ELEKTRA.

Niemand weiß es.

CHRYSOTHEMIS.

Alle wissens!

ELEKTRA.

Niemand kanns wissen: denn es ist nicht wahr.

CHRYSOTHEMIS wirft sich auf den Boden.

ELEKTRA reißt sie empor.

Es ist nicht wahr! ich sag dir doch! ich sag dir,

es ist nicht wahr!

CHKYSOTHEMIS.

Die Fremden standen an der Wand, die Fremden,

die hergeschickt sind, es zu melden: zwei,

ein Alter und ein Junger. Allen hatten

sies schon erzählt, im Kreise standen alle

um sie herum und alle wußtens schon.

ELEKTRA.

Es ist nicht wahr.

CHRYSOTHEMIS.

Nur uns erzählt mans nicht!

An uns denkt niemand. Tot! Elektra, tot!

EIN JUNGER DIENER kommt eilig aus dem Haus, stolpert über die vor der Schwelle Liegende hinweg.

Platz da! wer lungert so vor einer Tür?

Ah, konnt mirs denken! Heda, Stallung! he!

DER KOCH kommt rechts aus der Tür.

Was gibts?

DER DIENER.

Nach einem Stallknecht schrei ich mir

die Lunge aus, und wer aus seinem Loch kriecht,

das ist der Koch.

EIN ALTER DIENER finsteren Gesichts, zeigt sich an der Hoftür.

Was solls im Stall?

DER JUNGE.

Gesattelt

soll werden, und so rasch als möglich! hörst du?

ein Gaul, ein Maultier, oder meinetwegen

auch eine Kuh, nur rasch!

DER ALTE.

Für wen?

DER JUNGE.

Für den,

der dirs befiehlt. Da glotzt er! Rasch, für mich!

Sofort! für mich! Trab, trab! Weil ich hinaus muß

aufs Feld, den Herren holen, weil ich ihm

Botschaft zu bringen habe, große Botschaft,

wichtig genug, um eine eurer Mähren

zutod zu reiten.

 

Der Alte verschwindet.

 

DER KOCH.

Was für Botschaft? rede

ein Wort!

DER JUNGE.

Mit einem Wort, mein guter Koch,

wär dir wahrscheinlich nicht gedient. Auch könnte

man schwerlich, was ich weiß und an den Herren

zu melden hab, so kurzweg in ein Wort

zusammenfassen: laß es dir genügen,

wenn man dir sagt, daß eine Botschaft ist

von höchster Wichtigkeit soeben hier

im Hause eingetroffen, eine Botschaft,

– wie lange solch ein alter Knochen braucht

um aufzusatteln! – die, als treuen Diener

der Herrschaft, dich zu freuen hat: ob du

sie kennst, ob nicht, ganz gleich, sie hat dich zu

erfreuen.

 

In den Hof brüllend.

 

Eine Peitsche, Schuft! was, meinst du,

ich werd ihn ohne Peitsche reiten? Du,

du läßt mich warten und nicht ich den Gaul!

 

Zum Koch, schon auf dem Sprunge abzugehen.

 

Und kurz und gut: der junge Bursch Orest,

der Sohn vom Haus, der immer außer Haus war

und drum so gut wie tot: kurz dieser, der

schon eh und immer sozusagen tot war,

der ist nun sozusagen wirklich tot!

 

Springt ab.

 

DER KOCH gegen Elektra und Chrysothemis hin, die aneinandergedrückt daliegen, wie ein Leib, den das Schluchzen der Chrysothemis schüttelt und über den sich das totenbleiche schweigende Gesicht der Elektra hebt.

Eh! jetzt hab ichs heraus! Die Hunde heulen

beim Vollmond, und ihr heult, weil jetzt für euch

auf immer Neumond ist. Die Hunde jagt man,

wenn sie die Hausruh stören. Gebt ihr acht,

sonst gehts euch ebenso.

 

Geht wieder hinein.

 

CHRYSOTHEMIS halbaufgerichtet.

Gestorben in der Fremde! tot! begraben

dort in dem fremden Land. Von seinen Pferden

erschlagen und geschleift! Ach, sein Gesicht

unkenntlich, sagen sie. Wir habens nie

gesehen, sein Gesicht! Wenn wir ihn denken,

so denken wir ein Kind. Und er war groß.

Ob er vor seinem Sterben nicht nach uns

verlangte! Ich hab sie nicht fragen können:

es standen alle ringsherum. Elektra,

wir müssen hin und mit den Männern sprechen.

ELEKTRA vor sich.

Nun muß es hier von uns geschehn.

CHRYSOTHEMIS.

Elektra,

wir wollen hingehn: es sind zwei, ein Alter

und ein viel Jüngerer, wenn sie erfahren,

daß wir die Schwestern sind, die armen Schwestern,

so sagen sie uns alles.

ELEKTRA.

Was frommt noch

zu wissen? daß er tot ist, wissen wir.

CHRYSOTHEMIS.

Daß sie uns nichts, nicht einmal eine Locke,

nicht eine kleine Locke mitgebracht!

Wie wenn wir gar nicht auf der Welt mehr wären,

wir beiden Mädchen.

ELEKTRA.

Darum müssen wir

jetzt zeigen, daß wirs sind.

CHRYSOTHEMIS.

Elektra?

ELEKTRA.

Wir!

Wir beide müssens tun.

CHRYSOTHEMIS.

Elektra, was?

ELEKTRA.

Am besten heut, am besten diese Nacht.

CHRYSOTHEMIS.

Was, Schwester?

ELEKTRA.

Was? Das Werk, das nun auf uns

gefallen ist, weil er nicht kommen kann

und ungetan es ja nicht bleiben darf.

CHRYSOTHEMIS.

Was für ein Werk?

ELEKTRA.

Nun müssen du und ich

hingehen und das Weib und ihren Mann

erschlagen.

CHRYSOTHEMIS.

Schwester, sprichst du von der Mutter?

ELEKTRA.

Von ihr. Und auch von ihm. Ganz ohne Zögern

muß es geschehn.

CHRYSOTHEMIS sprachlos.

ELEKTRA.

Schweig still. Zu sprechen ist nichts.

Nichts gibt es zu bedenken, als nur: wie?

wie wir es tun.

CHRYSOTHEMIS.

Ich?

ELEKTRA.

Ja. Du und ich.

Wer sonst? Hat unser Vater andre Kinder,

die wo im Haus versteckt sind und zu Hülfe

uns kommen könnten? Nein, soviel ich weiß.

CHRYSOTHEMIS.

Wir beide sollen hingehn? Wir? wir zwei?

mit unsern beiden Händen?

ELEKTRA.

Dafür laß

du mich nur sorgen.

CHRYSOTHEMIS.

Wenn du auch ein Messer –

ELEKTRA verächtlich.

Ein Messer!

CHRYSOTHEMIS.

Oder auch ein Beil –

ELEKTRA.

Ein Beil!

Das Beil! das Beil, womit der Vater –

CHRYSOTHEMIS.

Du?

Entsetzliche, du hast es?

ELEKTRA.

Für den Bruder

bewahrt ich es. Nun müssen wir es schwingen.

CHRYSOTHEMIS.

Du? diese Arme den Ägisth erschlagen?

ELEKTRA.

Erst ihn, dann sie; erst sie, dann ihn, gleichviel.

CHRYSOTHEMIS.

Ich fürchte mich. Du bist wie außer dir.

ELEKTRA.

Es schläft niemand in ihrem Vorgemach.

CHRYSOTHEMIS.

Im Schlaf sie morden, und dann weiterleben!

ELEKTRA.

Es handelt sich um ihn, und nicht um uns.

CHRYSOTHEMIS.

Kämst du zu dir, den Wahnsinn einzusehn!

ELEKTRA.

Wer schläft, ist ein gebundnes Opfer.