Ein selbsterzähltes Leben Read Online
Ein selbsterzähltes Leben
-Kapitelname unbekannt-
Ein selbsterzähltes Leben
1927
Titelblatt der Erstausgabe von »Ein selbsterzähltes Leben«, Federzeichnung, 1928, Verlag Paul Cassirer, Berlin 1928
Der sich hier freimütig äußernde Bildhauer und gelegentliche Dramenschreiber wird nicht von krummen Wegen, immerhin von Irrfahrten und vom Heimischgewesensein auf verworrenen Pfaden sprechen, er rühmt sich dessen weder noch schämt er sich, läßt sich aber die Feststellung entfahren, es derart bis zu einem guten Grüppchen von Jahren über die Sechzig gebracht zu haben. Wenn er also vom Segen spricht, der ihm nicht allein aus gewissen inneren Begebenheiten, geschweige denn aus der Summierung von Beobachtungen und Nötigungen zur Kenntnisnahme sowohl bitterster wie wohltätigster Art geworden ist, so darf er wohl hoffen, nicht als leichtfertiger Daherredner beiläufiger oder einstweiliger Spruchweisheit angesehen zu werden.
Barlach: Künstler zur Zeit, 1933
Mein Vater zeichnet
Wandernde Puppenspieler, Holzschnitt, 1922,
8,4 X 11 cm, Aus der Folge zum Drama »Der Findling«,
Blatt 8 Verlag Paul Cassirer, Berlin 1922Barlach im Gespräch zu Friedrich Schult:
»Den Findling habe ich mir im Freien zusammengesucht:
Ich weiß von jedem Stücke, ich weiß von jeder
Wendung, die mir auf meinen Wegen einfiel, noch Strauch und
Baum.«
Großvater Barlach hatte Liebeskummer, und seine Söhne wachten mit ihm und halfen seufzen. Dann wurde es sehr spät, bis das erlösende Wort fiel: »So gebt die Bibel«; denn nur, wenn der Bibelabschnitt gelesen war, durfte nach der Ordnung des Pfarrhauses in Bargteheide zu Bett gegangen werden. Und mein Vater zeichnete, selbst in dieselbe Person schmerzlich verliebt, zeichnete Großvater Barlach mit seinen Söhnen von der einen Seite auftretend, Bertha Korneels aber, einen großen Geldbeutel herweisend, von der andern.
Ein bißchen Zeichnen oder Malen oder Schreiben mehr oder weniger fiel in der Familie nicht auf. Tante Friede schöpfte aus dem Vollen der Farbe und schonte auch die Leinwand nicht – und mit der gerahmten Leinwand nicht Wohnungen, Wände, Stuben, Dielen und alles Gelaß derer, die keine Wahl hatten zwischen Nehmen und Ablehnen. Auch ihre Rede quoll aus dem Überfluß; ihre schäumende Suada, hervorbrechend aus unausschöpfbaren Lungen, verglich mein Vater mit der der Königin Margarete in Richard dem Dritten. Tante Erne, zufrieden mit dem von ihrem Gott nur kümmerlich bemessenen Vermögen, strich im Glauben an den Wert alles aus Liebe Gegebenen ihre grundehrlichen Zaghaftigkeiten aufs gutwillige Papier. Und wenn es sich bei den Brüdern einigermaßen verhielt, so geriet es bei den Söhnen um so hemmungsloser; Vetter Friedrich wurde Maler, Vetter Ernst zog das zeichnerische und schreibende Bekennen und Beteuern mit einer seltsamen, draufgängerischen Unbedenklichkeit in den Dienst einer begeisterten Menschenfischerei, aus dem ihn noch als Student der Theologie der unbedenklichere Menschenfischer Tod verjagte – und sein Bruder Karl, obgleich Jurist, gestaltet mit reiner Treue, was Herz und Auge ihm in Lust und Qual zu verwinden geben und bildend aus dem Bereich des Erlebens in den des Betrachtens zu retten auffordern.
Aber mein Großvater starb nicht als Witwer. Als er an seinem ersten Enkel das Werk der Taufe übte, stand er, frisch verlobt, mit seinem Sohn auf dem Balkon des Ratzeburger Hauses, legte reuig die Hände auf das Gitter und seufzte aus tiefster Seele: »Wo ward ick se wedder los?«
Zusammen habe ich fünf Großmütter gehabt; meines Vaters rechte Mutter starb früh, und man hat mir von ihr Züge eines melancholischen Wesens überliefert, einer Neigung zum Trostfinden in Trauer und Tränen – – »Was tu ich mit einer Frau, die am liebsten weint?« klagte »Vater Barlach«. Auch die Mutter meiner Mutter starb früh, und von ihr schenkte man mir die Vorstellung eines Regenbogenschimmers der heitersten Jugend. Zollkontrolleur Vollert stand als Holsteiner noch in dänischen Diensten, als meine Mutter geboren wurde.
Satrup, das Dorf in Angeln, erfuhr des jungen Dr. Georg Barlach Anfänge in ärztlicher Praxis, Luise Vollert lernte ebenda den Hausstand im Pastorat, ein Dorfidyll kam unversehens in schönsten Flor, und gleich hinter seinen letzten Rosenbüschen stießen sie auf den gepflasterten Weg der Ehe. Meine Mutter malte weder, noch zeichnete, noch schrieb sie, aber sie war herrlich empfänglich für alle Wirklichkeit und wußte aus einem gesegneten Gedächtnis heraus von allen bitteren und heiteren Stücken zu erzählen, in denen die, die vor mir waren, sich bewährten oder versagten. Das Buch, das ich ihr als Aufgabe gegeben, die Familienchronik, hat sie nicht geschrieben; ihr einziges, ein Kochbuch, blieb Manuskript und sein einziger Leser ihr jüngster Zwillingssohn auf seiner texanischen Hungerfarm – so hatte sie es in mütterlichem Sorgenleid als das Wichtigere bedacht.
Ich blicke um mich.
Der Roland auf dem Markt in Wedel an der Unterelbe, wo meine Eltern ihren Haushalt angehen ließen, sieht sich nicht nach kleinen Buben um, seine Hintenübergebogenheit erlaubt ihm das nicht, und nackenlos sitzt der steinerne Stolz eines Übergewichts von Kopf zwischen seinen Schultern. Wenn das Bübchen, ich, aber über den Markt ging, hat es ihn wohl gesehen, aber das Bild war zu schwer für sein Bewußtsein, es ist ihm weggesunken, er hats vergessen.
Mein Vater ritt nach Hetlingen und Holm auf Praxis und schrieb den Marschbauern Rechnungen. Solch einer kam einst und mäkelte, während er die Taler aufzählte, über die Höhe der Leistung, und dem Doktor entfuhr im Zorn die Aufforderung, den »ganzen Schiet wedder mittonähmen«, was dem Bauern wohlgefiel zu hören. Er strich ein und meinte nur, das könne man ja beinahe nicht verlangen – oft wird sich mein Vater solche Ausübung ärztlicher Praxis nicht gestattet haben, denn es steht geschrieben, daß es im ersten Jahr des jungen Haushalts knapp herging. War Bruder Karl als Student zu Besuch, so half er wohl gutmütig aus und fuhr mit silbernen Hochzeitslöffeln ins Versatzamt nach Hamburg.
Ich wurde am 2. Januar 1870 geboren. Die Welt, die ich anzuschauen bekam, ließ es sich von meinem guten Platze aus gefallen, dem Eckhaus am Markt, wo ich vom Balkon herab einen Leichenzug mit herzlichem Hurra begrüßte, da ich den Unterschied von einem Schützenausmarsch noch nicht wahrnahm. Knöpfe, die man mir zum Spielen reichte, fraß ich auf, desgleichen Zigarrenstummel, die mein Vater wegwarf, und vom Mistberg mußte man mich gelegentlich wegbesorgen, weil ich mir da etwas an Üblem zugute tat; ich nahm eben die Welt in der Weise in mich auf, die ich am schnellsten begriff.
Mein Bruder Hans half mir bei dieser Aufgabe, so gut er konnte, wir schmarotzten am Frischen so gut wie am Faulen, spürten aber um uns herum manches Bedenkliche, auf das achtzugeben nötig wurde, Dinge, die man nicht sehen und nicht hören konnte und die doch gewiß wirklich waren. »Es« kann kommen oder auch nicht, machten wir aus, wenn wir am taghellen Sommerabend im Bett lagen – »sieh du nach der Stubenseite, ich will die Wand bewachen«, denn wir wußten bald, daß »Es« auch durch die Wände kam.
Ich werde hörig
Nach ein paar glücklichen Jahren verzogen meine Eltern mit uns nach Schönberg, des Fürstentums Ratzeburg Hauptstadt. Die Zwillinge trafen ein, Joseph und Nikolaus – und ich entdeckte die Welt außerhalb des Hauses.
Mein Vater mußte sich mit seinem Kollegen, dem älteren Dr. Marung, schießen, meine Mutter empfing von ihren Kindern so viele Pflichten, daß sie mit aller erdenklichen Vorsicht wohl die Frage tat, ob denn die Welt für sie bloß noch Kinderklein, Geschrei, Darmtücken, Kleidernässen und Krankenwartung übrig habe – ich warf mich ins Mäntelchen und erklärte: »Nu geit' Juhlen all wedder los« – und ging auf die Straße. Hier nahm mich Edmund Steffan in Empfang und ließ sich meine Unterweisung in seiner Art von Lebenskunst viel Mühe kosten, und ich war gelehrig und ward hörig.
Einmal sollte ein gefundenes Hufeisen zu Geld gemacht werden, und ich wurde damit in die Schmiede geschickt, wo es der Geselle nahm und zu andern warf. So war es aber nicht gemeint, und Edmund Steff an ließ mein Kommen mit leeren Händen nicht gelten. Er scheuchte mich zurück, und ich verlangte Bezahlung. »Kumm«, sagte ermunternd derselbe Geselle, ließ seine rußigen Hände vom Blasbalg los und gab mir eine Maulschelle. – Aber Geld wurde doch beschafft, wenn auch auf andern Wegen.
Der Milchmann ließ in der Küche Wechselgeld zurück, und das lag auf der Tischplatte wie für uns bestimmt da. Was wir nicht sogleich für Lakritzen aufbrauchten, verbargen wir unter Blättern in den Kübeln der Oleanderbäume vor des Krämers Laden. Dann aber holte ich aus eigener Eingebung zu einem Hauptstreich aus. Ich ließ mir von meinem Vater, der mit Pastor Ohl aus Seimsdorf bei dickem Zigarrenrauch Gespräche über »hohe heilige Dinge« führte, einen »Taler für Bier« geben, eine Besorgung, die mir schon öfter aufgegeben war, wenn der Mann mit den dreißig Flaschen Aktienbier im Korbe kam.
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