Dolph Heyliger (German Edition)

Inhalt

Das Sturmschiff.

 

In früheren Zeiten, als die Provinz New-York noch unter der Tyrannei eines englischen Gouverneurs, Lord Cornbury, seufzte, der seine Grausamkeiten gegen die holländischen Bewohner so weit trieb, daß er keinem Geistlichen oder Schullehrer gestattete, ohne seine besondere Erlaubniß in ihrer Sprache zu predigen oder zu lehren, in dieser Zeit lebte in der kleinen alten Stadt Manhattoes eine gutmüthige Frau, die unter dem Namen Frau Heyliger bekannt war. Sie war die Wittwe eines holländischen Seekapitäns, der in Folge zu schwerer Arbeit und zu vielen Essens, zu der Zeit, als alle Einwohner in panischem Schrecken auszogen, um den Platz gegen den Einfall eines kleinen französischen Kapers zu befestigen, plötzlich am Fieber starb (1705). Er hinterließ ihr nur ein sehr mäßiges Vermögen und einen kleinen Sohn, das einzige, das von mehren Kindern übrig geblieben war. Die gute Frau mußte sich sehr einschränken, um durchzukommen und dabei den nöthigen Anstand zu behaupten. Indessen da ihr Mann als ein Opfer seines Eifers für das öffentliche Wohl gefallen war, kam man allgemein darin überein, »daß etwas für die Wittwe gethan werden müsse«, und in der Hoffnung auf dieses »etwas« lebte sie einige Jahre ganz erträglich; zu gleicher Zeit hatte Jedermann Mitleid und sprach gut von ihr, und das half auch mit.

Sie lebte in einem kleinen Hause, in einer kleinen Straße, Gartenstraße genannt, wahrscheinlich nach einem Garten, der da einmal in früherer Zeit gewesen war. Da ihre Bedürfnisse jedes Jahr größer, das Gerede des Publikums aber, »daß etwas für sie geschehen müsse«, geringer wurde, so sah sie sich um, wie sie selbst etwas für sich thun könne, um ihr unbedeutendes Einkommen zu vermehren und ihre Unabhängigkeit zu bewahren, die bei ihr etwas galt.

In einer Handelsstadt lebend, hatte sie etwas von ihrem Geiste eingesogen und beschloß, etwas in der großen Lotterie des Handels zu wagen. Plötzlich erschien daher, zur großen Verwunderung der ganzen Straße, an ihrem Fenster eine große Reihe von Königen und Königinnen aus Ingwerbrot, mit ihren krummen Säbeln, nach unveränderlicher königlicher Art und Weise. So gab es auch einige zerbrochene Gaukler, einige mit Zuckerpflaumen, andere mit Schnellkügelchen gefüllt; ferner gab es Kuchen verschiedener Art, Gerstenzucker, holländische Puppen, hölzerne Pferde, hier und da mit Gold verzierte Bilderbücher, und dann Stränge von Garn oder ein hängendes Pfund Lichter. An der Hausthüre saß die Katze der guten alten Dame, eine anständige, sittsam aussehende Standesperson, die jeden Vorübergehenden zu mustern und seinen Anzug zu kritisiren schien; ab und zu dehnte sie ihren Rücken und schaute neugierig aus, um zu sehen, was an der anderen Seite der Straße vorging; aber wenn zufällig ein unnützer Landstreicher von Hund herbeikam und sich unhöflich erwies – potz tausend – wie richtete sie da ihre Haare in die Höhe, wie knurrte und grollte sie und streckte ihre Pfoten aus! Sie war so aufgebracht wie eine alte garstige Jungfer, wenn sich ihr ein sittenloser und unverschämter Bursche nähert.

Obgleich nun die gute Frau bis auf diese niedrigen Mittel ihrer Existenz heruntergekommen war, so nährte sie doch immer ein Gefühl von Familienstolz, denn sie stammte von den Vanderspiegels von Amsterdam ab; die gemalten und eingerahmten Familienwappen hingen über ihrem Kaminsims. Wirklich war sie bei allem ärmeren Volk des Ortes sehr geachtet; ihr Haus war ein Versammlungsort der alten Weiber in der Nachbarschaft; sie kamen da im Winter Nachmittags zusammen, sie saß strickend an einer Seite des Kamins, ihre Katze schnurrend an der anderen, vor ihr der singende Theekessel: so plauderten sie zusammen bis spät am Abend. Für Peter de Groodt, auch der lange Peter oder Peter Langbein genannt, den Todtengräber und Küster der kleinen lutherischen Kirche, der ihr intimer Freund und das Orakel an ihrem Kamin war, stand immer ein Armstuhl bereit. Ja, der Domine selbst hielt es nicht unter seiner Würde, hin und wieder bei ihr vorzusprechen, sich nach ihrem Gemüthszustand zu erkundigen und ein Glas von ihrem besonders guten Kirschgeist zu trinken. Insbesondere fehlte er nie am Neujahrstag und wünschte ihr ein glückliches neues Jahr; die gute Dame aber, die in manchen Stücken etwas eitel war, setzte eine Ehre darein, ihm einen so großen Kuchen zu verehren, wie nur irgend einer in der Stadt war.

Ich habe bereits gesagt, daß sie einen Sohn hatte. Er war das Kind ihres Alters, aber kaum ein Trost für sie, denn unter allen bösen Buben war Dolph Heyliger der muthwilligste. Nicht daß der Bursche wirklich lasterhaft gewesen wäre, er war nur voll Muthwillen und Scherz und hatte einen kühnen, aufgeweckten Geist, der bei reicher Leute Kind gepriesen, bei Armen verwünscht wird. Er war immer in Händel verwickelt, seine Mutter unaufhörlich von Klagen über muthwillige Streiche gequält, die er hatte ausgehen lassen; es wurden Rechnungen für Fenster geschickt, die er zerbrochen hatte; mit einem Worte, er hatte noch nicht sein vierzehntes Jahr erreicht, als die ganze Nachbarschaft von ihm sagte, er sei ein gottloser Bube, der gottloseste in der ganzen Straße. Ja, ein alter Herr in einem dunkeln Rock, mit einem schmalen rothen Gesicht ging so weit, daß er Frau Heyliger versicherte, ihr Sohn würde früher oder später an den Galgen kommen.

Diesem allen ohngeachtet liebte die arme Seele doch ihren Knaben. Es schien, als ob sie ihn um so mehr liebte, je schlimmer er wurde, und als ob er um so höher in ihrer Gunst stieg, je mehr er in der Gunst der Welt verlor. Mütter sind närrische, thörichte Wesen, nichts kann ihre Thorheiten wegraisonniren. Und in der That, die Liebe zu ihrem Kinde war Alles, was dem armen Weibe in dieser Welt geblieben war; wir dürfen uns deßhalb nicht wundern, daß sie für ihre guten Freunde, welche ihr zu beweisen suchten, daß Dolph der Strick erwarte, nur taube Ohren hatte.

Doch muß man auch dem kleinen Spitzbuben Gerechtigkeit widerfahren lassen. Er hing sehr an seiner Mutter; mit Wissen verursachte er ihr niemals Kummer, und wenn er Unrecht gethan hatte, und er sah, wie sich die Augen seiner armen Mutter ernst und sorgenvoll auf ihn hefteten, so erfüllte dieß sein Herz mit Gram und Reue. Aber er war ein unbedachtsamer junger Bursche, der nicht um die Welt einer Versuchung zu Scherz und Possen widerstehen konnte. Obgleich fähig zum Lernen, wenn er selbst dazu aufgelegt war, war er dabei doch immer geneigt, sich durch faule Kameraden verführen zu lassen, herumzulungern, Vogelnester zu suchen, Obstgärten zu berauben oder in dem Hudson zu schwimmen.

Auf diese Weise wuchs er auf, ein langer, lümmelhafter Bursche, und seine Mutter war sehr in Verlegenheit, was sie mit ihm machen, oder wie sie ihn auf einen Weg leiten sollte, für sich selbst zu sorgen, denn er stand in so einem schlechten Ruf, daß ihn niemand anstellen wollte.

Sie hielt manche Berathungen mit Peter de Groodt, dem Todtengräber und Küster, der ihr erster Geheimerath war. Peter war in keiner geringeren Verlegenheit als sie selbst, denn er hatte keine große Meinung von dem Burschen und glaubte, es würde nie etwas Gutes aus ihm werden. Einmal hatte er ihr gerathen, ihn zur See zu schicken – ein Rath, der nur in den verzweifeltsten Fällen gegeben wird. Aber Frau Heyliger wollte von einem solchen Gedanken nichts hören; sie konnte es nicht für möglich halten, Dolph aus ihren Augen zu lassen. Eines Tages saß sie in großer Verlegenheit strickend am Kamin, da trat der Küster mit einem Gesicht von ungewöhnlicher Lebhaftigkeit und Heiterkeit ein. Er kam gerade von einem Leichenbegängnis. Es war das eines Knaben von Dolphs Alter, der Lehrling bei einem berühmten deutschen Doktor gewesen und an der Lungensucht gestorben war. Wahr ist es, es ging ein Geflüster, daß der Verstorbene ein Opfer der mit ihm von dem Doktor angestellten Experimente geworden sei; er versuchte nämlich die Wirkungen einer neuen Mischung oder einer beruhigenden Arznei.

Wahrscheinlich aber war dieß ein bloßes Gerede, das Peter de Groodt nicht der Erwähnung werth hielt, obgleich, wenn wir Zeit zu philosophiren hätten, es ein eigener Gegenstand des Nachdenkens sein würde, warum die Familie eines Doktors so mager und leichenartig ist und die eines Fleischers so wohlbeleibt und roth.

Wie ich schon sagte, betrat Peter de Groodt das Haus der Frau Heyliger mit ungewöhnlicher Heiterkeit.