Ich war damals auch ein vollendeter kleiner Soldat. Täglich kam ein Feldwebel zu mir, der mich brav exereiren und gymnastische Uebungen machen ließ.

An den langen Winterabenden las ich viel und gern, vorzüglich in französischer Sprache, meine Lieblingsbücher waren damals: Don Quixote, Gulliver's Reisen, der Telemach, eine Odyssee in Prosa, Paul und Virginie und die Märchen von Anderssen. Die Geschichte vom kleinen grauen Entchen entlockte mir Thränen, ohne daß ich damals wohl geahnt hätte, daß ich in dem Hühnerhof der deutschen Literatur einst ähnlichen Verfolgungen ausgesetzt sein würde.

Ich war etwa zehn Jahre, als ich, ohne jede andere Absicht als die, meinen jüngeren Geschwisiern Vergnügen zu machen, meine ersten dichterischen Versuche wagte. Ich verfertigte Stücke, welche ich auf einem kleinen Puppentheater aufführte, und schrieb eine Geschichte, welche ich von einem alten Bauern gehört hatte, nieder, um sie meinen kleineren Schwestern besser mittheilen zu können.

Unvergeßlich blieben mir die furchtbaren Scenen des Jahres 1846. Mein Vater bewahrte den Osten des Landes vor dem Aufstande, indem er die Häupter der Insurrektion in Lemberg entdeckte und verhaftete; als die polnische Revolution zu gleicher Zeit im Westen losbrach und die Bauern, gegen den Adel Partei ergreifend, die Insurgenten erschlugen, die Edelhöfe anzündeten und ein gräßliches Blutbad anrichteten, wurde das Vorgehen meines Vaters von den Polen sogar dankbar anerkannt. Ein einziger Chef der Insurrektion war in Lemberg der Verhaftung entgangen, er versammelte in Gorozani die Verschworenen und die Bauern, die letzteren kehrten aber auch hier ihre mörderischen Sensen gegen die Polen. Es war der einzige Ort im Osten, wo Blut floß. Ich sah die Insurgenten theils todt, theils verwundet an einem trüben Februartag, von den bewaffneten Bauern eskortirt, ankommen; sie lagen auf kleinen, elenden Wagen, das Blut rann aus dem Stroh herab und die Hunde leckten es auf.

Im Jahre 1848 kam mein Vater nach Prag, der Hauptstadt des Königreiches Böhmen; auch hier war er Chef der Polizei, aber seine Stellung hat nie einen hemmenden Einfluß auf meine geistige Entwicklung genommen, im Gegentheil, ihr verdanke ich meine Sprachkenntnisse und vor Allem meine intime Bekanntschaft mit den Naturwissenschaften. Es gab nichts, was mein Vater nicht gesammelt hätte: Käfer, Schmetterlinge, Pflanzen, Mineralien, Versteinerungen. Wie oft half ich ihm Steine klopfen, wenn er mit seinem alten Freunde, dem trefflichen Barante, in den Steinbrüchen bei Prag Trilobiten suchte, ich stieg in jeden Teich, um für ihn Wasserkäfer zu fangen. Auch in Böhmen ging ich mit auf die Jagd, nur traten hier Hasen und Rebhühner an die Stelle der Füchse und Wölfe. Daß ich viel schwamm, ritt, focht und turnte, versteht sich bei einem jungen Gentleman von selbst.

Deshalb aber wurden die Studien, wurde die Lektüre in keiner Weise vernachlässigt. Ich las mit Vorliebe wissenschaftliche Werke, besonders historische und naturwissenschaftliche. Mit der schönen Literatur habe ich mich zu keiner Zeit viel beschäftigt und ich muß gestehen, daß ich auch heute noch die meisten Dichter nur dem Namen nach kenne. Den größten Eindruck haben mir von poetischen Werken Goethes Lieder, Faust und Werther, der alte deutsche Roman »Simplicius« aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges, Shakespeares Hamlet, Othello und Fallstaff, Gogol's Taraß Bulba oder die Sagoroger Kosaken, Kukolnik's Eine Mutter, Puschkin's Capitainstöchter, Boccaccio's Dekamerone, Die Bibel und Beranger's Chansons gemacht, dann in viel späterer Zeit: Thackeray Vanity fair, Boz Dickens Harte Zeiten, Turgenjew Tagebuch eines Jägers, Prevost Manon Lescaut, Claude Tillier Mein Onkel Benjamin, Erkmann-Chatrian Histoire d'un conscrit, Madame Therese und Waterloo.

Von wissenschaftlichen Schriftstellern haben Thierry und Macaulay, später Buckle und Schopenhauer am meisten auf mich gewirkt. Die griechischen und römischen Klassischer, Schiller, Walter Scott, Heine, Dumas und Sue, sowie der Philosoph Hegel, David Strauß und Moleschott, von denen die Zeitgenossen je nach Geschmack und Richtung gefesselt und angeregt waren, haben keinen Einfluß auf mich geübt und überhaupt zu keiner Zeit einen besonderen Eindruck auf mich gemacht.

Unter den Musikern waren Beethoven und unter den Malern Titian stets meine Lieblinge.

Bei der Maturitätsprüfung lieferte ich, mit nicht ganz sechszehn Jahren, einen Aufsatz, von dem unser Professor sagte: Das ist kein Schulpensum mehr, das ist die Arbeit eines Schriftstellers. Trotzdem dachte ich an Alles Andere, nur nicht daran, Poct zu werden. Ich spielte viel auf einem Dilettantentheater, nicht etwa Kotzebue, sondern Goethe, Schiller, Shakespeare, Scribe. Ich wollte zuerst Soldat werden, dann Schauspieler, dann Professor. Mit einem Male erfaßte mich eine wahre Leidenschaft für Mathematik (sonst nicht die Stärke der Dichter), und ich war in den letzten Klassen des Gymnasiums der beste Mathematiker, dann warf ich mich auf Chemie und zuletzt auf Geschichte.

Nach einigen stürmischen Universitätsjahren, in denen viel Vier getrunken, viel gesungen und viel duellirt wurde, ward ich mit 20 Jahren Doktor, arbeitete im Staatsarchiv zu Wien, schrieb ein Geschichtswerk und wurde Docent der Geschichte an der Universität zu Graz.

Wie ich eigentlich dazu kam, meinen ersten Roman zu schreiben?

Es war merkwürdig genug.

Ich brachte meine Abende damals gerne bei der Baronin Gudenus, einer alten, geistvollen Dame, zu. Einmal begann ich von der Insurrektion von 1846 zu erzählen und erzählte in einer Weise, welche die eine Dame geradezu elektrisierte. »Aber schreiben Sie doch dies Alles nieder,« schrie sie auf, »es wird ein prächtiger Roman daraus werden.«

Ich hatte nie daran gedacht, aber sie als echte Deutsche hatte sofort ein Buch im Kopfe.

Die Anregung war indeß gegeben und rasch entstand mein erster Roman »Eine galizische Geschichte 1846«. Während ich an diesem Buche schrieb, erreichte eine Krankheit, die mich seit Jahren gequält hatte, ihren Höhepunkt – es war das Heimweh.

Ich benutzte das erste Honorar, um in die Heimath zu eilen. Es war im Sommer 1857, ich vergoß Thränen, als ich den ersten galizischen Bauer erblickte, und nun erst, als der Postwagen – damals gab es noch keine Bahn – in Lemberg einfuhr und ich die Straße, die Häuser, die Bäume auf dem »Wail«, die Promenade Lembergs, wieder erkannte, da begann ich zu weinen wie ein Kind. Meine Großmutter lebte noch. Das alte Familienhaus sah genau so aus, als ich es vor zehn Jahren verlassen hatte. Es war wie im Märchen, wo nach tausendjährigem Schlaf Alles genau so erwacht, wie es vordem war. Da war noch die vergilbte Lotterietafel neben dem Thore, die alte Treppe und oben die alten geblümten Möbel, die Kommoden mit dem Messingbeschlag, die große Uhr, welche Diana von ihren Hunden gefolgt zeigte, und die alte Frau, hoch in den Achtzigen, die noch im Bette lag – es war früh am Morgen – und mir die zitternden Hände entgegenstreckte und mich segnete. Alles war, wie ich es verlassen und in der Küche unter dem Heerde lag die große Katze und säugte ihre Jungen, ganz so wie vor zehn Jahren. Von Lemberg aus durchstreifte ich den Osten des Landes.