Der schöne heitere Tag verscheuchte bald alle Schrecken der vorhergehenden Nacht. Dolph lachte oder versuchte wenigstens zu lachen über Alles das, was vorgegangen war, und er suchte sich selbst zu überreden, daß es blos ein Gespinnst seiner Einbildungskraft, heraufbeschworen durch die Geschichten, die er gehört hatte, gewesen sei; jedoch war er ein wenig verwirrt, als er fand, daß die Thüre an der innern Seite verschlossen war, während er doch auf das Bestimmteste gesehen hatte, daß sie sich öffnete, als die Fußtritte hereintraten. Er kehrte in einem Zustand von bedeutender Unruhe zur Stadt zurück, beschloß aber nichts von der Sache zu sagen, bis seine Zweifel durch eine zweite Nachtwache bestätigt oder beseitigt wären. Sein Stillschweigen war für die Klätscherinnen, die sich vor der Thüre des Doktors versammelt hatten, eine schmerzliche Enttäuschung. Sie hatten erwartet, schreckliche Geschichten zu hören, und geriethen schier in Zorn, als man ihnen versicherte, er habe nichts zu erzählen.
In der nächsten Nacht wiederholte Dolph seine Nachtwache. Er trat mit einigem Zittern in das Haus. Sehr genau untersuchte er die Befestigungen an allen Thüren und verschloß sie gut. Er schloß die Thüre seines Zimmers und stellte einen Stuhl an sie; als er dann seine Abendmahlzeit zu sich genommen, legte er sich auf seine Matratze und versuchte zu schlafen. Aber Alles war vergebens; tausend sonderbare Phantasien hielten ihn wach. Die Zeit schleppte sich so langsam hin, als wenn die Minuten zu Stunden würden. Als die Nacht herankam, wurde er immer reizbarer, und er fuhr von seinem Lager auf, als er wieder die geheimnißvollen Fußtritte auf der Treppe hörte. Sie kamen herab wie zuvor, feierlich und langsam, Trapp – Trapp – Trapp! Sie näherten sich längs des Ganges; die Thüre sprang wieder auf, als wenn kein Schloß, noch ein sonstiges Hinderniß da wäre, und eine seltsam aussehende Gestalt schritt in das Zimmer. Es war ein ältlicher, großer, starker Mann, in altflämischer Weise gekleidet. Er trug eine Art kurzen Mantel mit einem Rock darunter, welcher den Leib umgab, Pluderhosen mit großen Büscheln oder Schleifen an den Knieen und ein Paar braune Stiefeln, die oben sehr groß waren und weit von den Beinen abstanden. Sein Hut war breit und hing herab, mit einer Feder auf einer Seite. Sein eisengraues Haar hing in dichten Massen um seinen Nacken, und er hatte einen kurzen grauen Bart. Er ging langsam im Zimmer umher, als wenn er sehen wollte, ob Alles in Ordnung wäre; dann hing er seinen Hut an einen Pflock an der Thüre, setzte sich in den Armstuhl und lehnte seinen Ellbogen auf den Tisch; dabei richtete er seine Augen mit unbeweglichem und tödtendem Blick auf Dolph.
Dolph war von Natur keine feige Memme, aber er war in dem Glauben an Geister und Gespenster aufgewachsen. Tausend Geschichten, die er von diesem Hause gehört hatte, schwärmten ihm im Kopfe herum; und als er auf diese seltsame Person mit ihrer sonderbaren Tracht, ihrem bleichen Gesicht, ihrem grauen Bart und ihrem starren, fischähnlichen Auge blickte, klapperten ihm die Zähne, sträubten sich seine Haare, und es brach ein kalter Schweiß über seinem ganzen Körper aus. Wie lange er in diesem Zustande blieb, konnte er nicht sagen, denn er war wie bezaubert. Er konnte seinen Blick nicht von dem Gespenst abwenden, sondern lag da und starrte nach ihm; seine ganze Seele wurde von dem Anblick in Anspruch genommen. Der alte Mann blieb hinter dem Tische sitzen, ohne sich zu bewegen oder ein Auge wegzuwenden, immer einen todten, anhaltenden Blick auf Dolph gerichtet. Endlich erhob der Haushahn eines benachbarten Landgutes seine Schwingen und krähte so laut und fröhlich, daß man es über die Felder herüber hörte. Bei diesem Ton stand der alte Mann langsam auf und nahm seinen Hut von dem Pflock, die Thüre öffnete und schloß sich hinter ihm; man hörte, wie er langsam die Treppe hinaufschritt, Trapp – Trapp – Trapp! – und als er oben angekommen war, war Alles wieder stille. Dolph lag und lauschte aufmerksam; er zählte jeden Fußtritt; er lauschte und lauschte, ob die Fußtritte nicht wieder kämen, bis er erschöpft durch Wachen, und Aufregung endlich in unruhigen Schlaf verfiel.
Das Tageslicht brachte wieder frischen Muth und Vertrauen. Er würde Alles, was vorgegangen war, gerne für einen bloßen Traum gehalten haben; aber da stand der Stuhl, in dem der Unbekannte gesessen hatte; da war der Tisch, an dem er gelehnt hatte; da der Pflock, an den er seinen Hut gehängt hatte; und da die Thüre, ganz so verschlossen, wie er sie selbst verschlossen hatte, mit dem Stuhl daran. Er eilte die Treppe hinab, um die Thüren und Fenster zu untersuchen; alle waren genau in dem Zustande, in dem er sie verlassen hatte; und es fand sich kein Weg, auf welchem irgend ein Wesen hineingekommen und das Haus wieder verlassen haben konnte, ohne Spuren zurückzulassen. »Pah!« sagte Dolph zu sich, »es war Alles nur ein Traum« – aber damit war es nicht gethan; je mehr er die Scene aus seiner Seele zu verscheuchen suchte, desto mehr wurde er davon ergriffen.
Obgleich er über Alles, was er gesehen oder gehört hatte, ein strenges Stillschweigen beobachtete, so verriethen doch seine Blicke die unruhige Nacht, die er zugebracht hatte. Es war offenbar, daß hinter diesem geheimnißvollen Benehmen etwas Wunderbares verborgen lag. Der Doktor nahm ihn in sein Studirzimmer, schloß die Thüre und suchte zu einem offenen und vertraulichen Gespräch zu gelangen; aber er konnte nichts aus ihm herauskriegen. Frau Ilsy führte ihn in die Speisekammer, aber mit ebenso wenig Erfolg; und Peter de Groodt hielt ihn eine volle Stunde am Knopf auf dem Kirchhof, dem rechten Platz, um einer Geistergeschichte auf den Grund zu kommen; aber er kam nicht einen Schritt weiter als die Uebrigen.
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