Ich habe meine Heimath später noch häufig besucht, aber nie mehr jenen Eindruck empfangen von damals, wo ich von übermächtiger Sehnsucht getrieben zurückgekehrt war und zwei Monate mit unserem Volke lebte.
Als ich nach Graz kam, war mein Roman bereits anonym in der Schweiz erschienen. Er wurde sehr günstig beurtheilt und machte Glück beim Publikum. Der Erfolg zog mich auf der einmal betretenen Bahn vorwärts. Es folgten: »Der Emissär«, der gleichfalls in Galizien, aber im Jahre 1848 spielt, und der historische Roman »Kannitz«; zugleich erschien mein erstes Buch in zweiter Auflage unter dem Titel: »Graf Donski«, und mit dem Namen des Autors.
Damals kam Ferdinand Kürnberger, der bekannte Verfasser des »Amerikamüden«, nach Graz. Es war ein gar seltsamer Kautz, von bitterer Galle gegen Alles erfüllt, was nicht das Höchste der Poesie leistete. Er machte mich furchtbar herunter. »Alles, was Sie da geschrieben haben,« sagte er mir in seiner neronischen Weise, ist nichts werth, weil es gemacht ist, wie fast unsere gesammte Literatur seit Goethe. Wenn Sie nichts das zu sein vermögen, was Schopenhauer vom echten Dichter verlangt: wahr wie das Leben selbst, wenn Sie nur Bücher schreiben können, wie unsere deutschen Goldschnittpoeten der Gegenwart, dann lassen Sie es lieber ganz bleiben.«
Ich tröstete mich damit, daß gefeierte Namen wie Paul Heyse und Auerbach, Spielhagen und Gustav Freytag auch nicht viel besser bei ihm wegkamen.
Aber ebenso grimmig wie Kürnberger alles von mir Geschriebene verwarf, ebenso andächtig lauschte er, wenn ich ihm von meiner kleinrussischen Heimath erzählte, von der unermeßlichen Steppe, den himmelanragenden Karpaten und ihren schwarzen Seen, dem podolischen Getreidemeer, unseren Landedelleuten, unseren Damen in der pelzbesetzten Kazabaika, unseren Juden mit den fettglänzenden Löckchen, und insbesondere von meinen lieben galizischen Bauern. »Das ist etwas ganz anderes,« sagte er mir eines Abends, »wie arm und farblos und kasernenmäßig ist unser deutsches Leben dagegen! Wenn Sie das auch schreiben könnten, was Sie so eigenthümlich sinnig zu erzählen wissen, dann würde ich sagen, daß Sie ein Dichter, ein echter Dichter sind.«
Ich setzte mich also noch denselben Abend nieder und vierzehn Tage später las ich Kürnberger den »Don Juan von Kelomea« vor.
Kürnberger war außer sich. So tief er mich bisher herabgesetzt hatte, so enthusiastisch zeigte er sich jetzt. Er stellte mich mit Boz-Dickens, Sealsfield und Iwan Turgenjew in eine Reihe, und schrieb seine berühmte Vorrede, in welcher er bewies, daß der slavische Osten dem Westen ganz Neues zu bieten habe, nicht die unechte Poesie der Rede, sondern die echte Poesie der Gestalt und der Farbe, die von den Deutschen nur empfangen, nicht aber nachgeahmt werden könne. Ich glaube, daß die Liebe zu meiner Heimath und die Leidenschaft für eine Frau von seltener Schönheit (Die Heldin meiner »Geschiedenen Frau«), welche mich damals in eine Reihe tragischer Verwicklungen und Erlebnisse stürzte, gleichen Antheil an dem Gelingen dieser Novelle hatten, welche – genau so, wie es Kürnberger prophezeit hatte – zuerst in Westermann's Monatsheften meinen Ruf in Deutschland begründete und später in der »Revue der deux Mondes« meinen Namen in ganz Europa bekannt machte.
Durch Kürnberger wurde ich zuerst mit Schopenhauer und seiner Philosophie bekannt. Man nimmt gewöhnlich an, daß ich ein Schüler Schopenhauer's bin, während nur von einer Geistesverwandtschaft die Rede sein sollte. Schopenhauer steht unter dem Einfluß jener Lehre, welche im Orient an den Namen Buddha's geknüpft ist und von dort aus um viele Jahrhunderte früher in der slavischen Welt Eingang fand, als in der Arbeitsstube des Frankfurter Weisen. Die meisten Sekten der russischen Kirche basiren auf dieser Lehre und die Instinkte der russischen Race kamen derselben so sehr entgegen, daß sie bei uns im Osten zur allgemeinen Weltanschauung des Volkes geworden ist. Wenn man unsern Bauer in Galizien sprechen hört, meint man, er müsse Schopenhauer sehr fleißig studiert haben, und doch hat er die »Welt als Wille und Vorstellung« und die »Parerga und Paralipomena« gewiß nicht gelesen, weil er überhaupt nicht lesen kann. Aus dieser Anschauung und diesen Instinkten heraus habe ich meine Geschichten geschrieben. Kürnberger war es vorbehalten, mich auf die Verwandtschaft der von mir entwickelten »Slavischen Ideen« mit der Philosophie Schopenhauers aufmerksam zu machen.
Ueberdies giebt Schopenhauer eigentlich nur negative Wahrheiten, während ich mir redliche Mühe gegeben habe, für jede der Fragen, welche die Menschheit bewegen, eine zugleich ideale und praktische positive Lösung zu finden.
Dem »Don Juan von Kolomea« folgten wieder tiefe Schöpfungen, zuerst das historische Lustspiel »Der Mann ohne Vorurtheil«, das auf 52 deutschen Bühnen mit großem Erfolge in Scene ging und in Berlin ebenso viel Beifall fand wie in Wien; dann der historische Roman: »Der letzte König der Magyaren«. Nach dem Feldzug von 1866 spielte ich meine politische Rolle. Seit Jahren verfocht ich die Interessen meiner Landsleute mit der Feder und als ich nach dem Unglück von Königgrätz ein Blatt gründete, das den preußischen Tendenzen der »Gartenlaube« Opposition machte, richtete der Erzbischof von Galizien und Führer der kleinrussischen Partei im Landtage und Reichstage, Spiridion Litwinowiez, ein Schreiben an mich, in welchem er feierlich sich und die Nation unter meinen Schutz stellte. Der ungewöhnliche Erfolg des »Don Juan von Kolomea« ließ mich indeß nicht lange ruhen. Ich ließ den »Capitulanten« (in der Revue: Frinko Balaban) und »Mondnacht« (in der Revue: La barina Olga) folgen, welche in Rodenberg's »Salon« in Berlin erschienen und meinen Ruf befestigten, ja steigerten, denn der phantastische Rahmen der »Mondnacht« sagte dem deutschen Geschmack viel besser zu, als die realen Farben des »Don Juan«.
Diesen Novellen reihte sich der kleine Roman »Die geschiedene Frau« an und die sociale Komödie: »Unsere Sklaven«. Während ich in dem ersteren wieder einmal ganz aus mir selbst schöpfte, betrat ich in meiner Komödie die Bahn, welche uns Angier, Sardon und Dumas fils gewiesen haben und die mir für das moderne Drama die einzig richtige scheint.
Während ich einige Jahre auf Reisen zubrachte und insbesondere in Italien unschätzbare Eindrücke empfing, keimte und entwickelte sich der Plan zu meinem Hauptwerk, dem großangelegten »Vermächtniß Kains«, das in sechs Theilen die Liebe, das Eigenthum, den Krieg, den Staat, die Arbeit und den Tod behandeln soll, und das Gottschall in seiner »Geschichte der deutschen Nationalliteratur« eine »novellistische Theodicee«, eine »Divina comedia« in Prosa nennt. Der erste Theil desselben entstand unter mannigfachen Lebens- und Herzenskämpfen, unter allen jenen Qualen, welche uns die Liebe zu einem Weibe ohne Herz, die Schmerzen, welche uns der Verlust eines Bruders, einer Mutter zu bereiten vermag. Aber ich hatte von meinen kleinrussischen Bauern gelernt schweigend zu leiden und unermüdlich zu kämpfen, und so gab es zuletzt nichts, was ich nicht überwand. In Baden entstand »Der Wanderer«, in Florenz »Venus im Pelz, in Meran »Die Liebe des Plato« und »Marzella«.
Im Frühjahr 1870 erschien der erste Theil des »Vermächtniß Kains« »Die Liebe«, in dem für klassisch geltenden Verlage von Cotta in Stuttgart und hatte so glänzende Erfolg, daß binnen wenig Wochen ein zweiter Abdruck nöthig wurde.
Die deutsche Kritik urtheilte in sehr verschiedener Weise. Alle jene, welche nur den ästhetischen Maßstab anlegten, die Kenner, die Freunde echter Poesie, begrüßten in dem »Vermächtniß Kains« ein Werk von außerordentlicher Originalität, Schönheit und Tiefe. Nun kamen aber die Pharisäer des neuen Reiches der »Gottesfurcht und reinen Sitte« und entsetzten sich über die Freiheit, mit welcher der Autor die geschlechtlichen Verhältnisse behandelt. Ihnen schlossen sich jene blinden deutschen Patrioten an, deren auch die Hauptstadt Oesterreichs nicht ermangelt, da sie dort besonders gut bezahlt werden, jene Patrioten, denen Alles, was nicht deutsch ist, Haß und Furcht einflößt, die mit Johannes Scherr (siehe: »Michel, Geschichte eines Deutschen unserer Zeit«) das Franzosenthum für ein »Mischmasch von Aeffischem und Tigerlichem« (I. 169), das ganze französische Wesen für »Phrasenzug, Wind, Schwindel« (III.
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