– Ja nun, liebe Helena, erwiderte Lord Glenarvan, die Leute haben kein Herz!
– Sie haben abgeschlagen? ...
– Ja! Sie haben mir ein Schiff verweigert! Sie sprachen von den Millionen, die vergeblich für die Aufsuchung Franklin's aufgewendet worden! Sie haben das Document für unklar, unlesbar erklärt! Sie sagten, es seien bereits zwei Jahre, daß diese Unglücklichen zu Grunde gegangen, und wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, sie wieder aufzufinden! Sie haben behauptet, seien sie von den Indianern gefangen worden, so habe man sie in's Innere geschleppt, und man könne nicht ganz Patagonien durchsuchen, um drei Menschen, – drei Schotten! – wieder zu bekommen. – Solch ein Aufsuchen würde vergeblich, und mit Gefahren verknüpft sein, es würde mehr Opfer kosten, als gerettet werden würden! Kurz, sie brachten alle möglichen seichten Gründe vor, um eben nur zu verweigern. Sie erinnerten sich an des Kapitäns Projecte, darum ist der arme Grant auf immer verloren!
»Mein Vater! Mein armer Vater! rief Mary Grant, und stürzte dem Lord Glenarvan zu Füßen.
– Ihr Vater! Wie Miß . . . sprach dieser überrascht, als er das Mädchen zu seinen Füßen sah.
– Ja, Edward, Miß Mary und ihr Bruder, erwiderte Lady Helena, die beiden Kinder des Kapitän Grant, welche die Admiralität zu Waisen machen will!
– Ach! Miß, fuhr Lord Glenarvan fort, indem er das Mädchen aufhob, hätte ich gewußt, daß Sie zugegen ...«
Er sprach kein Wort weiter! Peinliches Schweigen, mit Schluchzen vermischt, herrschte im Hofe. Niemand ließ ein Wort vernehmen, weder Lord Glenarvan, noch Lady Helena, noch der Major, noch seine Diener des Schlosses, welche schweigend um ihre Herrschaft standen. Aber durch ihre Haltung protestirten alle diese Schotten gegen das Benehmen der englischen Regierung.
Nach einer Weile ergriff der Major das Wort und sprach zu Lord Glenarvan:
»Also, Sie haben keine Hoffnung?
– Keine.
– Nun, rief der junge Robert aus, ich will denn hin zu den Leuten, und . . . wir werden sehen ...«
Robert sprach seine Drohung nicht aus, weil seine Schwester ihn hemmte; aber seine geballte Faust gab wenig friedliche Absichten zu erkennen.
»Nein, Robert, sagte Mary Grant, nein! Danken wir diesen guten Menschen dafür, was sie für uns gethan haben; bleiben wir ihnen ewig dankbar, und gehen miteinander.
– Mary! rief Lady Helena.
– Miß, wo wollen Sie hin? sagte Lord Glenarvan.
– Ich will mich der Königin zu Füßen werfen, erwiderte das Mädchen, und wir werden sehen, ob sie taub ist gegen das Flehen zweier Kinder um das Leben ihres Vaters.«
Lord Glenarvan schüttelte den Kopf, nicht weil er am Herzen der huldvollen Majestät zweifelte, sondern weil er überzeugt war, daß Mary Grant nicht bis zu ihr würde dringen können. Die Flehenden gelangen sehr selten bis zu den Stufen eines Thrones, und es scheint, man hat an die Thore der königlichen Paläste geschrieben, was man auf dem Rade der Steuerruder englischer Schiffe liest:
»Die Passagiere sind gebeten, mit dem Manne am Steuer nicht zu reden.«
Lady Helena hatte den Gedanken ihres Gemahls begriffen; sie wußte, daß das Mädchen einen vergeblichen Schritt thun würde; sie sah, in welch' verzweifelter Lage nun die beiden Kinder sich befinden würden. Da entstand in ihr ein großer, edler Gedanke.
»Mary Grant, rief sie aus, warte, mein Kind, und höre, was ich zu sagen habe.«
Das Mädchen war im Begriff, mit seinem Bruder an der Hand fortzugehen. Es blieb stehen.
Darauf trat Lady Helena, mit nassem Auge, aber fester Stimme und belebten Zügen, zu ihrem Gemahl:
»Edward, sprach sie, als der Kapitän Grant jenes Schreiben verfaßte und in's Meer warf, vertraute er es der Obhut Gottes. Gott hat es in unsere Hände geführt! Gewiß hat uns Gott die Rettung dieser Unglücklichen aufgetragen.
– Was meinst Du damit, Helena?« fragte Lord Glenarvan.
Tiefes Schweigen herrschte in der ganzen Versammlung.
»Ich meine damit, fuhr Lady Helena fort, daß man ein Glück darin finden soll, sein eheliches Leben mit einer guten That zu beginnen. Nun denn, lieber Edward, Du hattest mir zu Gefallen eine Vergnügungsfahrt beschlossen! Welch Vergnügen aber kann echter, nützlicher sein, als Unglückliche zu retten, die von ihrem Lande im Stiche gelassen werden?
– Helena! rief Lord Glenarvan aus.
– Ja! Du verstehst mich, Edward! Der Duncan ist ein tüchtiges Schiff! Er kann auch dem Südmeer trotzen! Er kann die ganze Erde umsegeln, und nötigenfalls wird er es thun. So wollen wir hin, Edward! Den Kapitän Grant aufsuchen!«
Bei diesen muthigen Worten umschloß Lord Glenarvan seine junge Frau mit den Armen, lächelte und drückte sie an sein Herz, während Mary und Robert ihre Hände küßten.
Und während dieser rührenden Scene ließen die Diener des Schlosses, in begeisterter Bewegung, aus ihrem Herzen den Ruf der Dankbarkeit vernehmen:
»Hurrah der Dame von Luß! Hurrah! Dreimal Hurrah! dem Lord Edward und der Lady Glenarvan!«
Fünftes Capitel.
Abfahrt des Duncan.
Lady Helena hatte, wie wir sahen, eine starke und edle Seele. Was sie soeben gethan, lieferte den unbestreitbaren Beweis. Lord Glenarvan hatte wohl Grund, auf diese edle Frau, die ihn zu begreifen, sich ihm anzuschließen fähig war, stolz zu sein. Die Idee, dem Kapitän Grant selbst zu Hilfe zu kommen, hatte sich seiner bereits bemeistert, als man ihm zu London sein Gesuch abschlug; nur der Gedanke, sich von Lady Helena trennen zu müssen, hatte ihn abgehalten, ihn derselben mitzutheilen. Da sie nun aber begehrte, selbst die Reise mit zu machen, so hatte er sich auch keinen Augenblick zu bedenken. Die Diener des Schlosses hatten ihren Vorschlag mit Beifall begrüßt; es handelte sich um die Rettung ihrer Brüder, die Schotten waren wie sie, und Lord Glenarvan stimmte herzlich in das Hurrah ein, welches sie der Dame von Luß zuriefen.
Als die Fahrt beschlossen war, wurde auch keine Stunde versäumt. Noch an demselben Tage ließ Lord Glenarvan an John Mangles den Befehl ergehen, den Duncan nach Glasgow zu bringen, und Vorbereitungen zu einer Reise in die Südsee zu treffen, woraus eine Weltumsegelung werden konnte. Uebrigens hatte Lady Helena, als sie den Vorschlag machte, dem Duncan nicht zuviel zugetraut; es war ein äußerst solid gebauter Schnelldampfer, der eine weite Reise ohne Gefahr aushalten konnte.
Es war ein Prachstück von Dampf-Jacht, von zweihundertundzehn Tonnen, während die ersten Schiffe der Entdecker der neuen Welt, Columbus, Vespucio, Pinzon, Magelhaens, weit geringeren Gehalt hatten.[Fußnote: Chr. Columbus unternahm seine vierte Fahrt mit vier Schiffen. Das größte, die Kapitänscaravelle, worauf Columbus fuhr, hielt siebenzig Tonnen, das kleinste nur fünfzig. Es waren in der That nur Küstenfahrzeuge.]
Der Duncan hatte zwei Maste: einen Fockmast mit Segel, Goelette-Focksegel, kleinem Marssegel und kleinem Bramsegel; einen großen Mast mit Brigantine und Spitze; ferner einem Vorstagsegel, einem großen und kleinen Klüver und Stagsegeln. Sein Segelwerk war tüchtig, und er konnte den Wind wie ein einfacher Klipper benutzen; aber vor Allem, er konnte sich auf die Kraft der Maschine in seinem Schooße verlassen. Dieselbe hatte hundertundsechzig Pferdekraft und war nach einem neuen System gebaut, mit Vorrichtungen zum Steigern der Hitze, wodurch der Dampf eine größere Spannkraft bekam; es war eine Hochdruckmaschine mit doppelter Schraube. Der Duncan konnte mit voller Dampfkraft jede bisher erzielte Schnelligkeit überbieten.
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