Sehen

werd ich ihn nie: was kümmerts mich, zu wissen,

ob er am Leben oder nicht. Ganz einfach,

ich bin es satt, von ihm zu träumen. Träume

sind ungesund, sie zehren an den Kräften,

und ich will leben und die Herrin sein.

Ich will nicht solche Anwandlungen haben,

mich herzustellen wie ein Hökerweib

und dir von meinen Nächten zu erzählen.

Ich bin so gut wie krank, und Kranke schwatzen

von ihrem Übel, das ist alles. Aber

ich will nicht länger krank sein. Und aus dir

 

Sie hebt den Stock drohend gegen Elektra.

 

bring ich so oder so das rechte Wort

schon an den Tag. Du hast dich schon verraten,

daß du das rechte Opfer weißt und auch

die Bräuche, die mir nützen. Sagst dus nicht

im Freien, wirst dus an der Kette sagen.

Sagst dus nicht satt, so sagst dus hungernd. Träume

sind etwas, das man los wird. Wer dran leidet

und nicht das Mittel findet, sich zu heilen,

ist nur ein Narr. Ich finde mir heraus,

wer bluten muß, damit ich wieder schlafe.

ELEKTRA mit einem Sprung aus dem Dunkel auf sie zu, immer näher an ihr, immer furchtbarer wachsend.

Was bluten muß? Dein eigenes Genick,

wenn dich der Jäger abgefangen hat!

Er fängt dich ab: doch nur im Lauf! Wer schlachtet

ein Opfertier im Schlaf! Er jagt dich auf,

er treibt dich durch das Haus! willst du nach rechts,

da steht das Bett! nach links, da schäumt das Bad

wie Blut! das Dunkel und die Fackeln werfen

schwarzrote Todesnetze über dich –

 

Klytämnestra, von sprachlosem Grauen geschüttelt, will ins Haus. Elektra zerrt sie am Gewand nach vorn. Klytämnestra weicht gegen die Mauer zurück. Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Stock entfällt ihren zitternden Händen.

 

Du möchtest schreien, doch die Luft erwürgt

den ungebornen Schrei und läßt ihn lautlos

zu Boden fallen, wie von Sinnen hältst du

den Nacken hin, fühlst schon die Schärfe zucken

bis in den Sitz des Lebens, doch er hält

den Schlag zurück: die Bräuche sind noch nicht erfüllt.

Er führt dich an den Flechten deiner Haare,

und alles schweigt, du hörst dein eignes Herz

an deinen Rippen schlagen: diese Zeit

– sie dehnt sich vor dir wie ein finstrer Schlund

von Jahren – diese Zeit ist dir gegeben,

zu ahnen, wie es Scheiternden zumut ist,

wenn ihr vergebliches Geschrei die Schwärze

der Wolken und des Tods zerfrißt, die Zeit

ist dir gegeben, alle zu beneiden,

die angeschmiedet sind an Kerkermauern,

die auf dem Grund von Brunnen nach dem Tod

als wie nach der Erlösung schrein – denn du,

du liegst in deinem Selbst so eingekerkert,

als wärs der glühende Bauch von einem Tier

von Erz – und so wie jetzt kannst du nicht schreien!

Und ich steh neben dir: du kannst den Blick

nicht von mir wenden, immer krampft es dich,

daß du von meinem schweigenden Gesicht

ein Wort ablesen willst, du rollst die Augen,

willst irgend etwas denken, willst die Götter

heruntergrinsen aus dem Nachtgewölk:

die Götter sind beim Nachtmahl! so wie damals,

als du den Vater würgtest, sitzen sie

beim Nachtmahl und sind taub für jedes Röcheln!

Nur ein halbtoller Gott, das Lachen, taumelt

zur Tür herein: er glaubt, du triebest Scherze

zur Schäferstunde mit Ägisth, allein

sogleich bemerkt er seinen Irrtum, lacht

lautgellend auf und ist im Nu davon.

Da hast auch du genug. Die Galle träufelt

dir bitter auf das Herz, verendend willst du

dich auf ein Wort besinnen, irgend eines

noch von dir geben, nur ein Wort, anstatt

der blutgen Träne, die dem Tier sogar

im Sterben nicht versagt ist: da steh ich

vor dir, und nun liest du mit starrem Aug

das ungeheure Wort, das mir in mein

Gesicht geschrieben ist: denn mein Gesicht

ist aus des Vaters und aus deinen Zügen

gemischt, und da hab ich mit meinem stummen

Dastehn dein letztes Wort zunicht gemacht,

erhängt ist dir die Seele in der selbst-

gedrehten Schlinge, sausend fällt das Beil,

und ich steh da und seh dich endlich sterben!

Dann träumst du nimmermehr, dann brauche ich

nicht mehr zu träumen, und wer dann noch lebt,

der jauchzt und kann sich seines Lebens freuen!

 

Sie stehen einander, Elektra in wildester Trunkenheit, Klytämnestra gräßlich atmend vor Angst, Aug in Aug. In diesem Augenblick erhellt sich der Hausflur und die Vertraute kommt herausgelaufen. Sie flüstert Klytämnestra etwas ins Ohr. Diese scheint erst nicht recht zu verstehen. Allmählich kommt sie zu sich. Sie winkt: Lichter! Es treten Dienerinnen mit Fackeln heraus, stellen sich hinter Klytämnestra. Sie winkt: Mehr Lichter! Es kommen mehr heraus, stellen sich hinter sie, so daß der Hof voll von Licht wird und rotgelber Schein an den Mauern flutet. Nun verändern sich die Züge der Klytämnestra allmählich, und die Spannung des Grauens weicht einem bösen Triumph. Sie läßt sich die Botschaft abermals zuflüstern und verliert dabei Elektra keinen Augenblick aus dem Auge. Ganz bis

an den Hals sich sättigend mit einer wilden Freude, streckt sie die beiden Hände drohend gegen Elektra. Dann hebt ihr die Vertraute den Stock auf und, auf beide sich stützend, eilig, gierig, an den Stufen ihr Gewand aufraffend, läuft sie ins Haus. Die Dienerinnen mit den Lichtern, wie gejagt, hinter ihr drein.

 

ELEKTRA währenddessen.

Was sagen sie ihr denn? sie freut sich ja!

Mein Kopf! Mir fällt nichts ein. Worüber freut sich

das Weib?

 

Chrysothemis kommt, laufend, zur Hoftür herein, laut heulend wie ein verwundetes Tier.

 

ELEKTRA.

Chrysothemis! Schnell, schnell, ich brauche

Aushilfe. Sag mir etwas auf der Welt,

worüber man sich freuen kann!

CHRYSOTHEMIS schreiend.

Orest!

Orest ist tot!

ELEKTRA winkt ihr ab, wie von Sinnen.

Sei still!

CHRYSOTHEMIS dicht bei ihr.

Orest ist tot!

ELEKTRA bewegt die Lippen.

CHRYSOTHEMIS.

Ich kam hinaus, da wußten sies schon! Alle

standen herum, und alle wußtens schon,

nur wir nicht.

ELEKTRA.

Niemand weiß es.

CHRYSOTHEMIS.

Alle wissens!

ELEKTRA.

Niemand kanns wissen: denn es ist nicht wahr.

CHRYSOTHEMIS wirft sich auf den Boden.

ELEKTRA reißt sie empor.

Es ist nicht wahr! ich sag dir doch! ich sag dir,

es ist nicht wahr!

CHKYSOTHEMIS.

Die Fremden standen an der Wand, die Fremden,

die hergeschickt sind, es zu melden: zwei,

ein Alter und ein Junger. Allen hatten

sies schon erzählt, im Kreise standen alle

um sie herum und alle wußtens schon.

ELEKTRA.

Es ist nicht wahr.