Sie hat geträumt:

ich weiß nicht, was, ich hab es von den Mägden gehört,

ich weiß nicht, ob es wahr ist, Schwester:

sie sagen, daß sie von Orest geträumt hat,

daß sie geschrieen hat aus ihrem Schlaf,

wie einer schreit, den man erwürgt.

ELEKTRA.

Ich! ich!

ich hab ihn ihr geschickt. Aus meiner Brust.

hab ich den Traum auf sie geschickt! Ich liege

und hör die Schritte dessen, der sie sucht.

Ich hör ihn durch die Zimmer gehn, ich hör ihn

den Vorhang von dem Bette heben: schreiend

entspringt sie, aber er ist hinterdrein:

hinab die Treppen durch Gewölbe hin,

Gewölbe und Gewölbe geht die Jagd.

Es ist viel finsterer als Nacht, viel stiller

und finstrer als im Grab, sie keucht und taumelt

im Dunkel hin, doch er ist hinterdrein:

die Fackel schwingt er links und rechts das Beil.

Und ich bin wie ein Hund an ihrer Ferse:

will sie in eine Höhle, spring ich sie

von seitwärts an, so treiben wir sie fort,

bis eine Mauer alles sperrt, und dort

im tiefsten Dunkel, doch ich seh ihn wohl,

ein Schatten, und doch Glieder und das Weiße

von einem Auge doch, da sitzt der Vater:

er achtets nicht und doch muß es geschehn:

vor seinen Füßen drücken wir sie hin,

da fällt das Beil!

 

Fackeln und Gestalten erfüllen den Gang links von der Tür.

 

CHRYSOTHEMIS.

Sie kommen schon. Sie treibt die Mägde alle

mit Fackeln vor sich her. Sie schleppen Tiere

und Opfermesser. Schwester, wenn sie zittert,

ist sie am schrecklichsten, geh ihr nur heut,

nur diese Stunde geh aus ihrem Weg!

ELEKTRA.

Ich habe eine Lust, mit meiner Mutter

zu reden wie noch nie!

 

An den grell erleuchteten Fenstern klirrt und schlürft ein hastiger Zug vorüber: es ist ein Zerren, ein Schleppen von Tieren, ein gedämpfes Keifen, ein schnell ersticktes Aufschreien, das Niedersausen einer Peitsche, ein Aufraffen, ein Weitertaumeln.

 

CHRYSOTHEMIS.

Ich wills nicht hören.

 

Stürzt ab durch die Hoftür.

In dem breiten Fenster erscheint die Gestalt der Klytämnestra. Ihr fahles, gedunsenes Gesicht, in dem grellen Licht der Fackeln, erscheint noch bleicher über dem scharlachroten Gewand. Sie stützt sich auf eine Vertraute, die dunkelviolett

gekleidet ist, und auf einen elfenbeinernen, mit Edelsteinen geschmückten Stab. Eine gelbe Gestalt, mit zurückgekämmtem schwarzem Haar, einer Ägypterin ähnlich, mit glattem Gesicht, einer aufgerichteten Schlange gleichend, trägt ihr die Schleppe. Die Königin ist über und über bedeckt mit Edelsteinen und Talismanen. Ihre Arme sind voll Reifen, ihre Finger starren von Ringen. Die Lider ihrer Augen scheinen übermäßig groß, und es scheint ihr eine furchtbare Anstrengung zu kosten, sie offen zu halten.

Elektra steht starr aufgerichtet, das Gesicht diesem Fenster zugewandt.

Klytämnestra öffnet jäh die Augen, zitternd vor Zorn tritt sie ans Fenster und zeigt mit dem Stock auf Elektra.

 

KLYTÄMNESTRA am Fenster.

Was willst du? Seht doch, dort! so seht doch das!

Wie es sich aufbäumt mit geblähtem Hals

und nach mir züngelt! und das laß ich frei

in meinem Hause laufen!

Wenn sie mich mit den Blicken töten könnte!

O Götter, warum liegt ihr so auf mir?

Warum verwüstet ihr mich so? warum

muß meine Kraft in mir gelähmt sein, warum

bin ich lebendigen Leibes wie ein wüstes

Gefild, und diese Nessel wächst aus mir

heraus, und ich hab nicht die Kraft zu jäten!

Warum geschieht mir das, ihr ewigen Götter?

ELEKTRA.

Die Götter! bist doch selber eine Göttin!

bist, was sie sind.

KLYTEMNÄSTRA.

Habt ihr gehört? habt ihr

verstanden, was sie redet?

DIE VERTRAUTE.

Daß auch du

vom Blut der Götter bist.

DIE SCHLEPPTRÄGERIN zischend.

Sie meint es tückisch.

KLYTEMNÄSTRA indem ihre schweren Lider zufallen.

Mir klingt das so bekannt. Und nur als hätt ichs

vergessen, lang und lang. Sie kennt mich gut.

Doch weiß man nie, was sie im Schilde führt.

 

Die Vertraute und die Schleppträgerin flüstern miteinander.

 

ELEKTRA.

Du bist nicht mehr du selber. Das Gewürm

hängt immerfort um dich. Was sie ins Ohr

dir zischen, trennt dein Denken fort und fort

entzwei, so gehst du hin im Taumel, immer

bist du als wie im Traum.

KLYTÄMNESTRA.

Ich will hinunter.

Laßt, ich will mit ihr reden. Sie ist heute

nicht widerlich. Sie redet wie ein Arzt.

Die Stunden haben alles in der Hand.

Ein jedes Ding kann ein erträgliches

Gesicht uns zeigen nach dem gräßlichen.

 

Sie geht vom Fenster weg und erscheint in der Tür, die Vertraute an ihrer Seite, die Schleppträgerin hinter ihr, Fackeln hinter ihnen.

 

KLYTÄMNESTRA von der Türschwelle aus.

Warum nennst du mich eine Göttin? Sprichst du

aus Bosheit so? Nimm dich in acht. Es könnte

der letzte Tag sein, daß du dieses Licht

da siehst und diese freie Luft einatmest.

ELEKTRA.

Wahrhaftig, wenn du keine Göttin bist,

wo sind dann Götter! Ich weiß auf der Welt

nichts, was mich schaudern macht, als wie zu denken,

daß dieser Leib das dunkle Tor, aus welchem

ich an das Licht der Welt gekrochen bin.

Auf diesem Schoß bin ich gelegen, nackt?

Zu diesen Brüsten hast du mich gehoben?

So bin ich ja aus meines Vaters Grab

herausgekrochen, hab gespielt in Windeln

auf meines Vaters Richtstatt! Du bist ja

wie ein Koloß, aus dessen ehernen Händen

ich nie entsprungen bin. Du hast mich ja

am Zaum. Du bindest mich, an was du willst.

Du hast mir ausgespieen, wie das Meer,

ein Leben, einen Vater und Geschwister:

und hast hinabgeschlungen, wie das Meer,

ein Leben, einen Vater und Geschwister.

Ich weiß nicht, wie ich jemals sterben sollte –

als daran, daß du stürbest.

KLYTÄMNESTRA.

So ehrst du mich? Ist etwas noch von Scheu

in dir?

ELEKTRA.

Viel, viel! Mir geht zu Herzen, was

auch dir zu Herzen geht. Siehst du, mich kränkt

zu sehen, daß Ägisth, dein Mann, die alten Mäntel

von meinem, wie du weißt, verstorbnen Vater,

dem frühern König, trägt. Es kränkt mich, wahrhaft:

ich finde, daß sie ihm nicht stehn. Ich finde,

sie sind ihm um die Brust zu weit.

DIE VERTRAUTE.

Sie redet

nicht, wie sies meint.

DIE SCHLEPPTRÄGERIN.

Ein jedes Wort ist Falschheit.

KLYTÄMNESTRA zornig.

Ich will nichts hören. Was aus euch herauskommt,

ist nur der Atem des Ägisth.