„Lütt Matten de Haas, de mok sick een Spaß. He wier bit studiren, dat Danzen to lieren. Un danz ganz alleen op de achtersten Been.” Marie schluchzte noch. Sie sang von lütt Matten, dachte aber noch an die Sache mit dem Priem. „Kähm Reinke de Voß un dach, das ein Kost.” Noch ein lautes Schluchzen aus der Gegend von Marie Lehning. „Und sech: lüttsche Matten so flink op de Patten, un danz ganz alleen op de achtersten Been?”
Jetzt fiel es Marie ein, was der Fuchs vorhatte, darüber vergaß sie den Priem. „Kumm lat uns tosam, ick kann as de Dam.” Das war schlau von Reinke, sich als Dame anzustellen, damit kriegte er lütt Matten! Marie freute sich. „De Krei de speelt Fiedel, denn geiht dat kandiedel, denn geiht dat mal schön op de achtersten Been.” Den hellsten Diskant hatte Marie Lehning.
„Halt! Den letzten Vers singt Marie allein”, rief der Lehrer, denn er hatte das Gefühl, daß er das Kind ermutigen müsse. Es krähte denn auch freudig aus voller Kehle: „Lütt Matten gev Pot, de Voß bet em dot. He sett sick in Schatten, verspies denn lütt Matten. De Krei de kreeg een von de achtersten Been.”
Als sie fertig war, lachte sie dreimal hoch auf. Der Lehrer sagte: „Siehst du wohl, das kommt davon!” Die ganze Schule freute sich über das Schicksal lütt Mattens, der betrogen und gefressen worden war. Am glücklichsten war Marie.
Einige Zeit verging, da wurde eine ihrer Schwestern im Walde tot aufgefunden, mit dem Rock über dem Kopf, und die dünnen kleinen Beine lagen im blutigen Schnee. Der Vater wurde vom Gendarm geholt, um seine Tochter anzusehen, aber die Mutter erklärte, er sei duhn, sie müsse mitgehen. Ihr schlössen sich auch die Kinder an, so viele noch da waren. Alle weinten, besonders der Vater. Klein und dürftig suchte er Halt bei seiner großen Frau, die nichts ins Wanken brachte. Sie war die einzige, die keine Träne vergoß. Ihre Augen blieben wasserhell und ungetrübt in einem Gesicht wie Leder.
Auf dem Rückweg packte Marie den Rock der Mutter und ließ nicht mehr los. Den ganzen Tag blieb sie im Haus und verließ es auch am folgenden Tag nur, wenn sie hinausgejagt wurde. Damit man sie duldete, machte sie alle ihre Schulaufgaben. Was sie nicht wußte, fragte sie den Vater, der keine Arbeit hatte.
„Sag dem Lehrer, das soll er man selbst herauskriegen!” Der Vater war bei schlechter Laune, weil er sich keinen Schnaps kaufen konnte.
Marie indessen setzte sich ohne jeden Übergang an etwas ganz anderes. Sie versuchte auszurechnen, wie viele Geschwister sie gehabt hatte und wer alles verlorengegangen war. Sie schrieb auf ihre Schiefertafel die Namen, die sie kannte, und verzeichnete daneben: „Husten” oder „Versoppen” oder „Im Wald hingefallen”. Die Schwierigkeit begann bei den Großen, die das Dorf verlassen hatten, als sie selbst noch ganz klein war. Lebten die? Und mußte man sie überhaupt mitzählen? Marie wußte knapp, wie sie hießen, von ihnen war nie die Rede hier im Katen.
Alles ging langsam bei Marie. Körperlich kam sie mit und war auf dem Wege, hübsch und kräftig zu werden, wie alle weiblichen Lehnings; man wußte nicht, wovon. Die Jungen gerieten schlechter. Aber bis sie etwas begriff, dauerte es länger. Zu der Rechnung mit den toten und lebenden Geschwistern kehrte sie noch mehrmals zurück.
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