Seitdem es nun bei einer von den Ihren war, sollte das unruhige Wandern sich verloren haben.

Herr Hennicke lachte zwar, als er von einem Nachbarn darauf angesprochen wurde; der aber meinte, hinter seinen weißen Zähnen sei es dem Hennicke schon recht gewesen, daß sein Lager nicht noch unter dem alten Dache stehe und daß die Tote nun zufrieden schiene. Nicht unrecht mag es ihm auch gewesen sein, daß die wohlhabende Base den Knaben ohne Entgelt aufgenommen hatte; denn die Zeiten wurden immer knapper, von den Ständen wurde auf den Landtagen immer mehr gefordert, sogar die Kosten der auswärtigen Gesandtschaften waren ihnen letzthin aufgebürdet; im Hause aber ließ Frau Benedikte ihn zur Genüge darüber hören, daß er nicht zweimal in der Woche, was ihr doch selbst in ihrem Jungfrauenstande allzeit genug gewesen sei, bei Weißfisch und dünnem Bier mit ihr zu Mittag sitzen wollte.

 

Der Kindersegen dieser Ehe war schon im ersten und im zweiten Jahre eingetroffen und damit abgeschlossen worden. Es sind zwei untersetzte, kurzbeinige Buben gewesen; trotz des Vaters mit schier rotbrandigem Haar, wie auch nach einem schwarzen Juden mitunter wohl ein Rotkopf aufzustehen pflegt. Herr Hennicke hat sie seine beiden Füchse geheißen und an ihren Streichen seine Lust gehabt. Man erzählt, da sie noch klein gewesen, hat er auf ihr Begehr zwei handliche Schubkarren für sie fertigen lassen; die pflegten sie in einer nahen Sandgrube mit Kieselsteinen aufzufüllen; dann sind sie damit auf den Hof gezogen, wo auf dem Rasen vor dem Herrenhause sich ein Ring befand, in dem Herr Hennicke seine jungen Rosse an der Leine laufen ließ. In diesem Ringe haben sie mit ihren kurzen Beinen in unsagbarer Hurtigkeit ihre Schubkarren vor sich hergefahren und haben sich von hüben und drüben ihr »Hott!« und »Hü!« einander zugerufen, daß also ein Schall entstanden ist, als wenn von einem Haufen Menschen ein großes Werk betrieben würde. Wenn sie aber dessen müde geworden, so haben sie ihre Schubkarren hingestellt und, abermals unter mächtigem Lärmen, sich mit den Steinen nach den Köpfen geworfen, bis diese blutig und die Karren leer gewesen sind. – Ist über solchem Spiel Herr Hennicke auf den Platz gekommen, so hat er, je nach seiner Laune, entweder, die Hände unterm Wams, mit finsterem Angesicht dabeigestanden oder unter kurzem Lachen ein »Drauf, ihr Füchse, drauf!« den Buben zugerufen. Meistens aber ist aufs letzte Frau Benedikte aus dem Herrenhause über die Freitreppe hinabgeschritten; da sind die Buben, wenn sie selbige nur kaum aus ihren nackten Augen angesehen hat, wie in Erstarrung stehengeblieben; und während dann das Weib mit ihren mageren Händen mit jeder einen derselben an seinen rotbrandigen Haaren in das Haus hineinzog, hat Herr Hennicke sich abgewandt und ist zu Roß und Hund in seinen Stall gegangen.

– – Zwischen den Buben, oder lieber noch abseits von ihnen, ist mitunter auch ein Dirnlein umhergesprungen, dem ältesten von diesen im Alter etwa um ein halbes Jahr voraus, von schlankem, kräftigem Wuchs, mit schwarzem Kraushaar, darunter ein Paar milde blaue Augen. Sie hat nicht auf den Hof gehört, sondern mit ihrer Großmutter, der Witwe des früheren Försters, in dem Unterbau des Eekenhofs gewohnt; aber Herr Hennicke hat einen Narren an dem Mädchen gehabt; er hat auch damals, als die Mutter ihr im Kindbett weggestorben war, sie selber aus der Taufe gehoben, was ihm von Frau Benedikte, mit der er kurz zuvor den Ring gewechselt hatte, nicht eben liebreich aufgenommen war; denn die Kleine war ein Jungfernkind, ja, die Bauern und Hörigen wußten es an den Fingern, daß sie dem Herrn noch näher als nur durch die Taufe angehöre; auch daß er statt seines hageren Ehekreuzes wohl gern die schöne Försterstochter heimgeführt hätte, wenn diese nur adeligen Standes oder zum mindesten adeligen Vermögens gewesen wäre. Vor Herrn Hennickes Ohren freilich wurde solch Gerede niemals laut; auch hätte es ihn weiter nicht gekümmert, als daß er etwa die Schwatzmäuler zu besserem Besinnen in den Block gelegt hätte. Mitunter, wenn ihn seine schwarzen Stunden plagten, konnte es geschehen, daß er plötzlich zu Pferde stieg und nach dem alten Haus hinüberjagte. »Heilwig! Heilwig!« rief er schon von weitem, wenn er die Kleine am Ringgraben oder auf der Schwelle des Tores spielen sah. Sie erschrak dann wohl und lief ins Haus; aber es half ihr nicht; mit dem Kinde vor sich auf dem Sattel kam er nach Frau Benediktes Hof zurück und hieß demselben für die Nacht die Kammer an der seinen rüsten.

Freilich die kleine Heilwig selber hatte keine Lust davon; Frau Benedikte gab ihr weder Blick noch Wort, und bei den Mahlzeiten, bei denen sie auf ihres Paten Geheiß an dessen Seite sitzen mußte, wurde ihr der Teller wie einem Hunde oder einer Katze zugeschoben. War Herr Hennicke kurz zuvor in der Stadt gewesen, so hatte er wohl einen Chinaapfel oder eine andere Leckerei auf ihren Platz gelegt; aber sie rührte sie nicht an, denn die beiden Füchse sahen mit so gierigen Augen darauf hin, daß sie den Bissen nicht einmal zu teilen wagte. Am meisten vielleicht fürchtete sie die ihr unverständliche, gewaltsame Zärtlichkeit des finsteren Mannes selber. Nicht selten, wenn morgens sie in ihrem Bett erwachte, sah sie die schwarzen Augen ihres Paten über sich; er sagte nichts, er strich ihr stumm die Löckchen von der Stirn oder drückte ihr verschlafenes Köpfchen zwischen seine beiden rauhen Hände; mitunter riß er sie vom Kissen auf an seine Brust, daß sie mit ihren nackten Ärmchen gleich einem Opfer in des Mannes Armen hing. Wenn er dann wieder plötzlich von ihr abließ und schweigend, wie er gekommen, zur Kammertür hinausgeschritten war, so lag sie auf ihr Kissen hingesunken und wagte sich nicht zu rühren, bis unten auf dem steinernen Hausgang sein harter Tritt verschollen war.

War sie dann aufgestanden und hatte unter Frau Benediktes Augen ihr Frühstücksbrot verzehrt, dann lief sie gern ins Freie, um der Liebe des einen und dem Haß der anderen zu entkommen; sei es in den Garten hinterm Hause, wo freilich außer den Bohnen-und den Wurzelbeeten nicht viel Liebliches zu sehen war, oder über den weiten Hof auf die Heerstraße, um dort von einem Walle oder einem großen Steine aus sehnsüchtig nach der Richtung des hinter dem Walde belegenen Eekenhofes hinzuschauen. Aber die untersetzten Buben rannten ihr, wo sie nur konnten, nach und plagten sie auf alle Weise; sie hießen sie den »Kuckuck«, weil sie ihnen das beste Futter nehme, und brachten sie, trotz tapferer Gegenwehr, oftmals in bittere Tränen. »Ich will zu meiner Großmutter!« rief sie dann wohl in ihrer Not; sie hätte das auch sonst wohl gerufen; aber wenn ihres Paten Augen auf ihr lagen, dann waren ihr die Lippen wie verschlossen.

Eines Nachmittages, da ein fremder Pferdezieher auf den Hof gekommen war, hatte Herr Hennicke ein kleines Nordlandspferdchen eingehandelt; als aber die beiden Füchse, welche ihn schon lange um ein solches Tier geplagt hatten, in lauten Jubel ausbrachen, erklärte er ihnen, daß sie dessen keine Ursach hätten: »den Pony habe er für Heilwig eingekauft; für solche Buben, wie sie beide, seien die Milchesel annoch die besten Rosse«. Bei diesen Worten hob er das zitternde Mädchen, das dabeigestanden, gleich einem Vogel auf den Rücken der kleinen Stute und führte diese behutsam auf dem Hof umher; die beiden Füchse aber rannten heulend in das Haus, um ihrer Mutter diese neue Unbill zu berichten.

Frau Benedikte schwieg; sie wagte, wo es das Mädchen galt, nicht gern gegen ihren Eheherrn zu reden; nur ihre Wangen wurden etwas bleicher und ihre bläulichen Lippen etwas blasser, als sie ohnedies schon waren.

Die kleine Heilwig aber, als Herr Hennicke zu den Arbeitern auf das Feld gegangen war, fürchtete sich, ins Haus zu gehen, obgleich die Dämmerung stieg und kalte Herbstluft wehte. Sie schlich sich frierend auf den Weg hinaus; bald schritt sie mutig fürbaß und wollte drüben durch den dunkeln Wald zur Großmutter nach dem Eekenhof zurück, bald stand sie ratlos still und wickelte sich ihr Schürzchen um die kalten Arme, bis sie am Ende, da eben überm Herrenhaus der Mond heraufstieg, von kindischer Furcht ergriffen, nach dem Hof zurücklief. Kaum aber war sie durch das Torhaus auf den hellen Platz getreten, so sah sie plötzlich aus dem Schatten einer Scheune die beiden Buben auf sich zustürzen.

»Was wollt ihr!« rief sie erschreckt. »Was hab ich euch getan?«

Aber die Füchse packten sie bei den Armen und zerrten sie gegen den steilen Rand einer Wassergrube, aus welcher bei kalten Nächten das heimkehrende Vieh getränkt zu werden pflegte.

»Laßt mich!« schrie das Kind. »Ich will das dumme Pferd nicht haben; ich will nichts, gar nichts von euch und eurem Vater haben!«

Doch die beiden Füchse fuhren nur stumm und emsig in ihrer gemeinschaftlichen Arbeit fort, und schon blinkte von unten das Wasser in die entsetzten Kinderaugen, da plötzlich ließen sie mit jammerndem Geschrei von ihrer Beute ab. Herr Hennicke, vom Felde heimkehrend, einen derben Stock in seiner Faust, stand über ihnen. Aber auch Frau Benedikte war alsbald zur Stelle und frug, was denn die Kinder abermals verbrochen hätten.

Da schrie der Älteste, durch der Mutter Gegenwart ermutigt: »Der Kuckuck! Wir wollten nur den Kuckuck aus dem Neste schmeißen!«

Frau Benedikte stieß ein Lachen aus. »Die da?« rief sie. »Nicht wahr, Herr Hennicke, das ist kein Kuckuck? Ihr kraus Gefieder stammt von einem anderen Vogel; auch gäbest du gar gern wohl Weib und Kind, wenn du der Dirne Augen noch in einem andern Kopf erschauen könntest!« Sie streckte ihre hageren Finger nach dem Kinde, daß dieses sich erschrocken an ihres finsteren Paten Seite drängte.

Dieser aber hob die Kleine auf seinen Arm und wischte mit ihrem Schürzchen ihr die Tränen aus den Augen. »Wenn du das alles weißt, Frau Benedikte«, sprach er, »dann weißt du auch, weshalb der Vogel hier ins Nest gehört.«

Die Frau wollte ein hastig Wort erwidern; aber sie biß sich nur auf ihre bleichen Lippen, denn die Zornader lag dick auf ihres Mannes Stirn.