Die Dämmerung verliert sich tiefer immer

In stille Nacht, kein Mond, kein Sternenschimmer.

Bald hat das Roß, erquickt von seiner Labe,

Das Dorf erreicht im aufgefrischten Trabe.

Die Häuser decket schon ein trauter Friede,

Nur brennt noch frisch das Feuer in der Schmiede.

Die Eisenstange glüht in hellem Glanz,

Vom lauten Hammer springt der Funkentanz.

FAUST in die Schmiede tretend.

Ich grüß Euch, hämmernder Kumpan!

Ihr seid doch früh und spät geschoren.

Schlagt meinem Roß ein Eisen an,

Das auf dem Waldweg ging verloren!

MEISTER.

Seid schön gegrüßt, mein edler Gast!

Ja, wohl muß unser eines hämmern,

Wenn längst der Tag hat seine Rast,

Wie bei des Morgens frühstem Dämmern.

Doch sind wir fröhlich, schwing ich doch

Den Hammer für mein Weib und Kind,

Und ruht nun endlich das Gepoch,

Umfaßt ihr Arm mich lieb und lind.

Und meine rüstigen Gesellen

Erklopfen redlichen Gewinn

Und haben stets dabei im Sinn,

Sich auch ein Ehbett aufzustellen.

FAUST.

Ihr sollt den Rappen mir beschlagen,

Kam nicht nach Eurer Eh zu fragen.

Hemmt Eure rasche Plauderflut!

MEISTER.

Verzeiht, war Euch mein Wort zur Last.

Das Eisen liegt schon in der Glut,

Gleich wirds dem Hufe angepaßt.

Ich bin ein einfach plumper Schmied,

Der leicht die rechte Art versieht.

Hier aber tritt aus ihrer Stube

Mein Weib, das Euch begrüßen will;

Auf ihrem Arm mein jüngster Bube.

Nun bin ich gerne wieder still.

Der Anblick, Herr, Euch doch erzählt,

Daß mirs im Haus an Glück nicht fehlt.

SCHMIEDS FRAU.

Mein Herr, ich grüß Euch untertänig!

Verargt mir nicht, daß ich ein wenig

Will solchen seltnen Gast beachten

Und seine Kostbarkeit betrachten.

Die schwarze Feder am Barette!

Am Hals von Gold die schwere Kette!

Die unsers Bischofs ist geringer!

Viel Ring' an beiden Händen blitzen,

Gar edle Stein', Ihr habt ja sitzen

Schier Haus und Hof an jedem Finger!

FAUST.

Das Weib mit ihrem Kindelein,

Umglüht vom hellen Essenschein,

Gefällt mir wahrlich gar nicht übel;

Ich grüß Euch, Frau, und Euer Bübel!

MEISTER.

Hier, edler Herr, beschlag ich Euch

Das Roß, doch gönnt mir meine Bräuch,

Ich singe gern dazu das Lied

Von einem guten alten Schmied.

 

Er singt, indem er das Roß beschlägt.

 

Fein Rößlein, ich

Beschlage dich.

Sei frisch und fromm,

Und wieder komm!

 

Trag deinen Herrn

Stets treu dem Stern,

Der seiner Bahn

Hell glänzt voran!

 

Bergab, bergauf

Mach flinken Lauf;

Leicht wie die Luft

Durch Strom und Kluft!

 

Trag auf dem Ritt

Mit jedem Tritt

Den Reiter du

Dem Himmel zu.

 

Nun, Rößlein, ich

Beschlagen dich:

Sei frisch und fromm,

Und wieder komm!

FAUST.

Mein guter Schmied, wenn Euer Eisen

Nicht fester haftet an der Mähre,

Als Eure weise Sittenlehre,

So wirds nicht lange mit mir reisen.

MEISTER.

Ich meine, Herr, ein frommer Segen

Tat manchem gut auf seinen Wegen;

Da aber sei Gott gnädig vor,

Daß er an Euch die Kraft verlor!

FAUST.

Was Ihr da schwatzt von Gottesgnade,

Klingt meinen Ohren matt und fade.

Da, nehmt für Eure Müh den Lohn,

Führt vor mein Roß, ich will davon.

 

Reicht ihm ein Goldstück.

 

MEISTER.

Ihr habt was Guts in Euren Zügen,

Drum kann mich Euer Wort nicht trügen;

Doch seid Ihr bleich vom starken Ritte,

Und Eure Augen sehn verstört,

Ob Euer Innres heimlich litte,

Ihr scheint wahrhaftig krank; drum hört,

Bleibt diese Nacht in meinem Haus

Und schlaft Euch von dem Ritte aus,

Was not auch Eurem Pferde tut,

Ihr habts gejagt wohl müd und heiß,

Auf seinem Rücken steht der Schweiß,

Von seinen Weichen rinnt das Blut.

Herr, tretet in mein Zimmer ein,

Labt Euch an einem Becher Wein.

 

Zu seinem Weibe.

 

Geh, Lise, hol aus unserm Keller

Vom Gumpoldskirchner, von dem alten,

Und deck die zinnern blanken Teller,

Worauf der Bischof Mahl gehalten,

Als von der Jagd er eingekehrt

Bei mir mit vielen Edelleuten

Und mit dem Zuspruch mir geehrt

Mein niedres Haus auf ewige Zeiten.

FAUST.

Die Abendmahlzeit nehm ich an

Für mich und meinen guten Rappen;

Dann muß er wieder frisch die Bahn

Mit mir durch Nacht und Nebel tappen.

SCHMIEDS FRAU.

Erwartet nur das Morgengrau;

Was eilt Ihr doch so gar geschwind?

Ihr trachtet wohl zu Eurer Frau?

Habt Ihr daheim ein krankes Kind?

FAUST.

Ihr ärgert mich doch fort und fort

Mit Eurem gutgemeinten Wort.

So hatt ich einmal an der Rechten

'nen bösen Finger, und ein Tölpel kam,

Den seine plumpe Liebe übernahm,

In seine Arme mich zu flechten;

Er drückte mir in seiner Lieb

Die Rechte mit so zärtlicher Gewalt,

Daß ich die Linke hatt im Schmerz geballt

Und ihm die Nase blutig hieb.

Und wenn ihr nicht so überaus

Gutmütig lächelnd vor mir stündet,

So hätt ich euch schon längst das Haus

Ob euren dummen Köpfen angezündet.

MEISTER.

Verdammt! verflucht! was soll das heißen?

Das käm Euch wohl zu stehen teuer!

Mein Herr, ich würd Euch dort ins Feuer

Wie einen rostgen Nagel schmeißen!

FAUST.

Stellt Euch zufrieden, kommt zum Essen;

Will meine Macht an Euch nicht messen.

Reicht mir die Hand, seid wieder froh.

Schmied, Ihr gefielt mir besser so,

Wie Ihr im hellen Zorne strahltet,

Als da Ihr mit dem Bischof prahltet.

SCHMIED ihm die Hand reichend.

Nehmt nichts für ungut, edler Gast,

Ihr habt ein wenig hart gespaßt.

Sie haben sich gesetzt ans Abendmahl.

Die Wirtin dient mit freudigem Gesicht

Entschuldigend ein jegliches Gericht

Mit ihrer Kochkunst gar beschränkter Wahl;

Daß sie gefaßt auf solchen Gast nicht wäre,

Doch hoffe sie, der Gumpoldskirchner Wein,

Der wackre, werde noch der Retter sein

Von ihres Mannes gastfreundlicher Ehre.

Der Doktor läßt die Mahlzeit sich behagen;

Die brave Hausfrau hat in froher Hast

Ihm Speisen köstlich schmackhaft aufgetragen

Und drängt zu essen herzlich ihren Gast.

»Sie hat ein gut Gemüt, drum kocht sie gut,

Drum wird an ihrem Tisch mir froh zu Mut!«

– Spricht Faust – »Wir wollen ihr ein Vivat! bringen.«

Er schwingt den Becher mit dem goldig hellen

Bergwein: »Stoßt an, mein Schmied, und ihr Gesellen,

Die Wirtin lebe!« und die Gläser klingen.

»Ich habs erfahren oft auf meinen Reisen«

– Bemerkt nun Faust mit schwatzhaftem Vergnügen –

»Der Frauen Herz, voll rätselhaften Zügen,

Erprobt sich stets am Wohlschmack ihrer Speisen.

Wenn so ein gutes Weib kocht, brät und schürt

Und in den Topf den Wunsch des Herzens rührt,

Daß es den Gästen schmecke und gedeihe,

Das gibt den Speisen erst die rechte Weihe!« –

Darauf beginnt der Ritter zu erzählen

Von seinen Taten viel und Abenteuern,

Sie sehen ihn mit froh gespannten Seelen

Gen Riesen kämpfen und durch Meere steuern;

Prahlhaft gedenkt er manchen Schauderfalles

Aus seinen vielbewegten Lebensstunden,

Und manch ein Schwank wird augenblicks erfunden;

Die guten Leutchen aber glauben alles.

Wie strahlt der Wirtin freundliches Gesicht!

Nur manchmal wird ihr blühend Antlitz blässer,

Wenn Faust im Eifer das geschwungne Messer

Ins feine Tischtuch ihr zuweilen sticht;

Faust spricht, die Dulderin anlächelnd spöttisch:

»Oft schon ergetzte mich auf meiner Fahrt

Der guten Hausfraun wunderliche Art,

Daß sie am Tischzeug hangen fast abgöttisch,

Daß so ein Stich auf ihre weißen Linnen

Ins Herz sie trifft!« – Er stoßt die Messerspitze

Tief durchs geblümte Tuch, und aus der Ritze

Sehn alle schreckenbleich Blutstropfen rinnen.

»Seht, Frau, hier Euer häuslich Herzblut fließen;

Doch sollt Ihr mir nicht gar zu viel vergießen!«

Faust wollte sie nicht dauerhaft erschrecken;

Er läßt sogleich des blutgen Spukes Necken

Zusamt dem Ritz vom weißen Tuch verschwinden;

Es kann die Frau sich lang nicht wiederfinden.

Faust müht sich jetzt, mit seinen besten Schwänken

Ihr aus dem Sinne listig fortzuschwätzen

Des blutgen Fleckens schaurig Angedenken

Und sie mit Schmeicheleien zu ergetzen.

Streng blickend nimmt sie's hin vom fremden Reiter;

Den Schmied bekümmerts nicht, der ist zu heiter,

Der hat Vertraun sich eingeflößt im Weine,

Daß Faust nur scherzend spricht in Schmeichelworten,

Und wenn er mit den Reden ja was meine,

Daß sie anprellen an verschloßne Pforten.

Auch hat er völlig sich zurückgetrunken

In jenen Tag, des Glorie ihn umzieht,

Schon wieder ist der dankbar gute Schmied

In seinen lieben Bischof ganz versunken.

DER MEISTER.

Mein Herr, Ihr untersagtet mirs vergebens,

Hier wäre Schweigen Sünd, es muß heraus:

Es war die schönste Stunde meines Lebens,

Als einst Hochwürden traten in mein Haus.

Da lächelt Faust, er will nicht widersprechen,

Doch denkt er still und haltbar sich zu rächen,

Und er beginnt, wie spielend, die Buchstaben

Ins Zinn des Tellers unbemerkt zu graben:

Von diesem Teller ließ einmal,

Als mit Halloh! durch Berg und Tal

Die Jagd verklungen und verbraust,

Ein frommer Bischof sichs belieben,

Und heute tuts der Doktor Faust,

Der sich dem Teufel hat verschrieben.

 

Es wird ans Fenster geklopft.

 

FAUST hinaustretend.

Ich muß hinaus, es wird mein Diener sein,

Er wagt es nicht, zu treten frei herein.

MEPHISTOPHELES draußen zu Faust.

Mach schnell, mach schnell, versäume nicht dein Glück!

Das schöne Weib ging wieder in den Keller,

Solange du gekritzelt auf den Teller,

Nicht merkend ihren süßverstohlnen Blick.

Ich will indes den dummen Schmied

Und die besoffenen Gesellen

Mit einem lustgen Schelmenlied

Um eine Viertelstunde prellen.

Mach schnell, mach schnell, dem jungen Weib

Glüht schon vor Lust der süße Leib!

FAUST.

Du lügst, dies Weib ist nimmer zu verführen,

Die blickt nicht aus, die hält an ihren Schwüren;

So gern ich auch die frische Frucht genösse,

Ich wag es nicht, sie gab mir keine Blöße.

Die Sünd ist Spaß, doch kanns mein Stolz nicht tragen,

Von einem Weib zu werden abgeschlagen.

MEPHISTOPHELES indem er Faust gegen die Kellertüre zieht.

Gefährlich ist ein hübscher Kavalier,

Fein huldigend, den Frauen auf dem Lande,

Denn nicht begriffen wird in niedrem Stande

Und plump genossen ihre schönste Zier.

Die junge Wirtin tat nur, ob sie grollte,

Sie lugte auf den schönen fremden Ritter

Wohl öfter hin und länger, als sie sollte;

Die Weiberzucht hat mürb' und morsche Gitter.

Mach schnell, mach schnell, versäume nicht dein Glück,

Sie gab dir einen süßverstohlnen Blick!

Der heiße Faust verwünscht die Weibertreue,

Er schwankt noch immer zwischen Lust und Scheue,

Als nun die brave Wirtin mit den Krügen

Vom Keller kommt und schon von fern die vollen

Dem Gast zuschwingt mit schalkhaftem Vergnügen,

Nicht ahnend, was die fremden Männer wollen.

Sie mahnt den Ritter freundlich unbefangen:

»Eilt noch nicht fort, laßt Euch noch einmal füllen

Das Glas!

 

Auf Mephistopheles deutend.

 

Doch wer ist der um Gottes willen?«

Fragt sie erschrocken, mit verfärbten Wangen.

Faust gibt nicht Antwort, wie sich selbst entrückt,

Das Blut in seinen Adern stürmisch wallt,

Und seine ganze Flammenseele zückt

Auf ihre schöne, reizende Gestalt. –

Da klopft es an die Türe mit Gewimmer;

Scheu zögernd, mit zerrissenem Gewand,

Tritt eine blasse Bettlerin ins Zimmer,

Ein ausgehungert Kind an ihrer Hand.

Die Arme fleht in ihrer bittern Not

Fürs Kind und sich um einen Bissen Brot,

Man möchte doch in einem Winkel wo

Barmherzig ihnen streun ein Häuflein Stroh.

Da springt zu Faust sein Diener hin und schlägt

Ihn auf die Schulter derb: »Freund, aufgewacht!«

Und dreht ihn nach der Bettlerin und lacht,

Daß dröhnend sich das ganze Haus bewegt.

MEPHISTOPHELES.

Kennst du dein Hannchen noch aus jener Schenke

O wiederhole die verliebten Schwänke:

 

Nachspottend.

 

»Die mit den schwarzen Augen dort

Reißt mir die ganze Seele fort.

Ihr Aug mit lockender Gewalt

Ein Abgrund tiefer Wonne strahlt!«

Jetzt ist es hohl und leer an Wonnen,

Ein ausgepumpter Tränenbronnen.

»'s muß unermeßlich süße Lust sein,

An diese Lippen sich zu schließen,

Die schmachtend schwellen, dem Bewußtsein

Zwei wollustweiche Sterbekissen!«

Die Lippen, welk, nach Brot nur schmachten

Und betteln um ein Übernachten.

Du sahst »die Brüste ringend bangen

In selig flutendem Verlangen!«

Und siehst sie jetzo niederhangen;

Die Arme hat an diesen Brüsten

Dein Kind, gezeugt in tollen Lüsten,

Und ihren Jammer auferzogen,

Die haben sie so ausgesogen.

Willst um den Leib, den hungerschlanken,

Doch noch »entzückt herum dich ranken?«

 

Immer spottender.

 

»Ha, wie die langen schwarzen Locken

Voll Ungeduld den Zwang besiegen

Und um den Hals geschwungen fliegen,

Der Wollust rasche Sturmesglocken!«

Jetzt hangen träg die ungekämmten Haare,

Als lägen sie schon lieber auf der Bahre.

Greif zu! greif zu! bist sonst kein Kostverächter!

 

Und wieder schallt sein höhnisches Gelächter.

 

Faust wird todblaß, es zittert seine Seele

Vom ungeheuren Wechsel dieser Stunde;

Der Reue Schmerz schnürt heftig ihm die Kehle,

Er bringt kein Wort aus stummbewegtem Munde.

Lang stand er so; doch, plötzlich nun gefaßt,

Reicht er der Bettlerin mit Krampfeshast

Die Börse Gold, abwendend sein Gesicht.

Sie heftig aus in lautes Weinen bricht,

Zeigt ihm sein Kind mit schrecklicher Gebärde

Und wirft die Börse klirrend auf die Erde.

»Du mußt mich führen heut noch zum Altar!«

So ruft sie schmerzverwirrt und rauft das Haar.

Da stürzte Faust hinaus und auf sein Roß,

Das sturmgeschwind mit ihm von dannen braust,

Und hinterher mit ihrem Kinde schoß

Die Bettlerin, nachrufend: »Faust! Faust!«

Sie hat ihn bald in dunkler Nacht verloren;

Er aber kann, wie er auch stürmt und flieht,

Den bangen Ruf nicht schütteln aus den Ohren,

Und überall ihr Bild sein Auge sieht.

Es treibt ihn fort, trotz seiner Seelenbängnis,

Stets tiefer in die Sünde sein Verhängnis.

 

Der nächtliche Zug

 

Am Himmel schwere dunkle Wolken hangen

Und harrend schon zum Walde niederlauschen.

Tiefnacht; doch weht ein süßes Frühlingsbangen

Im Wald, ein warmes, seelenvolles Rauschen.

Die blütentrunknen Lüfte schwinden, schwellen,

Und hörbar rieseln alle Lebensquellen.

O Nachtigall, du teure, rufe, singe!

Dein Wonnelied ein jedes Blatt durchdringe!

Du willst des Frühlings flüchtige Gestalten

Auch nachts in Lieb und Sehnsucht wach erhalten,

Daß sie, solang die holden Stunden säumen,

Vom Glücke nichts verschlafen und verträumen.

Faust aber reitet fürder durch die Nacht

Und hat im düstern Unmut nimmer acht

Der wunderbar bewegten Frühlingsstimmen.

Er läßt nunmehr sein Roß gelassen schlendern

Den Weg dahin an frischen Waldesrändern.

Leuchtkäfer nur, die hin und wieder glimmen,

Bedämmern ihm die Pfade manchesmal,

Und selten ein verlorner Sternenstrahl.

Je tiefer ihn die Bahn waldeinwärts führt,

Je stiller wirds, und ferner stets verhallen

Der Bäche Lauf, das Lied der Nachtigallen,

Der Wind stets leiser an den Zweigen rührt.

Was leuchtet dort so hell zum Wald herein,

Daß Busch und Himmel glühn in Purpurschein?

Was singt so mild in feierlichen Tönen,

Als wollt es jedes Erdenleid versöhnen?

Das ferne, dunkle, sehnsuchtsvolle Lied

Weht süßerschütternd durch die stille Luft.

Wie einem Gläubigen, der an der Gruft

Von seinen Lieben weinend, betend kniet,

In seine hoffnungsmilden Schmerzensträume

Hinter den Gräbern flüstern die Gesänge

Der Seligen: so säuseln diese Klänge

Wohllautend durch die aufhorchsamen Bäume.

Faust hält sein Roß und lauscht gespannter Sinne,

Ob nicht der helle Schein und Klang zerrinne

Vor Blick und Ohr, ein träumerischer Trug?

Doch kommts heran, ein feierlicher Zug.

Da scheucht es ihn, ins Dunkel hoher Eichen

Seitab des Wegs mit seinem Roß zu weichen,

Und abzuschreiten zwingt unwiderstehlich

Der Zug ihn jetzt, der näher wallt allmählich.

Mit Fackellichtern wandelt Paar an Paar,

In weißen Kleidern, eine Kinderschar,

Zur heilig nächtlichen Johannisfeier,

In zarten Händen Blumenkränze tragend;

Jungfrauen dann, im ernsten Nonnenschleier

Freudvoll dem süßen Erdenglück entsagend;

Mit Kreuzen dann, im dunkeln Ordensrocke,

Ziehn priesterliche Greise, streng gereiht,

Gesenkten Hauptes, und in Bart und Locke

Den weißen Morgenreif der Ewigkeit.

Sie schreiten singend fort die Waldesbahnen.

Horch! wie in hellen Kinderstimmen singt

Die Lebensahnung, und zusammenklingt

Mit greiser Stimmen tiefem Todesahnen!

Horch, Faust, wie ernster Tod und heitres Leben,

In Gott verloren, hier so schön verschweben!

Er starrt hervor aus dunklem Buschesgitter,

Die Frommen um ihr Glück beneidend bitter.

Als sie vorüber, und der letzte Ton

Des immer fernern, leisern Lieds entflohn,

Und als der fernen Fackeln letzter Schein

Den Wald noch einmal zauberhell verklärt

Und nun dahin am Laube zitternd fährt,

Als Faust im Finstern wieder steht allein:

Da faßt er fest und wild sein treues Roß

Und drückt das Antlitz tief in seine Mähnen

Und weint an seinem Halse heiße Tränen,

Wie er noch nie so bitter sie vergoß.

 

Der See

 

An Klostermauern, alten, einsam düstern,

Ist weit ein stiller See hinausgegossen;

Am Saume Eins und Weide heimlich flüstern,

Und sanftgewiegte Wasserblumen sprossen.

Hell scheint der Mond, es spielen, leisen Bebens,

Die Strahlen lieblich auf dem tiefen See,

Wie über den Geheimnissen des Lebens

Und seiner Tiefe ungeahntem Weh

Die Kinderseelen lieblich zitternd spielen,

Die rein und klar vom Himmel niederfielen.

Am Ufer wandelt Faust und sein Gefährte,

Der heute unvermerkt den Abendgang

Zu diesem See, zu diesem Kloster kehrte.

Nun stehn sie still und beide schweigen lang.

Versenkt ist auch die Nacht in ernstes Schweigen,

Man hört es, wenn im Klostergarten sacht

Ein frühgewelktes Blatt entfällt den Zweigen,

Wenn auf dem See ein Lüftchen halb erwacht.

Seltsame Töne aus dem Schilfe dringen

Und manchesmal das Schweigen unterbrechen;

Die Vögel dort von Wanderzügen sprechen

Im Traum und regen sehnsuchtsvoll die Schwingen

Zum See hinstarrend, hat sich Faust verloren

In stummes Trauern, daß er ward geboren.

MEPHISTOPHELES.

Blick auf die Mauern dort, sind Altbekannte;

Vor ihnen ist dein schmachtend Lied erklungen,

Woran die schöne Nonne heiß entbrannte,

Sie hast du damals feurig übersprungen.

Dort ragt der Baum, wo ihr so wonnig saßet

Und euch in süßer Trunkenheit vergaßet,

Der Baum, der eure Küsse überrauschte,

Wenn euch ein Ohr in jener Nacht belauschte.

Blick auf den Mond, es ist derselbe noch,

Er stand, wie jetzt, genau so voll, so hoch;

Nur daß er damals eurem Glutverlangen

Und heute eurem Kummer aufgegangen.

Der Mond, der deinem Auge strahlt so helle,

Dringt auch der Nonne mahnend in die Zelle.

FAUST.

Wirst mir zuwider und verhaßt;

Du wirst mir immer mehr zur Last.

MEPHISTOPHELES.

Verhaßt? das kümmert mich mit nichten,

Du kannst es ohne mich nicht richten;

Bin doch für dich von großem Reize,

Denn deine kranke Seele braucht,

Daß nicht ein Seufzer sie verhaucht,

Zur Stärkung meine scharfe Beize.

So sprach der böse Führer; plötzlich sprang

Er in den See hinab, der ihn verschlang;

Nach kurzer Weile taucht' er jetzt empor,

Und was er hat heraufgeholt vom Grund,

Streckt seine Hand den Blicken Faustens vor:

»Das ist aus jenen Zeiten noch ein Fund!«

Da schimmern schreckhaft hell im Mondenscheine

Von einem Kind die nassen Totenbeine.

 

Maria

 

Wie Silberglocken am Marienfeste

Versenden ihren reinen, hellen Klang,

Durch Stadt und Flur und stillen Waldeshang

Weithin geführt vom sanftbewegten Weste:

So drang der Ruf zur Ferne hell und rein,

Und seinem Wohlklang jedes Herz entbrannte,

Wenn er Marie, die Königstochter, nannte,

Der Tugend und der Schönheit Morgenschein.

Vergebens war manch Dichterherz entglüht,

Zu schildern durch begeisterte Gesänge

Der jungfräulichen Reize hold Gedränge,

Das um den schönen Leib Marias blüht;

Vergebens preist sein bettelhaft Geklimper,

Wie tief dies Auge mit der Schattenwimper

In süße Einsamkeit das Herz entreißt

Und alle Welt umher vergessen heißt;

Wie diese Rosenlippen sich erschließen,

In jedem Wort ein holdes Lied vergießen:

So läßt der Lenz aus frischen Rosenröten

Der Nachtigallen Zauberlieder flöten;

Wie diese sanftgehauchte Jugendglut,

Ein Traum von Rosen, auf den Wangen ruht,

Vom Morgenrot ein fernes Widerscheinen,

Das einst gestrahlt den Paradieseshainen.

Sie ist so schön, die schönste der Jungfrauen,

Daß man sie nicht kann ohne Schmerz betrachten,

Denn zitternd spricht das Herz mit bangem Grauen:

Nach dir muß selbst der Tod, der kalte, schmachten! –

O schwelge noch in ihrem Anblick, Welt,

Solange dieser flüchtge Zauber hält!

Berauschet euch in ihrem Odem, Lüfte!

Verhaucht, beglückte Blumen, eure Düfte!

O eilet schneller aus den Himmelsfernen

Herüber, goldne Strahlen von den Sternen,

Und strömet eure Küsse auf sie nieder,

So holde Jungfrau findet ihr nicht wieder.

 

Der Maler

 

Einsam die hohe Königsvilla stand

Und ragt' ins Meer vom steilen Felsenstrand.

Zypressenhaine und Orangenwälder,

Die schattend sich an ihr landeinwärts dehnen,

Erwecken oft dem Seemann heimlich Sehnen,

Schifft er dahin die wüsten Wogenfelder. –

Es ruht auf Land und Meer ein schwüler Tag,

Es reget sich kein Blatt, kein Wellenschlag;

Doch abends kommt ein schwarz Gewölk gezogen,

Der Sturm erwacht und wühlet in den Wogen.

Am offnen Fenster lehnt im Sommerhaus

Maria, blickend in das Meer hinaus.

Sie sieht der Sonne letzte Gluten schwinden,

Sie überläßt ihr blondes Haar den Winden,

Die freudig mit der Lockenbeute schwanken,

Und ihre Seele sinnigen Gedanken.

Und Faust, in stummer Wonnetrunkenheit,

Die holde Königstochter konterfeit.

Er ist ein Meister in der Kunst der Farben,

Sein Ruhm und sein Bemühn die Gunst erwarben,

Dem Könige Marias Bild zu malen,

Eh sie verglühn, der Schönheit Morgenstrahlen.

Er ist zur höchsten Stelle hier gedrungen,

Die je ein kühner Maler noch erschwungen:

Marien gegenüber, stundenlang!

Die wunderbaren Züge zu erfassen

Und seine Seele frei zu überlassen

In tiefer Schönheit ihrem Untergang! –

Ein schönes Bild! die Reize ohne Namen

Umschließt des Fensters luftger Bogenrahmen;

Das wilde Meer, die Wetterwolken tragen

Die Lichtgestalt als dunkler Hintergrund. –

Faust wollt ein lustig Abenteuer wagen

Und schaute hier das Herz sich todeswund.

Er hat manch Weib genossen und verlacht;

Hier aber soll er schmerzlich inne werden:

Der wahren Frauenschönheit holder Macht

Kann widerstehen keine Macht auf Erden. –

Ein schönes Bild! wie sanft und lieblich ruht

Mariens Antlitz auf der dunklen Flut;

Ha! wie, berauscht, die aufruhrsvollen Wellen

Um ihren weißen, warmen Busen schwellen

Und höher stets an ihrem Nacken steigen,

Sie mitzureißen in den wilden Reigen!

Ihr goldnes Haar auf schwarzen Wolken wallt,

Die Blitze flammen aus den Wetternächten

Und flattern um die göttliche Gestalt,

Ein Strahlendiadem um sie zu flechten. –

Je mehr nun Faust des Bildes Farbentrug

Zu wunderbarem Leben sieht erwarmen,

Je heftiger ergreift sein Herz der Zug,

Entzückt das süße Urbild zu umarmen.

Doch, wie auch flammt des Wunsches Leidenschaft,

Die Ehrfurcht hält ihn fest in scheuer Haft.

O Frauenschönheit! Vieles ist zu preisen

An dir, in ewig unerschöpften Weisen;

Das ist dein Schönstes: daß in deiner Nähe

Auch wilde Sünderherzen weicher schlagen,

Daß ein Gefühl sie faßt mit dunklem Wehe

Aus ihrer Unschuld längst verlornen Tagen.

Mag auch des Sünders Herz zur Lust entflammen,

Wenn er in deine Zauberfülle blickt,

Doch sieht er auch dein Ewiges und schrickt

An dir, du Himmelsabgrund! scheu zusammen.

 

Die Warnung

 

Herzog Hubert reitet durch einen Wald zur Villa.

 

MEPHISTOPHELES ihm entgegenreitend.

Ihr reitet recht behaglich sacht;

Nichts kann befeuern Euren Trott,

Nicht Hahnreischaft, nicht Wetternacht,

Nicht nasse Haut und Bubenspott!

HERZOG.

Wer bist du, frecher, grauser Wicht,

Mit diesem Teufelsangesicht?

MEPHISTOPHELES.

Ich bin, was meine Miene spricht.

Nur recht mir ins Gesicht geschaut,

Wenn auch dem Herrn ein wenig graut,

Ihr seht so feinen Kopf nicht mehr.

Betrachtet diese Stirnenfalte,

Da diese finstre, tiefe, kalte,

Von einem Aug zum andern quer.

Einst kam ein Mathematikus,

Ein scharfer Ritter Minusplus,

Der schlaue Bursch fixierte mich

Und nannte diesen Faltenstrich

Das Minuszeichen alles Guten,

Vom Kreuze Plus das Gegenteil,

Wobei er dacht ans Christenheil.

Doch, edler Herr, Ihr müßt Euch sputen;

Derweil Ihr mein Gesicht studiert,

Studiert ein andrer ganz vertraut

Die Züge Eurer schönen Braut.

Macht fort, eh sie den Kranz verliert!

 

Er sprengt davon.

 

DER HERZOG.

Du lügst, du lügst, es kann nicht sein!

Maria ist getreu und rein.

Doch sterben soll auf frischer Tat.

Wer meiner Braut sich frech genaht!

 

Der Mord

 

Die königliche Villa.

Prinzessin Maria, ihre Zofe, Faust, später Herzog Huber.

 

FAUST.

Das Bild ist fertig, und, ich glaube,

Mir ist gelungen zur Genüge,

Zu fesseln Eure holden Züge

In meiner Blicke stillem Raube.

 

Das Bild betrachtend.

 

Wie dieses sanfte, schöne Bild

Auf wildem Meeresgrunde ruht,

So ruht es ewig, klar und mild,

Auf meines Herzens wilder Flut.

PRINZESSIN.

Es mag dem Künstler widerfahren,

Hat er ein Bild mit Fleiß vollbracht,

Daß ein Erinnern oft nach Jahren

An dessen Züge ihm erwacht.

ZOFE.

Das, gnädige Gebieterin,

Bleibt Eurem Maler als Gewinn,

Der Eure Schönheit Zug für Zug

So wahr lebendig übertrug,

Daß sich das Bild ihm ungebeten

Im Angedenken wird verspäten.

FAUST.

Hell flammt in diesem Augenblick

Mir auf mein ganzes Mißgeschick.

Was ich bis jetzo nicht gekannt,

Hat mich allmächtig übermannt.

O lächelt, holde Königstochter,

Herab voll Mitleid auf mein Weh,

Der ich vor Euch, ein Unterjochter,

In meiner bittern Armut steh;

Wenn Ihr mein glühend Herz verstoßt,

Bleibt mir auch nicht der karge Trost,

Daß ich mit einem stolzen Leide

Von Eurem lieben Antlitz scheide,

Daß ich auf meinem Trauerwege

Euch doch ein Opfer noch geweiht,

Entsagend, meine Seligkeit

Auf Eure Schwelle niederlege:

Hab keine zu verlieren mehr,

Das drückt das Herz mir doppelt schwer.

Doch, blick ich wieder Euch ins Angesicht,

So hat die Hölle, der ich zugeschworen,

Mit einmal ihre Macht an mir verloren,

Mir strahlt ein wunderbares Hoffnungslicht.

O nein! ich kann, ich will Euch nicht entsagen,

Ich wills noch einmal mit dem Himmel wagen!

PRINZESSIN.

Verlasset mich, unheimlich bang

Wird mir vor Eurem ungestümen Drang,

Kann Eure dunklen Worte nicht verstehen;

Doch ruht auf Eurer Stirne tiefes Trauern,

Das mich bewegt zu innigem Bedauern,

Lebt wohl! ich will Euch nimmer wieder sehen.

FAUST auf die Knie fallend.

Ach, nur ein leises Wort, ein Hauch, ein Blick,

– Und wär es nur ein mitleidsvoller Trug, –

Daß du mich liebst, es ist genug, genug,

Auf immer zu verwandeln mein Geschick.

Mag dann der Hölle tiefes Qualenmeer

Mit seinen Wogen rauschen um mich her,

Ich werde nicht darin zu Grunde gehn,

Mir wird aus deinem holden Liebeszeichen

Ein ewig grünes Eiland auferstehn,

Verzweifelnd muß die Hölle rückwärts weichen;

Vergebens werden dann Erinnerungen

Aus meinen wüsten, schuldgetrübten Tagen

Ans heilige Ufer meiner Liebe schlagen,

Ich bin gerettet, hab ich dich errungen!

HERZOG HUBERT hereinstürzend.

Erstick in deinem frechen Übermut!

Verdirb, verdirb, schamloses Sklavenblut!

Nach einer Königstochter, Fürstenbraut

Hast du den Blick zu heben dich getraut?

Streckst du, ein unerhört verwegner Buhle,

Die Arme auf aus deinem Pöbelpfuhle?

 

Zur Prinzessin.

 

Laß ich ihn auch zu deinen Füßen sterben,

Du bist beschimpfet durch sein schnöd Bewerben.

Der Seufzer, den nach dir gesandt sein Lieben,

Ist giftger Hauch vom Sumpf emporgetrieben;

Sein Blick, der frech nach deinen Reizen schmachtet,

Ein Irrwisch faul, der zu den Sternen trachtet.

Es ist dein Bild besudelt und entehrt,

Das er in seinem tollen Hirne nährt,

Das ihm vielleicht im Traum Erhörung lacht,

Mit ihm sich wälzt auf seinem Bett bei Nacht!

Könnt ich in ihm erwürgen, süße Braut,

Dein Bild, eh ihn mein Schwert in Stücke haut!

Doch nein! mein Fürstenschwert sei nicht verdammt

An diesem Knecht zu niederm Schergenamt. –

Faust steht dem Prinzen gegenüber, schweigt,

Sein Blut aufkochend zu Gesichte steigt,

Empöret von der Lästrung Sturmeshauch;

Aus seinen schwarzen Stirnenlocken droht

Die hochgeschwellte Zornesader Tod,

Wie eine Schlange droht aus dunklem Strauch.

Er schüttelt wild und stolz sein zürnend Haupt,

Er knirscht die Zähne und sein Odem schnaubt,

Die Augen glühn im heißen Rachedürsten

Erstarrte Blitze auf den stolzen Fürsten:

Er zückt sein Schwert zum ungeheuren Streiche,

Und – nimmer lästert ihn des Fürsten Leiche.

Maria starr und bleich zu Boden liegt,

Vor Schreck sind Puls und Odem ihr versiegt.

Die Zofe ist entflohn; – des Prinzen Glut

Hat sich nun abgelöscht in seinem Blut. –

Wie ist es nun so still mit einem Mal,

Wo erst der Zorn gebraust, im weiten Saal!

Faust steht und starrt die Leiche finster an,

Und draußen steigt des Sturmes laute Wut,

Es rauscht der Wald, es knarrt der Wetterhahn,

Und an die Klippen stürzt die Meeresflut;

Vorbei am Fenster schießen mit Geschrille

Die Möwen, und die Donner schlagen ein:

Doch mag, o Faust, das Schrecklichste dir sein

Der Tote da, mit seiner tiefen Stille.

MEPHISTOPHELES plötzlich hinter Faust stehend.

Mir ist, dich hört ich einst im Walde sagen:

»Ich habe diese Liebe nie gekannt,

Fürs Erdenweib war nie mein Herz entbrannt«;

Hier aber hast du einen drum erschlagen.

Du bist doch deshalb treulos nicht geworden

Der »Liebe für die Wahrheit, die dein Schmerz«?

Und wärst du's auch, und hätt ein bißchen Morden

Schon für die Wahrheit abgekühlt dein Herz;

Sie gibt darum dich nimmer doch verloren;

Dein Sehnen hat sie nicht umsonst beschworen;

Und wolltest du nun aus dem Weg ihr eilen,

Sie stellt dir nach, darauf sei nun gefaßt.

Verschmähte alte Liebschaft wird zuweilen

Zudringlich, lieber Freund, und sehr zur Last.

Die Wahrheit steht an dieser Leich und schaut

Ins Antlitz dir: sei Mann und nicht erbebe,

Kühn ihren blutbesprengten Schleier hebe,

Und ihre leise Lippe dir vertraut,

Daß, wer ein Bündnis mit der Hölle schlingt,

Den Menschen Fluch mit seiner Liebe bringt.

FAUST.

Marien hab ich leider! Fluch gebracht.

O wenn sie doch ins Leben nur erwacht!

MEPHISTOPHELES.

Das findet sich; doch möcht ich eben

Nicht Zeuge sein, wenn sie erwacht ins Leben.

Hier ists langweilig, Freund, komm fort,

Eh da im Blut dein heller Mut verrostet.

Was dir an Freuden hegte dieser Ort,

Das hast du, mein ich, ziemlich ausgekostet.

FAUST.

Komm fort, komm fort, Maria muß mich hassen;

Doch kann ich nicht zurück ihr Bildnis lassen.

 

Die Diener des Hauses pochen an die von Mephistopheles verschlossene Tür.

 

MEPHISTOPHELES.

Das Bildnis kriegst du nimmermehr, fürwahr!

Ich reiße lieber ein Marienbild,

Zehnfach geweiht, und wundergnadenmild,

Dir eigenhändig wo vom Hochaltar,

Eh ich gedulden mag die Raserei

Daß du dich schleppst mit diesem Konterfei.

FAUST.

Steh ich vor dir, dein Werk, ein Mörder auch,

Und neigt sichs tief mit mir bereits; doch spricht

Noch meines guten Geistes Sterbehauch:

Bewahre dir dies Himmelsangesicht!

Und Faust ergreift das Bild mit heißer Hast,

Der Teufel hats am andern End gefaßt;

Sie ringen mit dem Bilde hin und her,

Laut zankend, bis der Teufel es erzwingt

Und es mit wildem Hohngelächter schwingt

Hinaus zum Fenster und hinab ins Meer. –

Die Diener an die Tür stets lauter pochen,

Und stürmend kommen sie hereingebrochen.

Entsetzenstarr die Königswach erschaut

Den Fürsten hingestreckt und seine Braut.

Sie dringen auf die Fremden, sie zu fassen:

Die trotzen, unerschütterlich gelassen,

Den vorgedrohten Hellebardenspitzen;

Der Böse läßt nur einen Augenblick

Die Höll in seine dunklen Züge blitzen,

Und die Trabanten stürzen bleich zurück.

Nun schauen sie, verblüfft und überwunden,

Den Fremden nach, die schnell waldein geschwunden.

 

Der Abendgang

 

Tiefschweigend ruhn die Alpenwiesenhänge,

Die Blume schließt den Tau in ihren Schoß

Und freut sich still an ihrem Frühlingslos;

Die Vögel sinnen schweigend auf Gesänge.

Fern unten tönt im Tal ein leiser Bronnen,

Als träumte dem Gebirg von einem Quell;

Es glüht im Abendscheine purpurhell

Der Wald, verloren in sprachlose Wonnen.

Wie freudesinnend steht die Lämmerherde,

Vergessend nun das frische Alpenkraut;

Still hält der lichte Wolkenzug und schaut

Herunter nach der schönen Frühlingserde.

Nur manchesmal die blühenden Gestalten

Der Bäume selig rauschend sich verneigen,

Ein Windhauch, überschwellend, bricht das Schweigen,

Wie Wonneseufzer nimmer festzuhalten. –

Doch unerfreut von Gottes Lenzgeschenken,

Irrt Faust umher durch Felsen, Wies und Hain,

Von der Natur geächtet, und allein

Mit seines Mordes bittrem Angedenken.

Natur, die Freundin, ist ihm fremd geworden,

Hat sich ihm abgewendet und verschlossen;

Er ist von jeder Blüte kalt verstoßen,

Denn jede Blüte spricht: du sollst nicht morden.

Der frische Wald, die grünen Lämmerweiden,

Der Friede, der auf allen Bergen ruht,

Und drüber hell der Wolken Freudenglut:

Das alles muß ins kranke Herz ihm schneiden.

Doch wecket ihm der Seele bangste Qual

Der ferne Bach tief unten in dem Tal.

Die Wasserstimme, leise klagend, scheint

Ihm seine Unschuld, die von ferne weint.

Doch ist der Mann zu stolz, um solche Wehen

Dem eignen Herzen gerne zu gestehen.

Er läßt die düstern Blicke zürnend rollen,

Und er beginnt mit der Natur zu grollen:

Wie blöde Kinder ihrem Vater lauschen,

Wenn Märchen bunt von seinen Lippen rauschen,

So horchet ihr, Fels, Wolke, Blum und Baum,

Dem Märchen froh in eurem Kindestraum,

Das euch ein Gott erzählt von seiner Liebe,

Indes der Tod euch trifft mit scharfem Hiebe.

Was laß ich, Tor, an meinem Herzen nagen

Den Vorwurf noch, daß jenen ich erschlagen?

Ist nicht der Mord das alte Weltgebot?

Und gibt es ohne Mörder einen Tod?

Mag mir das Herz des Feindes Stahl durchstechen,

Mag mir den Leib Naturgewalt zerbrechen,

Mag diesen Leib an spätem Lebenstag

Selbstmörderische Trägheit überkommen,

Daß er zu seinem eignen Nutz und Frommen,

Sich selber treulos, sich nicht rühren mag: –

Wie auch das Leben aus dem Herzen floh,

All eins, ich bin gemordet so, und so.

Doch faßt es wieder mich mit herber Pein,

Als könne morden nur der Mensch allein.

MEPHISTOPHELES zwischen den Bäumen hervortretend.

Ja, ja, es mordet, das ist wahr,

Der Mensch allein, und jeder zwar;

Denn, schau dich um, wo findst du einen

So frommen und unmäßig reinen,

Der niemand haßt auf weiter Erden?

Er haßt, und gibt er auch dem Feind

Nicht zu verstehen, wie ers meint,

Frei, mit totschlagenden Gebärden;

Im Herzen doch der Wunsch ihm keimt:

O, wäre der hinweggeräumt!

Im Herzen aber, glaube mir,

Dort hat der Mord sein Standquartier;

Und wagt er sich hervor einmal

Aus dem geheimen Schattental

Verbotner süßer Lustgedanken,

Die flüsternd euer Herz umranken,

Hat er den Mut hinaus zu reisen

Vom Busen in die Faust, ins Eisen:

So hat ihn nur ans Licht beschworen

Der Grimm; er ward nicht erst geboren.

Freund, was dir so zu Kopfe geht,

Und was dich brennt mit scharfer Pein,

War von dir einzig und allein

Ein Fehler der Genußdiät!

Du solltest brauchen das Gewissen,

Damit zu würzen das Genießen;

Hast zu viel Würze nur genommen,

Nun bist du dämisch und beklommen.

FAUST.

Wohl gerne glaubt ich deinem Wort,

Doch rauscht die Luft und weht es fort;

Es sprechen diese Bäume drein,

Die Häupter schüttelnd: nein, o nein!

Ganz andre Worte bringt der Wind

Vom Bache dort heraufgetragen,

Ich hör es leise, ferne klagen

Und möchte weinen wie ein Kind.

Wär ich ein Lamm aus jener Schar!

Die Wolke dort, so licht und klar!

Wär ich ein Baum, ein Halm, ein Stein!

Doch wie sie alle rein! doch rein! –

O Wolke dort im Untergang!

Ich segne dir dein Wandelspiel,

Von dem ein Trost ins Herz mir fiel,

So hoffnungsfroh, so sehnsuchtsbang:

Du, Wolke, zeigest meinem Blick

Vielleicht prophetisch mein Geschick.

Erst hast du hell und klar geblüht,

Vom Sonnenstrahle überglüht; –

Dann wardst du schwarz, es ließ der Schein

Versunkner Sonne dich allein; –

Und nun zerfließet und vergeht

Dein Bild, vom Abendhauch verweht!

Mir ist ein Trost die Hoffnung nur,

Daß einst, im kühlen Abendhauch,

Vergehn wird meine Seele auch,

Ein finstres Traumbild der Natur.

Da unten winkt die dunkle Tiefe,

Wo ich vielleicht gesichert schliefe,

Und unerreicht von meinem Dränger,

Der mich verfolget immer bänger.

Der Seele Frieden ist dahin,

Ich kann der Reue nicht entfliehn;

Verschließ ich mich in meine Kammer,

Fühl ich am Herzen ihre Klammer;

Flücht ich heraus zu diesen Eichen,

Seh ich sie lauernd nach mir schleichen.

Der Bäume kalte Strafgesichter

Umtrotzen mich wie meine Richter.

Der Frühling ist der Flur erschienen,

Um seine vollen Lebensfreuden

An Berg' und Tale zu vergeuden,

Doch mir mit fremd verstörten Mienen.

Ich bin allein vom Lenz verstoßen;

Indem er täglich neue Sprossen

Vom Winterschlafe zieht empor,

Zählt er dem Mörder langsam vor,

Und bitter quälend, Stück für Stück,

Das schöne, süße Erdenglück,

Das dem Erschlagnen ich geraubt,

Und jede Blüte trifft mein Haupt.

Ich fluche dir, der fort mich riß

In seine grause Finsternis

Aus meiner Unschuld Heiligtum!

MEPHISTOPHELES.

Ein lustiges Delirium!

Dem Teufel fluchen, das verdreht

In Gottes Ohr sich zum Gebet?

Ich aber mein, es ist zu spät.

Da seh ich einen Narren leiden,

Weil Blumen ihm Gesichter schneiden;

Und weil im Tal die Wasser lärmen,

Beginnt der weiche Mann zu schwärmen.

Das aber ist die feigste Richtung,

Daß du dich sehnest nach Vernichtung.

Die Wolke soll dirs schmeichelnd malen,

Daß du die Zech nicht darfst bezahlen? –

Warum denn immer auswärts gaffen,

Statt sich im Innern aufzuraffen?

Was kann dich kümmern die Natur

Und ihre Frühlingskreatur?

Ist solcher Tor wohl auch ein Mann,

Den eine Blume kränken kann?

 

Ironisch.

 

Du kennst die Art der Domestiken,

Die dir dienstbare Grüße nicken

Und huldigen zum Überfluß,

Solang du stehst auf Freundesfuß

Mit ihrem Herrn; beleidige den,

So ists um ihren Gruß geschehn;

Sie müssen dem Gebieter dienen

Und treten stolz dir nun entgegen.

Drum sei dir an den bösen Mienen

Des Lenzgesindels nichts gelegen. –

 

Treuherzig.

 

Doch das ist Scherz; ob die Natur

Dir freundlich scheint und wohlgewogen,

Ob feindlich grollend, beides nur

Hast du in sie hineingelogen.

 

Er zieht einen Krug hervor.

 

Tu mir Bescheid aus diesem Krug,

Ich füllt ihn eben zu Tokay

Mit Lust und süßer Raserei;

Dein Geist bedarf wohl neuen Flug.

FAUST trinkt.

Der Wein ist gut; – er macht das Mark

Mir in den Knochen frisch und stark.

MEPHISTOPHELES.

Es lief der Mensch in grauen Tagen,

Wie uns berichten manche Sagen,

Zu Mahom, Christ und Zoroaster,

Zu holen sich ein Wunderpflaster

Für seine alte Erdennot,

Den Zweifel und den bittern Tod.

Mehr als Prophet und Messiade

Half ihm des milden Zufalls Gnade,

Der seine Angst gelehrt zu pressen

Aus Trauben sich ein süß Vergessen.

FAUST.

Vortrefflich schmeckt der edle Wein!

Komm, schenke mir noch weiter ein!

Er hat den Sinn mir aufgehellt,

Mich wieder auf mich selbst gestellt.

MEPHISTOPHELES.

Es gab der Wein schon manchen frei

Aus alten Wahnes Gängelei.

Oft wenn die Gläser lustig schollen,

Mußt Christus sich von dannen trollen;

Drum ist ein Wein im wälschen Land

Lacryma Christi zubenannt.

Freund! neuen Flug bedarf dein Mut,

Nimm hin und trink, das ist mein Blut!

 

Scherzend.

 

Komm, Faustule, wir wollen singen

Und uns an deinen Feinden rächen;

Wir wollen diese Berge zwingen,

Daß sie das fromme Schweigen brechen,

In unser Lied als Chorus fallen

Und unsre Weisen widerhallen.

(Er jauchzt in die Berge)

Ruf du nur einmal zum Versuch

Hinüber einen wackern Fluch.

FAUST ruft, den Krug schwingend, in die Berge.

Dem Teufel hab ich mich ergeben,

Den Teufel lieb ich, er soll leben!

MEPHISTOPHELES scherzend.

Hörst du sie dort herüberschreien,

Echo, die alte Felsenhure?

Sie läßt sich gleich von Gott und Teufel freien,

Dient jedem gleich mit einem Liebesschwure.

Und was du ihr auch magst entgegenjohlen,

Sie wird es, einverstanden, wiederholen.

 

Bitter.

 

Doch das sind wieder eitel Possen

Und Gleichnisse, die schmählich lahmen;

Natur lebt nur für sich, verschlossen,

Und sie hat nichts mit dir zu kramen;

Und wenn sie dir ein Echo schallen läßt,

Wirft sie dein Wort zurück dir mit Protest.

FAUST.

Und doch erregte mir so manches Mal

Der grüne Plunder Herzensqual.

Nun aber fühl ich Kraft in mir gedeihen,

Die mich von solchem Zudrang will befreien.

Es ballt sich fest in mir und fester immer,

Und schon bereu ich meine Taten nimmer.

 

Der Abschied

 

Kirchhof. Mondnacht.

 

FAUST am Grabe seiner Mutter.

Eh das ersehnte Meer

Mich grenzenlos umtrauert,

Der Wolken trübes Heer

Auf mich herunterschauert

Und Stürme mich umwehen,

Will ich zum letztenmal

Das heimatliche Tal,

Dein Grab, o Mutter! sehen.

O, daß der Tod von hier

So früh dich fortgenommen!

Es wäre wohl mit mir

Sonst nicht so weit gekommen. –

Von deinem treuen Lieben

Ist keine Spur geblieben,

Es schwand in tiefe Nacht.

Groß ist des Todes Macht,

Daß er die Mutter kann

Von ihrem Kinde reißen.

Wie fabelhaft zerrann

Das fröhliche Verheißen

Vom ewigen Wiedersehn,

Als ich dich sah vergehn!

Als sie den Sarg verschlugen

Und dich begraben trugen,

Da hattst du ausgelitten;

Mir ward im Herzen eben,

Ob sie mein junges Leben

Von seiner Wurzel schnitten! –

Als mich dein weicher Arm

Einst liebevoll umfing,

Als froh und segnend warm

An mir dein Auge hing,

Da freuten dich wohl Träume

Der Hoffnung für dein Kind?

Wie einst durch diese Bäume

Hinzog der Frühlingswind?

Nun steht im Mondenstrahl

Der Strauch so dürr und kahl

Der einst so grün, getroffen

Vom kalten Herbsteswind;

So welkte all dein Hoffen,

O Mutter, für dein Kind. –

Derweil du hier zu Staube

Im stillen Grund gemodert,

Ist in mir, seinem Raube,

Das Böse aufgelodert! –

Die Nächte ohne Schlummer,

Die Tage voller Kummer,

Die ungezählten Zähren,

Und deine frommen Lehren,

O Mutter, deine Schmerzen,

Womit du mich geboren,

Womit du unterm Herzen

Mich trugst – sie sind verloren! –

Doch wills mein Sinn nicht leiden,

Daß ich im letzten Scheiden

Mit einer frommen Zähre

Dir danke und dich ehre,

Und daß ich dir die Reue

Als Grabesrose streue.

Welch wunderlicher Klang

Traf plötzlich mir das Ohr?

Wars nicht wie Klaggesang,

Was sich im Strauch verlor?

Zog nur das Trauerstöhnen

Vorbei der Herbstesluft?

Begann das Kreuz zu tönen

So bang auf deiner Gruft?

MEPHISTOPHELES von ferne.

Komm! laß im Mondenschein

Uns wandeln durch den Hain,

Statt weichlich hier zu klagen,

Wo nur das dürre Laub

Heimrauscht zum andern Staub

Und taube Würmer nagen.

 

Sie entfernen sich.

 

 

Das Waldgespräch

MEPHISTOPHELES.

Hörst du im Wald des Herbstes Räuberpfiff,

Mein Freund, und hörst du rauschen seinen Griff?

O schade, daß der Lenz nicht hundertmal

Mehr grünes Laub getrieben hat im Tal,

Auf daß der Herbst mit hundertfacher Beute

Hinsausend jetzo mir das Herz erfreute!

Denn weh zumal tut Menschen das Verlieren

Und nach der Sommerlust ihr erstes Frieren.

FAUST.

Nein! es ist elend, daß des Frühlings Leiter

Zu Blüt und Lust hinauf nicht reichet weiter,

Daß alles ist so knapp gezählt auf Erden!

Bankbrüchig muß Natur in allen Jahren

Der Forderung der armen Menschen werden

Und zur Erholung lange Winter sparen.

MEPHISTOPHELES.

Das seh ich gern, wenn Herbst mit Sturmgeblase

Das Laub den Menschen wegführt vor der Nase;

Und lieber noch, wenn schon der Sommer barsch

Der grünen Hoffnung auf der Flur

In Hagelwettern trommelt einen Marsch,

Daß sie sich trollt bis auf die letzte Spur.

Mir ists ein Anblick immer zum Entzücken,

Wenn die Natur dem Menschen kehrt den Rücken,

Dem undankbaren, feigen und stupiden,

Der sie verkannt, verraten und gemieden.

O hätt ich einen Juden jetzt zur Stelle!

FAUST.

Wozu der Jude, mürrischer Geselle?

MEPHISTOPHELES.

Den Juden möcht ich drillen scharf und plagen

Für seines Volks Vergehn in alten Tagen.

Die Juden haben euch die Welt verpfuscht;

Der Segensgeist der Indier und Hellenen

Ist ungenutzt an euch vorbeigehuscht;

Nun muß die Zeit ob eurer Dummheit gähnen.

Die Juden tatens, die Messiasnarren

Verfuhren euch so tief und fest den Karren.

Messias heißt der Keil, den sie getrieben

Hinein, wo Mensch sich und Natur berührten;

Getrennt ist sie nun hier, er dort geblieben,

Seit auf dem Felde sangen blöde Hirten.

In jener Nacht, der schlimmsten aller Nächte,

Ward das ersehnte Kindlein hergetan;

Die Juden, zitternd, ahnten ihren Wahn,

Doch sprach ihr Schreck, es sei nur nicht der Rechte.

Schreck blieb im Antlitz den Naturverrätern,

Und unaustilgbar blieb er auch den spätern;

Mit scharfem Griffel grub in jener Stund,

Durchschneidend alle Zukunft, die Natur

Den Nachgeschlechtern ein des Fluches Spur:

›Die Juden brachen mir den heiligen Bund!‹ –

Zu sühnen jenen alten Fluch, ersteht

Dereinst ein großer Jude; doch zu spät!

Ein weiser Schreiber nie vergeßner Schriften,

Wird an den Todespfahl er Jesum schlagen

Mit seines Geistes diamantnen Stiften,

Den Namen von der Dornenkrone tragen.

Doch sind erstorben euch urkräftige Triebe,

Verwelkt die wunderbaren Herzensblüten,

Die starken Lieder, zaubervollen Mythen,

Die götterzeugende gewaltige Liebe.

Verraten ward Natur, und ihr Vertrauen

Habt ihr verscherzt und eingebüßt für immer;

Ihr mögt ihr forschend in das Antlitz schauen,

Ihr scheues Herz erschließt sich euch doch nimmer;

Denn wer nicht sie zum Höchsten sich erkoren,

Wer jenseits Götter sucht, hat sie verloren.

FAUST.

Was kann ein Weiser noch dem Menschen frommen?

Ist der Messiasglaube ihm genommen

Und das Naturorakel ihm verklungen,

Wer führt ihn durch die Erdendämmerungen?

Wohin wird sich das Menschenvolk noch wenden?

Wie wird auf Erden noch sein Schicksal enden?

MEPHISTOPHELES.

Mein Faust, ich will dir einen Tempel bauen,

Wo dein Gedanke ist als Gott zu schauen.

Du sollst in eine Felsenhalle treten

Und dort zu deinem eignen Wesen beten.

Dort wirst du's einsam finden, still und kühl;

Tief unten hörst du fern das Weltgewühl,

Wie von den ätherklaren Alpenzinnen

Ein Wandrer unten hört die Bäche rinnen.

Du kannst das Los des Mannes dort genießen,

Wie er die Weltgeschichte wird beschließen.

Doch sieh dich vor, daß du nicht wirst zum Spotte!

Erinnre dich in Welschland jener Grotte;

Dort lagert tief am Boden böse Luft,

Entstiegen gährungsvoller Erdenkluft;

Doch in den obern Schichten ists gesund,

Und atmen kann dort nur, wer mit dem Mund

Ein Hochgewachsner aus der Tiefe taucht;

Doch wer, kurzbeinig, einen Herrn noch braucht,

Der Hund, das Kind in jener Grott ersticken.

So ist der Tempel, drein ich dich will schicken.

FAUST.

Das leuchtet ein! es gilt, daß ich die Seele

Aus Christus und Natur heraus mir schäle.

Ob ich mit ihm, mit ihr zusammenhange,

Umkreist mich unentrinnbar eine Schlange.

Ist Christus Gott, und folg ich seinem Schritt,

So bin ich, sei es auch auf Himmelspfaden,

Der Schuh nur, den sein Fuß erfüllt und tritt,

Ein niederes Gefäß nur seiner Gnaden.

Ists die Natur – bin ich ein Durchgang nur,

Den sie genommen fürs Gesamtgeschlecht,

Bin ohne Eigenzweck, Bestand und Recht,

Und bald bin ich verschwunden ohne Spur.

MEPHISTOPHELES.

In beiden Fällen ist dein Los fatal:

Du magst von ihm, von ihr behandelt sein,

Ob en canaille oder en canal;

Drum schließe trotzend in dich selbst dich ein!

FAUST.

Behaupten will ich fest mein starres Ich,

Mir selbst genug und unerschütterlich,

Niemandem hörig mehr und untertan,

Verfolg ich in mich einwärts meine Bahn.

MEPHISTOPHELES.

Ich aber diene dir als Grubenlicht.

FAUST.

Bin ich unsterblich oder bin ichs nicht?

Bin ichs, so will ich einst aus meinem Ringe

Erobernd in die Welt die Arme breiten

Und für mein Reich mit allen Mächten streiten,

Bis ich die Götterkron aufs Haupt mir schwinge!

Und sterb ich ganz – wohlan! so will ichs fassen

Nicht so, als hätte mich die Kraft verlassen,

Nein! selbst verzehr ich mich in meinem Strahl,

Verbrenne selbst mich wie Sardanapal,

Samt meiner Seele unermeßnen Schätzen,

Mich freuend, daß sie nimmer zu ersetzen!

 

Die Reise

 

Einsamer Meeresstrand. Abend.

Faust und Mephistopheles.

 

FAUST.

In jener Nacht, an jener stillen Leiche

Sprachst du das kecke Wort, das folgenreiche:

»Den Menschen gab der ewige Despot

Für ihr Geschick ein rätselhaft Gebot;

Nur dem Verbrecher, der es überschritten,

Wirds klar und lesbar in das Herz geschnitten.«

Wie wahr! wie falsch! der Mensch wird ewig irren;

Doch wenn Erkenntnisdurst ihn glühend plagt,

Muß er vom reichen Strome unverzagt

Einschöpfen mit den sämtlichen Geschirren,

Er muß ihn mit der Liebe und der Treue,

Und mit der Herzensfurche tiefer Reue,

Mit Kampf und Hoffnung, unversöhntem Hassen,

Und mit den Sinnen der Verzweiflung fassen.

Wie wenig, ach wie wenig dem Verlangen

Kann er auch so vom großen Strom empfangen!

MEPHISTOPHELES.

Das ist wohl wahr, doch frag ich vor der Hand,

Warum du mich beschiedst an diesen Strand?

FAUST.

Ich will nun fort, hinaus ins Meer,

Das ist so einsam, wild und leer,

Das blüht nicht auf, das welkt nicht ab,

Ein ungeschmücktes, ewiges Grab.

Dort zwischen Wogen, zwischen Winden

Soll mir der letzte Kummer schwinden.

MEPHISTOPHELES.

Wenn dichs nach einer Fahrt gelüstet,

Schon hab ich dir ein Schiff gerüstet,

Mein wackrer Herr, wie keines je

Gesehen ward auf aller See.

FAUST.

Wo stehts? ist auch dein Teufelswrack,

Wie es verlanget mein Geschmack?

MEPHISTOPHELES.

Du siehst es in der Dämmrung kommen

Dort stattlich still herangeschwommen;

Und bis es mag zum Strande treiben,

Will ichs ein wenig dir beschreiben.

Setz dich indes auf diese Scheiter,

Sei wieder auch ein wenig heiter.

Dies Rückwärtsdenken, Vorwärtsgrübeln

Muß ich als Freund dir sehr verübeln.

FAUST.

Wenn nicht das böse Grübeln wäre,

So stünd ich jetzo nicht mit dir am Meere.

Doch mache mir des Schiffs Beschreibung

Mit der gewohnten Übertreibung.

MEPHISTOPHELES.

Das Schiff geht stets nach unserm Willen,

Im windgen Meere, und im stillen;

Es ist vollkommen windgerecht,

Denn jeder Wind ist unser Knecht,

Ein jeder muß uns vorwärts schieben.

Das aber ist nicht übertrieben.

FAUST.

Und wenn die wilden Stürme rasen?

MEPHISTOPHELES.

Und wenn sie ringsum wütend bellen,

So spielen sie in unsern Wellen,

Wie durchs Getreide junge Hasen.

FAUST.

Wie stehts um Sandbank, Freund, und Klippen?

MEPHISTOPHELES.

Die machen uns kein Tröpflein Meeres nippen.

Die Bänke ducken sich, die Felsenriffe,

Nachgiebig, biegen sich vor unserm Schiffe,

Wie weiche Butter vor der Messerklinge.

FAUST.

Was rühmst du weiter an dem Ding?

MEPHISTOPHELES.

Das Schönste sind die Zimmer der Kajüte,

Mit zaubrischen Tapeten ausgehangen,

Die sich gestalten, wie du's magst verlangen:

Zur Frühlingslandschaft frisch, mit Laub und Blüte.

Dann schweigt das Meer, du hörst allein die Weste

Melodisch säuseln durch die grünen Äste,

Du bist umwürzt von süßem Waldesduft,

Du hörst die Nachtigall, die ferne ruft. –

Mit noch so leiser Sehnsucht nach dem Herbst

Du plötzlich anders die Tapete färbst:

Du siehst am Felde schöne Schnitterinnen

Im Abendrote stehn – und Liebe sinnen;

Du hörst die Wachtel schlagen im Getreide,

Du siehst den Jäger still den Wald beschleichen,

Zugvögel wandernd durch die Lüfte streichen,

Die Herden kehren von der Alpenweide. –

Fällt dir mit seinem Reiz der Winter ein,

Wirds gleich auf der Tapete Winter sein:

Die sturmverwehten Blätter rauschend fallen,

Dicht stöbert Schnee, nun starren alle Bäche,

Die erst geplätschert, auf gefrorner Fläche

Ziehn lustige Schlitten hin mit Peitschenknallen.

FAUST.

Sei mir vom Land und seinem Wechsel still.

Vergeßner Schalk! hab ich dir nicht gesagt,

Daß ich die Erde nun verlassen will,

Weil mir ihr Wechselspiel nicht mehr behagt?

MEPHISTOPHELES.

Verzeih! mir fiels nicht ein sogleich,

Mir spielte mein Gedächtnis einen Streich.

FAUST.

Sonst brauch ich dein Gedächtnis nicht zu wecken,

Wenns gilt, mit alten Dingen mich zu necken.

MEPHISTOPHELES.

Verkenne meinen guten Willen nicht.

Dich zu erinnern, heischt oft meine Pflicht.

Mich zwingt mein Pakt, die Wahrheit dir zu nennen;

Nur aus Vergangnem kannst du sie erkennen.

Ich liebe sonst ein schlecht Gedächtnis;

Von lüderlichen Vätern ein Vermächtnis,

Seh ichs zumal an lustgen Herrn

Zuweilen für mein Leben gern.

Verwittert wo ein alter Turm,

Von Regenguß zernagt und Sturm,

Und fallen aus den Fugen lose Stücke,

Dann kommen räuberische Geier

Und nisten in der Mauerlücke,

Und brüten drinnen ihre Eier.

Also zernagt der laute Lebenssturm,

Also zernagt der stille Todeswurm

Euch der Erinnrung alterndes Gebäude;

Und fällt dann aus der aufgelösten Fuge

Ein Stück Gedanke, Vorsatz, Schmerzen, Freude:

So fliegt manchmal herbei mit Blitzesfluge

Der Hölle Raubgevögel, Leidenschaften,

Die in der Lücke nisten, brüten, haften. –

Da hast du was von deiner lieben Braut!

Was ich dir von der Wahrheit hier vertraut,

Ist nur von ihrem Kleid ein dunkles Band;

Doch Ritter ehren jedes Liebespfand.

FAUST.

Ich nehms, noch bin ich meinem Bunde treu;

Denk ich auch manchmal mit geheimer Scheu

Der Wahrheit und mit sehnsuchtsvollem Zagen,

Für die nur freudig einst mein Herz geschlagen.

Du gabst von ihrem Kleid ein dunkles Band,

Wird sie im Trauerflore mir erscheinen?

Kommt sie, wohlan, ich biet ihr meine Hand,

Und soll sie ewig mir am Halse weinen.

MEPHISTOPHELES.

Genug davon. Besprechen wir die Reise.

Ich war für dich bedacht auf jede Weise.

Vor schlimmer Langeweile dich zu sichern,

Hab ich das Schiff bepackt mit guten Büchern.

Damit nicht etwa dein Verstand,

Siehst du nur Meer und nirgends Land,

Zum alten Bibelwesen mache Kehrum,

Hab ich Lucretium de natura rerum

Dir aufgeschlagen; 's ist mein Lieblingsbuch,

Es hält so manchen kräftig kühnen Spruch,

Besonders von den Göttern und der Liebe;

Ich meine, daß ichs selbst nicht besser schriebe.

Auf dem Verdecke woll'n wir dann spazieren,

Und ich will dir den Kauz interpretieren.

Dann ist gesorgt für allerliebste Flaschen.

Mein feiner Koch setzt Gaumen dir und Nase

Mit seinen Meisterstücken in Ekstase.

Auch geb ich noch was andres dir zu naschen,

So schön und witzig, und so schmachtend feurig,

Und in den Liebsgeschäften doch erst heurig:

Sechs Mädel sinds, hast neuen Spaß mit jeder.

Bist du zufrieden so mit deinem Reeder?

FAUST.

Ich bins mit nichten; und ich nehme

Dein Fahrzeug nicht, das ekelhaft bequeme.

Solang ich mich noch fühle Sohn der Erde,

Ist heimisch mir die irdische Beschwerde.

MEPHISTOPHELES.

Ich wollte nur mit solchen Zauberschwänken

Behüten dich vor allzuvielem Denken.

Du kennst das Meer noch nicht; das ernste Ding

Schon manchem Wandrer sehr zu Herzen ging.

FAUST.

Ich wills in seiner Fruchtbarkeit erschauen.

Schaff mir ein Schiff, nicht zauberhaft gemächlich,

Schaff mirs, wie es die armen Menschen bauen,

Unsicher, schwank und sturmzerbrechlich.

O Sturm, o Sturm, wie sehn ich mich nach dir!

MEPHISTOPHELES.

Der Sturm ist weniger bedenklich mir.

Wenns heult und brüllt, wenn alles wankt und kracht,

Ein kriegrisch Wesen bald in dir erwacht,

Das dem Tumult und allen Todesschlägen

Mannstrotzig und frohlockend zieht entgegen.

Bedenklich aber ist das stille Meer,

Dagegen hält dein Trotz und Stolz sich schwer.

Wenn Welle ruht und jedes Luftgeflüster,

Wenn Meer und Himmel schweigend sich umschlingen

Und fromm, fast wie zwei betende Geschwister,

Das könnte, sorg ich, meinen Faust bezwingen,

Da fürcht ich Schwärmerei an meinem Faust,

Hat auch der Sturm vergebens ihn gezaust .....

Indessen ist die Nacht hereingebrochen,

Die Wogen brausend an die Klippen pochen,

Von Winden wird die Felsenbucht durchpfiffen,

Die Wetterwolken laut und lauter kommen,

Das Zauberboot ist an den Strand geschwommen,

Es schaukelt sich und tändelt mit den Riffen,

Und drinnen süße Stimmen musizieren,

Die, kaum gehört, im Sturme sich verlieren.

MEPHISTOPHELES.

Ich frage dich: ist dir das Schiff nicht recht?

Zum letztenmal: verschmähst du es im Ernst?

FAUST.

Ich frage dich, rebellisch kecker Knecht!

Zum letztenmal: ob du gehorchen lernst? ....

Der Böse zürnt, aus seinem Auge fährt

Ein Blitz aufs Boot, ders zündet und verzehrt.

Hoch flammt es auf und sprüht und zischt umher,

Und flattert hin. Der Nacht tiefschwarzer Schleier

Fängt nun im Schiffesbrande plötzlich Feuer

Und leuchtet weithin übers wilde Meer. –

Der Morgen graut, es weht ein frischer Wind

Seewärts und treibt hinaus ein Schiff geschwind.

Die Wimpel flattern, jedes Segel schwoll,

Der Sehnsucht nach der dunklen Ferne voll.

Am Schiff vorüber flieht der Wellenschaum;

Und wie die Sonn empor im Osten zieht,

Das Land zurückverschwindet und entflieht,

Wie, wenn der Tag erscheint, ein dunkler Traum.

Faust wandelt fort im dumpfen Wellenbraus

Und starrt zur Meereseinsamkeit hinaus.

 

Der Traum

 

Matrosen singen hell ihr Abendlied,

Das kaum noch von der Sängerlippe schied,

Schon ohne Widerhall im Meere schwindet,

Wo Menschenstimme keinen Anklang findet;

Im Meer, das fremd und stolz, in kalter Größe,

Nicht rückhallt selbst des Himmels Donnerstöße.

Sanft kräuselnd regt die milde Luft das Meer

Und drängt den Segler sachte vor sich her,

Wie ihren Liebling die verschämte Maid,

Der kühn um einen Kuß der Liebe freit,

Mit weicher Hand von ihrem Busen drängt

Und doch in seinen Armen sich verfängt.

Die Sonne neigt hinunter sich im Westen,

Noch zittert auf der Flut ihr Schimmerpfad;

Ein Weilchen harrt, gleich diesen Strahlenresten,

Die lichte Spur von einer edlen Tat.

Auf weitem Meer ist es ein freudig Grauen,

Den Untergang der Sonne anzuschauen;

Im Augenblicke, wo die fremde See

Die Lebensfreundin Sonne ihm verschlang,

Durchzuckt des Wandrers Herz ein dunkles Weh.

Er sieht die Fluten dämmern heimlich bang,

Beschleichen mag auf irren Meeresstraßen

Den Wandrer ein Gefühl, daß er verlassen;

Zum Himmel hebt er dann die Blicke gerne

Und sucht den Gruß der heimatlichen Sterne,

Die nie dem Menschenherzen näher kommen,

Als wo der Gruß der Erde ihm genommen,

Die nie die Seele himmlischer beflügeln,

Als auf des Meers bewegten Grabeshügeln.

Wird solch Gefühl, o Faust, dein Herz beschleichen?

Erinnerung die Seele dir erweichen? –

Ihm naht des Schiffes Kapitän und spricht,

Hindeutend auf der Sonne letztes Licht:

»Der Sonnenuntergang regt mich zu denken

Wohl jedesmal an eine bittre Stund,

Als ich die tote Mutter mußte senken

Vom Bord hinunter in den Meeresgrund.

Es war ein Augenblick trüb, kummervoll,

Wie wenige so schmerzlich ihn erfahren,

Solang ich noch hienieden lebe, soll

Das Herz mir seinen Kummer treu bewahren.

Da lag sie auf dem Brette ausgestreckt,

Die mich geboren, segeltuchbedeckt,

Zu Füßen ihr gefügt ein Sack mit Sand,

Und harrend lehnt das Brett am Schiffesrand,

Ein kurz Gebetlein – der Matrose schnellt

Vom Brett die Tote lächelnd ab – sie fällt,

Und lange, lange sah ich sie noch sinken

Und mir mit ihrem weißen Tuche winken.

Von dannen zog das Schiff, mir war so schwer,

Daß ich allein die Mutter mußte lassen,

Wenn auch schon tot, im weiten, fremden Meer,

Wo sie die kalten Ungeheuer fassen.

Und wenn ins Meer versinkt der Sonne Schein,

So fällt mir immer meine Mutter ein.« –

Faust aber spricht: »Ihr seid mir wunderlich;

Wie konntet Ihr auf rauhem Meere fahren

Und doch so weiche Sitten Euch bewahren?

Ganz anders stimmte diese Reise mich.

Was ernst mich freute von den Erdengaben,

Was mich, weil ichs verloren, einst gekränkt,

Der Erde ganze Lust hab ich versenkt

Ins tiefe Meer und ihren Schmerz begraben.

Mir war das Meer des Schmerzes hohe Schule,

Hier mag er würdig aufzuflammen lernen

Nur nach dem Ewgen, leider ewig fernen,

Und daß er nicht nach dem Erschaffnen buhle.

Ein mächtig Wort: ›Verachtung des Erschaffnen!‹

Ich habs erfaßt, daß es von Schuld mich heile,

Denn fernher schnellt Erinnrung ihre Pfeile,

Und nur der Stolz kann gegen Reue waffnen.« –

Indessen schwand der Sonne letzter Schimmer,

Und leer und schlaff die Segel niederhangen,

Der Wind ist mit der Sonne schlafen gangen,

Die Wellen werden leiser, dunkler immer. –

Auf seinem Lager, schlummerharrend, liegt

Der Wandrer Faust, das Auge zu, das Ohr

Dicht an des Schiffes Bretterwand geschmiegt,

Schlaflieder murmelt ihm der Wellenchor.

Faust hört vergnügt im sanften Meerestosen

So nah den Tod an seinem Haupte kosen.

Bald ists ein Rieseln, ein Geflüster bald,

Dann wieder ein geheimnisvolles Klingen,

Als wenn die Winde über Wies und Wald

Den Rest verstreuter Glockentöne bringen;

Nun braust es dumpf, wie Wasserfälle rauschen,

Wie vom Gebirge hirtliche Schalmeien,

Nun wieder hört ein träumerisches Lauschen,

Von fernem Spielplatz lustge Kinder schreien.

Faust höret wirrer stets des Meeres Wallen,

Der Übermacht des Schlafes heimgefallen. –

Je trotziger ein Mann, auf sich gestellt,

In stolzer Einsamkeit sich seine Welt,

Je tiefer muß er fühlen in der Nacht,

Wenn allgemach die Sinne ihm versiegen,

Wie süß es ist, des Schlafes weicher Macht,

Dem Mutterkusse der Natur erliegen.

Bald hat die Seele Fausts ein Traum berührt,

Der sie an leichter Schöpferhand entführt.

Der Träumer steht auf seinem Inselstrand,

Von Meer umflutet rings, das nirgends endet,

Ein Blütenwald vom unbewohnten Land

Die Frühlingsdüfte in die See verschwendet.

Bezaubernd klingt die tiefe Einsamkeit

Im Vogelsang, von Störung nie bedroht,

Der Liebe Lust, der Sehnsucht süßes Leid,

Im Osten strahlt ein helles Morgenrot.

Die Wellen glühn und singen Wonnelieder,

Melodisch lockt zu sich die Tiefe nieder.

Der Träumer lauscht und meint, sie zu verstehen

Und jeden Gruß, den Frühlingslüfte wehen;

Und lange lauscht er, wunderbar beklommen,

Der Luft, des Meers so heimatlichen Sprachen:

Nun sieht er plötzlich, ostenher geschwommen,

Dem Untergang zugleiten einen Nachen;

Vorüber treibt am Eiland ihn der Wind,

Da wandert eine Frau mit ihrem Kind.

Ein schönes Kind, mit goldnem Lockenhaar,

Die Augen wie der Morgenhimmel klar,

Des Mundes Lächeln seliges Genügen,

Die Ruh der Unschuld in den holden Zügen.

Wie sie an Faust vorüberfahren dicht,

Blickt ihm die Frau gar traurig ins Gesicht.

»O Mutter!« ruft er aus, – mit stillem Weinen

Legt sie die Hand hindeutend auf den Kleinen:

»So warst du einst!« Das war ihr stummes Klagen,

Und schon hat sie die Flut dahingetragen.

Faust starrt ihr nach und seinem Kindesbild,

Und wie sie fort und immer ferner schwimmen,

Verstummen in dem Wald die Frühlingsstimmen,

Der Wind, die Wasser rauschen fremd und wild.

Und Abend ists, mit wildem Satze sprang

Die Sonne plötzlich in den Untergang,

Am Himmel rollt einher ein schwarz Gewitter,

Der Sturm zerreißt den Blütenwald in Splitter,

Und Blitze fahren, laute Donner krachen,

Und auf den Wogen kommt ein andrer Nachen.

Da wandert eine starre, schreckensbleiche

Jungfrau mit einer starren, blassen Leiche.

Wie sie an Faust vorüberfahren dicht,

Da blickt sie ihm gar traurig ins Gesicht:

»Den schlugst du tot!« Das war ihr stummes Klagen,

Und schon hat sie der Sturm dahingetragen.

»Maria!« ruft er aus – und ist erwacht

Und eilt aufs Deck, und jagend irrt umher

Sein Blick, noch trunken von des Traumes Macht,

Und sucht das Boot im sturmbewegten Meer.

Hier aber ist kein Sturm, hier ist kein Nachen,

Das Meer ist still, nur Mond und Sterne wachen.

Als die Gestirne ihm ins Antlitz leuchten,

Erwacht er ganz, es flieht des Traumes Deuchten.

Das Meer ist still, nicht eine Welle ruft,

Und lauschend stehn geblieben ist die Luft;

So still die Nacht, man hört des Herzens Klopfen,

Und schier den Tau vom Himmel niedertropfen,

Und schier den Mondstrahl auf das Wasser fallen,

Und schier das Trauerlied der Zeit verhallen. –

Wie Faust hineinsinnt in das tiefe Schweigen,

Da kommt Mephisto, spricht: »Es ist doch eigen,

Darein kann mein Geschmack sich gar nicht schicken,

Abscheulich ist die Stille, zum Ersticken.

Ich will vom Schlafe die Matrosen holen,

Daß sie noch einmal ihre Lieder johlen.

Nach deinem Traum, bist du viel ernster, blasser,

Ich höre lieber die Matrosen singen

Ihr gellend Lied, als auf das stille Wasser

Die Tränen deiner Rührung niederklingen!«

»Still, störe nicht mit deinem scharfen Schrei

Die Nacht; die Zeit der Tränen ist vorbei.

In Wolken sind die Sterne dort verkrochen,

Wie Kinder sich verkriechen in die Decken,

Wenn sie an ihrem eignen Traum erschrecken.

Der ist ein Kind, den Träume unterjochen.

Mein traumgehetztes Blut mag schneller jagen,

Mein Herz aufschrecken, trauern und verzagen;

Doch wenn auch bei phantastischen Gewittern

Mir Nerv und Ader, Erdenkinder, zittern,

Erwach ich, bin ich Herr in meinem Haus

Und werfe den Gespensterspuk hinaus.

Doch ists ein Übel, daß ich Träume habe,

Wann Schlaf gefesselt meine Willensmacht,

Die lüstern, wie Hyänen, in der Nacht

Die Toten mir aufwühlen aus dem Grabe.

Dann hilft es nichts, daß ich den Wahn vernichtet

Und hoch den Turm Verachtung aufgerichtet,

Von dem ich wachend auf das Märchengrauen

Von Schuld und Reu mag fest herunterschauen;

Die Träume, ungelehr'ge Bestien, schleichen

Noch immer nach des Wahns verscharrten Leichen!«

So hadert Faust zur Flucht ein weich Gefühl,

Den Rest des Traumes, während feucht und kühl

Nachtnebel übers dunkle Meer hinschweifen

Und seine trotzigheiße Stirne streifen.

 

Der Sturm

 

Faust und Mephistopheles spazieren auf dem Verdecke.

 

FAUST.

Wir wandeln auf dem Schifflein hin und her,

Das Schifflein jagt dahin im weiten Meer,

Das Meer ist mit den Winden auf der Flucht,

Die Erde samt dem Schifflein, Meer und Winden

Schießt durch den weiten Himmelsraum und sucht

In ewger Leidenschaft, und kanns nicht finden.

Mir ist das Meer vertrauter als das Land;

Hier rauscht es unbestreitbar in die Seele,

Was dort ich leise, dunkel nur empfand,

Daß die Natur auch ewge Sehnsucht quäle

Nach einem Glücke, das sie nie gewinnt;

Und was da lebt im regen Labyrinth,

Kann sich in Ruhe nirgendwo verschanzen,

Stets in den Sturm der Sehnsucht fortgerissen;

Und flücht ich nach den Grabesfinsternissen,

Muß meine Asche um die Sonne tanzen.

MEPHISTOPHELES.

Nur scheinbar lacht die Ruhe selbst den Rindern,

Die auf der Weide gehn in Maientagen

Und Blumen morden, fressen mit Behagen,

Herodes jeder Ochs den Frühlingskindern;

Indessen kocht in seiner kleinsten Ader

Das Leben mit dem Tod den heißen Hader.

Die Weide mahnt mich an den Rossehirten;

Wir trafen ihn, als wir auf Abenteuer

Zu Pferde das Magyarenland durchirrten,

Im Wald, bei Nacht, an seinem Wachefeuer.

Die schwarzen Hengste grasten in der Runde,

Seltsam bestrahlt, der wilde Mähnenhang

Im Nachtwind flog, und deinem Lauschen sang

Der Hirt ein traurig Lied aus fremdem Munde;

Dann schwieg er still und starrte in die Glut

Und türmte drüber manche Blättersäule

Und starrte wieder mit verschloßnem Mut:

Da kam aus Schattendickicht eine Eule

Und schwirrt unheimlich krächzend um sein Ohr,

Und der geneckte Hirte sprang empor,

Griff in die Flamme mit gewaltger Hand

Und raffte einen ungeheuren Brand

Und schwang ihn um sein Haupt in wilder Hast,

Die Eule scheuchend fort, den schlimmen Gast.

Wie jener Hirt in Waldeseinsamkeit

Ums Haupt im Kreise schwang das Flammenscheit,

So schwingt der ewge Hirt mit starker Hand

Im Kreis ums feste Haupt den Weltenbrand,

Zu scheuchen fort aus seiner Nacht die Eule,

Die sonst ihm krächzend naht: die Langeweile.

FAUST.

Und wenn der Sterne große Wanderscharen

Nur Funken wären, jenem Brand entfahren,

Den um sein Haupt der starke Hirte schlägt,

Wo sind die Rosse, die der Hirte hegt?

MEPHISTOPHELES.

Die werden auch noch wo zu finden sein.

Du treibst mir die Metapher in die Enge,

Sie aber wäre nicht mein Töchterlein,

Wenn sie sich nicht aus deiner Frage schlänge.

Die Rosse, die dem Hirten weiden gehen,

Und die allein dem alten Hirten teuer,

Um derentwillen brennt das Weltenfeuer,

Die Rosse nennt der Philosoph Ideen;

Mir aber ists ein inniges Ergetzen,

Heranzuschleichen mich mit feinem Tritt

Und plötzlich mich auf so ein Roß zu setzen

Und durch die Welt zu machen einen Ritt,

Bis mich das Roß abwirft und scheu zurück

Zu seinem Hirten flieht und Weideglück;

Denn was Natur gebiert, die reiche Mutter,

Verzehrt die Herd' als frisches Weidefutter.

Du, Röslein, bist für dieses Los zu gut,

Drum steck ich lieber dich an meinen Hut.

Sieh, dort am Himmel kommen andre Rosse,

Dort kommt die schwarze Donnerwolkenherde;

Kennst du den Flug, die wilde Kraftgebärde?

Hallo! schon kracht das Schiff vom ersten Stoße!

FAUST.

Wie wenn die Rosse durch die Heide fliegen,

Hinsausend an den schlanken Graseshalmen,

Und sie mit ihrem Sturmgeschnaube biegen

Und sie mit ihrem starken Huf zermalmen:

Durchfliegen diese Himmelsrosse rasend

Die grüne Meeresheide als Verwüster

Und wiehern Sturm aus aufgerißner Nüster,

Der Masten schlanke Halme niederblasend.

MEPHISTOPHELES.

Hallo! es krachen, brechen unsre Masten:

Siehst du den Kapitän, den schreckerblaßten?

Das ist der Käfer, der am Halm gebaumelt

Und mit dem abgeknickten niedertaumelt.

FAUST.

Hört, bleicher Kapitän! erhebt Euch doch!

Das ist kein Mann, wes Blut im Sturmgehudel

Geduckt zurückschleicht, ein gepeitschter Pudel,

Zur Herzenskammer, seinem Hundeloch.

Zeigst du nicht augenblicklich Mannesmut,

So werf ich dich, beim Teufel! in die Flut!

Schämst du dich, Memme! vor dem Sturme nicht?

Ich dulde nicht die Schmach im Angesicht,

Den Menschen da in seiner Bettlerblöße

Genüber der Natur in ihrer Größe.

KAPITÄN.

Seit zwanzig Jahren fahr ich dieses Meer,

So schrecklich denk ich keinen Sturm, wie der.

Wie jeder Nagel, jede Fuge kracht!

Weh uns! wie alles wankt und bricht und reißt!

Wie uns der Abgrund jetzt zu Himmel schmeißt!

Der nächste Augenblick ein Ende macht!

Ich zittre nicht für mich, und ich erblasse

Nur, weil ich Weib und Kind nicht gern verlasse;

Sie sollen beten einst an meinem Grab.

FAUST.

Verfluchter Mahner! feiger Wicht! hinab!

 

Wirft ihn ins Meer.

 

EIN PRIESTER auf den Knien.

Erbarme dich, du großer Gott!

Barmherziger, hilf in unsrer Not!

Herr! deines Sohnes Christi Blut

Helf in der Not uns Armen,

Besänftige mit Erbarmen,

Ein heilig Öl, die Sturmesflut!

MATROSEN auf den Knien.

Erbarme dich, du großer Gott!

Barmherziger, hilf in unsrer Not!

FAUST ruft in die Wolken.

Mach, was du willst, mit deiner Sturmesnacht!

Du Weltenherr, ich trotze deiner Macht!

Hier klebt mein Leib am Rand des Unterganges,

Doch weckt der Sturm in meinem Geist die Urkraft,

Die ewig ist, wie du, und gleichen Ranges,

Und ich verfluche meine Kreaturschaft!

MEPHISTOPHELES.

Bravissimo! zu Schanden geht der Nachen;

Den kleinen Bissen hat der Ozean

Lang hin- und hergespielt in seinem Rachen,

Nun beißt er drein mit seinem Klippenzahn.

 

Wehgeschrei der Mannschaft.

 

Nun schluckt er ihn! Faust! spring auf diese Zacken,

Hier kann die tolle Flut dich nimmer packen.

FAUST.

Schon steh ich fest; doch sterben die Matrosen,

Wohl gerne lebten noch die Rettungslosen.

MEPHISTOPHELES.

Sie haben meist das Eiland schon betreten,

Die Kerle schwimmen kräftger, als sie beten;

Doch ist der bleiche Kapitän ersoffen,

Vergebens war auf trocknes Grab sein Hoffen.

Auch dort der Pfaff ein nasses Ende nimmt,

Der mag doch kräftger beten, als er schwimmt.

Wie wirbelt ihn die Flut! im Untersinken

Läßt er noch einmal sein Tonsürchen blinken;

Dasselbe ists, das einst bei jenen Bauern

Zum Vorschein kam.

 

Lachend.

 

Wo wird sein Liebchen trauern?

 

Görg

 

Schenke am Meeresstrand.

Faust, Mephistopheles, Görg, Michel, Kurt, Hans und andere Matrosen, Dirnen, Spielleute u.a.

 

KURT.

Das Schiff ist hin, doch nur mit Maus,

Der Mann schwamm glücklich noch hinaus.

MICHEL.

Fragt keiner mehr nach unserm Kapitäne?

HANS.

Was ließ er sich auch handumkehr

Bordüber schmeißen in das Meer?

Mit seiner harten Zucht und weichen Träne!

GÖRG.

Wie so der Tod, der Jägerschuft,

Mit seinem Hund, dem Sturm, gebirscht,

Wie's Wolkenbüchslein blitzt' und pufft',

Der Hund so wild herumgeschnufft,

Wart ihr doch alle recht zerknirscht?

KURT.

Das war denn auch ein schlechter Spaß,

Ich war bis in die Seele naß,

Ich war so naß und durchgeweicht,

Daß ich mich sehnte nach der Beicht.

GÖRG.

Da lagt ihr mit geduckten Stirnen,

Gelobtet Messen, reine Sitten;

Nun in den Armen dieser Dirnen

Scheint ihrs dem Teufel abzubitten.

MICHEL.

Schlich dir nicht auch, trotz deinem Trotz,

Du harter, kalter Felsenklotz,

So ein Gebetlein in den Bart?

GÖRG.

Dafür bin ich zu kalt, zu hart.

Ich bete nichts, ich bitte nichts,

Wills nimmer halten, ei, so brichts!

HANS.

Sag, Görg, hast du auch nicht geflucht?

GÖRG.

Ich bete nie, drum fluch ich nie,

Sing stets nach einer Melodie,

Im offnen Sturm, in stiller Bucht.

HANS.

Mehr ist der Fluch der Seele wert,

Als für die Faust ein scharfes Schwert.

GÖRG.

Der Lebensgang ist Schlachtengang,

Drum juble nicht und sei nicht bang.

Zieht der geschloßne Reitertroß

Just über dich mit Tritt und Stoß,

Zerschmettert er dir auch ein Bein,

So sollst du nicht der Bube sein,

Der auf dem Schlachtfeld keifend huckt,

Den Rossen nach den Hufen spuckt.

KURT eine Dirne im Arm.

Umschlinge mich mit deinen warmen

Und wonnereichen Liebesarmen!

Viel Leben hat die lange Fahrt

Für diese Stunde aufgespart.

Das Waldesgrün, der Vogelsang

Und all der süße Frühlingsdrang

Blieb mir verloren und versäumt,

Wo nur die kalte Woge schäumt

Und Sterbelieder singt der Wind.

Die Erd und ihre ganze Lust

Drück ich in dir an meine Brust,

Umarme mich, du süßes Kind!

MICHEL zu Görg.

Was hältst du, Mann des weisen Spruchs,

Von dieser Dirne vollem Wuchs?

GÖRG.

Ein Dirnlein frisch, ein Becher Sekt

Nicht minder wohl als euch mir schmeckt.

Den leichten Schwarm der Sorgenmücken

Ersäuft der Wein, das Freudenmädel

Dient eben mir als Mückenwedel,

Doch nicht zu lärmendem Entzücken.

MICHEL.

Wirt! noch zwölf Flaschen Fliegengift,

Nur daß er mir das stärkste trifft.

Wirt, schenk er auch den Fiedlern ein!

Ihr lasset eure Geigen klingen,

Frisch aufgespielt, damit wir fein

Im Takt die Fliegenwedel schwingen!

GÖRG.

Komm her, du mein nußbraunes Schätzel,

Reich mir zum Tanz dein weiches Tätzel;

Ein artig Kind! Wie heißt du doch?

DIRNE.

Suschen, mein lieber Schiffsgesell;

Dreh mich nur nicht herum so schnell.

GÖRG.

Wir werden schon bekannter noch.

MEPHISTOPHELES flüsternd zu einer Dirne.

Gedenkst du noch des Pfaffen, der vor Jahren

Als Buhle dein mit dir herumgefahren?

Soeben sank der arme Schalk ins Meer.

DIRNE.

Mein alter Schatz ertrank? – bedaure sehr!

 

Sie tanzt weiter.

 

SUSCHEN zu Görg.

Du rührst dich selbst vom Flecke kaum

Und drehst und schwingst und tummelst mich,

Ich gaukle auf und nieder dich,

Wies Eichhörnlein am Eichenbaum.

KURT.

So heiser auch die Geigen tönen,

Ists doch ein lieblicher Gesang,

Vergleich ich das dem Windesstöhnen,

Dem Schrei bei Schiffesuntergang.

HANS zu seiner Tänzerin.

Du dickes Teerfaß, rühr dich fein,

Sonst schlag ich dir die Dauben ein!

KATHE.

So laß mich los, du toller Schuft!

So laß mich schnappen nur nach Luft!

HANS.

Fort, fort, mein Schweinchen, ohne Rast!

Der Walzer, Kind, ist keine Mast;

Ich will von deinem lieben Ranzen

Ein bissel dir heruntertanzen.

KATHE.

Weh mir! helft mir von diesem Flegel!

HANS.

Du keuchst wie ein zerrißnes Segel,

Ein kleines Weilchen, dicke Seele,

Erlaube, daß ich dich noch quäle.

GÖRG setzt sich mit seiner Tänzerin an Fausts Tisch.

Komm, Kind, und laß dein Blut verwallen,

Setz dich zu mir.

 

Zu Faust.

 

Euch trink ichs zu!

FAUST.

Ich fand an dir ein Wohlgefallen,

Stoß an, mein wackrer Bruder du!

Du sprachst zuvor ein tüchtig Wort

Vom Leben; Bruder, fahre fort,

Erzähle weiter mir ein Stück,

Was du vom Leben hältst und seinem Glück?

GÖRG trinkend.

Sie haben mich stockfinstrer Nacht

In diese Welt hereingebracht,

Ich weiß kein Wort, auf welchen Wegen,

Ist just auch nichts daran gelegen.

Nun bin ich da, hab meinen Platz,

Der ist gut gnug, ist grade recht,

Denn daß ich nach dem Busenlatz

Fortunas schiel, ist mir die Welt zu schlecht.

FAUST.

Sag an, glaubst du an einen Gott?

GÖRG.

Du zeigtest dich im Sturme fest,

Drum sichs mit dir verkehren läßt,

Sonst schickt ich dich jetzt heim mit Spott.

Ich glaube – Kameradenwort,

Bei gutem Wind wohl an den Port,

Ich glaube, daß ein Schiff versinkt,

Wenn es zuviel Gewässer trinkt,

 

Er trinkt.

 

Wie selber ich zu Boden sänke,

Wenn ich zuviel vom Weine tränke;

 

Er küßt seine Dirne.

 

Ich glaub an diesen süßen Kuß;

Ich glaube, daß ich sterben muß.

FAUST.

An Gott vor allem glaubst du nicht?

GÖRG.

Ich schaute nie sein Angesicht,

Niemals mir seine Stimme klang;

Wenn er von mir was haben will,

So blieb er nicht so mausestill,

So gab er mir ein Zeichen lang.

FAUST.

Gab er dir nicht in Berg und Tal,

In blauer Luft, in Wetterstreichen,

Im großen Meer, im Sternenstrahl,

Daß er da herrscht, ein starkes Zeichen?

GÖRG.

Soll all das mir zum Zeichen frommen,

So muß er früher selber kommen,

Daß ich von ihm erst fassen lerne:

Was sagt: Berg, Tal, Luft, Meer und Sterne?

Das alles ist mir vorderhand

Nur eben Stern, Luft, Meer und Land.

Was ich nicht fasse und verstehe,

Darf nicht dem Herzen in die Nähe.

MEPHISTOPHELES.

Ihr mochtet wohl in frühern Zeiten

Durch goldne Weizenfelder schreiten;

Saht Ihrs auch an den Ährenwogen.

Daraus wird Branntwein abgezogen?

So seht Ihrs Berg und Tal nicht an

Und nicht der Luft, dem Ozean

Und nicht dem vollen Firmament,

Was draus der Mensch für Geister brennt.

Man hat daraus hervorgebracht

Den Wunderschnaps, die Trinität,

Der mit betäubend süßer Macht

Dem Menschenvolk zu Kopfe geht.

Tut einen herzhaft starken Zug

Vom dreimal abgezognen Geist,

Gebt acht, wie Euch im Taumel kreist

Das schwache Haupt, Ihr habt genug.

Das ist ein tiefer Rausch, den man

Im Grabe kaum verschlafen kann.

Seht meinen Freund hier, Doktor Faust,

Wie hat er doch im Schiffe neulich,

Als da der tolle Sturm gehaust,

Auf seinen Gott gezankt so greulich!

Das war, verlaßt Euch drauf, mein Lieber,

Noch immer was vom Glaubensfieber,

Es war der Seele krankhaft Rütteln,

Den alten Rausch hinauszuschütteln.

FAUST.

Ein Herz hat Ruh, das nie geglaubt;

Und glücklich, wen die böse Stunde,

Die seines Glaubens ihn beraubt,

Gleich drauf verscharrt im Grabesgrunde!

GÖRG.

Noch wankt es unter deinem Fuß,

Hast keinen festen, sicheren Genuß.

Pflück ich ein Weib, macht mirs mehr Skrupel nicht,

Als ich brech dieser Flasche hier den Kragen;

Mein Liebsgenuß ist große Zuversicht,

Mein Trinken unverwüstliches Behagen.

FAUST.

Glückselig ist, wer unerwacht

Hinüberträumt in jene Nacht,

Wem noch ein gläubiges Gebet

Wie Frühlingsluft von dort – sein Licht ausweht.

GÖRG.

Mein edler Freund, ich glaube fast,

Daß du zuviel getrunken hast,

Zwar nicht vom Wein, den wie ein Krankes

Du kaum benippt hast und berochen,

Wohl aber jenes Wundertrankes,

Von dem dein Kamerad gesprochen.

FAUST.

Der Seligste von allen ist,

Wer schon als Kind die Augen schließt,

Wes Fuß nie auf die Erde tritt,

Wer von der warmen Mutterbrust

Unmittelbar und unbewußt

Dem Tode in die Arme glitt!

GÖRG.

Schon bricht die wilde Lust die letzten Schranken;

Die Kerle toben hier so freudengrimmig,

Dabei so ungeschlacht und bärenstimmig,

Man überhört die eigenen Gedanken.

LIESCHEN die schönste Dirne, zu Faust.

Ihr seid ein herrlicher Mann, o führt

Zum Tanz mich, dem schönsten in meinem Leben!

Leicht werd ich und flüchtig und ungespürt

Wie die Stunde des Glückes dahin Euch schweben.

O freue dich! höre die lustigen Geigen!

Umschlinge mich, Schönster, zum seligen Reigen!

FAUST.

Laß ab von mir, ich tanze nicht;

Mach kein so lustiges Gesicht,

In deinem Auge steht es klar,

Daß deine ganze Lust nicht wahr;

Im tiefsten Aug der trübe Schatten,

Den mir kein Lächeln täuschend lichtet,

Das ist das dunkle Bild vom Gatten,

Vom Mutterglück, das du vernichtet.

Was dich in meine Nähe trug,

Das war vielleicht Verwandtschaftszug;

Wir beide traten auf der Reise

Keck aus dem vorgebahnten Gleise,

Denn was dem Mann Erkenntniskraft,

Ist für das Weib die Mutterschaft;

Faßt er damit getrost ein kleines Stück

Der großen Welt, ward er zum Heil geboren;

Sie faßt die ganze Welt im Mutterglück,

Und tut sie's nicht, ist sie verloren.

KURT.

Hurra! so hab ich keine noch durchwacht,

O lebensheiße, volle, starke Nacht!

MICHEL Kurt umarmend.

Du bist der Tollste von uns allen,

O laß mich um den Hals dir fallen.

GÖRG.

Faust, bist du denn ein Weiberfeind?

Das schöne Kind kam dir mit feiner Art,

Du stießest sie zurück so schnöd und hart,

Dort steht sie nun im Winkel still und weint.

Daß sie nun weint, kann mich nicht rühren,

Das Mädel hat in dieser Stund

So viel gejubelt ohne Grund,

Mag sie nun auch zum Wechsel Tränen führen.

Doch hast du etwa einen Keuschheitspakt,

So fänd ichs albern, Freund, und abgeschmackt.

FAUST.

Ich habe auf der See die langen Tage

Mir überdacht des Lebens manche Frage,

So konnt ich auch die Liebeslust bedenken,

Und mag damit nicht weiter mich befassen.

Die Lust soll sich der Stolz nicht schenken lassen

Von der Natur, auch wenn sie wollte schenken;

Doch will sie nicht, es ist ein Mäklergeist,

Der überall genau sie rechnen heißt;

Wer ihr die Liebeslust nicht unverdrossen

Heimzahlt in treuer Sorge für die Sprossen,

Hat sie geprellt und muß bezahlen

Die Mahnerin mit Herzensqualen.

Nun bin ich dieses Handels quitt,

Der ich für die gebrochne Treue

Verdruß genug im Herzen litt,

Bis ich den Jammerbalg erschlug, die Reue.

MEPHISTOPHELES.

Mein Faust, der ist gedankenkrank;

Doch ist sein schwarzer Predigerschwank

Für Schenken schlechter Zeitvertreib.

Erst lag in Metzenaugen Trauerspur,

Nun läßt er gar hausieren die Natur

Mit Liebeslust als Krämerweib.

GÖRG.

Ei was Natur! wer ist denn die?

Wo steckt sie denn? Ihr saht sie nie;

Auch so ein abgezogner Geist,

Der Euch im trunknen Kopfe kreist?

MEPHISTOPHELES zu Görg.

Längst hätt ich gern, doch wagt ichs nicht,

Euch meine Freundschaft angetragen.

GÖRG.

Ihr seid mir der fatalste Wicht,

Der mir vorkam in meinen Tagen!

 

Zur Dirne.

 

Komm, Mädel, tanzen wir eins rum!

DIRNE.

Bin froh, schon ward mir angst und bang

Vor eurem ernsthaften Gebrumm;

Gescheiter ist der Fiedelklang.

FAUST.

Der Görg da sprach so manches Wort,

Das mich beschäftigt fort und fort.

Ein voller Mann! er steht so fest,

Ob Gott ihn und Natur verläßt. –

Nun will ich in die Nacht hinaus,

Zu laben mich am Sturmgebraus.

 

Geht ab.

 

HANS.

Seht nur den Kurt an, wie er tollt!

Er dreht die Dirne unter Küssen,

Er drückt sie jubelnd an das Herz

Und stampft die Erd, ob er sie wollt

Wegstoßen unter seinen Füßen

Und jauchzend fliegen himmelwärts.

KURT.

O schönes Kind! so tanzt ich ewig gerne!

O süßes Kind! dich lieb ich ungeheuer!

O könnte doch mein wildes Liebesfeuer

Zusammenschmelzen uns zu einem Sterne,

Der freudestrahlend durch die Himmelsweiten

Hinraste tanzend alle Ewigkeiten!

 

Fausts Tod

 

Klippenstrand. Nacht. Fortwährender Sturm.

 

FAUST auf einem Felsen sitzend.

Der starke Görg hat meiner Nacht

Auch keinen Funken Trost gebracht.

Nach dem, was er so kalt entbehrt,

Hat er mein Sehnen nur vermehrt.

Wohlan, mein Herz! in dieser Stunde

Will ich in dein Geheimnis schauen

Und greifen tiefst in deine Wunde;

Halt fest und duld es ohne Grauen!

Auf diesem Fels, in Sturmesmitten,

Werd ichs entsetzlich nun gewahr,

Wie ich der Lieb und Heimat bar,

So ganz allein und abgeschnitten.

Die Welle, die der Sturm bewegt,

Die schäumend an die Klippe schlägt,

Der Wind, der heulend Wälder splittert,

Der Blitz, der durch den Himmel zittert, –

Mehr Heimat haben sie und Ruh,

Mein einsam Herz, als du!

Ich habe Gottes mich entschlagen

Und der Natur, in stolzem Hassen,

Mich in mir selbst wollt ich zusammenfassen;

O Wahn! ich kann es nicht ertragen.

Mein Ich, das hohle, finstre, karge,

Umschauert mich gleich einem Sarge.

Im Starrkrampf wilder Eigensucht

Warf mich der Teufel in die Schlucht.

Lebendig in den Grabesfinsternissen,

Hab ich, erwacht, die Augen aufgerissen,

Und ich begann mit unermeßnen Klagen

Mich selber anzunagen.

Ich habe nun gesprengt die dumpfe Haft,

Mit doppelt heißer Leidenschaft

Streck ich die Arme wieder aus

Nach Gott und Welt aus meinem Totenhaus.

Nach Gott? – doch nein! – der Kummer ist es nur:

Könnt ich vergessen, daß ich Kreatur!

Ein unersättliches Verlangen

Ist meinem Innern aufgegangen;

Erst wars ein glühendes Entbrennen,

Die Welt zu fassen im Erkennen;

Nun würde mir, geschöpft in vollsten Zügen,

Erkenntnis nimmermehr genügen.

Wenn ich die Welt auch denken lerne,

So bleibt sie fremd doch meinem Kerne,

In Einzelwesen kalt zertrümmert,

Wo keines sich des andern kümmert.

Solang ein Kuß auf Erden glüht,

Der nicht durch meine Seele sprüht,

Solang ein Schmerz auf Erden klagt,

Der nicht an meinem Herzen nagt,

Solang ich nicht allwaltend bin,

Wär ich viel lieber ganz dahin. –

Ha! wie das Meer tobt himmelwärts

Und widerhallt in dir, o Herz!

Ich fühls, es ist derselbe Drang,

Der hier in meinem Herzen lebt,

Und der die Flut zum Himmel hebt:

Die Sehnsucht nach dem Untergang;

Es ist das ungeduldge Zanken,

Hindurchzubrechen alle Schranken,

Im freudevollen Todesfalle

Zusammzustürzen alle – alle! –

O greife weiter, weiter, Sturm,

Und nimm auf deine starken Schwingen

Den höchsten Stern, den tiefsten Wurm,

Uns endlich alle heimzubringen!

Wie hier der Sturm die Flut aufwühlt,

So rührt er mir die Seele auf,

Daß sich Vergeßnes wiederfühlt,

Aus meiner Jugend frühstem Lauf.

Als ich ein irischer Knabe war

Und einst dem Priester am Altar

Die Meß bedient als Ministrant,

In seine Formeln stimmend ein

Mit unverstandenem Latein,

Das von den Lippen mir gerannt,

Wie's Bächlein übern Kiesel geht,

Der vom Gemurmel nichts versteht,

Als ich das Glöcklein schellt und lustig schwenkte

Das rauchende Thuribulum:

Da schien dem Knaben plötzlich alles krumm,

Mein Herz ein stolzer Ärger kränkte,

Daß ich dem Gottesbild zu Füßen

Hab knien und opferrauchen müssen,

Mir schiens an meinem Werte Spott,

Daß ich nicht lieber selbst ein Gott.

Was noch als Irrlicht, flüchtig, leicht,

Dem Knaben durch die Seele streicht,

Kehrt in die Brust des Manns einmal

Plötzlich zurück als Wetterstrahl.

O welche Qual in dem Gedanken:

Daß die Geschaffnen, Schlingepflanzen,

Den Urstamm ihres Gotts umtanzen,

Von ihm getragen aufwärts ranken!

Betracht ichs scharfen Angesichts,

Ist solch ein Los im Grunde nichts,

Das Schlinggewächs ist Gaukelschein,

Bestand und Kraft der Stamm allein.

Woher ist mir der Stolz gekommen?

Geschöpfen kann nur Demut frommen;

Doch ist mir Stolz ins Mark gefressen.

Abhängigkeit, den Sklavenring,

Der diesseits ehern mich umfing,

Soll ich ihn jenseits nicht vergessen?

Mit ihm all die Entwicklungstreppen

Der Ewigkeit hinan mich schleppen?

Ha! lieber soll mein stolzer Geist,

Der Gott zu sein mich wünschen heißt,

Mit meinem Leib zugleich versiechen

Und sich als Grabgewürm verkriechen

Und, dringt er je aus meiner Gruft,

Als fauler Dunst verfahren in die Luft.