine unermeßne Seligkeit

Erwuchs mir aus dem frommen Kinderglauben.

 

Des Lebens Sommer ist derweil verblüht

Und Hoffnung sah um Hoffnung ich zerrinnen;

Aus meinem grellerleuchteten Gemüt

Schlich auch beschämt ein dunkler Wahn von hinnen.

 

In diesen Zeilen fand er Unterkunft;

Hier liegt er für des Lebens Rest begraben.

So wird der Mensch ein Krösus an Vernunft

Und, ach, wie bettelarm durch ihre Gaben!

Altes Lied

 

Es war einmal ein Bäcker,

Der prunkte mit einem Wanst,

Wie du ihn kühner und kecker

Dir schwerlich träumen kannst.

 

Er hat zum Weibe genommen

Ein würdiges Gegenstück;

Sie konnten zusammen nicht kommen,

Sie waren viel zu dick.

 

 

Franziskas Abendlied

Weiß die Mutter doch so gut,

Wann die Äpfel reifen.

Und ihr eigen Fleisch und Blut

Will sie nicht begreifen!

 

Wenn ich nicht so trostlos wär,

Ging's mir wohl um Treue;

Kommt das Glück von ungefähr,

Folgt ihm keine Reue.

 

Seht euch nur dies Leben an,

Hühner, Enten, Gänse –

Drüben schwingt der Schnittersmann

Schon die blanke Sense.

 

Baut ich auf den lieben Gott,

Baut auf meine Karten,

Ward bei beiden mir zum Spott,

Lernte fleißig warten!

 

Zwanzig Sommer sind vorbei,

Armes kurzes Leben –

Hast nun einen süßen Mai

Heimlich doch gegeben!

 

Ist die Nacht nicht gar so still,

Stiller wird's am Tage;

Weiß man einmal, was man will,

Scheut man keine Plage.

 

Mütterchen zergrübelt sich,

Streicht die weißen Haare,

Träumt so mancherlei für mich,

Träumt sich nicht das Wahre.

 

Schrecklich ist die Einsamkeit

Nur auf Gottes Erden.

Schön ist auch ein Glück zu zweit,

Will's zu dritt nicht werden.

 

Kommen viele Jahre noch,

Langes kaltes Sterben;

Durft ein einzig Mal ich doch

Um mein Schicksal werben!

 

Not und Schande, Angst und Pein,

Alles will ich tragen.

Wird es nur kein Mägdelein,

Will ich gar nicht klagen.

 

 

Bajazzo

Aus »König Nicolo«

 

Seltsam sind des Glückes Launen,

Wie kein Hirn sie noch ersann,

Daß ich meist vor lauter Staunen

Lachen nicht noch weinen kann!

 

Aber freilich steht auf festen

Füßen selbst der Himmel kaum,

Drum schlägt auch der Mensch am besten

Täglich seinen Purzelbaum.

 

Wem die Beine noch geschmeidig,

Noch die Arme schmiegsam sind,

Den stimmt Unheil auch so freudig,

Daß er's innig liebgewinnt!

 

 

Der Reisekoffer

Bei Tafel saßen in bunter Reih

Damen und Herren; auch saß dabei

Ein junger Mann von blassem Gesicht,

In Haltung und Ausdruck ernst und schlicht,

Durchaus bescheiden, zwar etwas gefräßig,

Aber schweigsam verhältnismäßig.

 

Und wie ein Bach in der Sonne Blinken

Glitt das Gespräch zwischen Scherzen und Trinken.

Man sprach über dieses, man sprach über jenes,

Man sprach über Nützliches, über Schönes,

Und kam über Unfälle und Verbrechen

Schließlich auf Reisekoffer zu sprechen.

 

Da waren nun, wie das so geht hienieden,

Urteil und Ansichten sehr verschieden;

Die Damen lobten die großen, schweren,

Bequem zu packen und rasch zu leeren,

Ohne daß dabei die Toilette

Jemals Schaden genommen hätte.

 

Den Herren hingegen wollte es scheinen,

Angenehmer wären die kleinen,

Die leichten, zusammengeklappten Dinger;

Man könne sie heben mit einem Finger –

Unser Jüngling in guter Ruh

Kaut seinen Bissen und schweigt dazu.

 

Und wie im Schilfe der schaukelnde Nachen

Glitt das Gespräch zwischen Scherzen und Lachen

Von Reisekoffern auf ferne Gefilde

Im schönen Italien, auf Kunstgebilde

Und dann auf das Glück, auf das Glücklicherscheinen

Sowie auf die Liebe im allgemeinen.

 

Unser Jüngling kaut wacker fort,

Hört von dem allen kein Sterbenswort;

Seine Gedanken, begreiflicherweise

Dämmern so weiter im alten Gleise.

Und wie er sich abmüht mit düstrer Stirn,

Löst sich ein Etwas in seinem Hirn

Und klettert herab, und erreicht seine Zung

Und wird nun allmählich zur Äußerung.

Und er tut den Mund auf, er winkt mit der Hand –

Die Damen im Kreise lauschen gespannt,

Die Herren verstummen von Reminiszenzen

Aus schwülen Garderoben mit welkenden Kränzen;

Alles starrt in verhaltenem Grimme,

Und er flötet mit süß melodischer Stimme,

Und dabei leuchtet sein Antlitz hell:

»Ich habe einen von Seehundsfell.«

 

 

Johannistrieb

Lodernd Feuer in den Blicken,

In der Haltung stolze Ruh;

Deines Hauptes leises Nicken

Winkt mir teure Gnade zu;

Ach, und deines Mundes Worte

Ziehn durch eine Siegespforte

Mir in Hirn und Busen ein –

Laß mich ganz dein eigen sein!

 

Siegsgewiß ist deine Haltung

Von der Büste hoch und frisch

Bis zur himmlischen Gestaltung

Deines Füßchens unterm Tisch ...

Meine ganze Seele zittert

Wie der Tiger, welcher wittert

Fernher den an einen Pflock

Angebundnen Ziegenbock.

 

 

Stille Befürchtung

Seit ich dir mein ganzes Herz entladen,

Peinigt mich geheimnisvolles Weh:

Morgens drängt's mich seltsam, mich zu baden;

Abends treibt's mich mächtig ins Café;

 

Nachts umgaukeln mich verrückte Träume

Daß die Seele bang um Hilfe schreit;

Eng bedrücken mich des Himmels Räume,

Die Gewänder werden mir zu weit;

 

Vor den Augen schwirrt ein schwarzer Falter –

Sprich, o sprich, wie soll ich das verstehn!

's ist ein heimlich zartes Knospenalter;

Doch nicht Liebe scheint mir aufzugehn.

 

 

Sehnsucht

Und sei mir noch so traurig auch zu Sinn,

Ich will's nicht glauben, daß ich elend bin.

Der Fluch, das Leid, das mich zugrund gerichtet,

Am Ende war ja alles nur erdichtet.

 

Die Phantasie treibt oft ihr Possenspiel.

Schon manchen hob sie, der zu Boden fiel,

Im Geist empor. Schon manchen aus den Höhen

Des Himmels ließ sie Schreck und Unheil sehen.

 

Laß ab von mir, du große Zauberin!

Erbarm dich mein, entschleire meinen Sinn!

Zerteil die Nacht, mit der du mich geschlagen –

O Sonnenglanz des Glücks, wann wirst du tagen!

 

 

Christine

Bessern soll ich mich? – O Himmel,

Wie werd ich wohl besser!

Eher reiten schwarze Schimmel

Weiße Menschenfresser,

 

Eh daß solch ein Kauz wie ich

In sich geht und bessert sich.

 

Nein, mein Fräulein, ich verzichte

Auf die Tugendpalme;

Schreibe meine Mordgedichte

Tief im Tabaksqualme,

 

Bis der Satan kommt und spricht:

Fort mit dir, du Bösewicht!

 

Ja, der Teufel wird mich holen

Früher oder später,

Und ich Ärmster muß verkohlen

Unter Schmerzgezeter;

 

Haut und Haar und Fleisch und Bein,

Alles muß gebraten sein.

 

Sie indessen wandeln lieblich

In der Engel Scharen,

Blumen tragend, wie dort üblich,

In gelockten Haaren,

 

Und das ganze Angesicht

Angestrahlt vom Himmelslicht.

 

Sehn Sie nun, wie weit geschieden

Unsre beiden Pfade:

Ihnen eines Gartens Frieden,

Mir die Barrikade,

 

Wo man sich bei jedem Schritt

Auf die Hühneraugen tritt.

 

Ihnen freundliche Erbarmung,

Mir der Waffen Blinken

Und des wilden Bärs Umarmung,

Ihnen seine Schinken,

 

Mir des Feinds entmenschter Streit,

Ihnen seine Menschlichkeit!

 

 

Das Lied vom armen Kind oder

Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Es war einmal ein armes Kind,

Das war auf beiden Augen blind,

Auf beiden Augen blind;

Da kam ein alter Mann daher,

Der hört auf keinem Ohre mehr,

Auf keinem Ohre mehr.

Sie zogen miteinander dann,

Das blinde Kind, der taube Mann,

Der arme, alte, taube Mann.

 

So zogen sie vor eine Tür,

Da kroch ein lahmes Weib herfür,

Ein lahmes Weib herfür.

Bei einem Automobilunglück

Ließ sie ihr linkes Bein zurück,

Das ganze Bein zurück.

Nun zogen weiter alle drei,

Das Kind, der Mann, das Weib dabei,

Das arme, lahme Weib dabei.

 

Ein Mägdlein zählte vierzig Jahr,

Derweil sie stets noch Jungfrau war.

Noch keusche Jungfrau war.

Um sie dafür zu strafen hart,

Schuf Gott ihr einen Knebelbart,

Ihr einen Knebelbart.

Sie flehte: Laßt mich mit euch gehn,

Ihr Lieben, laßt mich mit euch gehn,

So wird noch Heil an mir geschehn!

 

Am Wege lag ein räudiger Hund,

Der hatte keinen Zahn im Mund,

Nicht einen Zahn im Mund;

Fand er mal einen Knochen auch,

Er bracht ihn nicht in seinen Bauch.

Ihn nicht in seinen Bauch.

Nun trabte hinter den anderen vier,

Wiewohl es am Verenden schier,

Das alte, räudige Hundetier.

 

Ein Dichter lebt' in tiefster Not,

Er starb den ewigen Hungertod,

Den ewigen Hungertod.

Mit Herzblut schrieb er sein Gedicht,

Man druckt es nicht, man liest es nicht,

Und niemand kennt es nicht.

Sein Leib war krank, sein Geist war wund,

Drum schloß er mit dem räudigen Hund

Der Freundschaft heiligen Seelenbund.

 

Und dann schrieb er zu aller Glück

Ein wundervolles Theaterstück,

Ein wundervolles Stück,

In welchem die Personen sind

Der taube Mann, das blinde Kind,

Das arme, blinde Kind,

Das lahme Weib, die Jungfrau zart

Mit ihrem langen Knebelbart,

Die Jungfrau mit dem Knebelbart.

 

Und eh die nächste Stund entflohn,

Konnt jeder seine Rolle schon,

Die ganze Rolle schon.

Verständnisvoll führt die Regie

Das alte, räudige Hundevieh,

Das räudige Hundevieh.

Drauf ward das Schauspiel zensuriert

Und einstudiert und aufgeführt

Und ward ganz prachtvoll kritisiert.

 

Die Künstler fanden viel Applaus,

Man spannt dem Hund die Pferde aus

Und zieht ihn selbst nach Haus.

Da gab's nun auch Tantiemen viel

Und hohe Gagen für das Spiel,

Das ungemein gefiel. –

Nachdem sie ganz Europa sah,

Da reisten sie nach Amerika,

Nach Nord- und Südamerika.

 

Nun hört zum Schluß noch die Moral:

Gebrechen sind oft sehr fatal,

Sind manchmal eine Qual;

Frau Poesie schafft ohne Graus

Beneidenswertes Glück daraus,

Sie schafft das Glück daraus.

Dann schwillt der Mut, dann schwillt der Bauch,

Und sei's bei einer Jungfrau auch. –

So ist's der Menschheit guter Brauch.

 

 

Tiefer Friede

Die Tage verblassen, die Stunden zergehn,

Die Waffen rasten und rosten;

Ich bin von vorn und von hinten besehn

Ein armer verlorener Posten.

 

Es kreisen die Dohlen, es kriecht das Gewürm,

Die Menschen hassen und lieben;

Ich bin wie ein alter Regenschirm

In Gedanken stehen geblieben.

 

Staub deckt meine Falten, es wackelt der Knauf,

Es wankt das Skelett unterm Knaufe;

Ich wollte, des Schicksals Hand spannte mich auf

Und hielte mich unter die Traufe.

 

 

Die Hunde

Elegie

 

Es waren einmal zwei Hunde,

Wie war das Herz ihnen schwer!

Sie liefen wohl eine Stunde

Hintereinander her.

 

Sie hofften, in liebendem Bunde

Werd ihnen leicht und frei,

Und waren doch nur zwei Hunde,

Und keine Hündin dabei.

 

Das ist die soziale Misere,

Die Sphinx in der Hundewelt,

Daß man vom Hundeverkehre

Die Hündinnen ferne hält.

 

Die Hündinnen werden ja häufig

Gleich nach der Geburt ersäuft,

Und wird eine Hündin läufig,

Verhindert man, daß sie läuft.

 

Man läßt sie aus ihrem Kerker

Tag und Nacht nicht heraus;

Knurrend liegt Bella im Erker

Zu Füßen der Tochter vom Haus.

 

Lisettchen starrt in die Zeilen

Und zittert wohl mit den Knien,

Zuckt mit den Lippen bisweilen,

Und beide denken an ihn.

 

Wallt man im Familienvereine

Sonntags vors Tor hinaus,

Bella geht an der Leine

Zugleich mit der Tochter vom Haus.

 

Hier rücken heran die Studenten,

Dort naht sich Nero galant;

Wie wird von beiden Enden

Die arme Leine gespannt!

 

In einem Rudel Hunde

Kam schließlich man überein,

Es möge nun in der Runde

Jeder mal Hündin sein.

 

Das Auge, angstvoll, trübe,

Schweift ferne zum Horizont,

Als spräch's: Und das hat der Liebe

Himmlische Macht gekonnt.

 

Der kleine Fritz ging vorüber

Und sagte: »Lieber Papa,

Sage mir doch, du Lieber,

Was machen die Hunde da?«

 

Papa entgegnet: »Das nennt man,

Darf dir nicht sagen wie;

An diesen Greueln erkennt man

Das lausige Hundevieh.«

 

 

Autodafé

Du ketzerische Liederbrut,

Ihr Schelme, ihr perfiden Schwätzer,

Aufwiegler ihr für Fleisch und Blut,

Ihr losen, liederlichen Ketzer,

 

Habt acht, euch droht ein Glaubensakt:

Schon steht der Holzstoß hoch geschichtet;

Erbarmungslos hinaufgepackt

Wird, was ich frechen Sinns gedichtet.

 

Empor zum klaren Ätherraum

Hebt sich das Flammenspiel des Brandes:

Ein Totenopfer wüstem Traum,

Die Siegesfackel des Verstandes!

 

 

Alte Liebe

Ich hab dich lieb, kannst du es denn ermessen,

Verstehn das Wort, so traut und süß?

Es schließet in sich eine Welt von Wonne,

Es birgt in sich ein ganzes Paradies.

 

Ich hab dich lieb, so tönt es mir entgegen,

Wenn morgens ich zu neuem Sein erwacht;

Und wenn am Abend tausend Sterne funkeln,

Ich hab dich lieb, so klingt die Nacht.

 

Du bist mir fern, ich will darob nicht klagen,

Dich hegen in des Herzens heil'gem Schrein.

Kling fort, mein Lied! Jauchz auf, beglückte Seele!

Ich hab dich lieb, und nie wirds anders sein.

 

 

Eifersucht

Und wieder seh ich neu entfacht

Die düstre Glut, die treu du hegst

Auf deinem Herd, zur Flammenpracht,

Dein Herz erleuchtend Nacht für Nacht,

Wenn du zur Ruh dich legst.

 

Kaum atme ich still, so kräuselt mild

Erwartung deiner Lippen Saum;

Dann fühl ich selbst, wie jenes Bild

Die lechzende Seele dir erfüllt

Mit grausigem Wundertraum.

 

Tief in die weichen Kissen schmiegt

Sich wollustbebend deine Gestalt.

In kurzem Ringen unterliegt

Dein Pflichtgefühl, und im Sturme siegt

Die grabentstiegene Gewalt.

 

 

Lulu

Ich liebe nicht den Hundetrab

Alltäglichen Verkehres;

Ich liebe das wogende Auf und Ab

Des tosenden Weltenmeeres.

 

Ich liebe die Liebe, die ernste Kunst,

Urewige Wissenschaft ist,

Die Liebe, die heilige Himmelsgunst,

Die irdische Riesenkraft ist.

 

Mein ganzes Innre erfülle der Mann

Mit Wucht und mit seelischer Größe.

Aufjauchzend vor Stolz enthüll ich ihm dann,

Aufjauchzend vor Glück meine Blöße.

 

 

Pirschgang

Laßt mich schnobern, laßt mich schnüffeln

Durch die Stille der Wälder fort.

Schon wittre ich das schwellende Fleisch der Trüffeln,

Der saftigen Brünetten von Perigord.

 

Hier ist der Ort. Ich wetze die Hauer,

Ich bohre den Rüssel wohl in den Grund –

Wie macht doch Arbeit das Leben sauer,

Die Seele krank und die Glieder wund!

 

Gierig verschling ich die prickelnden Früchte,

Bis mich der Satan im Rücken kneipt –

Es ist die alte Passionsgeschichte,

Daß unsere Freude sich selbst entleibt.

 

Sie läßt sich erjagen, sie läßt sich haschen,

Die Pulse fliegen, das Herz schlägt wild.

Und zieht man die Himmelstochter auf Flaschen,

Sie schwindet dahin wie ein Schattenbild. –

 

Noch eine der haltbarsten Delikatessen

Ist frischer Lippen flammender Kuß;

Der Hunger steigert sich mit dem Essen,

Und im Genießen wächst der Genuß.

 

 

An einen Hypochonder

Du runzelst die Stirne,

Du wetterst und schreist,

Dieweil mit der Birne

Den Wurm du verspeist.

 

Was folgst du empfindlich

Der grausigen Spur?

Erfreu dich doch kindlich

Der reichen Natur.

 

Je herber dein Liebchen,

Um so süßer sein Kuß,

Und je kleiner sein Stübchen

Desto größer dein Genuß.

 

 

Die sieben Heller

Großer Gott im Himmel, sieben

Heller sind mir noch geblieben!

Was nur fang ich armer Mann

Mit den sieben Hellern an.

 

Tod und Teufel, wären's zwanzig,

Tanzte gleich noch einen Tanz ich

Auf der Bühne buntbemalt,

Wo man zwanzig Heller zahlt!

 

Wären's fünfzehn! – Einen Teller

Wurst kauft man für fünfzehn Heller.

Hungrig bin ich sowieso;

Eine Wurst macht lebensfroh.

 

Ach, und wären's auch nur zehne!

Ein Schluck Bier, den ich ersehne,

Ist er gleich ein wenig klein,

Muß für zehne käuflich sein.

 

Aber sieben, sieben ganze

Rote Heller, nicht zu Tanze,

Nicht zu Wurst und nicht zu Bier,

Gar zu nichts verwendbar mir –!

 

Lehr mich du, o Fürst der Hölle,

Was tätst du an meiner Stelle,

Wenn im Beutel du zuletzt

Nur noch sieben Heller hättst? –

 

Alsbald zieht der große Weise

Seine düstren Zauberkreise,

Spuckt nach rechts und links und spricht:

Hör mich an, du armer Wicht!

 

Kommt bei Wettersturm und Regen

Dir ein Bettelkind entgegen,

Schwarz von Auge, schwarz von Haar,

Busen im Entwicklungsjahr,

 

Wirf ihr deine sieben Heller

In des Hemdes losen Göller,

Sag ihr, sie sei engelschön,

Schweig und heiß sie weitergehn!

 

Du hast Freude, sie hat Freude,

Freuen werdet ihr euch beide;

Meine Freude hab auch ich,

Segne und belohne dich!

 

 

Der Zoologe von Berlin

Hört ihr Kinder, wie es jüngst ergangen

Einem Zoologen in Berlin!

Plötzlich führt ein Schutzmann ihn gefangen

Vor den Untersuchungsrichter hin.

Dieser tritt ihm kräftig auf die Zehen,

Nimmt ihn hochnotpeinlich ins Gebet

Und empfiehlt ihm, schlankweg zu gestehen,

Daß beleidigt er die Majestät.

 

Dieser sprach: »Herr Richter, ungeheuer

Ist die Schuld, die man mir unterlegt;

Denn daß eine Kuh ein Wiederkäuer,

Hat noch nirgends Ärgernis erregt.

Soweit ist die Wissenschaft gediehen,

Daß es längst in Kinderbüchern steht.

Wenn Sie das auf Majestät beziehen,

Dann beleidigen Sie die Majestät!

 

Vor der Majestät, das kann ich schwören,

Hegt ich stets den schuldigsten Respekt;

Ja, es freut mich oft sogar zu hören,

Wenn man den Beleidiger entdeckt;

Denn dann wird die Majestät erst sehen,

Ob sie majestätisch nach Gebühr.

Deshalb ist ein Mops, das bleibt bestehen,

Zweifelsohne doch ein Säugetier.

 

Ebenso hab vor den Staatsgewalten

Ich mich vorschriftsmäßig stets geduckt,

Auf Kommando oft das Maul gehalten

Und vor Anarchisten ausgespuckt.

Auch wo Spitzel horchen in Vereinen,

Sprach ich immer harmlos wie ein Kind.

Aber deshalb kann ich von den Schweinen

Doch nicht sagen, daß es Menschen sind.

 

Viel Respekt hab ich vor dir, o Richter,

Unbegrenzten menschlichen Respekt!

Läßt du doch die ärgsten Bösewichter

In Berlin gewöhnlich unentdeckt.

Doch wenn hochzurufen ich mich sehne

Von dem Schwarzwald bis nach Kiautschau,

Bleibt deshalb gestreift nicht die Hyäne?

Nicht ein schönes Federvieh der Pfau?«

 

Also war das Wort des Zoologen,

Doch dann sprach der hohe Staatsanwalt;

Und nachdem man alles wohl erwogen,

Ward der Mann zu einem Jahr verknallt.

Deshalb vor Zoologie-Studieren

Hüte sich ein jeder, wenn er jung;

Denn es schlummert in den meisten Tieren

Eine Majestätsbeleidigung.

 

 

Der Lehrer von Mezzodur

In Mezzodur war ein Lehrer,

Sigmund Zus war er genannt,

Als ein braver Mann geachtet,

In der Gegend wohlbekannt.

 

Er war Gatte und auch Vater

Von drei Kindern, noch so klein;

Leider lebte er nicht glücklich,

Denn die Eh ward ihm zur Pein.

 

Ein Verdacht regt sich im Herzen,

Seine Frau sei ungetreu,

Daß ein andrer, nicht er selber,

Vater seiner Kinder sei.

 

Und von Eifersucht gepeinigt

Lebte fürder er dem Wahn;

Als er sich betrogen glaubte,

Reifte leider rasch der Plan.

 

Eines Nachts zwang er die Gattin,

Daß sie ein Bekenntnis schrieb,

Das er selber ihr diktierte

Und ihr Todesurteil blieb.

 

Als sie drin den Vater nannte

Ihrer Kinder – ach! o Gott! –

Schoß er die drei armen Kleinen

In dem Bett mit Kugeln tot.

 

Darauf hat er sie gezwungen,

Sich zu legen auf das Bett,

Hat sie dann auch umgebrungen,

Wie sie ihn auch angefleht.

 

Er legt' nun selber Hand an sich

Und endete dann fürchterlich.

Das Dienstmädchen, das zugegen war,

Mußte leuchten mit dem Licht

Und erzählt's mit Grauen und Entsetzen

Dem Gericht.

 

 

Allbesiegerin Liebe

Kind, jetzt stehst du auf der Höhe

Der Kultur, das ist gewiß;

Du hast Wanzen, Läuse, Flöhe

T . . . ., S . . . ., S . . . .

 

Haut und Haare Mene Tekel

Von der Stirne bis zur Zeh;

Mich durchschauert schon der Ekel,

Wenn ich deinen Schatten seh.

 

Aber wenn wir Nachts uns lausen

Und die Liebe schafft sich Bahn,

Preis ich mich als deines grausen

Reiches treusten Untertan.

 

 

Fata Morgana

So sei denn heute der Schwur getan:

Nicht leg ich der Seele mehr Fesseln an;

Nicht will ich mehr kriechen in Staub und Kot,

Nicht geistig verhungern um leiblich Brot!

Ich schwör es auf Leben und Sterben.

 

Seit die Sterne erloschen in ihrer Pracht,

Wie irrt ich rastlos durch Sturm und Nacht.

Der eigenen Augen mattschimmerndes Licht,

Wohl wies es den Pfad mir, es wärmte doch nicht,

Und die starren Glieder erlahmten.

 

Die Winde fegten, es blutet mein Weh

Eine rote Spur in den weißen Schnee.

In meinen Augen das Licht ging aus,

Das Ohr umtoste dumpfrollender Graus,

Dann tiefe schmeichelnde Stille.

 

Horch, horch, ein Klingen, so fern, so hold –

Dehnt dort sich das Tal nicht im Sonnengold?

Es leuchten die Berge, es glänzt der Strom,

Hoch lacht herein der kristallne Dom,

Darunter fächelnde Lüfte.

 

Von Blumen umduftet, im wärmenden Schein,

Auf breitem Gipfel steh ich allein;

Ich lehne mich lächelnd auf meinen Stab,

Mein Aug streift selig landauf, landab;

Und all mein Leiden vergessen. – – –

 

Und sei es der sinnberückende Tod,

Ich will nicht mehr hungern um leiblich Brot.

Ich will dich halten, du sonnig Bild,

Solang nur pochend das Herz noch schwillt –

Ich schwör es auf Leben und Sterben.

 

 

 

Winter

 

Der Tantenmörder

Ich hab meine Tante geschlachtet,

Meine Tante war alt und schwach;

Ich hatte bei ihr übernachtet

Und grub in den Kisten-Kasten nach.

 

Da fand ich goldene Haufen,

Fand auch an Papieren gar viel

Und hörte die alte Tante schnaufen

Ohn Mitleid und Zartgefühl.

 

Was nutzt es, daß sie sich noch härme –

Nacht war es rings um mich her –

Ich stieß ihr den Dolch in die Därme,

Die Tante schnaufte nicht mehr.

 

Das Geld war schwer zu tragen,

Viel schwerer die Tante noch.

Ich faßte sie bebend am Kragen

Und stieß sie ins tiefe Kellerloch. –

 

Ich hab meine Tante geschlachtet,

Meine Tante war alt und schwach;

Ihr aber, o Richter, ihr trachtet

Meiner blühenden Jugend-Jugend nach.

Auf dem Faulbett

 

Auf mein Faulbett hingestreckt

Überdenk ich so meine Tage,

Forschend, was wohl dahinter steckt,

Daß ich nur immer klage.

 

Ich habe zu essen, ich habe Tabak,

Ich lebe in jeder Sphäre,

Ich liebe je nach meinem Geschmack

Blaustrumpf oder Hetäre.

 

Die sexuelle Psychopathie,

Ich habe sie längst überwunden –

Und dennoch, ich vergeß es nie,

Es waren doch schöne Stunden.

 

 

Erholung

Sieh, wie die Erde wackelt,

Wie alles niederstürzt,

Die Sonne ängstlich fackelt

Und ihre Flammen kürzt,

Wenn ich dich halte Brust an Brust

Und du mit scharfen Zähnen

Verbissen dich in wilder Lust

In meine glühnden Venen.

Es wogt dein Leib, es dröhnt dein Herz,

Dein Odem züngelt höllenwärts,

Und aus der Tiefe steigen

Miasmen freud- und leidenschwer;

Dein Kichern tanzt darüber her

Den fahlen Elfenreigen.

Und zuckt die Flamme übers Haus,

Wie sinkt das All in Nacht und Graus;

Der Himmelslichter Glanz verblich,

Die Stürme heulen fürchterlich,

Es schmettern die Posaunen.

Die Jugend reißt die Ohren auf,

Das Alter hemmt den Tageslauf;

Sie schaudern und erstaunen.

Der Sieger nimmt ein Bad und blickt

Verächtlich nach dem Pfühle,

Die Seele frei, der Leib erquickt

Von frischer Morgenkühle.

Die ganze Welt ist Jubelsang,

Die Sonne lacht den Wald entlang;

Dann lacht auch der Verächter

Sein gellend Hohngelächter.

 

 

Trost

Der Tod kommt bald und sicher,

Hält stets sich in der Näh.

Er ist ein fürchterlicher

Tröster im Erdenweh.

 

Ich hasse ihn nicht aus Liebe,

Ich liebe ihn heiß aus Haß.

Wenn man unsterblich bliebe,

Wie grauenvoll wäre das!

 

Des Fressens und Weitergebens

Urewige Wiederkehr

Als höchsten Ertrag des Lebens

Ertrag ich nicht länger mehr.

 

 

Am Scheidewege

Der schwere Fluch, der auf dem Haupt mir lastet,

Drückt mich darnieder in den Straßenkot;

O Gott, o Welt, erbarmt euch meiner Not;

Ihr wißt, weswegen ich ihn angetastet.

 

Ihr wißt, ihr selber jagtet mich hinein,

Mit tausend Peitschenhieben ins Verderben;

Nehmt mich zur Sühne denn und laßt mich sterben,

Nur laßt mich nicht so schimpflich elend sein.

 

Ich war nicht schlecht; nun mag ich's freilich werden,

Gab ich mein Bestes doch zum Opfer hin.

Nehmt mich hinweg, solang ich Mensch noch bin!

Ein Tier, ein Teufel werd ich sonst auf Erden.

 

 

Wilhelmine

1.

Warum drängst du dich in meine Träume?

Warum hemmst du meiner Schritte Lauf?

Warum füllst du alle Himmelsräume,

Blick ich nächtens zu den Sternen auf?

 

Stör ich deiner Seele heil'gen Frieden,

Warum machst du, Mädchen, dich so breit?

Und »Nicht doch!« entgegnest du entschieden

Wie der Genius der Enthaltsamkeit.

 

Ach, so kann es nicht mehr lange dauern;

Ach, es wälzt sich drohend Ach auf Ach;

Laß dir deine Zimmertür vermauern,

Oder fürchte den Zusammenkrach.

2.

 

Und nun ist es doch gekommen,

Trotz des stolzen Sinns im Köpfchen;

Und wir haben von dem Töpfchen

Kühn den Deckel abgenommen.

 

Schwüler Paradieses-Brodem

Stieg mir schmeichelnd in die Nase,

Dennoch bangt ich wie ein Hase

Vor dem Pechgeruch von Sodom.

 

Zwei von heißer Glut erfüllte,

Mitternächtlich helle Sterne

Blinken träumend in die Ferne,

Die sich scheu in Nebel hüllte.

Waldweben

 

Zwischen duftigen Büschen

Stieß ich auf einen Quell;

Meinen Mund zu erfrischen,

Dünkt er mich rein und hell.

 

Als ich mich satt getrunken,

Träumend wankt ich zur Stadt,

Bin aufs Lager gesunken,

Fiebernd und todesmatt.

 

Hat kein Arzt sich gefunden,

Dessen Kunst mich geheilt;

Werd auch nimmer gesunden,

Bis mich der Tod ereilt. –

 

Ei du mein durstiger Knabe,

Streife nicht durchs Gebüsch;

Bleib bei der Mutter und labe

Fromm dich am Kaffeetisch.

 

 

Kapitulation

Was hilft mir der betrunkne Verstand!

Was helfen die schweren Glieder!

Sobald das Licht heruntergebrannt,

Kommen die Wanzen wieder!

 

Die Hypochondrie verendet im Wein

Wie Pharao im Roten Meere;

Doch welche Flut will mir Retter sein

Gegen die Wanzenheere?!

 

Ich mache Licht und ich wälze mich

Ächzend auf meiner Pritsche;

Das ist die Stimmung – der Stolz entwich –

Fluchend flücht ich zu Nietzsche ...

 

 

Die tiefe Richtung

Endlich ist der große Tag gekommen,

Schon ist das Vergangne schrecklich nah,

Doch die Zukunft ist bereits verschwommen;

Auch die Gegenwart ist nicht mehr da.

 

Gott und Mensch und Weltall sind verschwunden,

Was einst sein wird, glüht im Morgenrot;

Stille stehn die sonst so raschen Stunden,

Und gestorben ist nun auch der Tod.

 

Aus dem Nichts entwickelt sich ein Grausen,

Eine Donnerstimme ruft: »Ich bin!« ...

Plötzlich jagt es mit Gewittersausen

Durch den weiten öden Raum dahin.

 

Alles starrt beklommen rings im Kreise,

Niemand blickt dem andern ins Gesicht;

Aus den Tiefen stöhnet sterbend leise

Eine Geisterstimme: »Ich bin nicht!« ...

 

Einem Mädchen nur aus hohem Norden

Ist die Lösung wunderbar geglückt:

Der Poet war Philosoph geworden

Und der Philosoph verrückt.

Meningitis tuberculosa

 

Die Augen irren kreuz und quer,

Die Hände krabbeln hin und her,

Der dünne Atem zieht so schwer,

Nun schlägt auch bald das Herz nicht mehr.

 

Längst hat im Köpfchen tiefe Nacht

All Gram und Schmerz zur Ruh gebracht

Die schlaffe Lippe singt und lacht

Wie Abendwind ob Grabesschacht.

 

Die Hand in meiner brennt so heiß,

So aderblau, so kreideweiß;

In ihrem Innern perlt der Schweiß

Gleich Morgentau auf Blütenreis.

 

Das Auge glänzt, der Atem pfeift,

Die Schwester nach dem Doktor schweift,

Der Vater mit der Mutter keift,

Die Mutter in die Wolken greift.

 

Drei Klageweiber treten ein

Sie fangen gräßlich an zu schrein:

O Gott, o Gott, o Mägdelein,

Der Himmel muß barmherzig sein!

 

Gebrochen unter Ach und Weh,

Sie sinken auf das Kanapee;

Die Mutter kommt mit dem Kaffee,

Sie blicken schluchzend in die Höh.

 

Ein leiser heller Klageton –

Die Weiber hören nichts davon,

Sie plappern über Mägdelohn –

Das junge Leben ist entflohn.

 

 

Vergänglichkeit

Streck deine Beine, mein hübscher Genoß;

Deine schwarzen Strümpfe aus Fil d'Ecosse

Reichen dir weit bis über die Kniee,

Wenn ich sie dir nicht noch höher ziehe. –

 

Sie sind das Verfänglichste wohl an dir,

Deine schwarzen Strümpfe; ich sterbe dafür.

Hell schimmert die Haut durch die weiten Maschen,

Man möchte von außen schon daran naschen.

 

Dabei legst du deine Füße so friedlich

Übereinander, die blanken Lackschuhe appetitlich

Gestreckt – die Seligkeit, sie dir zu binden,

Kann im Himmel nicht ihresgleichen finden.

 

Dein schwarzer Lockenkopf, deine blassen Wangen,

Dein splitternackter Mund, deine bangen

Tiefschwarzen Augen sind eine Pracht,

Doch haben nicht sie mich verrückt gemacht.

 

Deine Unwiderstehlichkeit liegt in den Beinen.

Seh ich dich kommen, so möcht ich weinen.

Du hebst die Knie in einem Takt,

Der würgend mich an der Kehle packt.

 

Ich will dir zum ewigen Angedenken

Ein Paar Strumpfbänder in zartem Lila schenken

Mit goldenem Wappen, denn du bist in der Tat

Ein Mädchen und ein junger Aristokrat.

 

Ein Knabe, der in seiner Anmut nicht leidet,

Wenn er sich zuweilen als Mädchen verkleidet;

Aber deine Mutter sagt mir, du seist

Durchdrungen von ritterlichem Geist.

 

Du bestehest mit Glanz die schwierigsten Examen

Und schwärmest auch schon für die allerreizendsten Damen.

Niemand glaubt mir in dieser Welt,

Wie mir das an dir, meinem Schützling gefällt.

 

Noch bist du Cherub. Wenige Wochen,

Dann ist wohl die Knospe schon aufgebrochen;

Dann blickst du mit grimmem Schauder auf mich,

Der dir so zärtlich die Locken strich.

 

Wie schade, daß alles Schöne vergeht,

Auch deine Hoheit. Die Pubertät

Macht dich den übrigen Flegeln ähnlich.

Der Duft ist hin und du wirst gewöhnlich.

 

 

An das Leben

Wenn mir dereinst von dieser Seuche

Genesung wird im kühlen Grab,

Dann sei, daß jung und alt entfleuche,

Mein Denkmal eine Vogelscheuche:

Mein Hut auf meinem Wanderstab.

 

Der Hut war schwarz und breitgerändert,

Im Herbst von dunklem Grün umlaubt.

Wie hat der Winter ihn verändert!

Jetzt deckt er schmutzig, schlapp, entbändert

Mein müdes frühgebeugtes Haupt.

 

Den Stecken hielt ich friedlich nieder,

Bis ich der Unschuld heil'gen Schlaf

Gefährdet sah von gift'ger Hyder.

Ich schlug, daß ich die eignen Glieder

Mit grauenvollstem Fluche traf.

 

Zur Seuche, dran ich elend sieche

Ward mir des Ungeheuers Gift:

Der gräßlichste der Erdenflüche.

Ich taumle hin, ich wanke, krieche,

Bis mich im Tod Erlösung trifft.

 

Aufschrei

Was ich getan, das läßt sich nicht bessern,

Es läßt das Gewissen sich nicht verwässern.

Ich stehe schuldlos vor meinem Verstand

Und fühle des Schicksals zermalmende Hand.

 

Der Mut versiegt, es wachsen die Schmerzen,

Und öd und trostlos wird es im Herzen.

Ich bin verstoßen, ich bin verdammt,

Ringsher von Rachegluten umflammt.

 

Wenn jetzt mich Irrsinn lindernd umfinge,

Wenn ich verkappt in den Himmel ginge!

Verschlossen ward mir die Seligkeit,

Ich schliche mich ein im Schellenkleid.

 

Was ich begangen, läßt sich nicht sühnen.

Man schätzt den Klugen, man preist den Kühnen,

Allein das Herz, das Herz in der Brust

Ist sich unendlicher Schuld bewußt.

 

 

Das Goldstück

Hier an dieser öden Stätte

Will ich rasten, bis es tagt;

Welker Rasen ist ein Bette,

Wie's mir eben recht behagt.

Neben mir die Wogen brausen,

Über mir die Wolken sausen,

Keiner milden Stimme Klang

Tönt den düstren Hag entlang.

 

Alles habt ihr mir genommen,

Was ihr mir gegeben habt;

Nackend bin ich hergekommen,

Nackend bin ich hingetrabt,

Ohne Strümpfe, Stiefel, Hosen –

Meines Lebens lichte Rosen,

Meiner Jugend muntrer Sinn,

Alles, alles ist dahin.

 

Ob es schon ein Ziel mir setzte,

Zu erforschen vom Geschick,

Werf ich in die Luft dies letzte

Blanke goldgeprägte Stück,

Daß es, auf des Kopfes Seite

Fallend meinen Tod bedeute;

Wenn das Bild gen Himmel schaut,

Sei noch bessrer Zeit vertraut.

 

Und es steigt, es fällt, es klingelt,

Sieh, zum Himmel starrt die Zahl!

Mein erbebend Herz umzingelt

Todesangst zum letztenmal. –

Eingedenk der Abschiedsflasche

Steck ich's schweigend in die Tasche;

Ihre Dauer sei mein Maß,

Eins des andern Stundenglas.

 

Spät am Tage schlendr ich weiter

In der Sonne fahlem Glanz.

Such dir rüstigern Begleiter,

Wandrer du im Efeukranz!

Vieles möchtest du versäumen,

Ich darf rasten, ich darf träumen;

Was das Schicksal mir verspricht,

Jüngling, das enteilt mir nicht.

 

 

Perversität

Ein Waisenkind mit nassen, blassen Wangen,

Mit hohlen Augen und mit dünnen Armen

Huscht scheu hervor, inständig mein Erbarmen

Anflehend, stotternd, schlotternd, furchtbefangen.

 

Eisig sein Körper, glühend sein Verlangen,

Müht sich's frostbebend, menschlich zu erwarmen.

Vergebne Qual; erschlafft in meinen Armen

Bewimmert es sein Hoffen und sein Bangen.

 

Beschämt schleicht sich's von hinnen, ächzend, siechend,

Nachts bettelnd und bei Tage sich verkriechend,

Heut in Verzweiflung, morgen in Verzücktheit;

 

Verfällt gemach schmerzstillender Verrücktheit,

Stutzt, lacht, jauchzt todesfroh, und, der Gewandung

Vom Gischt beraubt, zerschellt es in der Brandung.

 

 

Erdgeist

Greife wacker nach der Sünde;

Aus der Sünde wächst Genuß.

Ach, du gleichest einem Kinde,

Dem man alles zeigen muß.

 

Meide nicht die ird'schen Schätze:

Wo sie liegen, nimm sie mit.

Hat die Welt doch nur Gesetze,

Daß man sie mit Füßen tritt.

 

Glücklich, wer geschickt und heiter

Über frische Gräber hopst.

Tanzend auf der Galgenleiter

Hat sich keiner noch gemopst.

 

 

Abschied

Die Sinnlichkeit gibt mir Abschiedsfest;

Das sind kuriose Gestalten,

In Binden gewickelt, in Schienen gepreßt,

Und kaum mehr festzuhalten.

 

Die strahlende Nacktheit such ich so bang,

Es fehlt ihr wohl an Vertrauen.

Ich hab sie bei gellendem Becherklang

Zu häufig zusammen gehauen.

 

Und ist erst das Seelenleben entweibt,

Dann sind sämtliche Lampen erloschen.

Für das, was für mich dann noch übrigbleibt,

Dafür gebe ich nicht einen Groschen.

 

 

Das Sonntagskind

Stets naht das Glück in lichter Sonnenpracht,

Gleichgültig, kalt vorüber mir zu wandern.

Mein junges Morgenrot verschlingt die Nacht,

Indes ein heller Freudenschimmer lacht

In den verklärten Augen eines andern.

 

Ein Sonntagskind! – Mir war sie niemals hold,

Die blinde Dame mit den vollen Händen.

So manchen Opferdienst ich ihr gezollt,

Sie schwebt dahin, um Gold und Minnesold

An ihren Gunstbeglückten zu verschwenden.

 

O der verruchten Ungerechtigkeit!

Verzweifelnd reiß ich ihr vom Haupt die Binde:

»Sieh Göttin, sieh auch diesen dir geweiht!« –

Sie starrt mich schaudernd an, sie bebt, sie schreit

Und flieht entsetzt zu ihrem Sonntagskinde.

 

 

Spiritus familiaris

Eine schwarze Katze kauert vor meiner Tür,

Eine kleine, schwarze, kurzgeschorene Katze;

Ich komme nach Hause, und mit einem Satze,

Wie ich aufschließe, springt sie herein zu mir.

 

Was will die kleine, schwarze Katze bei mir?

Wär es ein Hündchen, ich wüßte es zu verstehen;

Ein Frauenhündchen, ich weiß damit umzugehen.

Die Katze ist mir ein völlig fremdes Tier

 

Sie ist die Seele von meinem Spiritus

Familiaris. Er hat sich umgebrungen.

Die schwarze Katze kommt zu mir hereingesprungen,

Weil sie doch irgendwo übernachten muß.

 

 

Münchner Zensurbeirat

Die Zensur wählt einen Beirat,

Und der Beirat rät genau,

Wie in einer Musterheirat

Die normale Ehefrau.

 

Dreimal »Ja« auf alle Fragen,

Wie der Zensor sie bespricht.

»Nein« darf nur der Zensor sagen,

Für den Beirat gibt's das nicht.

 

Sollte je ein Rat sich lohnen,

Weil ihr Leid die Menschheit klagt,

Dann, um sein Gehirn zu schonen,

Wird der Beirat nicht gefragt.

 

Und zu solchen Narrenspossen,

Aller Menschenwürde bar,

Bieten heut sich unverdrossen

Lauter Ehrenmänner dar.

 

 

Minona

Laß sie mich küssen, die knospende Blume, den Kelch meiner Trunkenheit!

Wenn meiner Lippen fiebernde Glut dir die Glieder durchzittert hat,

Dann erst wirst du mir Weib, und ein mächtig Erinnern

Schwellt meine Segel glückseligen Inseln entgegen.

 

 

An Bruno

Überkommt dich nun, mein holder Knabe,

Deines Erdendaseins höchste Gabe,

Wenn die Schenkel rosig frisch dir schwellen,

Wenn der Flaum dir um die Lippen keimt,

Wenn dein Sehnen trotz der Sturmeswellen

Spielend sich zu leichten Liedern reimt –

Präg dir dann für alle Zukunft ein:

Deines Erdendaseins höchste Gabe

Läßt dich eines nur von dreien sein,

Viechkerl, Schafskopf oder Prügelknabe;

Und du hast für eine der drei Freuden

In der ersten Nacht dich zu entscheiden!

 

 

Marasmus

Nicht einmal ein Gedicht gelingt mir mehr,

Geschweige denn ein Mensch. Mein Hirn ist leer,

Und meine Eingeweide sind so trocken,

Daß meine Dünste keine Kuh mehr locken.

 

's ist leichter, einen Menschen machen als

Ein Klappenhorn; der Mensch braucht jedenfalls

Weit wen'ger Zeit, damit er richtig sitze;

Jedoch erheischt ein Klapphornvers mehr Grütze.

 

Ein Seitenblick, des Bettes Planke kracht,

Das Weib seufzt auf, dann ist ein Mensch gemacht.

Um ein Gedicht auch kindlich nur zu stammeln,

Muß man oft stundenlang mit Muse rammeln.

 

Was besser ist? – Die Antwort wird mir schwer.

Ich mache weder Kind noch Klapphorn mehr.

Verzweifelt schlepp ich meines Lebens Bürde –

Es fehlte nur noch, daß ich schwanger würde.

 

 

Autographenjägern ins Stammbuch

Wer der Kunst sich weiht, gilt oft als Missetäter,

Und die Welt empfängt ihn vielfach mit Geheul.

Autographensammler aber sind Erfolgsanbeter,

Und Erfolgsanbeter sind der Kunst ein Greul!

 

 

Ein letztes Ende

Darf ich dir Glauben schenken, goldner Strahl

Erneuter Hoffnung, lichte Himmelsspende?

Nahst du, ein Gnadenengel meiner Qual?

Bist du ein Trugbild, wie so manches Mal?

Verkündest lächelnd du ein letztes Ende?

 

Ein letztes Ende! – meine Wimper sinkt,

Und Dunst und Nebel seh ich still zerrinnen.

Ein süß Geflüster mir zum Ohre dringt,

Des langen Winters letzte Spuren trinkt

Ein warmer milder Sonnenblick von hinnen.

 

Lenzfrohe Schauer wehn durch Wald und Feld,

Am Friedhoftor die ersten Veilchen sprießen,

Dort, wo ein schwarzbehangner Wagen hält

Mit einem Wandrer, der mit Gott und Welt

Versöhnt die müden Augen durfte schließen.

 

Den Pastor hör ich, fromm und wohlbeleibt,

Dem Hingeschiednen Komplimente lallen:

Er lebte unbescholten, unbeweibt –

Der Totengräber, etwas angekneipt,

Läßt seine Schaufel in die Grube fallen.

 

Gottlob, ich bin schon tot! Der Deckel kracht,

Ich habe mich nicht weiter drum zu kümmern.

Ich schlummre sanft. Gut Nacht denn, gute Nacht!

Die bösen Geister sind zur Ruh gebracht;

So geh nun die Behausung auch zu Trümmern!

 

 

Das tote Meer

Mein Herz ist leer wie eine taube Nuß,

Als Kobold spukt darin der Überdruß.

Wenn ich's bei Licht mir nah vors Auge halte,

Bleckt er mich hämisch an aus enger Spalte.

 

An hundert Weiber hatt ich wohl im Sold,

Mit denen ich mein Gut und Blut vertollt,

Die schönsten Nymphen im modernen Babel.

Und ich blieb leer, vom Scheitel bis zum Nabel.

 

Kein Funke mehr, kein Stern aus früherer Welt;

Kein Flämmchen, das den Busen sanft erhellt.

Nur Pharus ragt noch stets mit glühnden Kohlen

Hoch in die Nacht. Der Teufel soll ihn holen!

 

 

Tänze

Gruß

Ich weiß ein allerliebstes Kind,

Ein Kind, wie selten Kinder sind,

Mit schwarzem Auge, schwarzem Haar,

An Wuchs und Haltung wunderbar!

's ist nicht zu groß und nicht zu klein,

's ist nicht zu dick und nicht zu fein,

Es singt und springt und tanzt und lacht,

Hat manchen schon verrückt gemacht.

 

 

Junges Blut

Tanz, mein Liebchen, so wild du

Tanzen kannst, tanzen kannst!

Hurtig tummle dich, wie kein

Satan tanzt, Satan tanzt!

Wirf dir übern Kopf die Schuh,

Wirf dein Röckchen auch dazu!

Schlenkre Fuß und

Waden ohne Ruh!

 

Bis es knackt, schwing exakt

Auch im tollsten Takt

Hurtig, wie vorher nie,

Deine weißen Knie!

Lustbeflügelt derweil

Zucht dein Hinterteil.

Frisch fang an, heißer dann,

Als dein erster Tanz begann!

 

 

Modernes Mädchen

Das ist einfach wundervoll

In unsern Tagen,

Daß man wieder tanzen soll,

Nicht nur sich plagen!

 

Früher bei der Handarbeit

Die schweren Glieder;

Heut streckt man sich immer wieder

Recht lang und breit.

 

Ging sonst ein Mädchen schwärmen,

Was gab's für ein Geschrei,

Ein Härmen, ein Lärmen,

Als wär's mit ihr vorbei.

 

Wenn heut die Pauken dröhnen,

Dann tanzt das Mädchen nackt.

Die Schönen gewöhnen

Sich dran in jedem Takt.

 

Weil kein Weib edlere Waffen hat

Im Kampf um irdisches Glück,

Als wie sie der Himmel geschaffen hat

Als höchstes Meisterstück.

 

Wenn's der Teufel auch streng betreibt,

Daß man zimperlich zu Hause bleibt,

Rastlos stürmen doch Weib und Welt

Immer vorwärts, wie's Gott gefällt.

 

Denn die Welt wie das Weib zeigt ganz

Die gleiche höchste Präponderanz

Zum Tanz.

 

 

Auf eigenen Füßen – Donnerwetter!

In der Jugend frühster Pracht

Tritt sie einher – Donnerwetter!

Nur von Eitelkeit erfüllt,

Das Herz noch leer – Donnerwetter!

 

Ganz mit frühlingsfrischen Reizen

Angetan – Donnerwetter!

Und erblickt in allen Männern

Nur den Mann – Donnerwetter!

 

Donnerwetter, zeigt der Gang,

Donnerwetter, Überschwang!

Donnerwetter, diese Glieder,

Donnerwetter, welch ein Fang!

 

Donnerwetter, erst im Traum,

Donnerwetter, gibt sie kaum

Ihrer Neigung hin und wieder

Etwas Raum – Donnerwetter!

 

Donnerwetter, aber plötzlich

Drängt die Leidenschaft zum Ziel,

Donnerwetter, hochergötzlich,

Donnerwetter, wird das Spiel!

 

Donnerwetter, sinkt zurück,

Donnerwetter, voller Glück

Sie zum ersten Male nieder,

Welch ein Blick – Donnerwetter!

 

Juchhei, Hallo,

Wie fühlt die Maid sich froh!

Hallo, Juchhei,

In ihres Lebens Mai!

 

Wenn auch der Mai mit Sturm begann,

Lustig geht's fortan:

Heute mit den Fürstenkindern,

Morgen mit den Bürstenbindern.

 

Wild saust sie durchs Leben dann,

Donnerwetter, unter Jubel und Geschrei –

Juchhei!

Wie kühn sie's ersann,

Wie klug sie's gewann,

Voller Grauen erzählt's so mancher Mann –

Donnerwetter!

 

.