– Aber nun nach zwei Jahren, allgütiger Gott! – Wenigstens malen wollen wir uns heute die glänzende Zeit, wo alle hier frei und freudig leben, und ich nichts von allem brauche und wünsche, weil ich zu glücklich auf zwei alten heiligen Höhen wohne, auf der Kanzel und dem Musenberg« – »Du sollst dann auch«, sagte Lukas, »streckversen den ganzen Tag, weil du doch ein Narr darauf bist, wie dein Vater aufs Jus.« – »Jetzt aber werd' ich sehr aufmerksam«, sagte Walt, »das Notarienwesen treiben, besonders da ich es als mein erstes vorgeschriebenes Erbamt versehe; das Advozieren kann nun wohl wegbleiben.«

»Seht ihr«, rief die Mutter, »er will nur wieder recht über seine langen Verse her, denn er hats ja vorhin so gotteslästerlich beschworen – ich hab' es nicht vergessen, Walt!«

»So wollt' ich doch, daß Donner und Teufel«, rief Lukas, der rein-froh sein wollte, »muß man denn aus jedem Turmknopf einen Nadelknopf machen wie du?« Er wollte gerade das Umgekehrte vorbringen. Er zog den Ehemannsvexierzug: »Schweig!« Sie tats immer sogleich, wiewohl mit dem Entschluß, etwas später erst recht anzufangen.

Man schritt zur Abendtafel, wie man dastand, Walt im Schanzlooper, obgleich in der Heuernte, weil er sein Nanking-Röckchen schonte. Goldinens Freudenwein war mit vielen Tränen über die Trennung des Morgens gewässert. Der Notar war unendlich entzückt über die Entzückung des Vaters, welcher allmählich, da er sie ein wenig verdauet hatte, nun milder wurde und anfing, mit Tranchiermesser und Gabel der noch fliegenden gebratenen Taube der Erbschaft entgegenzugehen und dem Sohne zum erstenmal in seinem Leben zu sagen: »Du bist mein Glück.« So lange verharrte Vult auf dem Baume. Als aber die Mutter nun erst die ausführlichen Berichte Schomakers über den Flötenspieler um ihr warmes Herz versammlen wollte, stieg er, um nichts zu hören, weil ihm der Tadel bitterer war als das Lob süß, vom Baume herunter, schon beglückt genug durch den Bruder, dessen Unschuld und Dichtkunst ihn so liebend-eng umstrickten, daß er gern die Nacht im Abendrot ersäuft hätte, um nur den Tag zu haben und den Poeten an der Brust.

Nr. 12. Unechte Wendeltreppe

 

Reiterstück

 

Früh am betaueten blauen Morgen stand der Notar schon unter der Haustüre reit- und reisefertig. Er hatte statt des Schanzloopers den guten gelben Sommer-und Frühlings-Rock von Nanking am Leibe, weil er als Universalerbe mehr aufwenden konnte, einen runden weißen braungeflammten Hut auf dem Kopf, die Reitgerte in der Hand und Kindestränen in den Augen. Der Schulz rief halt, sprang zurück und sogleich wieder her mit Kaiser Maximilians Notariatsordnung, die er ihm in die Tasche steckte. Drüben vor dem Wirtshause stand der knappe flinke Student Vult im grünen Reisehut und der Wirt, welcher der Familien-Antichrist und ein Linker war. Das Dorf wußte alles und paßte. Es war des Universalerben erster Ritt in seinem Leben. Veronika – die ihm den ganzen Morgen Lebensregeln für Eröffnung und Erfüllung des Testaments vorgezeichnet hatte – zerrete den Schimmel am langen Zügel aus dem Stall. Walt sollte hinauf.

Über den Ritt und Gaul wurde von der Welt schon viel gesprochen – mehr als ein Elterleiner versuchte davon ein leidliches Reiterstück zu geben, lieferte aber freilich mehr die rohen Farbhölzer auf die Leinwand als deren feinsten Absud – auch ist das mein erstes Tierstück von Belang, das ich in die Gänge dieses Werks aufhänge und festmache – –: ich werde demnach einige Mühe daran wenden und die größte Wahrheit und Pracht.

In der Apokalypsis stand so lang ein alter verschimmelter Schimmel, bis ihn der Fleischer bestieg und aus ihr in die Zeit herüberritt. Der poetische Lenz liegt weit hinter dem Gaul, wo er eignes Fleisch statt des fremden trug und mit eignen Haaren den Sattel auspolsterte; er hat das Leben und den Menschen dieses reitende Folterpferd der wunden Natur – zu lange getragen. Der aus zitternden Fühlfaden gesponnene Notar, der den Tag vorher im Stalle um dessen Keilschrift der Zeit, um die Stigmen von Sporen, Sattel und Stangengebiß, herumging, hätte für Geld keinen Finger in die Narben legen können, geschweige am Tage darauf die Knuten-Schneide oder den Sporendolch. Hätte doch der Himmel dem Konföderations-Tiere des Menschen nur irgendeinen Schmerzenslaut beschert, damit der Mensch, dem das Herz nur in den Ohren sitzt, sich seiner erbarmte. Jeder Tierwärter ist der Plagegeist seines Tiers; indes er gegen ein anderes, z.B. der Jäger gegen das Pferd, der Fuhrmann gegen den Jagdhund, der Offizier gegen Leute außer dem Soldatenstande, ein wahres weichwolliges Lamm ist.

Dieser Schimmel betrat am Morgen die Bühne. Der Notar hatte den Tag vorher den Gaul an eine seiner Gehirnwände festgebunden und – wie die rechte Seite des Konvents und des Rheins – sich immer die linke vorgestellt, um daran aufzusteigen; – in alle Stellungen hatt' er in seinen vier Gehirnkammern das Schulroß gedreht, geschwind es links bestiegen und so sich selber völlig zugeritten für den Gaul. Dieser wurde gebracht und gewandt. Gottwalts Auge blieb fest an den linken Steigbügel gepicht – aber sein Ich wurd' ihm unter den Händen zu groß für sein Ich – seine Tränen zu dunkel für sein Auge – er besteige, merkt' er, mehr einen Thron als einen Sattel – die linke Roßseite hielt er noch fest; nur kam jetzt die neue Aufgabe, wie er die eigne linke so damit verknüpfen könnte, daß beide die Gesichter vorwärts kehrten. –

Wozu die teuflische Qual! Er probierte, wie ein preußischer Kavallerist, rechts aufzuspringen. Pfiffen Leute wie Vult und der Wirt seine Probe aus, so zeigten sie weiter nichts, als daß sie nie gesehen hatten, wie emsig preußische Kavalleristen auf dem rechten Bügel aufsitzen lernen, um gesattelt zu sein, falls einmal der linke entzweigeschossen wird.

Auf dem Sattel hatte nun Walt als Selbst-Quartiermeister das seinige zu tun, alles zu setzen – sich gerade und sattelfest –, auszubreiten – die Finger in die Zügel, die Rockschöße über den Pferderücken –, einzuschichten – die Stiefel in die Steigeisen –; und anzufangen – den Abschied und Ausritt.

An letztern wollte der gesetzte Schimmel nicht gerne gehen. Walts delikates Rückwärtsschnalzen mit der Gerte war dem Gaule so viel, als wichse man ihn mit einem Pferde-Haar. Ein paar mütterliche Handschläge auf den Nacken nahm er für Streicheln. Endlich kehrte der Gerichtsmann eine Heugabel um und gab ihm mit dem Stiel auf den Hinterbacken einen schwachen Ritterschlag, um damit seinen Sohn als Reiter aus dem Dorfe in die Welt zu schicken, sowohl in die gelehrte als schöne. Das war dem Tier ein Wink, bis an den Bach vorzuschreiten; hier stand es vor dem Bilde des Reiters fest, kredenzte den Spiegel, und als der Notar droben mit unsäglicher Systole und Diastole der Füße und Bügel arbeitete, weil das halbe Dorf lachte, und der Wirt ohnehin, glaubte der Harttraber seinen Irrtum des Stehens einzusehen, und trug Walten von der Tränke wieder vor die Stalltüre hin, stört' aber die Rührungen des Reiters bedeutend.

»Wart nur!« sagte, ins Haus laufend, der Vater, kam wieder und langte ihm eine Büchsenkugel zu: »Setz ihm die ins Ohr«, sagt er, »so will ich kavieren, er zieht aus, weil doch das Blei die Bestie kühlen muß, glaub' ich.«

Kaum war das Rennpferd, wie ein Geschütz, mit dem Kopf gegen das Tor gerichtet und das Ohr mit der Schnellkugel geladen: so fuhr es durchs Tor und davon; – und durch das mit Augen bestellte Dorf und vor des Kandidaten Glückwunsch flog der Notarius vorüber, oben sitzend, mit dem Gießbuckel des ersten Versuchs, als ein gebogenes Komma. »Weg ist er!« sagte Lukas und ging zu den Heuschobern hinaus. Still wischte die Mutter mit der Schürze das Auge und fragte den Großknecht, worauf er noch warte und gaffe.