Ist nicht die heimliche List

dieser verschwiegenen Erde, wenn sie die Liebenden drängt,

daß sich in ihrem Gefühl jedes und jedes entzückt?

Schwelle: was ists für zwei

Liebende, daß sie die eigne ältere Schwelle der Tür

ein wenig verbrauchen, auch sie, nach den vielen vorher

und vor den künftigen …, leicht.

Hier ist des Säglichen Zeit, hier seine Heimat.

Sprich und bekenn. Mehr als je

fallen die Dinge dahin, die erlebbaren, denn,

was sie verdrängend ersetzt, ist ein Tun ohne Bild.

Tun unter Krusten, die willig zerspringen, sobald

innen das Handeln entwächst und sich anders begrenzt.

Zwischen den Hämmern besteht

unser Herz, wie die Zunge

zwischen den Zähnen, die doch,

dennoch die preisende bleibt.

Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche, ihm

kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall,

wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling, drum zeig

ihm das Einfache, das, von Geschlecht zu Geschlechtern
gestaltet,

als ein Unsriges lebt neben der Hand und im Blick.

Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehn; wie du
standest

bei dem Seiler in Rom, oder beim Töpfer am Nil.

Zeig ihm, wie glücklich ein Ding sein kann, wie schuldlos
und unser,

wie selbst das klagende Leid rein zur Gestalt sich
entschließt,

dient als ein Ding, oder stirbt in ein Ding —, und jenseits

selig der Geige entgeht. Und diese, von Hingang

lebenden Dinge verstehn, daß du sie rühmst; vergänglich,

traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu.

Wollen, wir sollen sie ganz im unsichtbarn Herzen
verwandeln

in — o unendlich — in uns! wer wir am Ende auch seien.

Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar

in uns erstehn? — Ist es dein Traum nicht,

einmal unsichtbar zu sein? — Erde! unsichtbar!

Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?

Erde, du liebe, ich will. O glaub, es bedürfte

nicht deiner Frühlinge mehr, mich dir zu gewinnen, einer,

ach, ein einziger ist schon dem Blute zu viel.

Namenlos bin ich zu dir entschlossen, von weit her.

Immer warst du im Recht, und dein heiliger Einfall

ist der vertrauliche Tod.

Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft

werden weniger …‥ Überzähliges Dasein

entspringt mir im Herzen.

DIE ZEHNTE ELEGIE

DASS ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht,

Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.

Daß von den klargeschlagenen Hämmern des Herzens

keiner versage an weichen, zweifelnden oder

reißenden Saiten. Daß mich mein strömendes Antlitz

glänzender mache: daß das unscheinbare Weinen

blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,

gehärmte. Daß ich euch knieender nicht, untröstliche
Schwestern,

hinnahm, nicht in euer gelöstes

Haar mich gelöster ergab. Wir, Vergeuder der Schmerzen.

Wie wir sie absehn voraus, in die traurige Dauer,

ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja

unser winterwähriges Laub, unser dunkeles Sinngrün,

eine der Zeiten des heimlichen Jahres —, nicht nur

Zeit —, sind Stelle, Siedelung, Lager, Boden, Wohnort.

Freilich, wehe, wie fremd sind die Gassen der Leid-Stadt,

wo in der falschen, aus Übertönung gemachten

Stille, stark, aus der Gußform des Leeren der Ausguß,

prahlt der vergoldete Lärm, das platzende Denkmal.

O, wie spurlos zerträte ein Engel ihnen den Trostmarkt,

den die Kirche begrenzt, ihre fertig gekaufte:

reinlich und zu und enttäuscht wie ein Postamt am Sonntag.

Draußen aber kräuseln sich immer die Ränder von Jahrmarkt.

Schaukeln der Freiheit! Taucher und Gaukler des Eifers!

Und des behübschten Glücks figürliche Schießstatt,

wo es zappelt von Ziel und sich blechern benimmt,

wenn ein Geschickterer trifft. Von Beifall zu Zufall

taumelt er weiter; denn Buden jeglicher Neugier

werben, trommeln und plärrn. Für Erwachsene aber

ist noch besonders zu sehn, wie das Geld sich vermehrt,
anatomisch,

nicht zur Belustigung nur: der Geschlechtsteil des Gelds,

alles, das Ganze, der Vorgang —, das unterrichtet und macht

fruchtbar … … ….

… O aber gleich darüber hinaus,

hinter der letzten Planke, beklebt mit Plakaten des »Todlos«,

jenes bitteren Biers, das den Trinkenden süß scheint,

wenn sie immer dazu frische Zerstreuungen kaun …,

gleich im Rücken der Planke, gleich dahinter, ists wirklich.

Kinder spielen, und Liebende halten einander abseits,

ernst, im ärmlichen Gras, und Hunde haben Natur.

Weiter noch zieht es den Jüngling; vielleicht, daß er eine
junge

Klage liebt … Hinter ihr her kommt er in Wiesen. Sie sagt:

Weit. Wir wohnen dort draußen …‥ Wo? Und der Jüngling

folgt. Ihn rührt ihre Haltung. Die Schulter, der Hals —,
vielleicht

ist sie von herrlicher Herkunft. Aber er läßt sie, kehrt um,

wendet sich, winkt … Was solls? Sie ist eine Klage.

Nur die jungen Toten, im ersten Zustand

zeitlosen Gleichmuts, dem der Entwöhnung,

folgen ihr liebend. Mädchen

wartet sie ab und befreundet sie. Zeigt ihnen leise,

was sie an sich hat. Perlen des Leids und die feinen

Schleier der Duldung. — Mit Jünglingen geht sie

schweigend.

Aber dort, wo sie wohnen, im Tal, der älteren eine der Klagen

nimmt sich des Jünglings an, wenn er fragt: — Wir waren,

sagt sie, ein großes Geschlecht, einmal, wir Klagen. Die Väter

trieben den Bergbau dort in dem großen Gebirg; bei
Menschen

findest du manchmal ein Stück geschliffenes Urleid

oder, aus altem Vulkan, schlackig versteinerten Zorn.

Ja, das stammte von dort. Einst waren wir reich. —

Und sie leitet ihn leicht durch die weite Landschaft der
Klagen,

zeigt ihm die Säulen der Tempel oder die Trümmer

jener Burgen, von wo Klage-Fürsten das Land

einstens weise beherrscht. Zeigt ihm die hohen

Tränenbäume und Felder blühender Wehmut,

(Lebendige kennen sie nur als sanftes Blattwerk);

zeigt ihm die Tiere der Trauer, weidend, — und manchmal

schreckt ein Vogel und zieht, flach ihnen fliegend durchs
Aufschaun,

weithin das schriftliche Bild seines vereinsamten Schreis. —

Abends führt sie ihn hin zu den Gräbern der Alten

aus dem Klage-Geschlecht, den Sibyllen und Warn-Herrn.

Naht aber Nacht, so wandeln sie leiser, und bald

mondets empor, das über alles

wachende Grab-Mal. Brüderlich jenem am Nil,

der erhabene Sphinx —: der verschwiegenen Kammer
Antlitz.

Und sie staunen dem krönlichen Haupt, das für immer,

schweigend, der Menschen Gesicht

auf die Waage der Sterne gelegt.

Nicht erfaßt es sein Blick, im Frühtod

schwindelnd. Aber ihr Schaun,

hinter dem Pschent-Rand hervor, scheucht es die Eule. Und
sie,

streifend im langsamen Abstrich die Wange entlang,

jene der reifesten Rundung,

zeichnet weich in das neue

Totengehör, über ein doppelt

aufgeschlagenes Blatt, den unbeschreiblichen Umriß.

Und höher, die Sterne.