Flegeljahre

Jean Paul

Flegeljahre

 

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Jean Paul

Flegeljahre

Eine Biographie

 

 

Erstes Bändchen

 

Nr. 1. Bleiglanz

Testament – das Weinhaus

Solange Haßlau eine Residenz ist, wußte man sich nicht zu erinnern, daß man darin auf etwas mit solcher Neugier gewartet hätte – die Geburt des Erbprinzen ausgenommen – als auf die Eröffnung des van der Kabelschen Testaments. – Van der Kabel konnte der Haßlauer Krösus – und sein Leben eine Münzbelustigung heißen oder eine Goldwäsche unter einem goldnen Regen oder wie sonst der Witz wollte. Sieben noch lebende weitläuftige Anverwandte von sieben verstorbenen weitläuftigen Anverwandten Kabels machten sich zwar einige Hoffnung auf Plätze im Vermächtnis, weil der Krösus ihnen geschworen, ihrer da zu gedenken; aber die Hoffnungen blieben zu matt, weil man ihm nicht sonderlich trauen wollte, da er nicht nur so mürrisch-sittlich und uneigennützig überall wirtschaftete – in der Sittlichkeit aber waren die sieben Anverwandten noch Anfänger – sondern auch immer so spöttisch dareingriff und mit einem solchen Herzen voll Streiche und Fallstricke, daß sich auf ihn nicht fußen ließ: Das fortstrahlende Lächeln um seine Schläfe und Wulstlippen und die höhnische Fistelstimme schwächten den guten Eindruck, den sein edel gebautes Gesicht und ein Paar große Hände, aus denen jeden Tag Neujahrsgeschenke und Benefiz-Komödien und Gratiale fielen, hätten machen können; deswegen gab das Zuggevögel den Mann, diesen lebendigen Vogelbeerbaum, worauf es aß und nistete, für eine heimliche Schneuß aus und konnte die sichtbaren Beeren vor unsichtbaren Haarschlingen kaum sehen.

Zwischen zwei Schlagflüssen hatt' er sein Testament aufgesetzt und dem Magistrate anvertraut. Noch als er den Depositionsschein den sieben Präsumtiv-Erben halbsterbend übergab: sagt' er mit altem Tone, er wolle nicht hoffen, daß dieses Zeichen seines Ablebens gesetzte Männer niederschlage, die er sich viel lieber als lachende Erben denke denn als weinende; und nur einer davon, der kalte Ironiker, der Polizei-Inspektor Harprecht, erwiderte dem warmen: ihr sämtlicher Anteil an einem solchen Verluste stehe wohl nicht in ihrer Gewalt.

Endlich erschienen die sieben Erben mit ihrem Depositionsschein auf dem Rathause, namentlich der Kirchenrat Glanz, der Polizei-Inspektor, der Hofagent Neupeter, der Hoffiskal Knoll, der Buchhändler Paßvogel, der Frühprediger Flachs und Flitte aus Elsaß. Sie drangen bei dem Magistrate auf die vom sel. Kabel insinuierte Charte und die Öffnung des Testaments ordentlich und geziemend. Der Ober-Exekutor des letztern war der regierende Bürgermeister selber, die Unter-Exekutores der restierende Stadt-Rat. Sofort wurden Charte und Testament aus der Rats-Kammer vorgeholt in die Ratsstube – sämtlichen Rats- und Erbherrn herumgezeigt, damit sie das darauf bedruckte Stadt-Sekret besähen – die auf die Charte geschriebene Insinuations-Registratur vom Stadtschreiber den sieben Erben laut vorgelesen und ihnen dadurch bekannt gemacht, daß der Selige die Charte dem Magistrate wirklich insinuiert und scrinio rei publicae anvertraut, und daß er am Tage der Insinuation noch vernünftig gewesen – endlich wurden die sieben Siegel, die er selber darauf gesetzt, ganz befunden. Jetzt konnte das Testament nachdem der Stadtschreiber wieder über dieses alles eine kurze Registratur abgefasset – in Gottes Namen aufgemacht und vom regierenden Bürgermeister so vorgelesen werden, wie folgt:

 

Ich van der Kabel testiere 179* den 7. Mai hier in meinem Hause in Haßlau in der Hundsgasse ohne viele Millionen Worte, ob ich gleich ein deutscher Notarius und ein holländischer Dominé gewesen. Doch glaub' ich, werd' ich in der Notariatskunst noch so zu Hause sein, daß ich als ordentlicher Testator und Erblasser auftreten kann.

Testatoren stellen die bewegenden Ursachen ihrer Testamente voran. Diese sind bei mir, wie gewöhnlich, der selige Hintritt und die Verlassenschaft, welche von vielen gewünscht wird. Über Begraben und dergleichen zu reden, ist zu weich und dumm. Das aber, als was Ich übrigbleibe, setze die ewige Sonne droben in einen ihrer grünen Frühlinge, in keinen düstern Winter.

Die milden Gestifte, nach denen Notarien zu fragen haben, mach' ich so, daß ich für dreitausend hiesige Stadtarme jeder Stände ebenso viele leichte Gulden aussetze, wofür sie an meinem Todestage im künftigen Jahre auf der Gemeinhut, wenn nicht gerade das Revue-Lager da steht, ihres aufschlagen und beziehen, das Geld froh verspeisen und dann in die Zelte sich kleiden können. Auch vermach' ich allen Schulmeistern unsers Fürstentums, dem Mann einen Augustd'or, so wie hiesiger Judenschaft meinen Kirchenstand in der Hofkirche. Da ich mein Testament in Klauseln eingeteilt haben will, so ist diese die erste.

 

2te Klausel

 

Allgemein wird Erbsatzung und Enterbung unter die wesentlichsten Testamentsstücke gezählt. Demzufolge vermach' ich denn dem Hrn. Kirchenrat Glanz, dem Hrn. Hoffiskal Knoll, dem Hrn. Hofagent Peter Neupeter, dem Hrn. Polizei-Inspektor Harprecht, dem Hrn. Frühprediger Flachs und dem Hrn. Hofbuchhändler Paßvogel und Hrn. Flitten vor der Hand nichts, weniger weil ihnen als den weitläuftigsten Anverwandten keine Trebellianica gebührt, oder weil die meisten selber genug zu vererben haben, als weil ich aus ihrem eigenen Munde weiß, daß sie meine geringe Person lieber haben als mein großes Vermögen, bei welcher ich sie denn lasse, so wenig auch an ihr zu holen ist. –

Sieben lange Gesichtslängen fuhren hier wie Siebenschläfer auf. Am meisten fand sich der Kirchenrat, ein noch junger, aber durch gesprochene und gedruckte Kanzelreden in ganz Deutschland berühmter Mann, durch solche Stiche beleidigt – dem Elsasser Flitte entging im Sessionszimmer ein leicht geschnalzter Fluch – Flachsen, dem Frühprediger, wuchs das Kinn zu einem Bart abwärts – mehrere leise Stoß-Nachrufe an den seligen Kabel, mit Namen Schubjack, Narr, Unchrist usw., konnte der Stadtrat hören. Aber der regierende Bürgermeister Kuhnold winkte mit der Hand, der Hoffiskal und der Buchhändler spannten alle Spring- und Schlagfedern an ihren Gesichtern wie an Fallen wieder an, und jener las fort, obwohl mit erzwungenem Ernste:

 

3te Klausel

 

Ausgenommen gegenwärtiges Haus in der Hundsgasse, als welches nach dieser meiner dritten Klausel ganz so, wie es steht und geht, demjenigen von meinen sieben genannten Hrn. Anverwandten anfallen und zugehören soll, welcher in einer halben Stunde (von der Vorlesung der Klausel an gerechnet) früher als die übrigen sechs Nebenbuhler eine oder ein paar Tränen über mich, seinen dahingegangenen Onkel, vergießen kann vor einem löblichen Magistrate, der es protokolliert.