Dann war die Furcht seit jenem Ereignis in den Tannen wieder vergessen, Marie kam nach der Schule nicht mehr außer Atem zu Hause angerannt, sie trieb sich wieder umher. Es war auch schon nicht mehr derselbe Winter, sondern ein anderer, da wurde ihr klar, daß der Katen niemals warm war. Im Katen zu frieren, hatte sie immer für richtig gehalten. Abends kehrte die Mutter he im und kochte Suppe auf der steinernen Feuerstelle. Man konnte die Hände in die Wärme halten oder auch das Gesicht, wobei man sich die Brauen versengte.

Jetzt machte Marie die Bekanntschaft des Mädchens aus dem Räucherkaten. Es hieß Stine, und eigentlich waren beide schon längst gewohnt, einander überall zu begegnen. Eines Tages und ohne Vorbereitung faßte Stine die andere unter den Arm und nahm sie mit. Sieh mal an, im Räucherkaten war es warm! Sonst hätte es wohl auch keine geräucherte Wurst gegeben. Zuerst bekam man Würgen, weil in dem Katen die Luft braun und dick vom Rauch war. Kein Abzug; nur die obere Hälfte der Tür wurde manchmal aufgeklappt, wenn die Luft zu schlimm würgte. Aber dafür heizte die Glut unausgesetzt, und die vielen Würste unter der Decke waren herrlich anzusehen. Stine, ihre Eltern und Geschwister wurden selbst mitgeräuchert, sie kriegten Falten schon als Kinder. Wenigstens saßen sie warm.

Erst einige Zeit nach ihrem Besuch im Räucherkaten kam Marie auf den Gedanken, daß in anderen Häusern die Stuben warm waren, ohne daß es rauchte. So gut hatten es die Kinder der Fischer. Wenn Stine zum Beispiel die Tochter von Fischer Merten gewesen wäre, dann hätte sie Marie unter den Arm gefaßt und sie mitgenommen in das große Haus mit dem Garten, wo sie Schollen hatten, mehr, als alle zusammen aufessen konnten, und das in der warmen Stube. Von den Würsten in dem Räucherkaten gab es nichts, die Eltern Stines waren arm. Da wurde es dem Kinde klar, daß das andere Mädchen es gerade darum untergefaßt und mitgenommen hatte. Beide waren arm. Wollte eine im Warmen sitzen, mußte sie dafür Rauch schlucken.
Das hatten manche nicht nötig, die Kinder der Fischer nicht, die Kinder der Bauern, der Kaufleute, Darin lag der Unterschied, und darum war es keins von ihnen allen, das mit Marie nach Haus ging. Sie selbst hätte es auch gar nicht für richtig gehalten. Wenn sie alles überlegte, vielleicht hätte sie sich losgemacht von dem Arm des Fischermädchens und wäre fortgelaufen. Die Fischer standen obenan, etwas abseits die Kaufleute, viel tiefer die Bauern - aber wann kamen die Landarbeiter? Sie kamen lange nach den Schifferknechten, ihr Platz war unten. ,Wir sind die Untersten’ - erkannte Marie.
In dem großen Haus mit dem wilden Wein war ein Junge, Mingo Merten, wenig älter als Marie, aber wieviel dreister! Nach dem Winter, währenddessen Marie über die verschiedene Wärme der Stuben nachgedacht hatte, wurde es Frühling, da griff Mingo ihr in das dichte aschblonde Haar und verlangte, sie solle in seinem Garten mit ihm spielen. Sie fragte:

„Was machen wir?”

„Ich habe einen Hund, der frißt gern rohe Eier. Ich mag auch gern rohe Eier. Du auch?”
Sie waren darin einig. Der Hund nahm wirklich den Hühnern die Eier weg, trug sie äußerst vorsichtig auf weichen Boden und öffnete sie mit den Zähnen. Es war ein großer Spaß. Marie bekam, so viele sie wollte; sie hörte aber auf. bevor es genug war.
„Wenn deine Mutter es sieht -“
„Dann gibt es eine Tracht”, sagte er im Scherz, sie weinte sofort.