Da rief er: »Heilwig! Detlev!« Aber es antwortete niemand; es wurde völlig still nach seinem Rufen. Dann, da er mit allen Sinnen horchte, kam auf seinen wiederholten Ruf noch einmal ein Geräusch; aber es war nur, wie wenn von Forteilenden die Büsche knickten.
Zornig ging er auf dem Waldwege fort, bis die Holzkoppel ihm zur Seite lag, wo unter dem Vogte die Leute in der Arbeit waren. Da hielt er an. »Vogt!« rief er, »hast du den Junker Detlev und die Heilwig hier gesehen?«
»Wohl, Herr!« Und er wies mit seinem Knüttel ein Stückchen aufwärts an den Waldesrand. »Sie sind dort nach des Forthmann Hause zu gelaufen. Soll ich sie holen, Herr?«
Herr Hennicke warf einen raschen Blick über die Schar der Arbeiter. »Wo ist der Forthmann?« frug er.
»Der ist erst morgen an der Reihe.«
Herr Hennicke hieß den Vogt zur Stelle bleiben; er selber aber schritt hastig über die Felder, bis er des Kätners Haus erreicht hatte. »Wo sind der Junker Detlev und die Heilwig?« frug er diesen, der eben einen Eimer Wasser aus seinem Brunnen aufgezogen hatte.
Der aber, als er das zornrote Antlitz seines Herrn erblickte, fürchtete, daß den Kindern ein Leids geschehen werde, und antwortete stockend: »Ich weiß nicht, Herr; sie sind nicht hier gewesen.«
»Du lügst, Forthmann!« rief Herr Hennicke.
»Nein, nein, Herr; ich weiß nichts von dem Junker!«
Herr Hennicke hieß den Mann ins Haus gehen und dort auf ihn warten. Er selber suchte draußen nach den Kindern; er stieß einen Haufen Reisig auseinander; er riß die Pforte des kleinen Immenhofes auf; aber er fand sie nicht. Endlich an einem Dornbusch sah er Heilwigs rotes Tüchlein flattern.
Als er damit in die Tür des Hauses trat, stand der Kätner an einem hellen Feuer, das im Hintergrund der Lehmdiele unter dem Kesselhaken lohte. Er rief ihn zu sich und zeigte ihm das Tüchlein. »Weißt du, Forthmann«, frug er, »wie mein Großvater seine freveligen Bauern strafte?«
Der Mann starrte ihn nur angstvoll an.
»Geh«, rief er, »und hol den Eimer Wasser, den du vorhin aus dem Brunnen zogst!«
Und als der Bauer mit dem vollen Eimer wieder in die Hütte trat, nahm Herr Hennicke ihm denselben aus der Hand und goß das Wasser in die Herdflamme, daß sie prasselnd in weißem Dampf erlosch.
Eine Weile blieb er stehen, bis die stäubende Asche sich verflogen hatte; dann sprach er: »Dein Feuer ist tot; und wehe denen, die vor Wochenschluß es wieder anzuzünden wagen; sie sollte schwere Buße dafür treffen!«
Er wandte sich zum Gehen.
Da bekam der Hörige die Sprache wieder. »Herr, mein Weib ist krank; die Woche hat ja erst begonnen!«
Aber Herr Hennicke ging, während der Kätner wie in Betäubung beide Arme nach dem Fortschreitenden ausstreckte.
– – Am andern Morgen in der Frühe ritt Herr Hennicke wieder nach dem Eekenhof; er ritt durch das Hecktor in das Holz hinein. Als er an die Koppel kam, stand am Rande derselben der Vogt mit einer Peitsche in der Hand; denn er paßte auf einen Säumigen, dem er den Willkomm geben wollte.
»Gib's ihm doppelt auf den Mittag!« rief Herr Hennicke. »Jetzt komm mit mir; wir wollen nach dem kalten Herde sehen!« Und er erzählte, was gestern in des Kätners Forthmann Haus geschehen war.
»Herr«, sagte der Vogt, »es wird sich niemand dort die Faust verbrennen wollen!«
Herr Hennicke nickte. »Sie sollen aber wissen, daß sie nimmer sicher sind.« Er gab seinem schwarzen Gaul die Sporen, und der Vogt trabte nebenher.
Weiter oben am Rande des Gehölzes lag die Kate in der Morgensonne; nichts Lebendes war zu sehen als eine Katze, welche auf der Schwelle schlief.
»Ist Forthmann in der Arbeit?« frug Herr Hennicke seinen Vogt.
»Ja, Herr.«
»Und das Weib?«
»Sie kann nicht; sie liegt schon wieder mal an ihrem schweren Schaden.«
Plötzlich riß Herr Hennicke sein Roß zurück. »Was ist das, Vogt?« rief er und wies nach dem zerfallenen Strohdach, aus dessen First es bläulich in die Luft stieg.
»Das, Herr«, erwiderte der Mann und deckte sich die Augen vor den schrägen Sonnenstrahlen, »das ist Rauch; und wenn's nicht auf dem Boden brennt, so ist auch Feuer auf dem Herd.«
Herr Hennicke war rasch vom Gaul herunter. Als er die Lehmdiele der Hütte betrat, sah er wie gestern ein helles Feuer unter einem Topfe lodern. Auf der einen Seite des Herdes stand die kleine Tochter des Kätners in ihrem Lumpenkleidchen, auf der andern stand der Junker Detlev, der leuchtenden Auges in die Flammen blickte und dem Feuer eben eine frische Hand voll Reisig zuschob.
Erst als die Dirne einen Schrei ausstieß, sah er seinen Vater vor sich stehen. Er erschrak heftig; als aber dieser mit bebender Stimme frug: »Hast du dich unterstanden, dieses Feuer anzuzünden?«, sprach er: »Ja, Herr Vater; aber das Weib des Kätners liegt in schwerem Siechtum und kann der warmen Speise nicht entraten.«
Herr Hennicke wies auf einen Eimer mit Wasser, der neben dem Herde stand.
»Nimm!« sagte er, »und gieß das Feuer aus!«
Aber der Junker rührte sich nicht.
»Nimm!« schrie Herr Hennicke. »Oder glaubst du, daß du schon Herr auf diesem Boden bist?«
Da sprach der Junker: »Nein, Herr Vater; wohl bin ich hier der Herr, aber ich weiß auch, daß die Gewalt annoch in Eueren Händen liegt. Wenn sie einmal in meinen ist, so sollen's meiner Mutter Leute besser haben!«
Bei diesen Worten ist der Grimm des Mannes losgebrochen. »Gib ihm die Peitsche!« schrie er dem Vogte zu, der eben eingetreten war. »Gib ihm die Peitsche!« Als aber der Vogt vor solcher Anmutung zurückgewichen ist, hat er den Stock aus dessen Hand gerissen und den Junker in das Angesicht geschlagen, daß das Blut hervorgeschossen ist.
Keinen Laut hat dieser ausgestoßen; er ist ruhig stehengeblieben, bis sein Vater fortgeritten war. Aber nach Hause ist er nicht gekommen und auch später in dieser Gegend nicht mehr gesehen worden; nur auf dem Eekenhofe soll er desselbigen Abends noch gewesen sein.
Der Sommer ist dahingegangen, ohne daß Heilwig nach Frau Benediktes Hof gekommen wäre; als aber Herr Hennicke eines Morgens nach Eekenhof geritten kam, ist sie schreiend vor ihm davongelaufen. Danach hätten die beiden Füchse am liebsten selbst den Kuckuck in ihr Nest geholt, denn es ist böse Zeit für sie gekommen. Und immer seltsamer ist Herr Hennicke in seinem Zorn geworden, daß seine Nachbarn sprachen, der schwarze Henne gehe nun die Straße nach dem Narrenhaus; aber es ist nur seine eigenwillige und trotzige Seele gewesen, die den Geboten Gottes sich nicht hat fügen wollen.
Im Herbst desselben Jahres ist es gewesen, daß der Stier eines Bauern stößig wurde und Herrn Hennickes Lieblingshunde die Därme aus dem Leib gerissen hat, so daß das Tier daran verrecken mußte. Als ihm solches kundgeworden, hat er zuerst dem Bauern an Leib und Leben wollen; dann aber ist er anderen Sinnes geworden; er hat den Bullen greifen lassen und ihn zum Hungertod verurteilt.
Vom Hofe aus führte eine Tür zu einem Gefängnis, für welches man in dem Unterbaue eines Treppentürmchens Platz gefunden hatte; statt der Strolche und Vaganten, denen sonst darin Quartier gegeben wurde, war jetzt der Stier dort in der leeren Zelle angekettet, zu der Herr Hennicke den Schlüssel in seiner eignen Tasche trug.
Als es aber in die zweite Nacht gekommen war, ist ein solches Toben von der hungernden Kreatur gewesen, daß im Hause niemand den Schlaf hat finden können als etwa die beiden Junker Henno und Benno, die sich nur schnarchend umgeworfen, wenn das Stampfen und Gebrüll zu dröhnend durch die Mauern fuhr. Frau Benedikte selbst in all ihrer Hagerkeit hat aufrecht in den Kissen wach gesessen; mit jedem Notruf des gefangenen Tieres hat sie mehr Grimm und Ungeduld hinabgeschluckt; dann aber ist sie jählings nach ihres Eheherrn Bette zugesprungen, und da sie in der mondhellen Kammer sah, daß auch Herr Hennicke mit aufgestütztem Arm und offenen Augen dalag, so hat sie alles nun mit einem Male wider ihn gespien und verlangt, daß er den Bullen von der Kette löse. Er aber hat sich nicht gerührt und nur gesagt, sie solle ihre Kehle sparen, so werde sie es leichtlich noch dem Bullen abgewinnen.
Frau Benedikte hat nun nichts weiter richten können; als aber am Morgen der Bauer, dem der Stier zu eigen war, sie gar um Fürwort bei dem Herrn angegangen, da hat sie ihn voll Zornes angeschrien, er möge damit nach dem Eekenhof zur Bastarddirne laufen.
– – Am selben Nachmittage, als Herr Hennicke in der Gewehrkammer verdrossen seine Hakenbüchse putzte, trat zögernden Schrittes Heilwig zu ihm ein.
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