So haben wir dennoch

nicht die Räume versäumt, diese gewährenden, diese,

unsere Räume. (Was müssen sie fürchterlich groß sein,

da sie Jahrtausende nicht unseres Fühlns überfülln.)

Aber ein Turm war groß, nicht wahr? O Engel, er war es, —

groß, auch noch neben dir? Chartres war groß — und Musik

reichte noch weiter hinan und überstieg uns. Doch selbst nur

eine Liebende, o, allein am nächtlichen Fenster …

reichte sie dir nicht ans Knie —?

Glaub nicht, daß ich werbe.

Engel, und würb ich dich auch! Du kommst nicht. Denn mein

Anruf ist immer voll Hinweg; wider so starke

Strömung kannst du nicht schreiten. Wie ein gestreckter

Arm ist mein Rufen. Und seine zum Greifen

oben offene Hand bleibt vor dir

offen, wie Abwehr und Warnung,

Unfaßlicher, weit auf.

DIE ACHTE ELEGIE

Rudolf Kaßner zugeeignet

MIT allen Augen sieht die Kreatur

das Offene. Nur unsre Augen sind

wie umgekehrt und ganz um sie gestellt

als Fallen, rings um ihren freien Ausgang.

Was draußen ist, wir wissens aus des Tiers

Antlitz allein; denn schon das frühe Kind

wenden wir um und zwingens, daß es rückwärts

Gestaltung sehe, nicht das Offne, das

im Tiergesicht so tief ist. Frei von Tod.

Ihn sehen wir allein; das freie Tier

hat seinen Untergang stets hinter sich

und vor sich Gott, und wenn es geht, so gehts

in Ewigkeit, so wie die Brunnen gehen.

Wir haben nie, nicht einen einzigen Tag,

den reinen Raum vor uns, in den die Blumen

unendlich aufgehn. Immer ist es Welt

und niemals Nirgends ohne Nicht:

das Reine, Unüberwachte, das man atmet und

unendlich weiß und nicht begehrt. Als Kind

verliert sich eins im stilln an dies und wird

gerüttelt. Oder jener stirbt und ists.

Denn nah am Tod sieht man den Tod nicht mehr

und starrt hinaus, vielleicht mit großem Tierblick.

Liebende, wäre nicht der andre, der

die Sicht verstellt, sind nah daran und staunen …

Wie aus Versehn ist ihnen aufgetan

hinter dem andern … Aber über ihn

kommt keiner fort, und wieder wird ihm Welt.

Der Schöpfung immer zugewendet, sehn

wir nur auf ihr die Spiegelung des Frei’n,

von uns verdunkelt. Oder daß ein Tier,

ein stummes, aufschaut, ruhig durch uns durch.

Dieses heißt Schicksal: gegenüber sein

und nichts als das und immer gegenüber.

Wäre Bewußtheit unsrer Art in dem

sicheren Tier, das uns entgegenzieht

in anderer Richtung —, riß es uns herum

mit seinem Wandel. Doch sein Sein ist ihm

unendlich, ungefaßt und ohne Blick

auf seinen Zustand, rein, so wie sein Ausblick.

Und wo wir Zukunft sehn, dort sieht es alles

und sich in allem und geheilt für immer.

Und doch ist in dem wachsam warmen Tier

Gewicht und Sorge einer großen Schwermut.

Denn ihm auch haftet immer an, was uns

Oft überwältigt, — die Erinnerung,

als sei schon einmal das, wonach man drängt,

näher gewesen, treuer und sein Anschluß

unendlich zärtlich. Hier ist alles Abstand,

und dort wars Atem. Nach der ersten Heimat

ist ihm die zweite zwitterig und windig.

O Seligkeit der kleinen Kreatur,

die immer bleibt im Schooße, der sie austrug;

o Glück der Mücke, die noch innen hüpft,

selbst wenn sie Hochzeit hat: denn Schooß ist alles.

Und sieh die halbe Sicherheit des Vogels,

der beinah beides weiß aus seinem Ursprung,

als wär er eine Seele der Etrusker,

aus einem Toten, den ein Raum empfing,

doch mit der ruhenden Figur als Deckel.

Und wie bestürzt ist eins, das fliegen muß

und stammt aus einem Schooß. Wie vor sich selbst

erschreckt, durchzuckts die Luft, wie wenn ein Sprung

durch eine Tasse geht. So reißt die Spur

der Fledermaus durchs Porzellan des Abends.

Und wir: Zuschauer, immer, überall,

dem allen zugewandt und nie hinaus!

Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.

Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.

Wer hat uns also umgedreht, daß wir,

was wir auch tun, in jener Haltung sind

von einem, welcher fortgeht? Wie er auf

dem letzten Hügel, der ihm ganz sein Tal

noch einmal zeigt, sich wendet, anhält, weilt —,

so leben wir und nehmen immer Abschied.

DIE NEUNTE ELEGIE

WARUM, wenn es angeht, also die Frist des Daseins

hinzubringen, als Lorbeer, ein wenig dunkler als alles

andere Grün, mit kleinen Wellen an jedem

Blattrand (wie eines Windes Lächeln) —: warum dann

Menschliches müssen — und, Schicksal vermeidend,

sich sehnen nach Schicksal? … O, nicht, weil Glück ist,

dieser voreilige Vorteil eines nahen Verlusts.

Nicht aus Neugier, oder zur Übung des Herzens,

das auch im Lorbeer wäre …‥

Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar

alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das

seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Ein mal

jedes, nur einmal. Einmal und nicht mehr. Und wir auch

einmal. Nie wieder. Aber dieses

einmal gewesen zu sein, wenn auch nur einmal:

irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.

Und so drängen wir uns und wollen es leisten,

wollens enthalten in unsern einfachen Händen,

im überfüllteren Blick und im sprachlosen Herzen.

Wollen es werden. Wem es geben? Am liebsten

alles behalten für immer … Ach, in den andern Bezug,

wehe, was nimmt man hinüber? Nicht das Anschaun, das
hier

langsam erlernte, und kein hier Ereignetes. Keins.

Also die Schmerzen. Also vor allem das Schwersein,

also der Liebe lange Erfahrung, — also

lauter Unsägliches. Aber später,

unter den Sternen, was solls: die sind besser unsäglich.

Bringt doch der Wanderer auch vom Hange des Bergrands

nicht eine Hand voll Erde ins Tal, die allen unsägliche,
sondern

ein erworbenes Wort, reines, den gelben und blaun

Enzian. Sind wir vielleicht hier, um zu sagen: Haus,

Brücke, Brunnen, Tor, Krug, Obstbaum, Fenster, —

höchstens: Säule, Turm … aber zu sagen, verstehs,

o zu sagen so, wie selber die Dinge niemals

innig meinten zu sein.