Pflichtgetreu tauchte sie die Badegäste unter. Dafür trocknete sie die Geschwister nachher ab. Für sich selbst fand sie es unnötig, aber das waren Badegäste, etwas Vornehmes und Verächtliches zugleich.
Die beiden taten sanft und artig; Marie sah wohl, daß sie einander Blicke zuwarfen aus ihren gleichen, mandelförmigen Augen; sie war trotzdem auf nichts gefaßt, es geschah ganz plötzlich. Der Junge mußte ihr ein Bein gestellt haben, denn sie fiel auf Brust und Gesicht, und beide Kinder bearbeiteten sie mit den Fäusten. Es waren nur schwache Fäuste, aber außerdem spuckten die beiden. Marie stand auf und war nahe daran, ihnen zu zeigen, daß sie viel besser spucken konnte. Rechtzeitig fiel ihr ein, daß ihre Mutter von den Eltern der Kinder inzwischen Geld bekam, wenn sie sich hier anspucken ließ.
Das Merkwürdigste war, wie schnell den fremden Kindern ihre Wut verging. Der Junge verkrümmte schon nicht mehr den Mund, seine Augen funkelten nicht mehr tückisch, und. das Mädchen lächelte wieder überlegen, wie vorher. Marie kam da nicht mit.
„Kurt, wir wollen mit der Kleinen spielen”, erklärte das Mädchen.
„Viktoria, du bist die gnädige Frau”, stellte er mit Stolz fest. Das Mädchen bestimmte:
„Sie ist bei meinem Baby die Amme.”
„Stimmt, Vicki, und ich bin das Baby!”

„Aber du bekommst die Flasche”, belehrte ihn seine Schwester mit ihrem sonderbar glatten Lächeln, bei dem sich manches denken ließ.

Alle drei spielten wirklich herrlich im weichen Sand. Weich war das Fächeln der Luft, und See und Himmel blauten unabsehbar. Weich wurden die Stimmen der schreienden Kinder ringsum vor den Strandkörben, und die vorübergleitenden Dampfer schickten von fern die Rufe ihrer Sirenen wie aus Liebe. Der Strand war leer geworden, da erkannte Marie am Stand der Sonne, daß es Zeit war, die Badegäste zurück in ihre Villa zu bringen.
Sie hatte einen Tag gehabt, wie es eigentlich keinen geben durfte; denn zu Hause war im Faß die Wäsche eingeweicht, wer hatte die inzwischen besorgt? Marie fürchtete, daß die Mutter angeben könnte, aber das ging ihr nicht nahe. Vielmehr fühlte sie sich gehoben von ihrer Bedeutung. Um so schrecklicher war die Nachricht, die sie erwartete.
„Lütt Pieter is halb versoppen; hast du nicht aufpassen können, unnütze Deern?”
Ihr kleinster Bruder, der noch nicht einmal sprechen konnte, war allein bis an das Wasser gekrochen, so erfuhr sie. Fremde Leute hatten ihn herausgezogen, als er schon längst mit dem Gesicht darin lag, die krummen Beinchen noch im Trocknen, und sich nicht mehr rührte. Jetzt aber war er wieder richtig da und schrie. Daher folgte ihrem ersten Schrecken ein großer Ärger* auf lütt Pieter, weil er versuchte hatte, ihr den schönen Tag zu verderben. Sie holte sich trotzig ihr Abendbrot. Mutter Lehning drohte, dies sei das letzte Mal, daß sie sich mit den Badegästen umhergetrieben habe. Aber Marie brauchte nur Vater Lehning anzusehen, wie er den guten Tabak rauchte und Köhm dazu trank, dann wußte sie Bescheid wegen der Drohung.

Wirklich kamen noch viele schöne Tage; niemand zählte sie, nichts hätte sie ändern können, kein Gewitter, denn am Morgen war es wieder blau. Die Zwischenfälle, Streit mit seine Pfeife aus den Zähnen zu nehmen. Ihre kleinen Geschwister zeigten weniger Verblüffung als kalte Neugier. Der schon größere Kasper grinste sogar anzüglich. Sie wurde verlegen und sagte:

„Ich bin mit G. P. Tietgen hier.”
„Das wissen wir. Sie reden gerade genug… Na, gib man her -“, damit ließ Vater Lehning den strafenden Ton beiseite und nahm das Kirschwasser entgegen. Die anderen wickelten die Gans aus, legten sie in eine Blechschüssel und schienen entschlossen, gleich loszuessen.