Die Tür schließt sich hinter ihnen.

 

ELEKTRA allein, in entsetzlicher Spannung. Sie läuft auf einem Strich vor der Tür hin und her, mit gesenktem Kopf, wie das gefangene Tier im Käfig. Plötzlich steht sie still und sagt.

Ich habe ihm das Beil nicht geben können!

Sie sind gegangen, und ich habe ihm

das Beil nicht geben können. Es sind keine

Götter im Himmel!

 

Abermals ein furchtbares Warten. Da tönt von drinnen, gellend, der Schrei der Klytämnestra.

 

ELEKTRA schreit auf wie ein Dämon.

Triff noch einmal!

 

Von drinnen ein zweiter Schrei.

Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und eine Schar Dienerinnen heraus.

Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepreßt.

 

CHRYSOTHEMIS.

Es muß etwas geschehen sein.

EINE.

Sie schreit

so aus dem Schlaf.

ZWEITE.

Es müssen Männer drin sein.

Ich habe Männer gehen hören.

DRITTE.

Alle

die Türen sind verriegelt.

VIERTE.

Es sind Mörder!

Es sind Mörder im Haus!

ERSTE schreit auf.

Oh!

ALLE.

Was ist?

ERSTE.

Seht ihr denn nicht, dort an der Tür steht einer!

CHRYSOTHEMIS.

Das ist Elektra! das ist ja Elektra!

ZWEITE.

warum spricht sie denn nicht?

CHRYSOTHEMIS.

Elektra,

warum sprichst du denn nicht?

ERSTE.

Ich will hinaus

und Männer holen.

 

Läuft rechts hinaus.

 

CHRYSOTHEMIS.

Mach uns doch die Tür auf,

Elektra!

MEHRERE.

Elektra, laß uns in das Haus!

ERSTE durch die Hoftür zurückkommend, schreit.

Zurück!

 

Alle erschrecken.

 

ERSTE.

Ägisth! Zurück in unsre Kammern! schnell!

Ägisth kommt durch den Hof! Wenn er uns findet

und wenn im Hause was geschehen ist,

läßt er uns töten.

ALLE.

Schnell, zurück! zurück!

 

Sie verschwinden im Hause links.

 

ÄGISTH am Eingang rechts.

Ist niemand da, zu leuchten? Rührt sich keiner

von allen diesen Schuften? Kann das Volk

mir keine Zucht annehmen!

ELEKTRA nimmt die Fackel aus dem Ring, läuft hinunter, ihm entgegen, neigt sich vor ihm.

ÄGISTH erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht, weicht zurück.

Was ist das für ein unheimliches Weib?

Ich hab verboten, daß ein unbekanntes

Gesicht mir in die Nähe kommt!

 

Erkennt sie, zornig.

 

Was, du?

Wer heißt dich, mir entgegengehen?

ELEKTRA.

Darf ich

nicht leuchten?

ÄGISTH.

Nun, dich geht die Neuigkeit

ja doch vor allen an. Wo find ich denn

die fremden Männer, die das von Orest

uns melden?

ELEKTRA.

Drinnen. Eine liebe Wirtin

fanden sie vor, und sie ergetzen sich

mit ihr.

ÄGISTH.

Und melden also wirklich, daß er

gestorben ist, und melden so, daß nicht

zu zweifeln ist?

ELEKTRA.

O Herr, sie meldens nicht

mit Worten bloß, nein, mit leibhaftigen Zeichen,

an denen auch kein Zweifel möglich ist.

ÄGISTH.

Was hast du in der Stimme? Und was ist

in dich gefahren, daß du nach dem Mund

mir reden willst? Was taumelst du so hin

und her mit deinem Licht!

ELEKTRA.

Es ist nichts andres,

als daß ich endlich klug ward und zu denen

mich halte, die die Stärkern sind. Erlaubst du,

daß ich voran dir leuchte?

ÄGISTH.

Bis zur Tür.

Was tanzest du? Gib Obacht.

ELEKTRA indem sie ihn, wie in einem unheimlichen Tanz, umkreist, sich plötzlich tief bückend.

Hier! die Stufen,

daß du nicht fällst.

ÄGISTH an der Haustür.

Warum ist hier kein Licht?

Wer sind die dort?

ELEKTRA.

Die sinds, die in Person

dir aufzuwarten wünschen, Herr. Und ich,

die oft durch freche unbescheidne Näh

dich störte, will nun endlich lernen, mich

im rechten Augenblick zurückzuziehen.

ÄGISTH geht ins Haus. Eine kleine Stille. Dann Lärm drinnen. Sogleich erscheint Ägisth an einem kleinen Fenster rechts, reißt den Vorhang weg, schreit.

Helft! Mörder! helft dem Herren! Mörder, Mörder!

Sie morden mich!

 

Er wird weggezerrt.

 

Hört mich denn niemand? hört

denn niemand?

 

Noch einmal erscheint sein Gesicht am Fenster.

 

ELEKTRA reckt sich auf.

Agamemnon hört dich!

ÄGISTH wird fortgerissen.

Weh mir!

 

Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt.

Die Frauen kommen wild herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen. Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür. Dort machen sie plötzlich halt, wenden sich.

 

CHRYSOTHEMIS.

Elektra! Schwester! komm mit uns! so komm

mit uns! es ist der Bruder drin im Haus!

es ist Orest, der es getan hat!

 

Stimmengewirr, Getümmel draußen.

 

Komm!

Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn,

sie küssen seine Füße, alle, die

Ägisth im Herzen haßten, haben sich

geworfen auf die andern, überall

in allen Höfen liegen Tote, alle,

die leben, sind mit Blut bespritzt und haben

selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle

umarmen sich –

 

Draußen wachsender Lärm, die Frauen sind hinausgelaufen, Chrysothemis allein, von draußen fällt Licht herein.

 

und jauchzen, tausend Fackeln

sind angezündet. Hörst du nicht, so hörst du

denn nicht?

ELEKTRA auf der Schwelle kauernd.

Ob ich nicht höre? ob ich die

Musik nicht höre? sie kommt doch aus mir

heraus. Die Tausende, die Fackeln tragen

und deren Tritte, deren uferlose

Myriaden Tritte überall die Erde

dumpf dröhnen machen, alle warten sie

auf mich: ich weiß doch, daß sie alle warten,

weil ich den Reigen führen muß, und ich

kann nicht, der Ozean, der ungeheure,

der zwanzigfache Ozean begräbt

mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich

nicht heben!

CHRYSOTHEMIS fast schreiend vor Erregung.

Hörst du nicht, sie tragen ihn,

sie tragen ihn auf ihren Händen, allen

sind die Gesichter ganz verwandelt, allen

schimmern die Augen und die alten Wangen

von Tränen! Alle weinen, hörst dus nicht?

Ah!

 

Sie läuft hinaus.

Elektra hat sich erhoben. Sie schreitet von der Schwelle herunter.

Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee, sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie nach vorwärts schreitet.

 

CHRYSOTHEMIS erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng, Gesichter von Männern und Frauen.

Elektra!

ELEKTRA bleibt stehen, sieht starr auf sie hin.

Schweig und tanze. Alle müssen

herbei! hier schließt euch an! Ich trag die Last

des Glückes, und ich tanze vor euch her.

Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins:

schweigen und tanzen!

 

Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes und stürzt zusammen.

 

CHRYSOTHEMIS zu ihr. Elektra liegt starr. Chrysothemis läuft an die Tür des Hauses, schlägt daran.

Orest! Orest!

 

Stille.

Vorhang.

 

 

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