Was willst du, Tochter meiner Mutter?

CHRYSOTHEMIS.

Sie haben etwas Fürchterliches vor.

ELEKTRA.

Die beiden Weiber?

CHRYSOTHEMIS.

Wer?

ELEKTRA.

Nun, meine Mutter

und jenes andre Weib, die Memme, ei

Ägisth, der tapfre Meuchelmörder, er,

der Heldentaten nur im Bett vollführt.

Was haben sie denn vor?

CHRYSOTHEMIS.

Sie werfen dich

in einen Turm, wo du von Sonn und Mond

das Licht nicht sehen wirst.

ELEKTRA lacht.

CHRYSOTHEMIS.

Sie tuns, ich weiß es,

ich habs gehört.

ELEKTRA.

Mir ist, ich hätts gehört.

Wars nicht bei Tisch, so bei der letzten Schüssel?

Da hebt er gern die Stimm und prahlt, ich wette,

es nützt seiner Verdauung.

CHRYSOTHEMIS.

Nicht bei Tisch.

Nicht um zu prahlen. Er und sie, allein

bereden sies.

ELEKTRA.

Allein? Wie hast dann du

es hören können?

CHRYSOTHEMIS.

An der Tür, Elektra.

ELEKTRA.

Mach keine Türen auf in diesem Haus!

Gepreßter Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten,

nichts andres gibts in diesen Kammern. Laß

die Tür, dahinter du ein Stöhnen hörst:

sie bringen ja nicht immer einen um,

zuweilen sind sie auch allein zusammen!

Mach keine Türen auf! Schleich nicht herum.

Sitz an der Erd wie ich und wünsch den Tod

und das Gericht herbei auf sie und ihn.

CHRYSOTHEMIS.

Ich kann nicht sitzen und ins Dunkel starren

wie du. Ich habs wie Feuer in der Brust,

es treibt mich immerfort herum im Haus,

in keiner Kammer leidets mich, ich muß

von einer Schwelle auf die andre, ach!

treppauf, treppab, mir ist, als rief' es mich,

und komm ich hin, so stiert ein leeres Zimmer

mich an. Ich habe solche Angst, mir zittern

die Knie bei Tag und Nacht, mir ist die Kehle

wie zugeschnürt, ich kann nicht einmal weinen,

wie Stein ist alles! Schwester, hab Erbarmen!

ELEKTRA.

Mit wem?

CHRYSOTHEMIS.

Du bist es, die mit Eisenklammern

mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du,

sie ließen uns hinaus. Wär nicht dein Haß,

dein schlafloses unbändiges Gemüt,

vor dem sie zittern, ah, so ließen sie

uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!

Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht

bis an den Tod hier schlafen! Eh ich sterbe,

will ich auch leben! Kinder will ich haben,

bevor mein Leib verwelkt, und wärs ein Bauer,

dem sie mich geben, Kinder will ich ihm

gebären und mit meinem Leib sie wärmen

in kalten Nächten, wenn der Sturm die Hütte

zusammenschüttelt! Aber dies ertrag ich

nicht länger, hier zu lungern bei den Knechten

und doch nicht ihresgleichen, eingesperrt

mit meiner Todesangst bei Tag und Nacht!

Hörst du mich an? Sprich zu mir, Schwester!

ELEKTRA.

Armes

Geschöpf!

CHRYSOTHEMIS.

Hab Mitleid mit dir selber und mit mir.

Wem frommt denn diese Qual? Dem Vater etwa?

Der Vater, der ist tot. Der Bruder kommt nicht heim.

Du siehst ja doch, daß er nicht kommt. Mit Messern

gräbt Tag um Tag in dein und mein Gesicht

sein Mal, und draußen geht die Sonne auf

und ab, und Frauen, die ich schlank gekannt hab,

sind schwer von Segen, mühen sich zum Brunnen

und heben kaum den Eimer, und auf einmal

sind sie entbunden ihrer Last und kommen

zum Brunnen wieder und aus ihnen selber

rinnt süßer Trank, und säugend hängt ein Leben

an ihnen, und die Kinder werden groß –

und immer sitzen wir hier auf der Stange

wie angehängte Vögel, wenden links

und rechts den Kopf, und niemand kommt, kein Bruder,

kein Bote von dem Bruder, nicht der Bote

von einem Boten, nichts! Viel lieber tot,

als leben und nicht leben. Nein, ich bin

ein Weib und will ein Weiberschicksal.

ELEKTRA.

Pfui,

die's denkt, pfui, die's mit Namen nennt! Die Höhle

zu sein, drin nach dem Mord dem Mörder wohl ist;

das Tier zu spielen, das dem schlimmern Tier

Ergetzung bietet. Ah, mit einem schläft sie,

preßt ihre Brüste ihm auf beide Augen

und winkt dem zweiten, der mit Netz und Beil

hervorkriecht hinterm Bett.

CHRYSOTHEMIS.

Du bist entsetzlich!

ELEKTRA.

Warum entsetzlich? Bist du solch ein Weib?

Du willsts erst werden.

CHRYSOTHEMIS.

Kannst du nicht vergessen?

Mein Kopf ist immer wüst. Ich kann von heut

auf morgen nichts behalten. Manchmal lieg ich

so da, dann bin ich was ich früher war,

und kanns nicht fassen, daß ich nicht mehr jung bin.

Wo ist denn alles hingekommen, wo denn?

Es ist ja nicht ein Wasser, das vorbeirinnt,

es ist ja nicht ein Garn, das von der Spule

herunter fliegt und fliegt, ich bins ja, ich!

Ich möchte beten, daß ein Gott ein Licht

mir in der Brust anstecke, daß ich mich

in mir kann wiederfinden! Wär ich fort,

wie schnell vergäß ich alle bösen Träume –

ELEKTRA.

Vergessen? Was! bin ich ein Tier? vergessen?

Das Vieh schläft ein, von halbgefreßner Beute

die Lefze noch behängt, das Vieh vergißt sich

und fängt zu käuen an, indes der Tod

schon würgend auf ihm sitzt, das Vieh vergißt,

was aus dem Leib ihm kroch, und stillt den Hunger

am eignen Kind – ich bin kein Vieh, ich kann nicht

vergessen!

CHRYSOTHEMIS.

Oh, muß meine Seele immer

von dieser Speise essen, die ihr widert,

die ihr so widert! die zu riechen nur

sie schaudert, die sie nie und nimmer hätte

anrühren sollen, nie und nimmer wissen,

daß es so etwas Grauenvolles gibt,

nie wissen! nie mit Augen sehn! nie hören!

Das Fürchterliche ist nicht für das Herz

des Menschen! Wenn es kommt, wenn es sich anzeigt,

so muß man flüchten aus den Häusern, flüchten

in die Weingärten, flüchten auf die Berge!

und steigt es auf die Berge, muß man wieder

herab und sich verkriechen in den Häusern:

nie darf man bei ihm bleiben, nie mit ihm

in einem Hause sein! Ich will hinaus!

Ich will empfangen und gebären Kinder,

die nichts von diesem wissen, meinen Leib

wasch ich in jedem Wasser, tauch mich tief

hinab in jedes Wasser, alles wasch ich

mir ab, das Hohle meiner beiden Augen

wasch ich mir rein – sie sollen sich nicht schrecken,

wenn sie der Mutter in die Augen schaun!

ELEKTRA höhnisch.

Wenn sie der Mutter in die Augen schaun!

Und wie schaust du dem Vater in die Augen?

CHRYSOTHEMIS.

Hör auf!

ELEKTRA.

Ich wünsch dir, wenn du Kinder hast,

sie mögen an dir tun, wie du am Vater!

CHRYSOTHEMIS weint auf.

ELEKTRA.

Was heulst du? Fort! Hinein! Dort ist dein Platz.

Es geht ein Lärm los. Stellen sie vielleicht

für dich die Hochzeit an? ich hör sie laufen.

Das ganze Haus ist auf. Sie kreißen

oder sie morden. Wenn es an den Leichen mangelt,

darauf zu schlafen, müssen sie doch morden!

CHRYSOTHEMIS.

Hör auf. Dies alles ist vorbei. Hör auf!

ELEKTRA.

Vorbei? Da drinnen gehts aufs neue los!

Meinst du, ich kenn den Laut nicht, wie sie Leichen

herab die Treppe schleifen, wie sie flüstern

und Tüchter voller Blut auswinden.

CHRYSOTHEMIS.

Schwester!

geh fort von hier.

ELEKTRA.

Diesmal will ich dabei sein!

Nicht so wie damals. Diesmal bin ich stark.

Ich werfe mich auf sie, ich reiß das Beil

aus ihrer Hand, ich schwing es über ihr –

CHRYSOTHEMIS.

Geh fort, verkriech dich! daß sie dich nicht sieht.

Stell dich ihr heut nicht in den Weg: sie schickt

den Tod aus jedem Blick. Sie hat geträumt.

 

Der Lärm von vielen Kommenden drinnen, näher.

 

Geh fort von hier. Sie kommen durch die Gänge.

Sie kommen hier vorbei.