Ich meine aber weiter nichts als soviel: daß das Publikum z.B. einen Maler sehr gut bezahlt und rekommandiert, der aber etwan mit dem linken Fuße pinselte – oder einen Hornisten, der aber mit der Nase bliese – desgleichen einen Harfenierer, der mit beiden Zahnreihen griffe – auch einen Poeten, der Verse machte, aber im Schlafe – und so demnach auch in etwas einen Flautotraversisten, der sonst gut pfiffe, aber doch den zweiten Vorzug Dulons hätte, stockblind zu sein. – Ich sagte noch Metastasen, nämlich musikalische. Ich gab einmal einem Fagottisten und einem Bratschisten, die zusammen reiseten, den Rat, ihr Glück dadurch zu machen, daß der Fagottist sich auf dem Zettel anheischig machte, auf dem Fagott etwas Bratschen-Gleiches zu geben, und der andere, auf der Bratsche so etwas vom Fagott. Ihr machts nur so, sagt' ich, daß ihr euch ein finsteres Zimmer wie die Mundharmoniker oder Lolli bedingt; da spiele denn jeder sein Instrument und geb' es für das fremde, so wie jener ein Pferd, das er mit dem Schwanze an die Krippe gebunden, als eine besondere Merkwürdigkeit sehen ließ, die den Kopf hinten trage. Ich weiß aber nicht, ob sie es getan.«

Flora ging; und Vult fragte ihn, was er mit der Türschließerei und dem Latein gewollt.

Gottwalt umarmte ihn erst recht als Bruder und sagte dann, er sei nun so, daß er sich schäme und quäle, wenn er eine Schönheit wie Flora in die knechtischen Verhältnisse der Arbeit gestürzt und vergraben sehe; eine niedrig hantierende Schönheit sei ihm eine welsche Madonna mitten auf einem niederländischen Gemälde. – »Oder jener Correggio, den man in Schweden an die königlichen Stallfenster annagelte als Stall-Gardine«9, sagte Vult; »aber erzähle das Testament!«

Walt tats und vergaß etwan ein Drittel: »Seit die poetischen Äthermühlflügel, die du Mühlenbaumeister angegeben, sich vor mir auf ihren Höhen regen, ist mir die Testaments-Sache schon sehr unscheinbar geworden«, setzte er dazu. –

»Das ist mir gar nicht recht«, versetzte Vult. »Ich habe den ganzen heutigen Nachmittag auf eine ennuyante Weise lange schwere Dollonds und Reflektors gehalten, um die Hrn. Akzessit-Erben von weitem zu sehen – so die meisten davon verdienen den Galgenstrang als Nabelschnur der zweiten Welt. Du bekommst wahrlich schwere Aufgaben durch sie.« – Walt sah sehr ernsthaft aus. – »Denn«, fuhr jener lustiger fort, »erwägt man dein liebliches Nein und Addio, als Flora vorhin nach Befehlen fragte, und ihr belvedere, d.h. ihre bellevue von schönem Gesicht und dazu das enterbte Diebs- und Siebengestirn, das dir vielleicht bloß wegen der Klausel, die dich um ein Sechstel puncto sexti zu strafen droht, eine Flora so nahe mag hergesetzt haben, die zu deflorieren« – – –

»Bruder!« unterbrach ihn der zorn- und schamrote Jüngling und hoffte, eine ironische Frage zu tun, »ist das die Sprache eines Weltmanus wie du?« – »Auch wollt' ich effleurer sagen statt déflorer«, sagte Vult. »O, reiner starker Freund, die Poesie ist ja doch ein Paar Schlittschuh, womit man auf dem glatten reinen kristallenen Boden des Ideals leicht fliegt, aber miserabel forthumpelt auf gemeiner Gasse.« Er brach ab und fragte nach der Ursache, warum er ihn vorhin so traurend gefunden. Walt, jetzt zu verschämt, sein Sehnen zu bekennen, sagte bloß, wie es gestern so schön gewesen und wie immer, so wie in andere Feste Krankheiten10fallen, so in die heiligsten der Menschen Schmerzen, und wie ihm das Augen-Übel in der Zeitung wehe getan, das er noch nicht recht verstehe.

Vult entdeckt' ihm den Plan, daß er nämlich vorhabe, so gesund auch sein Auge sei, es jeden Markttag im Wochenblatt für kränker und zuletzt für stockblind auszurufen und als ein blinder Mann ein Flötenkonzert zu geben, das ebenso viele Zuschauer als Zuhörer anziehe. »Ich sehe«, sagte Vult, »du willst jetzt auf die Kanzeltreppe hinauf; aber predige nicht; die Menschen verdienen Betrug – Gegen dich hingegen bin ich rein und offen, und deine Liebe gegen den Menschen lieb' ich etwas mehr als den Menschen selber.« – »O wie darf denn ein Mensch so stolz sein und sich für den einzigen halten, dem allein die volle Wahrheit zufließe?« fragte Walt – »Einen Menschen«, versetzte Vult, »muß jeder, der auf den Rest Dampf und Nebel loslässet, besitzen, einen Auserwählten, vor dem er Panzer und Brust aufmacht und sagt: guck hinein. Der Glückliche bist nun du; bloß weil du – soviel du auch, merk' ich, Welt hast – doch im ganzen ein frommer, fester Geselle bist, ein reiner Dichter und dabei mein Bruder, ja Zwilling und – so laß es dabei!«

Walt wußte sich in keine Stelle so leicht und gut zu setzen als in die fremde; er sah der schönen Gestalt des Geliebten diese Sommersprossen und Hitzblattern des Reiselebens nach und glaubte, ein Schattenleben wie seines hätte Vulten diese vielfarbige moralische Nesselsucht gewiß erspart. Bis tief in die Nacht brachten beide sie mit friedlichen Entwürfen und Grenzrezessen ihres Doppelromans zu, und das ganze historische erste Viertel ihrer romantischen Himmelskugel stieg so hell am Horizonte empor, daß Walt den andern Tag weiter nichts brauchte als Stuhl und Dinte und Papier und anzufangen. Froh sah er dem morgenden Sonntag entgegen; der Flötenist aber jenem Abend, wo er, wie er sagte, wie ein Finke geblendet pfeife.

 

Nr. 16. Berggur

 

Sonntag eines Dichters

 

Walt setzte sich schon im Bette auf, als die Spitzen der Abendberge und der Türme dunkelrot vor der frühen Juli-Sonne standen, und verrichtete sein Morgengebet, worin er Gott für seine Zukunft dankte. Die Welt war noch leise, an den Gebürgen verlief das Nachtmeer still, ferne Entzückungen oder Paradiesvögel flogen stumm auf den Sonntag zu. Walt hätte sich gefürchtet, seine namenlose Wonne laut zu machen, wenns nicht vor Gott gewesen wäre. Er begann nun den Doppelroman. Es ist bekannt genug, daß unter allen Kapiteln keine seliger geschrieben werden (auch oft gelesen) als das erste und dann das letzte, gleichsam auch ein Sonntag und ein Sonnabend. Besonders erfrischt' es ihn, daß er nun einmal ohne allen juristischen Gewissensbiß auf dem Parnaß spazierengehen durfte und oben mit einer Muse spielen; indem er, hofft' er, gestern im juristischen Fache das Seinige gearbeitet, nämlich das Testament vernommen und erwogen. Da den Abend vorher war ausgemacht worden, daß der Held des Doppelromans einen langen Band hindurch sich nach nichts sehnen sollte als bloß nach einem Freunde, nicht nach einer Heldin: so ließ er ihn es zwei Stunden, oder im Buche selber so viele Jahre lang, wirklich tun; er selber aber sehnte sich auch mit und über die Maßen. Das Schmachten nach Freundschaft, dieser Doppelflöte des Lebens, holt' er ganz aus eigner Brust; denn der geliebte Bruder konnte ihm so wenig wie der geliebte Vater einen Freund ersparen.

Oft sprang er auf, beschauete den duftigen goldhellen Morgen, öffnete das Fenster und segnete die ganze frohe Welt, vom Mädchen am Springbrunnen an bis zur lustigen Schwalbe im blauen Himmel. So rückt die Bergluft der eignen Dichtung alle Wesen näher an das Herz des Dichters, und ihm, erhoben über das Leben, nähern die Lebendigen sich mehr, und das Größte in seiner Brust befreundete ihn mit dem Kleinsten in der fremden. Fremde Dichtungen hingegen erheben den Leser allein, aber den Boden und die Nachbarschaft nicht mit.

Allmählich ließ ihn der Sonntag mit seinem Schwalbengeschrei, Kirchengeläut, seinen Ladendiener-Klopfwerken und Nach-Walkmühlen an Sonntagsröcken in allen Korridoren schwer mehr sitzen; er sehnte sich nach einem und dem andern leibhaften Strahl der Morgensonne, von welcher ihm in seinem Abendstübchen nichts zu Gesichte kam als der Tag.