Sieh, die Sterbenden,

sollten sie nicht vermuten, wie voll Vorwand

das alles ist, was wir hier leisten. Alles

ist nicht es selbst. O Stunden in der Kindheit,

da hinter den Figuren mehr als nur

Vergangnes war und vor uns nicht die Zukunft.

Wir wuchsen freilich, und wir drängten manchmal,

bald groß zu werden, denen halb zulieb,

die andres nicht mehr hatten als das Großsein.

Und waren doch in unserem Alleingehn

mit Dauerndem vergnügt und standen da

im Zwischenraume zwischen Welt und Spielzeug,

an einer Stelle, die seit Anbeginn

gegründet war für einen reinen Vorgang.

Wer zeigt ein Kind, so wie es steht? Wer stellt

es ins Gestirn und gibt das Maß des Abstands

ihm in die Hand? Wer macht den Kindertod

aus grauem Brot, das hart wird, — oder läßt

ihn drin im runden Mund so wie den Gröps

von einem schönen Apfel? … … Mörder sind

leicht einzusehen. Aber dies: den Tod,

den ganzen Tod, noch vor dem Leben so

sanft zu enthalten und nicht bös zu sein,

ist unbeschreiblich.

DIE FÜNFTE ELEGIE

Frau Hertha Koenig zugeeignet

WER aber sind sie, sag mir, die Fahrenden, diese ein wenig

Flüchtigern noch als wir selbst, die dringend von früh an

wringt ein wem — wem zuliebe

niemals zufriedener Wille? Sondern er wringt sie,

biegt sie, schlingt sie und schwingt sie,

wirft sie und fängt sie zurück; wie aus geölter,

glatterer Luft kommen sie nieder

auf dem verzehrten, von ihrem ewigen

Aufsprung dünneren Teppich, diesem verlorenen

Teppich im Weltall.

Aufgelegt wie ein Pflaster, als hätte der Vorstadt-

Himmel der Erde dort wehegetan. Und kaum dort,

aufrecht, da und gezeigt: des Dastehns

großer Anfangsbuchstab …, schon auch, die stärksten

Männer, rollt sie wieder, zum Scherz, der immer

kommende Griff, wie August der Starke bei Tisch

einen zinnenen Teller.

Ach und um diese

Mitte, die Rose des Zuschauns:

blüht und entblättert. Um diesen

Stampfer, den Stempel, den von dem eignen

blühenden Staub getroffnen, zur Scheinfrucht

wieder der Unlust befruchteten, ihrer

niemals bewußten, — glänzend mit dünnster

Oberfläche leicht scheinlächelnden Unlust.

Da, der welke, faltige Stemmer,

der alte, der nur noch trommelt,

eingegangen in seiner gewaltigen Haut, als hätte sie früher

zwei Männer enthalten, und einer

läge nun schon auf dem Kirchhof, und er überlebte den
andern,

taub und manchmal ein wenig

wirr, in der verwitweten Haut.

Aber der junge, der Mann, als wär er der Sohn eines Nackens

und einer Nonne: prall und strammig erfüllt

mit Muskeln und Einfalt.

O ihr,

die ein Leid, das noch klein war,

einst als Spielzeug bekam, in einer seiner

langen Genesungen …‥

Du, der mit dem Aufschlag,

wie nur Früchte ihn kennen, unreif

täglich hundert Mal abfällt vom Baum der gemeinsam

erbauten Bewegung, (der, rascher als Wasser, in wenig

Minuten Lenz, Sommer und Herbst hat) —

abfällt und anprallt ans Grab:

manchmal, in halber Pause, will dir ein liebes

Antlitz entstehn hinüber zu deiner selten

zärtlichen Mutter; doch an deinen Körper verliert sich,

der es flächig verbraucht, das schüchtern

kaum versuchte Gesicht … Und wieder

klatscht der Mann in die Hand zu dem Ansprung, und eh dir

jemals ein Schmerz deutlicher wird in der Nähe des immer

trabenden Herzens, kommt das Brennen der Fußsohln

ihm, seinem Ursprung, zuvor mit ein paar dir

rasch in die Augen gejagten leiblichen Tränen.

Und dennoch, blindlings,

das Lächeln …‥

Engel! o nimms, pflücks, das kleinblütige Heilkraut.

Schaff eine Vase, verwahrs! Stells unter jene, uns noch nicht

offenen Freuden; in lieblicher Urne

rühms mit blumiger, schwungiger Aufschrift: »Subrisio
Saltat.«.

Du dann, Liebliche,

du, von den reizendsten Freuden

stumm Übersprungne. Vielleicht sind

deine Fransen glücklich für dich —,

oder über den jungen

prallen Brüsten die grüne metallene Seide

fühlt sich unendlich verwöhnt und entbehrt nichts.

Du, auf alle des Gleichgewichts schwankende Waagen

immerfort anders

hingelegte Marktfrucht des Gleichmuts,

öffentlich unter den Schultern.

Wo, o wo ist der Ort, — ich trag ihn im Herzen —,

wo sie noch lange nicht konnten, noch voneinander

abfieln, wie sich bespringende, nicht recht

paarige Tiere; —

wo die Gewichte noch schwer sind;

wo noch von ihren vergeblich

wirbelnden Stäben die Teller

torkeln …‥

Und plötzlich in diesem mühsamen Nirgends, plötzlich

die unsägliche Stelle, wo sich das reine Zuwenig

unbegreiflich verwandelt —, umspringt

in jenes leere Zuviel.

Wo die vielstellige Rechnung

zahlenlos aufgeht.

Plätze, o Platz in Paris, unendlicher Schauplatz,

wo die Modistin, Madame Lamort,

die ruhlosen Wege der Erde, endlose Bänder,

schlingt und windet und neue aus ihnen

Schleifen erfindet, Rüschen, Blumen, Kokarden, künstliche Früchte —, alle

unwahr gefärbt, — für die billigen

Winterhüte des Schicksals.

Engel: es wäre ein Platz, den wir nicht wissen, und dorten,

auf unsäglichem Teppich, zeigten die Liebenden, die’s hier

bis zum Können nie bringen, ihre kühnen

hohen Figuren des Herzschwungs,

ihre Türme aus Lust, ihre

längst, wo Boden nie war, nur aneinander

lehnenden Leitern, bebend, — und könntens,

vor den Zuschauern rings, unzähligen lautlosen Toten:

Würfen die dann ihre letzten, immer ersparten,

immer verborgenen, die wir nicht kennen, ewig

gültigen Münzen des Glücks vor das endlich

wahrhaft lächelnde Paar auf gestilltem

Teppich?

DIE SECHSTE ELEGIE

FEIGENBAUM, seit wie lange schon ists mir bedeutend,

wie du die Blüte beinah ganz überschlägst

und hinein in die zeitig entschlossene Frucht,

ungerühmt, drängst dein reines Geheimnis.

Wie der Fontäne Rohr treibt dein gebognes Gezweig

abwärts den Saft und hinan: und er springt aus dem Schlaf,

fast nicht erwachend, ins Glück seiner süßesten Leistung.

Sieh: wie der Gott in den Schwan.… … Wir aber verweilen,

ach, uns rühmt es zu blühn, und ins verspätete Innre

unserer endlichen Frucht gehn wir verraten hinein.

Wenigen steigt so stark der Andrang des Handelns,

daß sie schon anstehn und glühn in der Fülle des Herzens,

wenn die Verführung zum Blühn wie gelinderte Nachtluft

ihnen die Jugend des Munds, ihnen die Lider berührt:

Helden vielleicht und den frühe Hinüberbestimmten,

denen der gärtnernde Tod anders die Adern verbiegt.

Diese stürzen dahin: dem eigenen Lächeln

sind sie voran, wie das Rossegespann in den milden

muldigen Bildern von Karnak dem siegenden König.

Wunderlich nah ist der Held doch den jugendlich Toten.
Dauern

ficht ihn nicht an. Sein Aufgang ist Dasein; beständig

nimmt er sich fort und tritt ins veränderte Sternbild

seiner steten Gefahr. Dort fänden ihn wenige. Aber,

das uns finster verschweigt, das plötzlich begeisterte
Schicksal

singt ihn hinein in den Sturm seiner aufrauschenden Welt.

Hör ich doch keinen wie ihn. Auf einmal durchgeht mich

mit der strömenden Luft sein verdunkelter Ton.

Dann, wie verbärg ich mich gern vor der Sehnsucht: O wär
ich,

wär ich ein Knabe und dürft es noch werden und säße

in die künftigen Arme gestützt und läse von Simson,

wie seine Mutter erst nichts und dann alles gebar.

War er nicht Held schon in dir, o Mutter, begann nicht

dort schon, in dir, seine herrische Auswahl?

Tausende brauten im Schooß und wollten er sein,

aber sieh: er ergriff und ließ aus, wählte und konnte.

Und wenn er Säulen zerstieß, so wars, da er ausbrach

aus der Welt deines Leibs in die engere Welt, wo er weiter

wählte und konnte. O Mütter der Helden,

o Ursprung reißender Ströme! Ihr Schluchten, in die sich

hoch von dem Herzrand, klagend,

schon die Mädchen gestürzt, künftig die Opfer dem Sohn.

Denn hinstürmte der Held durch Aufenthalte der Liebe,

jeder hob ihn hinaus, jeder ihn meinende Herzschlag,

abgewendet schon, stand er am Ende der Lächeln, anders.

DIE SIEBENTE ELEGIE

WERBUNG nicht mehr, nicht Werbung, entwachsene Stimme,

sei deines Schreies Natur; zwar schrieest du rein wie der
Vogel,

wenn ihn die Jahreszeit aufhebt, die steigende, beinah
vergessend,

daß er ein kümmerndes Tier und nicht nur ein einzelnes Herz
sei,

das sie ins Heitere wirft, in die innigen Himmel. Wie er, so

würbest du wohl, nicht minder —, daß, noch unsichtbar,

dich die Freundin erführ, die stille, in der eine Antwort

langsam erwacht und über dem Hören sich anwärmt, —

deinem erkühnten Gefühl die erglühte Gefühlin.

O und der Frühling begriffe —, da ist keine Stelle,

die nicht trüge den Ton der Verkündigung. Erst jenen kleinen

fragenden Auflaut, den mit steigernder Stille

weithin umschweigt ein reiner, bejahender Tag.

Dann die Stufen hinan, Ruf-Stufen hinan zum geträumten

Tempel der Zukunft —; dann den Triller, Fontäne,

die zu dem drängenden Strahl schon das Fallen zuvornimmt

im versprechlichen Spiel … Und vor sich, den Sommer.

Nicht nur die Morgen alle des Sommers —, nicht nur

wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang.

Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben,

um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig.

Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte,

nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend,

nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein,

nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends …

sondern die Nächte! Sondern die hohen, des Sommers,

Nächte, sondern die Sterne, die Sterne der Erde.

O einst tot sein und sie wissen unendlich,

alle die Sterne: denn wie, wie, wie sie vergessen!

Siehe, da rief ich die Liebende. Aber nicht sie nur

käme … Es kämen aus schwächlichen Gräbern

Mädchen und ständen … Denn, wie beschränk ich,

wie, den gerufenen Ruf? Die Versunkenen suchen

immer noch Erde. — Ihr Kinder, ein hiesig

einmal ergriffenes Ding gälte für viele.

Glaubt nicht, Schicksal sei mehr als das Dichte der Kindheit;

wie überholtet ihr oft den Geliebten, atmend,

atmend nach seligem Lauf, auf nichts zu, ins Freie.

Hiersein ist herrlich. Ihr wußtet es, Mädchen, ihr auch,

die ihr scheinbar entbehrtet, versankt —, ihr, in den ärgsten

Gassen der Städte, Schwärende, oder dem Abfall

offene. Denn eine Stunde war jeder, vielleicht nicht

ganz eine Stunde, ein mit den Maßen der Zeit kaum

Meßliches zwischen zwei Weilen, da sie ein Dasein

hatte. Alles. Die Adern voll Dasein.

Nur, wir vergessen so leicht, was der lachende Nachbar

uns nicht bestätigt oder beneidet. Sichtbar

wollen wirs heben, wo doch das sichtbarste Glück uns

erst zu erkennen sich gibt, wenn wir es innen verwandeln.

Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen. Unser

Leben geht hin mit Verwandlung. Und immer geringer

schwindet das Außen. Wo einmal ein dauerndes Haus war,

schlägt sich erdachtes Gebild vor, quer, zu Erdenklichem

völlig gehörig, als stand es noch ganz im Gehirne.

Weite Speicher der Kraft schafft sich der Zeitgeist, gestaltlos

wie der spannende Drang, den er aus allem gewinnt.

Tempel kennt er nicht mehr. Diese, des Herzens,
Verschwendung

sparen wir heimlicher ein. Ja, wo noch eins übersteht,

ein einst gebetetes Ding, ein gedientes, geknietes —,

halt es sich, so wie es ist, schon ins Unsichtbare hin.

Viele gewahrens nicht mehr, doch ohne den Vorteil,

daß sie’s nun innerlich baun, mit Pfeilern und Statuen,
größer!

Jede dumpfe Umkehr der Welt hat solche Enterbte,

denen das Frühere nicht und noch nicht das Nächste gehört.

Denn auch das Nächste ist weit für die Menschen. Uns soll

dies nicht verwirren; es stärke in uns die Bewahrung

der noch erkannten Gestalt. Dies stand einmal unter
Menschen,

mitten im Schicksal stands, im vernichtenden, mitten

im Nichtwissen-Wohin stand es, wie seiend, und bog

Sterne zu sich aus gesicherten Himmeln. Engel,

dir noch zeig ich es, da! in deinem Anschaun

steh es gerettet zuletzt, nun endlich aufrecht.

Säulen, Pylone, der Sphinx, das strebende Stemmen,

grau aus vergehender Stadt oder aus fremder, des Doms.

War es nicht Wunder? O staune, Engel, denn wir sinds,

wir, o du Großer, erzähls, daß wir solches vermochten, mein
Atem

reicht für die Rühmung nicht aus.