Und einen sehr guten Ausspruch hab' ich ganz vergessen, weil ich meine Augen zu sehr auf seine richtete. Ja da war die Welt ringsumher voll Zauberspiegel gestellt, und überall stand eine Sonne, und auf der Erde gab es für mich keine Schmerzen als die seiner lieben Augen. Liebe Goldine, ich machte auf der Stelle, so begeistert war ich, den Polymeter: ›Doppelte Sterne erscheinen am Himmel als einer, aber o Einziger, du zergehest in einen ganzen Himmel voll Sterne.‹ Dann nahm er meine Hand mit seiner sehr weichen, zarten, und ich mußte ihm unser Dorf zeigen; da sagt' ich kühn den Polymeter: ›Sehet, wie sich alles schön verkehrt, die Sonne folgt der Sonnenblume.‹ Da sagt' er, das tue nur Gott gegen die Menschen, der sich mehr ihnen zuwende als sie ihm. Darauf ermunterte er mich zur Poesie, scherzte aber artig über ein gewisses Feuer, was ich mir auch morgen abgewöhne; Gefühle, sagt' er, sind Sterne, die bloß bei hellem Himmel leiten, aber die Vernunft ist eine Magnetnadel, die das Schiff noch ferner führt, wenn jene auch verborgen sind und nicht mehr leuchten. So mag gewiß der letzte Satz geheißen haben; denn ich hörte nur den ersten, weil es mich erschreckte, daß er an den Wagen ging und scheiden wollte.
Da sah er mich sehr freundlich an, gleichsam zum Troste, daß mir war, als klängen aus den Abendröten Flötentöne.«
»Ich blies in die Röten hinein«, sagte Vult, war aber etwas bewegt.
»Ja endlich, glaubt mirs, Eltern, drückt' er mich an seine Brust und an den lieblichen Mund, und der Wagen rollte mit dem Himmlischen dahin.«
»Und«, fragte der alte Lukas, der bisher, zumal wegen Platos vornehmen Amtsnamen, jede Minute gewärtig gewesen, daß der Sohn einen beträchtlichen Beutel vorzöge, den ihm der große Mann in die Hand gedrückt, »er ist weggefahren und hat dir keinen Pfennig geschenkt?« – »O wie denn das, Vater?« fragte Walt. »Ihr kennt ja sein weiches Gemüt«, sagte die Mutter. »Ich kenne diesen Skribenten nicht«, sagte der Pfalzgraf; »aber ich dächte, statt solcher leerer Historien, die zu nichts führen, fingen wir einmal das Examen an, das ich anstellen muß, eh' ich jemand zum Notarius kreieren will.«
»Hier steh' ich«, sagte Walt, im Schanzlooper hin-und von Goldinen wegfahrend, deren Hand er für ihre Teilnahme an seiner Seligkeit öffentlich genommen hatte.
Nr. 8. Koboldblüte
Das Notariatsexamen
»Wie heißet Herr Notariand?« fing Knoll an – Alles war nämlich so, erstlich, daß Knoll als ein zusammengewachsenes, verknöchertes Revolutionstribunal das Vorhängschloß des Pfeifen-Kopfes am eignen hatte und zu allem saß – ferner, daß Lukas seinen auf zwei Ellenbogen wie auf Karyatiden gestützten Kopf auf den Tisch setzte, jeder Frage nachsinnend, eine Stellung, die seine matten grauen Augen und sein blutloses Gelehrtengesicht, zumal unter dem Leichenpuder auf der gebräunten Haut, sehr ins nahe Licht setzte, so wie seinen ewigen regnerischen Feldzug gegen das Geschick – ferner, daß Veronika dicht neben dem Sohne, mit den Händen auf dem Magen betend, stand und das stille Weiberauge, das in die närrischen Arbeits-Logen der Männer dringen will, zwischen Examinator und Examinanden hin und wieder gleiten ließ – und zuletzt, daß Vult mit seinen leisen Flüchen zwischen den unreifen Pelzäpfeln saß und neben ihm – da ja alle Leser durch ein Fenster in die Stube sehen – auf den benachbarten Ästen sämtliche 10 deutsche Reichs- und Lese-Kreise oder Lesezirkel; so viele tausend Leser und Seelen von jedem Stande, was in dieser Zusammenstellung auf dem Baume lächerlich genug wird. – – Alles ist in der größten Erwartung über den Ablauf des Examens, Knoll in der allergrößten, weil er nicht wußte, ob nicht vielleicht manche mögliche Ignoranzen den Notariandus nach den geheimen Artikeln des Testaments auf mehrere Monate zurückschöben oder sonst beschädigten.
»Wie heißet Hr. Notariand?« fing er bekanntlich an.
»Peter Gottwalt«, versetzte der sonst blöde Walt auffallend frei und laut. – Der geliebte entflogne Göttermensch hob noch seine Brust; nach einem solchen Anblicke werden, wie in der ersten Liebe, uns alle Menschen zwar näher und lieber, aber kleiner. Er dachte mehr an Plato als an Knoll und sich und träumte sich bloß in die Stunde, wo er recht lange darüber mit Goldinen sprechen könnte. »Peter Gottwalt«, hatt' er geantwortet.
»›Harnisch‹ muß noch bei«, sagte sein Vater.
»Dessen selben Eltern und Wohnort?« fragte Knoll –
Walt hatte die besten Antworten bei der Hand.
»Ist Hr. Harnisch ehelich geboren?« fragte Knoll –
Gottwalt konnte schamhaft nicht antworten. »Das Taufzeugnis ist gelöset«, sagte der Schulz. »Es ist nur um Ordnung willen«, sagte Knoll und fragte weiter:
»Wie alt?«
»So alt als mein Bruder Vult (sagte Walt), vierundzwanzig« –
»Jahre nämlich«, sagte der Vater.
»Was Religion? – Wo studiert? usw.«
Gute Antworten fehlten nicht.
»Wen hat Hr. Harnisch von den Kontrakten gelesen? – Wie viele Personen sind zu einem Gerichte erforderlich? – Wieviel wesentliche Stücke gehören zu einem ordentlichen Prozesse?« Der Notariand nannte sehr nötige, schlug aber die Ungehorsams-Beschuldigung nicht an. »Nein, Herr, 13 sinds schon nach Beieri Volkmanno emendato«, sagte der Pfalzgraf heftig.
»Hat man Kaiser Maximilians Notariats-Ordnung von anno 1512 zu Cöln aufgerichtet nicht nur oft, sondern auch recht gelesen?« fragt' er weiter.
»Sauberer und eigenhändiger konnte mans ihm nicht abschreiben als ich, Hr. Hofpfalzgraf!« sagte der Schulz.
»Was sind Lytae?« fragte Knoll.
»Lytae oder litones oder Leute (antwortete freudig Walt, und Knoll rauchte ruhig zu seiner Vermengung fort) waren bei den alten Sachsen Knechte, die noch ein Drittel Eigentum besaßen und daher Kontrakte schließen konnten.«
»Eine Zitation dazu!« sagte der Pfalzgraf.
»Möser«, versetzte Walt.
»Sehr wohl«, antwortete der Fiskal spät und rückte die Pfeife in die Ecke des formlosen Mundes, der nun einer aufgeschlitzten Wunde glich, die man ihm ins Siberien des Lebens mitgegeben, »sehr wohl! Aber lytae sind sehr verschieden von litonibus; lytae sind die jungen Juristen, die zu Justinianus' Zeiten im vierten Jahre ihres Kurses den Rest der Pandekten absolvierten4; und die Antwort war eine Ignoranz.«
Gottwalt antwortete gutmütig: »Wahrhaftig, das hab' ich nicht gewußt.«
»So wird man wohl auch nicht wissen, was auf den Strümpfen, die der Kaiser bei der Krönung in Frankfurt anhat, steht?« – »Ein Zwickel, Gottwalt«, soufflierte hinter ihm Goldine. »Natürlich«, fuhr Knoll fort; »Hr. Tychsen hat es uns folgendergestalt ins Deutsche übersetzt aus dem arabischen Texte: ›ein prächtiges königliches Strumpfband.‹« – Darüber, über den Text und Übersetzer der Strümpfe, fuhr das Mädchen in ein freies Gelächter aus; aber Vater und Sohn nickten ehrerbietig.
Unmittelbar nachdem Walt aus der durchlöcherten Fischwaage des Examens blöde und stumm gestiegen war, ging der Pfalzgraf ans Kreieren. Er sprach mit der Pfeife und auf dem Sessel Walten den Notariats-Eid auswendig zum Erstaunen aller vor; und Walt sagte ihn mit gerührter Stimme nach. Der Vater nahm die Mütze ab; Goldine hielt ihre Strumpfwirkerei innen. Der erste Eid macht den Menschen ernst; denn der Meineid ist die Sünde gegen den Hl. Geist, weil er mit der höchsten Besonnenheit und Frechheit ganz dicht vor dem Throne des moralischen Gesetzes begangen wird.
Jetzt wurde der Notarius bis auf das letzte Glied, auf die Fersen gar ausgeschaffen. Dinte, Feder und Papier wurden ihm von Knollen überreicht und dabei gesagt, man investiere ihn hiemit. Ein goldner Ring wurde seinem Finger angesteckt und sogleich wieder abgezogen. Endlich brachte der Comes palatinus ein rundes Käppchen (Barettlein hieß ers) aus der Tasche und setzte es dem Notarius mit dem Beifügen auf den Kopf, ebenso ohne Falten und rund sollen seine Notarien-Händel sein.
Goldine rief ihm zu, sich umzudrehen; er drehte ihr und Vulten ein Paar große blaue unschuldige Augen zu, eine hochgewölbte Stirne und ein einfaches beseeltes durchsichtiges, mehr von der innern als von der äußern Welt ausgebildetes Gesicht mit einem feinen Munde, welches auf einem etwas schiefen Torso stand, der wieder seinerseits auf eingeklappten Knie-Winkeln ruhte; aber Goldinen kam er lächerlich und dem Bruder wie ein rührendes Lustspiel vor und im Schanzlooper wie ein Meistersänger aus Nürnberg. Noch wurd' sein Notariatssignet und das in Haßlau verfaßte Diplom dieser Würde übergeben; – und so hatte Knoll in seiner Glashütte mit seiner Pfeife den Notarius fertig und rund geblasen – oder bloß in einer andern Metapher, er brachte aus dem Backofen einen ausgebacknen offnen geschwornen Notarius auf der Schaufel heraus.
Hierauf ging dieser zum Vater und sagte gerührt mit Händedrücken: »Wahrhaftig, Vater, Ihr sollet sehen, welche Wogen auch.....« Mehr konnt' er nicht vor Rührung oder Bescheidenheit sagen.
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