Abend.

Faust und Mephistopheles.

 

FAUST.

In jener Nacht, an jener stillen Leiche

Sprachst du das kecke Wort, das folgenreiche:

»Den Menschen gab der ewige Despot

Für ihr Geschick ein rätselhaft Gebot;

Nur dem Verbrecher, der es überschritten,

Wirds klar und lesbar in das Herz geschnitten.«

Wie wahr! wie falsch! der Mensch wird ewig irren;

Doch wenn Erkenntnisdurst ihn glühend plagt,

Muß er vom reichen Strome unverzagt

Einschöpfen mit den sämtlichen Geschirren,

Er muß ihn mit der Liebe und der Treue,

Und mit der Herzensfurche tiefer Reue,

Mit Kampf und Hoffnung, unversöhntem Hassen,

Und mit den Sinnen der Verzweiflung fassen.

Wie wenig, ach wie wenig dem Verlangen

Kann er auch so vom großen Strom empfangen!

MEPHISTOPHELES.

Das ist wohl wahr, doch frag ich vor der Hand,

Warum du mich beschiedst an diesen Strand?

FAUST.

Ich will nun fort, hinaus ins Meer,

Das ist so einsam, wild und leer,

Das blüht nicht auf, das welkt nicht ab,

Ein ungeschmücktes, ewiges Grab.

Dort zwischen Wogen, zwischen Winden

Soll mir der letzte Kummer schwinden.

MEPHISTOPHELES.

Wenn dichs nach einer Fahrt gelüstet,

Schon hab ich dir ein Schiff gerüstet,

Mein wackrer Herr, wie keines je

Gesehen ward auf aller See.

FAUST.

Wo stehts? ist auch dein Teufelswrack,

Wie es verlanget mein Geschmack?

MEPHISTOPHELES.

Du siehst es in der Dämmrung kommen

Dort stattlich still herangeschwommen;

Und bis es mag zum Strande treiben,

Will ichs ein wenig dir beschreiben.

Setz dich indes auf diese Scheiter,

Sei wieder auch ein wenig heiter.

Dies Rückwärtsdenken, Vorwärtsgrübeln

Muß ich als Freund dir sehr verübeln.

FAUST.

Wenn nicht das böse Grübeln wäre,

So stünd ich jetzo nicht mit dir am Meere.

Doch mache mir des Schiffs Beschreibung

Mit der gewohnten Übertreibung.

MEPHISTOPHELES.

Das Schiff geht stets nach unserm Willen,

Im windgen Meere, und im stillen;

Es ist vollkommen windgerecht,

Denn jeder Wind ist unser Knecht,

Ein jeder muß uns vorwärts schieben.

Das aber ist nicht übertrieben.

FAUST.

Und wenn die wilden Stürme rasen?

MEPHISTOPHELES.

Und wenn sie ringsum wütend bellen,

So spielen sie in unsern Wellen,

Wie durchs Getreide junge Hasen.

FAUST.

Wie stehts um Sandbank, Freund, und Klippen?

MEPHISTOPHELES.

Die machen uns kein Tröpflein Meeres nippen.

Die Bänke ducken sich, die Felsenriffe,

Nachgiebig, biegen sich vor unserm Schiffe,

Wie weiche Butter vor der Messerklinge.

FAUST.

Was rühmst du weiter an dem Ding?

MEPHISTOPHELES.

Das Schönste sind die Zimmer der Kajüte,

Mit zaubrischen Tapeten ausgehangen,

Die sich gestalten, wie du's magst verlangen:

Zur Frühlingslandschaft frisch, mit Laub und Blüte.

Dann schweigt das Meer, du hörst allein die Weste

Melodisch säuseln durch die grünen Äste,

Du bist umwürzt von süßem Waldesduft,

Du hörst die Nachtigall, die ferne ruft. –

Mit noch so leiser Sehnsucht nach dem Herbst

Du plötzlich anders die Tapete färbst:

Du siehst am Felde schöne Schnitterinnen

Im Abendrote stehn – und Liebe sinnen;

Du hörst die Wachtel schlagen im Getreide,

Du siehst den Jäger still den Wald beschleichen,

Zugvögel wandernd durch die Lüfte streichen,

Die Herden kehren von der Alpenweide. –

Fällt dir mit seinem Reiz der Winter ein,

Wirds gleich auf der Tapete Winter sein:

Die sturmverwehten Blätter rauschend fallen,

Dicht stöbert Schnee, nun starren alle Bäche,

Die erst geplätschert, auf gefrorner Fläche

Ziehn lustige Schlitten hin mit Peitschenknallen.

FAUST.

Sei mir vom Land und seinem Wechsel still.

Vergeßner Schalk! hab ich dir nicht gesagt,

Daß ich die Erde nun verlassen will,

Weil mir ihr Wechselspiel nicht mehr behagt?

MEPHISTOPHELES.

Verzeih! mir fiels nicht ein sogleich,

Mir spielte mein Gedächtnis einen Streich.

FAUST.

Sonst brauch ich dein Gedächtnis nicht zu wecken,

Wenns gilt, mit alten Dingen mich zu necken.

MEPHISTOPHELES.

Verkenne meinen guten Willen nicht.

Dich zu erinnern, heischt oft meine Pflicht.

Mich zwingt mein Pakt, die Wahrheit dir zu nennen;

Nur aus Vergangnem kannst du sie erkennen.

Ich liebe sonst ein schlecht Gedächtnis;

Von lüderlichen Vätern ein Vermächtnis,

Seh ichs zumal an lustgen Herrn

Zuweilen für mein Leben gern.

Verwittert wo ein alter Turm,

Von Regenguß zernagt und Sturm,

Und fallen aus den Fugen lose Stücke,

Dann kommen räuberische Geier

Und nisten in der Mauerlücke,

Und brüten drinnen ihre Eier.

Also zernagt der laute Lebenssturm,

Also zernagt der stille Todeswurm

Euch der Erinnrung alterndes Gebäude;

Und fällt dann aus der aufgelösten Fuge

Ein Stück Gedanke, Vorsatz, Schmerzen, Freude:

So fliegt manchmal herbei mit Blitzesfluge

Der Hölle Raubgevögel, Leidenschaften,

Die in der Lücke nisten, brüten, haften. –

Da hast du was von deiner lieben Braut!

Was ich dir von der Wahrheit hier vertraut,

Ist nur von ihrem Kleid ein dunkles Band;

Doch Ritter ehren jedes Liebespfand.

FAUST.

Ich nehms, noch bin ich meinem Bunde treu;

Denk ich auch manchmal mit geheimer Scheu

Der Wahrheit und mit sehnsuchtsvollem Zagen,

Für die nur freudig einst mein Herz geschlagen.

Du gabst von ihrem Kleid ein dunkles Band,

Wird sie im Trauerflore mir erscheinen?

Kommt sie, wohlan, ich biet ihr meine Hand,

Und soll sie ewig mir am Halse weinen.

MEPHISTOPHELES.

Genug davon. Besprechen wir die Reise.

Ich war für dich bedacht auf jede Weise.

Vor schlimmer Langeweile dich zu sichern,

Hab ich das Schiff bepackt mit guten Büchern.

Damit nicht etwa dein Verstand,

Siehst du nur Meer und nirgends Land,

Zum alten Bibelwesen mache Kehrum,

Hab ich Lucretium de natura rerum

Dir aufgeschlagen; 's ist mein Lieblingsbuch,

Es hält so manchen kräftig kühnen Spruch,

Besonders von den Göttern und der Liebe;

Ich meine, daß ichs selbst nicht besser schriebe.

Auf dem Verdecke woll'n wir dann spazieren,

Und ich will dir den Kauz interpretieren.

Dann ist gesorgt für allerliebste Flaschen.

Mein feiner Koch setzt Gaumen dir und Nase

Mit seinen Meisterstücken in Ekstase.

Auch geb ich noch was andres dir zu naschen,

So schön und witzig, und so schmachtend feurig,

Und in den Liebsgeschäften doch erst heurig:

Sechs Mädel sinds, hast neuen Spaß mit jeder.

Bist du zufrieden so mit deinem Reeder?

FAUST.

Ich bins mit nichten; und ich nehme

Dein Fahrzeug nicht, das ekelhaft bequeme.

Solang ich mich noch fühle Sohn der Erde,

Ist heimisch mir die irdische Beschwerde.

MEPHISTOPHELES.

Ich wollte nur mit solchen Zauberschwänken

Behüten dich vor allzuvielem Denken.

Du kennst das Meer noch nicht; das ernste Ding

Schon manchem Wandrer sehr zu Herzen ging.

FAUST.

Ich wills in seiner Fruchtbarkeit erschauen.

Schaff mir ein Schiff, nicht zauberhaft gemächlich,

Schaff mirs, wie es die armen Menschen bauen,

Unsicher, schwank und sturmzerbrechlich.

O Sturm, o Sturm, wie sehn ich mich nach dir!

MEPHISTOPHELES.

Der Sturm ist weniger bedenklich mir.

Wenns heult und brüllt, wenn alles wankt und kracht,

Ein kriegrisch Wesen bald in dir erwacht,

Das dem Tumult und allen Todesschlägen

Mannstrotzig und frohlockend zieht entgegen.

Bedenklich aber ist das stille Meer,

Dagegen hält dein Trotz und Stolz sich schwer.

Wenn Welle ruht und jedes Luftgeflüster,

Wenn Meer und Himmel schweigend sich umschlingen

Und fromm, fast wie zwei betende Geschwister,

Das könnte, sorg ich, meinen Faust bezwingen,

Da fürcht ich Schwärmerei an meinem Faust,

Hat auch der Sturm vergebens ihn gezaust .....

Indessen ist die Nacht hereingebrochen,

Die Wogen brausend an die Klippen pochen,

Von Winden wird die Felsenbucht durchpfiffen,

Die Wetterwolken laut und lauter kommen,

Das Zauberboot ist an den Strand geschwommen,

Es schaukelt sich und tändelt mit den Riffen,

Und drinnen süße Stimmen musizieren,

Die, kaum gehört, im Sturme sich verlieren.

MEPHISTOPHELES.

Ich frage dich: ist dir das Schiff nicht recht?

Zum letztenmal: verschmähst du es im Ernst?

FAUST.

Ich frage dich, rebellisch kecker Knecht!

Zum letztenmal: ob du gehorchen lernst? ....

Der Böse zürnt, aus seinem Auge fährt

Ein Blitz aufs Boot, ders zündet und verzehrt.

Hoch flammt es auf und sprüht und zischt umher,

Und flattert hin. Der Nacht tiefschwarzer Schleier

Fängt nun im Schiffesbrande plötzlich Feuer

Und leuchtet weithin übers wilde Meer. –

Der Morgen graut, es weht ein frischer Wind

Seewärts und treibt hinaus ein Schiff geschwind.

Die Wimpel flattern, jedes Segel schwoll,

Der Sehnsucht nach der dunklen Ferne voll.

Am Schiff vorüber flieht der Wellenschaum;

Und wie die Sonn empor im Osten zieht,

Das Land zurückverschwindet und entflieht,

Wie, wenn der Tag erscheint, ein dunkler Traum.

Faust wandelt fort im dumpfen Wellenbraus

Und starrt zur Meereseinsamkeit hinaus.

 

Der Traum

 

Matrosen singen hell ihr Abendlied,

Das kaum noch von der Sängerlippe schied,

Schon ohne Widerhall im Meere schwindet,

Wo Menschenstimme keinen Anklang findet;

Im Meer, das fremd und stolz, in kalter Größe,

Nicht rückhallt selbst des Himmels Donnerstöße.

Sanft kräuselnd regt die milde Luft das Meer

Und drängt den Segler sachte vor sich her,

Wie ihren Liebling die verschämte Maid,

Der kühn um einen Kuß der Liebe freit,

Mit weicher Hand von ihrem Busen drängt

Und doch in seinen Armen sich verfängt.

Die Sonne neigt hinunter sich im Westen,

Noch zittert auf der Flut ihr Schimmerpfad;

Ein Weilchen harrt, gleich diesen Strahlenresten,

Die lichte Spur von einer edlen Tat.

Auf weitem Meer ist es ein freudig Grauen,

Den Untergang der Sonne anzuschauen;

Im Augenblicke, wo die fremde See

Die Lebensfreundin Sonne ihm verschlang,

Durchzuckt des Wandrers Herz ein dunkles Weh.

Er sieht die Fluten dämmern heimlich bang,

Beschleichen mag auf irren Meeresstraßen

Den Wandrer ein Gefühl, daß er verlassen;

Zum Himmel hebt er dann die Blicke gerne

Und sucht den Gruß der heimatlichen Sterne,

Die nie dem Menschenherzen näher kommen,

Als wo der Gruß der Erde ihm genommen,

Die nie die Seele himmlischer beflügeln,

Als auf des Meers bewegten Grabeshügeln.

Wird solch Gefühl, o Faust, dein Herz beschleichen?

Erinnerung die Seele dir erweichen? –

Ihm naht des Schiffes Kapitän und spricht,

Hindeutend auf der Sonne letztes Licht:

»Der Sonnenuntergang regt mich zu denken

Wohl jedesmal an eine bittre Stund,

Als ich die tote Mutter mußte senken

Vom Bord hinunter in den Meeresgrund.

Es war ein Augenblick trüb, kummervoll,

Wie wenige so schmerzlich ihn erfahren,

Solang ich noch hienieden lebe, soll

Das Herz mir seinen Kummer treu bewahren.

Da lag sie auf dem Brette ausgestreckt,

Die mich geboren, segeltuchbedeckt,

Zu Füßen ihr gefügt ein Sack mit Sand,

Und harrend lehnt das Brett am Schiffesrand,

Ein kurz Gebetlein – der Matrose schnellt

Vom Brett die Tote lächelnd ab – sie fällt,

Und lange, lange sah ich sie noch sinken

Und mir mit ihrem weißen Tuche winken.

Von dannen zog das Schiff, mir war so schwer,

Daß ich allein die Mutter mußte lassen,

Wenn auch schon tot, im weiten, fremden Meer,

Wo sie die kalten Ungeheuer fassen.

Und wenn ins Meer versinkt der Sonne Schein,

So fällt mir immer meine Mutter ein.« –

Faust aber spricht: »Ihr seid mir wunderlich;

Wie konntet Ihr auf rauhem Meere fahren

Und doch so weiche Sitten Euch bewahren?

Ganz anders stimmte diese Reise mich.

Was ernst mich freute von den Erdengaben,

Was mich, weil ichs verloren, einst gekränkt,

Der Erde ganze Lust hab ich versenkt

Ins tiefe Meer und ihren Schmerz begraben.

Mir war das Meer des Schmerzes hohe Schule,

Hier mag er würdig aufzuflammen lernen

Nur nach dem Ewgen, leider ewig fernen,

Und daß er nicht nach dem Erschaffnen buhle.

Ein mächtig Wort: ›Verachtung des Erschaffnen!‹

Ich habs erfaßt, daß es von Schuld mich heile,

Denn fernher schnellt Erinnrung ihre Pfeile,

Und nur der Stolz kann gegen Reue waffnen.« –

Indessen schwand der Sonne letzter Schimmer,

Und leer und schlaff die Segel niederhangen,

Der Wind ist mit der Sonne schlafen gangen,

Die Wellen werden leiser, dunkler immer. –

Auf seinem Lager, schlummerharrend, liegt

Der Wandrer Faust, das Auge zu, das Ohr

Dicht an des Schiffes Bretterwand geschmiegt,

Schlaflieder murmelt ihm der Wellenchor.

Faust hört vergnügt im sanften Meerestosen

So nah den Tod an seinem Haupte kosen.

Bald ists ein Rieseln, ein Geflüster bald,

Dann wieder ein geheimnisvolles Klingen,

Als wenn die Winde über Wies und Wald

Den Rest verstreuter Glockentöne bringen;

Nun braust es dumpf, wie Wasserfälle rauschen,

Wie vom Gebirge hirtliche Schalmeien,

Nun wieder hört ein träumerisches Lauschen,

Von fernem Spielplatz lustge Kinder schreien.

Faust höret wirrer stets des Meeres Wallen,

Der Übermacht des Schlafes heimgefallen. –

Je trotziger ein Mann, auf sich gestellt,

In stolzer Einsamkeit sich seine Welt,

Je tiefer muß er fühlen in der Nacht,

Wenn allgemach die Sinne ihm versiegen,

Wie süß es ist, des Schlafes weicher Macht,

Dem Mutterkusse der Natur erliegen.

Bald hat die Seele Fausts ein Traum berührt,

Der sie an leichter Schöpferhand entführt.

Der Träumer steht auf seinem Inselstrand,

Von Meer umflutet rings, das nirgends endet,

Ein Blütenwald vom unbewohnten Land

Die Frühlingsdüfte in die See verschwendet.

Bezaubernd klingt die tiefe Einsamkeit

Im Vogelsang, von Störung nie bedroht,

Der Liebe Lust, der Sehnsucht süßes Leid,

Im Osten strahlt ein helles Morgenrot.

Die Wellen glühn und singen Wonnelieder,

Melodisch lockt zu sich die Tiefe nieder.

Der Träumer lauscht und meint, sie zu verstehen

Und jeden Gruß, den Frühlingslüfte wehen;

Und lange lauscht er, wunderbar beklommen,

Der Luft, des Meers so heimatlichen Sprachen:

Nun sieht er plötzlich, ostenher geschwommen,

Dem Untergang zugleiten einen Nachen;

Vorüber treibt am Eiland ihn der Wind,

Da wandert eine Frau mit ihrem Kind.

Ein schönes Kind, mit goldnem Lockenhaar,

Die Augen wie der Morgenhimmel klar,

Des Mundes Lächeln seliges Genügen,

Die Ruh der Unschuld in den holden Zügen.

Wie sie an Faust vorüberfahren dicht,

Blickt ihm die Frau gar traurig ins Gesicht.

»O Mutter!« ruft er aus, – mit stillem Weinen

Legt sie die Hand hindeutend auf den Kleinen:

»So warst du einst!« Das war ihr stummes Klagen,

Und schon hat sie die Flut dahingetragen.

Faust starrt ihr nach und seinem Kindesbild,

Und wie sie fort und immer ferner schwimmen,

Verstummen in dem Wald die Frühlingsstimmen,

Der Wind, die Wasser rauschen fremd und wild.

Und Abend ists, mit wildem Satze sprang

Die Sonne plötzlich in den Untergang,

Am Himmel rollt einher ein schwarz Gewitter,

Der Sturm zerreißt den Blütenwald in Splitter,

Und Blitze fahren, laute Donner krachen,

Und auf den Wogen kommt ein andrer Nachen.

Da wandert eine starre, schreckensbleiche

Jungfrau mit einer starren, blassen Leiche.

Wie sie an Faust vorüberfahren dicht,

Da blickt sie ihm gar traurig ins Gesicht:

»Den schlugst du tot!« Das war ihr stummes Klagen,

Und schon hat sie der Sturm dahingetragen.

»Maria!« ruft er aus – und ist erwacht

Und eilt aufs Deck, und jagend irrt umher

Sein Blick, noch trunken von des Traumes Macht,

Und sucht das Boot im sturmbewegten Meer.

Hier aber ist kein Sturm, hier ist kein Nachen,

Das Meer ist still, nur Mond und Sterne wachen.

Als die Gestirne ihm ins Antlitz leuchten,

Erwacht er ganz, es flieht des Traumes Deuchten.

Das Meer ist still, nicht eine Welle ruft,

Und lauschend stehn geblieben ist die Luft;

So still die Nacht, man hört des Herzens Klopfen,

Und schier den Tau vom Himmel niedertropfen,

Und schier den Mondstrahl auf das Wasser fallen,

Und schier das Trauerlied der Zeit verhallen. –

Wie Faust hineinsinnt in das tiefe Schweigen,

Da kommt Mephisto, spricht: »Es ist doch eigen,

Darein kann mein Geschmack sich gar nicht schicken,

Abscheulich ist die Stille, zum Ersticken.

Ich will vom Schlafe die Matrosen holen,

Daß sie noch einmal ihre Lieder johlen.

Nach deinem Traum, bist du viel ernster, blasser,

Ich höre lieber die Matrosen singen

Ihr gellend Lied, als auf das stille Wasser

Die Tränen deiner Rührung niederklingen!«

»Still, störe nicht mit deinem scharfen Schrei

Die Nacht; die Zeit der Tränen ist vorbei.

In Wolken sind die Sterne dort verkrochen,

Wie Kinder sich verkriechen in die Decken,

Wenn sie an ihrem eignen Traum erschrecken.

Der ist ein Kind, den Träume unterjochen.

Mein traumgehetztes Blut mag schneller jagen,

Mein Herz aufschrecken, trauern und verzagen;

Doch wenn auch bei phantastischen Gewittern

Mir Nerv und Ader, Erdenkinder, zittern,

Erwach ich, bin ich Herr in meinem Haus

Und werfe den Gespensterspuk hinaus.

Doch ists ein Übel, daß ich Träume habe,

Wann Schlaf gefesselt meine Willensmacht,

Die lüstern, wie Hyänen, in der Nacht

Die Toten mir aufwühlen aus dem Grabe.

Dann hilft es nichts, daß ich den Wahn vernichtet

Und hoch den Turm Verachtung aufgerichtet,

Von dem ich wachend auf das Märchengrauen

Von Schuld und Reu mag fest herunterschauen;

Die Träume, ungelehr'ge Bestien, schleichen

Noch immer nach des Wahns verscharrten Leichen!«

So hadert Faust zur Flucht ein weich Gefühl,

Den Rest des Traumes, während feucht und kühl

Nachtnebel übers dunkle Meer hinschweifen

Und seine trotzigheiße Stirne streifen.

 

Der Sturm

 

Faust und Mephistopheles spazieren auf dem Verdecke.

 

FAUST.

Wir wandeln auf dem Schifflein hin und her,

Das Schifflein jagt dahin im weiten Meer,

Das Meer ist mit den Winden auf der Flucht,

Die Erde samt dem Schifflein, Meer und Winden

Schießt durch den weiten Himmelsraum und sucht

In ewger Leidenschaft, und kanns nicht finden.

Mir ist das Meer vertrauter als das Land;

Hier rauscht es unbestreitbar in die Seele,

Was dort ich leise, dunkel nur empfand,

Daß die Natur auch ewge Sehnsucht quäle

Nach einem Glücke, das sie nie gewinnt;

Und was da lebt im regen Labyrinth,

Kann sich in Ruhe nirgendwo verschanzen,

Stets in den Sturm der Sehnsucht fortgerissen;

Und flücht ich nach den Grabesfinsternissen,

Muß meine Asche um die Sonne tanzen.

MEPHISTOPHELES.

Nur scheinbar lacht die Ruhe selbst den Rindern,

Die auf der Weide gehn in Maientagen

Und Blumen morden, fressen mit Behagen,

Herodes jeder Ochs den Frühlingskindern;

Indessen kocht in seiner kleinsten Ader

Das Leben mit dem Tod den heißen Hader.

Die Weide mahnt mich an den Rossehirten;

Wir trafen ihn, als wir auf Abenteuer

Zu Pferde das Magyarenland durchirrten,

Im Wald, bei Nacht, an seinem Wachefeuer.

Die schwarzen Hengste grasten in der Runde,

Seltsam bestrahlt, der wilde Mähnenhang

Im Nachtwind flog, und deinem Lauschen sang

Der Hirt ein traurig Lied aus fremdem Munde;

Dann schwieg er still und starrte in die Glut

Und türmte drüber manche Blättersäule

Und starrte wieder mit verschloßnem Mut:

Da kam aus Schattendickicht eine Eule

Und schwirrt unheimlich krächzend um sein Ohr,

Und der geneckte Hirte sprang empor,

Griff in die Flamme mit gewaltger Hand

Und raffte einen ungeheuren Brand

Und schwang ihn um sein Haupt in wilder Hast,

Die Eule scheuchend fort, den schlimmen Gast.

Wie jener Hirt in Waldeseinsamkeit

Ums Haupt im Kreise schwang das Flammenscheit,

So schwingt der ewge Hirt mit starker Hand

Im Kreis ums feste Haupt den Weltenbrand,

Zu scheuchen fort aus seiner Nacht die Eule,

Die sonst ihm krächzend naht: die Langeweile.

FAUST.

Und wenn der Sterne große Wanderscharen

Nur Funken wären, jenem Brand entfahren,

Den um sein Haupt der starke Hirte schlägt,

Wo sind die Rosse, die der Hirte hegt?

MEPHISTOPHELES.

Die werden auch noch wo zu finden sein.

Du treibst mir die Metapher in die Enge,

Sie aber wäre nicht mein Töchterlein,

Wenn sie sich nicht aus deiner Frage schlänge.

Die Rosse, die dem Hirten weiden gehen,

Und die allein dem alten Hirten teuer,

Um derentwillen brennt das Weltenfeuer,

Die Rosse nennt der Philosoph Ideen;

Mir aber ists ein inniges Ergetzen,

Heranzuschleichen mich mit feinem Tritt

Und plötzlich mich auf so ein Roß zu setzen

Und durch die Welt zu machen einen Ritt,

Bis mich das Roß abwirft und scheu zurück

Zu seinem Hirten flieht und Weideglück;

Denn was Natur gebiert, die reiche Mutter,

Verzehrt die Herd' als frisches Weidefutter.

Du, Röslein, bist für dieses Los zu gut,

Drum steck ich lieber dich an meinen Hut.

Sieh, dort am Himmel kommen andre Rosse,

Dort kommt die schwarze Donnerwolkenherde;

Kennst du den Flug, die wilde Kraftgebärde?

Hallo! schon kracht das Schiff vom ersten Stoße!

FAUST.

Wie wenn die Rosse durch die Heide fliegen,

Hinsausend an den schlanken Graseshalmen,

Und sie mit ihrem Sturmgeschnaube biegen

Und sie mit ihrem starken Huf zermalmen:

Durchfliegen diese Himmelsrosse rasend

Die grüne Meeresheide als Verwüster

Und wiehern Sturm aus aufgerißner Nüster,

Der Masten schlanke Halme niederblasend.

MEPHISTOPHELES.

Hallo! es krachen, brechen unsre Masten:

Siehst du den Kapitän, den schreckerblaßten?

Das ist der Käfer, der am Halm gebaumelt

Und mit dem abgeknickten niedertaumelt.

FAUST.

Hört, bleicher Kapitän! erhebt Euch doch!

Das ist kein Mann, wes Blut im Sturmgehudel

Geduckt zurückschleicht, ein gepeitschter Pudel,

Zur Herzenskammer, seinem Hundeloch.

Zeigst du nicht augenblicklich Mannesmut,

So werf ich dich, beim Teufel! in die Flut!

Schämst du dich, Memme! vor dem Sturme nicht?

Ich dulde nicht die Schmach im Angesicht,

Den Menschen da in seiner Bettlerblöße

Genüber der Natur in ihrer Größe.

KAPITÄN.

Seit zwanzig Jahren fahr ich dieses Meer,

So schrecklich denk ich keinen Sturm, wie der.

Wie jeder Nagel, jede Fuge kracht!

Weh uns! wie alles wankt und bricht und reißt!

Wie uns der Abgrund jetzt zu Himmel schmeißt!

Der nächste Augenblick ein Ende macht!

Ich zittre nicht für mich, und ich erblasse

Nur, weil ich Weib und Kind nicht gern verlasse;

Sie sollen beten einst an meinem Grab.

FAUST.

Verfluchter Mahner! feiger Wicht! hinab!

 

Wirft ihn ins Meer.

 

EIN PRIESTER auf den Knien.

Erbarme dich, du großer Gott!

Barmherziger, hilf in unsrer Not!

Herr! deines Sohnes Christi Blut

Helf in der Not uns Armen,

Besänftige mit Erbarmen,

Ein heilig Öl, die Sturmesflut!

MATROSEN auf den Knien.

Erbarme dich, du großer Gott!

Barmherziger, hilf in unsrer Not!

FAUST ruft in die Wolken.

Mach, was du willst, mit deiner Sturmesnacht!

Du Weltenherr, ich trotze deiner Macht!

Hier klebt mein Leib am Rand des Unterganges,

Doch weckt der Sturm in meinem Geist die Urkraft,

Die ewig ist, wie du, und gleichen Ranges,

Und ich verfluche meine Kreaturschaft!

MEPHISTOPHELES.

Bravissimo! zu Schanden geht der Nachen;

Den kleinen Bissen hat der Ozean

Lang hin- und hergespielt in seinem Rachen,

Nun beißt er drein mit seinem Klippenzahn.

 

Wehgeschrei der Mannschaft.

 

Nun schluckt er ihn! Faust! spring auf diese Zacken,

Hier kann die tolle Flut dich nimmer packen.

FAUST.

Schon steh ich fest; doch sterben die Matrosen,

Wohl gerne lebten noch die Rettungslosen.

MEPHISTOPHELES.

Sie haben meist das Eiland schon betreten,

Die Kerle schwimmen kräftger, als sie beten;

Doch ist der bleiche Kapitän ersoffen,

Vergebens war auf trocknes Grab sein Hoffen.

Auch dort der Pfaff ein nasses Ende nimmt,

Der mag doch kräftger beten, als er schwimmt.

Wie wirbelt ihn die Flut! im Untersinken

Läßt er noch einmal sein Tonsürchen blinken;

Dasselbe ists, das einst bei jenen Bauern

Zum Vorschein kam.

 

Lachend.

 

Wo wird sein Liebchen trauern?

 

Görg

 

Schenke am Meeresstrand.

Faust, Mephistopheles, Görg, Michel, Kurt, Hans und andere Matrosen, Dirnen, Spielleute u.a.

 

KURT.

Das Schiff ist hin, doch nur mit Maus,

Der Mann schwamm glücklich noch hinaus.

MICHEL.

Fragt keiner mehr nach unserm Kapitäne?

HANS.

Was ließ er sich auch handumkehr

Bordüber schmeißen in das Meer?

Mit seiner harten Zucht und weichen Träne!

GÖRG.

Wie so der Tod, der Jägerschuft,

Mit seinem Hund, dem Sturm, gebirscht,

Wie's Wolkenbüchslein blitzt' und pufft',

Der Hund so wild herumgeschnufft,

Wart ihr doch alle recht zerknirscht?

KURT.

Das war denn auch ein schlechter Spaß,

Ich war bis in die Seele naß,

Ich war so naß und durchgeweicht,

Daß ich mich sehnte nach der Beicht.

GÖRG.

Da lagt ihr mit geduckten Stirnen,

Gelobtet Messen, reine Sitten;

Nun in den Armen dieser Dirnen

Scheint ihrs dem Teufel abzubitten.

MICHEL.

Schlich dir nicht auch, trotz deinem Trotz,

Du harter, kalter Felsenklotz,

So ein Gebetlein in den Bart?

GÖRG.

Dafür bin ich zu kalt, zu hart.

Ich bete nichts, ich bitte nichts,

Wills nimmer halten, ei, so brichts!

HANS.

Sag, Görg, hast du auch nicht geflucht?

GÖRG.

Ich bete nie, drum fluch ich nie,

Sing stets nach einer Melodie,

Im offnen Sturm, in stiller Bucht.

HANS.

Mehr ist der Fluch der Seele wert,

Als für die Faust ein scharfes Schwert.

GÖRG.

Der Lebensgang ist Schlachtengang,

Drum juble nicht und sei nicht bang.

Zieht der geschloßne Reitertroß

Just über dich mit Tritt und Stoß,

Zerschmettert er dir auch ein Bein,

So sollst du nicht der Bube sein,

Der auf dem Schlachtfeld keifend huckt,

Den Rossen nach den Hufen spuckt.

KURT eine Dirne im Arm.

Umschlinge mich mit deinen warmen

Und wonnereichen Liebesarmen!

Viel Leben hat die lange Fahrt

Für diese Stunde aufgespart.

Das Waldesgrün, der Vogelsang

Und all der süße Frühlingsdrang

Blieb mir verloren und versäumt,

Wo nur die kalte Woge schäumt

Und Sterbelieder singt der Wind.

Die Erd und ihre ganze Lust

Drück ich in dir an meine Brust,

Umarme mich, du süßes Kind!

MICHEL zu Görg.

Was hältst du, Mann des weisen Spruchs,

Von dieser Dirne vollem Wuchs?

GÖRG.

Ein Dirnlein frisch, ein Becher Sekt

Nicht minder wohl als euch mir schmeckt.

Den leichten Schwarm der Sorgenmücken

Ersäuft der Wein, das Freudenmädel

Dient eben mir als Mückenwedel,

Doch nicht zu lärmendem Entzücken.

MICHEL.

Wirt! noch zwölf Flaschen Fliegengift,

Nur daß er mir das stärkste trifft.

Wirt, schenk er auch den Fiedlern ein!

Ihr lasset eure Geigen klingen,

Frisch aufgespielt, damit wir fein

Im Takt die Fliegenwedel schwingen!

GÖRG.

Komm her, du mein nußbraunes Schätzel,

Reich mir zum Tanz dein weiches Tätzel;

Ein artig Kind! Wie heißt du doch?

DIRNE.

Suschen, mein lieber Schiffsgesell;

Dreh mich nur nicht herum so schnell.

GÖRG.

Wir werden schon bekannter noch.

MEPHISTOPHELES flüsternd zu einer Dirne.

Gedenkst du noch des Pfaffen, der vor Jahren

Als Buhle dein mit dir herumgefahren?

Soeben sank der arme Schalk ins Meer.

DIRNE.

Mein alter Schatz ertrank? – bedaure sehr!

 

Sie tanzt weiter.

 

SUSCHEN zu Görg.

Du rührst dich selbst vom Flecke kaum

Und drehst und schwingst und tummelst mich,

Ich gaukle auf und nieder dich,

Wies Eichhörnlein am Eichenbaum.

KURT.

So heiser auch die Geigen tönen,

Ists doch ein lieblicher Gesang,

Vergleich ich das dem Windesstöhnen,

Dem Schrei bei Schiffesuntergang.

HANS zu seiner Tänzerin.

Du dickes Teerfaß, rühr dich fein,

Sonst schlag ich dir die Dauben ein!

KATHE.

So laß mich los, du toller Schuft!

So laß mich schnappen nur nach Luft!

HANS.

Fort, fort, mein Schweinchen, ohne Rast!

Der Walzer, Kind, ist keine Mast;

Ich will von deinem lieben Ranzen

Ein bissel dir heruntertanzen.

KATHE.

Weh mir! helft mir von diesem Flegel!

HANS.

Du keuchst wie ein zerrißnes Segel,

Ein kleines Weilchen, dicke Seele,

Erlaube, daß ich dich noch quäle.

GÖRG setzt sich mit seiner Tänzerin an Fausts Tisch.

Komm, Kind, und laß dein Blut verwallen,

Setz dich zu mir.

 

Zu Faust.

 

Euch trink ichs zu!

FAUST.

Ich fand an dir ein Wohlgefallen,

Stoß an, mein wackrer Bruder du!

Du sprachst zuvor ein tüchtig Wort

Vom Leben; Bruder, fahre fort,

Erzähle weiter mir ein Stück,

Was du vom Leben hältst und seinem Glück?

GÖRG trinkend.

Sie haben mich stockfinstrer Nacht

In diese Welt hereingebracht,

Ich weiß kein Wort, auf welchen Wegen,

Ist just auch nichts daran gelegen.

Nun bin ich da, hab meinen Platz,

Der ist gut gnug, ist grade recht,

Denn daß ich nach dem Busenlatz

Fortunas schiel, ist mir die Welt zu schlecht.

FAUST.

Sag an, glaubst du an einen Gott?

GÖRG.

Du zeigtest dich im Sturme fest,

Drum sichs mit dir verkehren läßt,

Sonst schickt ich dich jetzt heim mit Spott.

Ich glaube – Kameradenwort,

Bei gutem Wind wohl an den Port,

Ich glaube, daß ein Schiff versinkt,

Wenn es zuviel Gewässer trinkt,

 

Er trinkt.

 

Wie selber ich zu Boden sänke,

Wenn ich zuviel vom Weine tränke;

 

Er küßt seine Dirne.

 

Ich glaub an diesen süßen Kuß;

Ich glaube, daß ich sterben muß.

FAUST.

An Gott vor allem glaubst du nicht?

GÖRG.

Ich schaute nie sein Angesicht,

Niemals mir seine Stimme klang;

Wenn er von mir was haben will,

So blieb er nicht so mausestill,

So gab er mir ein Zeichen lang.

FAUST.

Gab er dir nicht in Berg und Tal,

In blauer Luft, in Wetterstreichen,

Im großen Meer, im Sternenstrahl,

Daß er da herrscht, ein starkes Zeichen?

GÖRG.

Soll all das mir zum Zeichen frommen,

So muß er früher selber kommen,

Daß ich von ihm erst fassen lerne:

Was sagt: Berg, Tal, Luft, Meer und Sterne?

Das alles ist mir vorderhand

Nur eben Stern, Luft, Meer und Land.

Was ich nicht fasse und verstehe,

Darf nicht dem Herzen in die Nähe.

MEPHISTOPHELES.

Ihr mochtet wohl in frühern Zeiten

Durch goldne Weizenfelder schreiten;

Saht Ihrs auch an den Ährenwogen.

Daraus wird Branntwein abgezogen?

So seht Ihrs Berg und Tal nicht an

Und nicht der Luft, dem Ozean

Und nicht dem vollen Firmament,

Was draus der Mensch für Geister brennt.

Man hat daraus hervorgebracht

Den Wunderschnaps, die Trinität,

Der mit betäubend süßer Macht

Dem Menschenvolk zu Kopfe geht.

Tut einen herzhaft starken Zug

Vom dreimal abgezognen Geist,

Gebt acht, wie Euch im Taumel kreist

Das schwache Haupt, Ihr habt genug.

Das ist ein tiefer Rausch, den man

Im Grabe kaum verschlafen kann.

Seht meinen Freund hier, Doktor Faust,

Wie hat er doch im Schiffe neulich,

Als da der tolle Sturm gehaust,

Auf seinen Gott gezankt so greulich!

Das war, verlaßt Euch drauf, mein Lieber,

Noch immer was vom Glaubensfieber,

Es war der Seele krankhaft Rütteln,

Den alten Rausch hinauszuschütteln.

FAUST.

Ein Herz hat Ruh, das nie geglaubt;

Und glücklich, wen die böse Stunde,

Die seines Glaubens ihn beraubt,

Gleich drauf verscharrt im Grabesgrunde!

GÖRG.

Noch wankt es unter deinem Fuß,

Hast keinen festen, sicheren Genuß.

Pflück ich ein Weib, macht mirs mehr Skrupel nicht,

Als ich brech dieser Flasche hier den Kragen;

Mein Liebsgenuß ist große Zuversicht,

Mein Trinken unverwüstliches Behagen.

FAUST.

Glückselig ist, wer unerwacht

Hinüberträumt in jene Nacht,

Wem noch ein gläubiges Gebet

Wie Frühlingsluft von dort – sein Licht ausweht.

GÖRG.

Mein edler Freund, ich glaube fast,

Daß du zuviel getrunken hast,

Zwar nicht vom Wein, den wie ein Krankes

Du kaum benippt hast und berochen,

Wohl aber jenes Wundertrankes,

Von dem dein Kamerad gesprochen.

FAUST.

Der Seligste von allen ist,

Wer schon als Kind die Augen schließt,

Wes Fuß nie auf die Erde tritt,

Wer von der warmen Mutterbrust

Unmittelbar und unbewußt

Dem Tode in die Arme glitt!

GÖRG.

Schon bricht die wilde Lust die letzten Schranken;

Die Kerle toben hier so freudengrimmig,

Dabei so ungeschlacht und bärenstimmig,

Man überhört die eigenen Gedanken.

LIESCHEN die schönste Dirne, zu Faust.

Ihr seid ein herrlicher Mann, o führt

Zum Tanz mich, dem schönsten in meinem Leben!

Leicht werd ich und flüchtig und ungespürt

Wie die Stunde des Glückes dahin Euch schweben.

O freue dich! höre die lustigen Geigen!

Umschlinge mich, Schönster, zum seligen Reigen!

FAUST.

Laß ab von mir, ich tanze nicht;

Mach kein so lustiges Gesicht,

In deinem Auge steht es klar,

Daß deine ganze Lust nicht wahr;

Im tiefsten Aug der trübe Schatten,

Den mir kein Lächeln täuschend lichtet,

Das ist das dunkle Bild vom Gatten,

Vom Mutterglück, das du vernichtet.

Was dich in meine Nähe trug,

Das war vielleicht Verwandtschaftszug;

Wir beide traten auf der Reise

Keck aus dem vorgebahnten Gleise,

Denn was dem Mann Erkenntniskraft,

Ist für das Weib die Mutterschaft;

Faßt er damit getrost ein kleines Stück

Der großen Welt, ward er zum Heil geboren;

Sie faßt die ganze Welt im Mutterglück,

Und tut sie's nicht, ist sie verloren.

KURT.

Hurra! so hab ich keine noch durchwacht,

O lebensheiße, volle, starke Nacht!

MICHEL Kurt umarmend.

Du bist der Tollste von uns allen,

O laß mich um den Hals dir fallen.

GÖRG.

Faust, bist du denn ein Weiberfeind?

Das schöne Kind kam dir mit feiner Art,

Du stießest sie zurück so schnöd und hart,

Dort steht sie nun im Winkel still und weint.

Daß sie nun weint, kann mich nicht rühren,

Das Mädel hat in dieser Stund

So viel gejubelt ohne Grund,

Mag sie nun auch zum Wechsel Tränen führen.

Doch hast du etwa einen Keuschheitspakt,

So fänd ichs albern, Freund, und abgeschmackt.

FAUST.

Ich habe auf der See die langen Tage

Mir überdacht des Lebens manche Frage,

So konnt ich auch die Liebeslust bedenken,

Und mag damit nicht weiter mich befassen.

Die Lust soll sich der Stolz nicht schenken lassen

Von der Natur, auch wenn sie wollte schenken;

Doch will sie nicht, es ist ein Mäklergeist,

Der überall genau sie rechnen heißt;

Wer ihr die Liebeslust nicht unverdrossen

Heimzahlt in treuer Sorge für die Sprossen,

Hat sie geprellt und muß bezahlen

Die Mahnerin mit Herzensqualen.

Nun bin ich dieses Handels quitt,

Der ich für die gebrochne Treue

Verdruß genug im Herzen litt,

Bis ich den Jammerbalg erschlug, die Reue.

MEPHISTOPHELES.

Mein Faust, der ist gedankenkrank;

Doch ist sein schwarzer Predigerschwank

Für Schenken schlechter Zeitvertreib.

Erst lag in Metzenaugen Trauerspur,

Nun läßt er gar hausieren die Natur

Mit Liebeslust als Krämerweib.

GÖRG.

Ei was Natur! wer ist denn die?

Wo steckt sie denn? Ihr saht sie nie;

Auch so ein abgezogner Geist,

Der Euch im trunknen Kopfe kreist?

MEPHISTOPHELES zu Görg.

Längst hätt ich gern, doch wagt ichs nicht,

Euch meine Freundschaft angetragen.

GÖRG.

Ihr seid mir der fatalste Wicht,

Der mir vorkam in meinen Tagen!

 

Zur Dirne.

 

Komm, Mädel, tanzen wir eins rum!

DIRNE.

Bin froh, schon ward mir angst und bang

Vor eurem ernsthaften Gebrumm;

Gescheiter ist der Fiedelklang.

FAUST.

Der Görg da sprach so manches Wort,

Das mich beschäftigt fort und fort.

Ein voller Mann! er steht so fest,

Ob Gott ihn und Natur verläßt. –

Nun will ich in die Nacht hinaus,

Zu laben mich am Sturmgebraus.

 

Geht ab.

 

HANS.

Seht nur den Kurt an, wie er tollt!

Er dreht die Dirne unter Küssen,

Er drückt sie jubelnd an das Herz

Und stampft die Erd, ob er sie wollt

Wegstoßen unter seinen Füßen

Und jauchzend fliegen himmelwärts.

KURT.

O schönes Kind! so tanzt ich ewig gerne!

O süßes Kind! dich lieb ich ungeheuer!

O könnte doch mein wildes Liebesfeuer

Zusammenschmelzen uns zu einem Sterne,

Der freudestrahlend durch die Himmelsweiten

Hinraste tanzend alle Ewigkeiten!

 

Fausts Tod

 

Klippenstrand. Nacht. Fortwährender Sturm.

 

FAUST auf einem Felsen sitzend.

Der starke Görg hat meiner Nacht

Auch keinen Funken Trost gebracht.

Nach dem, was er so kalt entbehrt,

Hat er mein Sehnen nur vermehrt.

Wohlan, mein Herz! in dieser Stunde

Will ich in dein Geheimnis schauen

Und greifen tiefst in deine Wunde;

Halt fest und duld es ohne Grauen!

Auf diesem Fels, in Sturmesmitten,

Werd ichs entsetzlich nun gewahr,

Wie ich der Lieb und Heimat bar,

So ganz allein und abgeschnitten.

Die Welle, die der Sturm bewegt,

Die schäumend an die Klippe schlägt,

Der Wind, der heulend Wälder splittert,

Der Blitz, der durch den Himmel zittert, –

Mehr Heimat haben sie und Ruh,

Mein einsam Herz, als du!

Ich habe Gottes mich entschlagen

Und der Natur, in stolzem Hassen,

Mich in mir selbst wollt ich zusammenfassen;

O Wahn! ich kann es nicht ertragen.

Mein Ich, das hohle, finstre, karge,

Umschauert mich gleich einem Sarge.

Im Starrkrampf wilder Eigensucht

Warf mich der Teufel in die Schlucht.

Lebendig in den Grabesfinsternissen,

Hab ich, erwacht, die Augen aufgerissen,

Und ich begann mit unermeßnen Klagen

Mich selber anzunagen.

Ich habe nun gesprengt die dumpfe Haft,

Mit doppelt heißer Leidenschaft

Streck ich die Arme wieder aus

Nach Gott und Welt aus meinem Totenhaus.

Nach Gott? – doch nein! – der Kummer ist es nur:

Könnt ich vergessen, daß ich Kreatur!

Ein unersättliches Verlangen

Ist meinem Innern aufgegangen;

Erst wars ein glühendes Entbrennen,

Die Welt zu fassen im Erkennen;

Nun würde mir, geschöpft in vollsten Zügen,

Erkenntnis nimmermehr genügen.

Wenn ich die Welt auch denken lerne,

So bleibt sie fremd doch meinem Kerne,

In Einzelwesen kalt zertrümmert,

Wo keines sich des andern kümmert.

Solang ein Kuß auf Erden glüht,

Der nicht durch meine Seele sprüht,

Solang ein Schmerz auf Erden klagt,

Der nicht an meinem Herzen nagt,

Solang ich nicht allwaltend bin,

Wär ich viel lieber ganz dahin. –

Ha! wie das Meer tobt himmelwärts

Und widerhallt in dir, o Herz!

Ich fühls, es ist derselbe Drang,

Der hier in meinem Herzen lebt,

Und der die Flut zum Himmel hebt:

Die Sehnsucht nach dem Untergang;

Es ist das ungeduldge Zanken,

Hindurchzubrechen alle Schranken,

Im freudevollen Todesfalle

Zusammzustürzen alle – alle! –

O greife weiter, weiter, Sturm,

Und nimm auf deine starken Schwingen

Den höchsten Stern, den tiefsten Wurm,

Uns endlich alle heimzubringen!

Wie hier der Sturm die Flut aufwühlt,

So rührt er mir die Seele auf,

Daß sich Vergeßnes wiederfühlt,

Aus meiner Jugend frühstem Lauf.

Als ich ein irischer Knabe war

Und einst dem Priester am Altar

Die Meß bedient als Ministrant,

In seine Formeln stimmend ein

Mit unverstandenem Latein,

Das von den Lippen mir gerannt,

Wie's Bächlein übern Kiesel geht,

Der vom Gemurmel nichts versteht,

Als ich das Glöcklein schellt und lustig schwenkte

Das rauchende Thuribulum:

Da schien dem Knaben plötzlich alles krumm,

Mein Herz ein stolzer Ärger kränkte,

Daß ich dem Gottesbild zu Füßen

Hab knien und opferrauchen müssen,

Mir schiens an meinem Werte Spott,

Daß ich nicht lieber selbst ein Gott.

Was noch als Irrlicht, flüchtig, leicht,

Dem Knaben durch die Seele streicht,

Kehrt in die Brust des Manns einmal

Plötzlich zurück als Wetterstrahl.

O welche Qual in dem Gedanken:

Daß die Geschaffnen, Schlingepflanzen,

Den Urstamm ihres Gotts umtanzen,

Von ihm getragen aufwärts ranken!

Betracht ichs scharfen Angesichts,

Ist solch ein Los im Grunde nichts,

Das Schlinggewächs ist Gaukelschein,

Bestand und Kraft der Stamm allein.

Woher ist mir der Stolz gekommen?

Geschöpfen kann nur Demut frommen;

Doch ist mir Stolz ins Mark gefressen.

Abhängigkeit, den Sklavenring,

Der diesseits ehern mich umfing,

Soll ich ihn jenseits nicht vergessen?

Mit ihm all die Entwicklungstreppen

Der Ewigkeit hinan mich schleppen?

Ha! lieber soll mein stolzer Geist,

Der Gott zu sein mich wünschen heißt,

Mit meinem Leib zugleich versiechen

Und sich als Grabgewürm verkriechen

Und, dringt er je aus meiner Gruft,

Als fauler Dunst verfahren in die Luft. –

Doch – ist das alles nicht ein trüber Schein?

Und daß ich abgeschnitten und allein?

So ists! Ich bin mit Gott festinniglich

Verbunden und seit immerdar,

Mit ihm derselbe ganz und gar,

Und Faust ist nicht mein wahres Ich.

Der Faust, der sich mit Forschen trieb,

Und der dem Teufel sich verschrieb,

Und sein und alles Menschenleben,

Des Guten und des Bösen Übung,

Der Teufel selbst, dem jener sich ergeben,

Ist nur des Gottbewußtseins Trübung,

Ein Traum von Gott, ein wirrer Traum,

Des tiefen Meers vergänglich bunter Schaum.

Und zeugt der Mensch, wie Faust, ein Kind,

Ein Traum dem andern sich entspinnt;

In jedem Kind, in jedem Morgenrot

Sich Gottes Phantasie erfrischt.

Und schlägt ein Mensch, wie Faust, den andern tot,

Ein Traum den andern nur verwischt.

Ergreift den Menschensohn mit Macht

Des Forschens Trieb und Ungeduld,

Daß er bei Tag und später Nacht

Um einen Blick der Wahrheit buhlt,

So ists vielleicht, daß Gott im Traume spürt,

Er träume nur, und daß Erwachensdrang

Im Morgenschlaf an seinem Traume rührt?

Und schlummert er vielleicht nun nimmer lang?

Du böser Geist, heran! ich spotte dein!

Du Lügengeist! ich lache unserm Bunde,

Den nur der Schein geschlossen mit dem Schein,

Hörst du? wir sind getrennt von dieser Stunde!

Zu schwarz und bang, als daß ich wesenhaft,

Bin ich ein Traum, entflatternd deiner Haft!

Ich bin ein Traum mit Lust und Schuld und Schmerz,

Und träume mir das Messer in das Herz!

 

Er ersticht sich.

 

MEPHISTOPHELES.

Nicht Du und Ich und unsere Verkettung,

Nur deine Flucht ist Traum und deine Rettung!

Des wirst du bald und schrecklich dich besinnen,

Laß nur des Herzens Wellen erst verrinnen.

Ist erst der Strom des Blutes abgeflossen,

Der brausend das Geheimnis übergossen,

Kannst du hinunterschauen auf den Grund,

Dann wird dein Wesen dir und meines kund.

Mich wird man nicht so leichten Kaufes los.

Du töricht Kind, das sich gerettet glaubt,

Weils nun mit einmal sein geängstet Haupt

Dem Alten meint zu stecken in den Schoß

Und ihm den Knäul zu schieben in die Brust,

Den's frech geschürzt, zu lösen nicht gewußt.

Er wird nicht Mein und Dein mit dir vermischen,

Das tote Glück dir wieder aufzufrischen.

Du warst von der Versöhnung nie so weit,

Als da du wolltest mit der fieberheißen

Verzweiflungsglut vertilgen allen Streit,

Dich, Welt, und Gott in eins zusammenschweißen.

Da bist du in die Arme mir gesprungen,

Nun hab ich dich und halte dich umschlungen!

 

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