Es war ihm während des Leichenbegängnisses ein Gedanke in den Kopf gekommen, über den er heimlich lachte, als er die Erde in das Grab von des Doktors Schüler schaufelte. Es fiel ihm ein, daß jetzt die Stelle des Verstorbenen bei dem Doktor erledigt war, und daß sie ganz für Dolph geeignet sei. Der Junge hatte Fähigkeiten, konnte eine Mörserkeule handhaben und eine Bestellung trotz einem Buben in der Stadt machen; was brauchte es mehr für einen Schüler?
Der Vorschlag des klugen Peters war für die Mutter eine wahrhaft gloriose Erscheinung. Sie sah in Gedanken Dolph schon mit einem spanischen Rohr an seiner Nase, einen Klopfer an seiner Thüre und ein M. D. am Ende seines Namens – mit einem Worte, als einen der ersten Leute der Stadt.
Die Angelegenheit wurde bald ins Werk gesetzt; der Küster hatte einigen Einfluß auf den Doktor, denn sie hatten in ihren verschiedenen Berufsgeschäften doch Manches zusammen zu thun, und am nächsten Morgen berief und führte er den Knaben in seinen Sonntagskleidern zu Doktor Karl Ludwig Knipperhausen, um mit ihm eine Untersuchung vorzunehmen.
Sie fanden den Doktor in einem Armsessel sitzend, in einem Winkel seines Studirzimmers oder Laboratoriums, mit einem großen Buche in deutscher Sprache vor sich. Er war ein kurzer, fettleibiger Mann, mit einem dunkeln, eckigen Gesichte, das durch eine schwarze Sammetmütze noch dunkler erschien. Er hatte eine kleine, mit Buckeln besetzte Nase, wie eine Himbeere, und ein paar Brillen, die an jeder Seite seines dunkeln Gesichts wie ein paar Bogenfenster glänzten.
Dolph fühlte sich von Ehrfurcht erfüllt, als er zu dem gelehrten Manne eintrat, und blickte mit kindischer Bewunderung um sich auf die Möbeln dieses Studirzimmers, welches ihm fast wie die Höhle eines Zauberers erschien. In der Mitte stand ein Tisch mit Klauenfüßen, mit Mörser und Keule, Flaschen und Apothekerbüchsen und ein paar kleinen polirten Wagen. An einem Ende befand sich eine schwere Kleiderpresse, die in ein Gefäß mit Arzneiwaaren und Mischungen paßte; gegenüber hing des Doktors Hut und Mantel, ein Stock mit goldenem Knopf, und auf der Spitze grinste ein menschlicher Schädel. Längs des Kaminsimses waren Glasgefäße, in welchen sich Schlangen und Eidechsen und ein menschlicher Fötus in Weingeist befanden. Ein Kabinet, dessen Thüren offen standen, enthielt drei ganze Repositorien voll Bücher, von denen einige mächtige Foliobände waren; eine Sammlung, dergleichen Dolph noch nie zuvor gesehen hatte. Da jedoch die Bibliothek nicht das ganze Kabinet einnahm, hatte des Doktors wirthschaftliche Haushälterin das Uebrige mit Einmachtöpfen besetzt und rings herum unter den ehrwürdigen Hülfsmitteln der heilenden Kunst Schnüre mit rothem Pfeffer und großen Gurken zur künftigen Aussaat aufgehängt.
Peter de Groodt und sein Schützling wurden mit großer Würde und Feierlichkeit von dem Doktor, der ein sehr kluger, würdevoller, kleiner, nie lächelnder Mann war, aufgenommen. Er musterte Dolph mit Hülfe seiner Brille von Kopf zu Fuß, von oben und unten, und dem armen Jungen fiel der Muth, als diese großen Gläser auf ihn starrten wie zwei Vollmonde. Der Doktor hörte Alles, was Peter de Groodt zu Gunsten des jungen Kandidaten zu sagen hatte, benetzte dann seinen Daumen mit der Zungenspitze und wendete bedächtlich Seite um Seite des großen schwarzen Buches vor ihm um. Endlich nach manchen Hm’s und He’s, Streichen des Kinns und aller Unschlüssigkeit und Ueberlegung, mit welcher ein kluger Mann zu Werke geht, wenn er im Begriff steht etwas zu unternehmen, zeigte sich der Doktor bereitwillig, den Burschen als Schüler anzunehmen, ihm Bett, Kost und Kleidung zu geben und in der Heilkunst zu unterrichten; wogegen er bis in sein einundzwanzigstes Jahr in seinen Diensten bleiben mußte.
So sehen wir denn unsern Helden aus einem unglücklichen Burschen, der wild in den Straßen umherrennt, in einen Studenten der Medicin umgewandelt, der unter den Auspicien des gelehrten Doktors Karl Ludwig Knipperhausen fleißig die Mörserkeule handhabt. Es war ein glücklicher Wechsel für seine zärtliche alte Mutter. Sie erfreute sich an dem Gedanken, daß ihr Sohn seiner Vorfahren würdig werden würde, und sah schon den Tag voraus, wo er im Stande sein werde, seinen Kopf so hoch zu tragen wie der Rechtsanwalt, der in dem Hause gegenüber wohnte; oder vielleicht gar wie der Domine selbst.
Doktor Knipperhausen war in der Pfalz in Deutschland geboren, von wo er wegen religiöser Verfolgung mit mehreren seiner Landsleute in England eine Zuflucht gefunden hatte. Er war einer von den fast dreitausend Pfälzern, die dann unter dem Schütze des Gouverneurs Hunter im Jahre 1710 von England nach Amerika herüber kamen. Wo der Doktor studirt, wo er seine medicinischen Kenntnisse erlangt und wo er sein Diplom erhalten halte, ist schwer zu sagen, denn niemand weiß es; doch ist das ausgemacht, daß seine tiefe Gelehrsamkeit und seine ungewöhnlichen Kenntnisse der Gegenstand des Gespräches und der Bewunderung des gemeinen Volkes nahe und ferne waren.
Seine Praxis war ganz verschieden von der anderer Aerzte; sie bestand in geheimnißvollen Mischungen, die nur ihm bekannt waren, bei deren Zubereitung und Anwendung er, wie man sagte, immer die Sterne zu Rathe zog. Die Meinung von seiner Geschicklichkeit, welche insbesondere die deutschen und holländischen Bewohner nährten, war so groß, daß sie in verzweifelten Fällen ihre Zuflucht zu ihm nahmen. Er gehörte zu den untrüglichen Doktoren, die immer schnelle und überraschende Kuren bewirken, wenn der Kranke bereits von allen gewöhnlichen Aerzten aufgegeben worden ist; es müßte denn sein, daß der Fall schon zu lange gedauert hätte, bevor er in seine Hände gelangte. Des Doktors Bibliothek war das Tagesgespräch und Wunder der Nachbarschaft, ja man könnte fast sagen des ganzen Fleckens. Das gute Volk schaute mit Ehrfurcht auf einen Mann, der drei ganze Repositorien voll Bücher, einige von ihnen so groß als eine Familienbibel, gelesen hatte. Die Mitglieder der kleinen lutherischen Kirche stritten sich oft darum, wer wohl der Klügste sei, der Doktor oder der Domine. Einige von seinen Bewunderern gingen gar so weit, daß sie sagten, er wisse mehr als selbst der Gouverneur – mit Einem Wort, man glaubte, daß seine Wissenschaft gar keine Gränze habe!
Nachdem Dolph in des Doktors Familie aufgenommen worden war, wurde ihm die Wohnung seines Vorgängers übergeben. Es war eine Dachstube eines alten holländischen Hauses, in dem der Regen an die Schindeln schlug, der Blitz leuchtete und der Wind bei stürmischem Wetter durch die Risse pfiff; wo endlich ganze Schaaren hungriger Ratten, gleich donischen Kosaken, allen Fallen und dem Rattengifte zum Trotz herumgaloppirten.
Er befand sich bald bis über die Ohren in den medicinischen Studien, mußte vom Morgen bis in die Nacht Pillen drehen, Tinkturen filtriren oder in einem Winkel des Laboratoriums die Mörserkeule führen. Während dem nahm der Doktor, wenn er nichts weiter zu thun hatte, oder Kranke erwartete, seinen Sitz in einem anderen Winkel, und überblickte in seinem Morgenanzug und in seiner Sammetmütze den Inhalt einiger Foliobände. Wahr ist es, das einförmige Schlagen der Mörserkeule oder vielleicht das dumpfe Summen der Fliegen lullte dann und wann den kleinen Mann in Schlummer, aber dann sperrte er wieder die Augen weit auf und sah emsig wieder in das Buch.
Es befand sich auch noch eine andere Person im Hause, der Dolph zu gehorchen verbunden war. Obgleich Junggeselle und ein Mann von großer Würde und Gewicht, stand der Doktor doch, gleich manchem klugen Mann, unter dem Pantoffel. Er war vollkommen der Herrschaft seiner Haushälterin hingegeben, einer sparsamen, geschäftigen, ärgerlichen Hausfrau, mit einer kleinen, runden, gesteppten deutschen Haube und mit einem am Gürtel einer außerordentlich langen Taille klappernden Schlüsselbund.
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