In der Tat trat auch der Held dieses Werkes, Peter Gottwalt, ans Licht.
Aber die Kreißende fuhr fort; der Vater hielt es für Pflicht und Vorsicht, das Bette dem Fürsten zuzuschieben, damit jeder sein Recht bekomme. »Höchstens gibts ein Mädchen«, sagte er, »oder was Gott will.« Es war keines, sondern das letztere; daher der Knabe nach des Kandidaten Schomakers Übersetzung den Namen des Bischofs von Karthago unter Geiserich, nämlich Quod Deus vult, oder Vult im Alltagswesen bekam.
Jetzt wurden in der Stube scharfe Markungen, Einhegungen und Teilungs-Traktate gemacht, Wiegen und alles wurde geschieden. Gottwalt schlief und wachte und trank als Linker, Vult als Rechter; späterhin, als beide ein wenig kriechen konnten, wurde Gottwalten, dem adeligen Sassen, das fürstliche Gebiet durch ein kleines Gitterwerk – das man bloß aus Hühner- und andern Ställen auszuheben brauchte – leicht zugesperrt; und ebenso sprang der wilde Vult hinter seinem Pfahlwerk, der dadurch fast das Ansehen eines auf- und ablaufenden Leoparden im Käfig gewann.
Erst mit langer Mühe und Strenge schaffte Veronika die lächerliche Ab- und Erbsonderung ab; denn der alte Lukas hatte, wie jeder Gelehrte, eine besondere Hartnäckigkeit der Meinungen und bei aller Ehrliebe steifen Kaltsinn gegen das Lächerlichwerden.
Bald wurde deutlich, daß wissenschaftliche Fächer künftig Gottwalts Fach sein würden; ohne alle elterliche Vorliebe war leicht zu bemerken, daß er weißlockig, dünnarmig, zartstämmig und, wenn er einen ganzen Sommer Schafhirtlein gewesen, noch schnee- und lilienweiß in solchem Grade war, daß der Vater sagte: einen Stiefel woll' er mit einem Eiweiß-Häutchen statt Pfundleder ebensogut besohlen, als den Jungen zum Bauersmann einrichten. Dabei hatte der Knabe ein so gläubiges, verschämtes, überzartes, frommes, gelehriges, träumerisches Wesen und war zugleich bis zum Lächerlichen so eckig und elastischaufspringend, daß zum Verdrusse des Vaters – der sich einen Juristen nachziehen wollte – jedermann im Dorfe, selber der Pfarrer, sagte, er müsse, wie Cäsar, der erste im Dorfe werden, nämlich der Pfarrer. Denn wie? – fragte man – Gottwalt, der blauäugige Blondin mit aschgrauem Haar und feiner Schneehaut – wie? dieser soll einmal ein Kriminalist werden und unter dem großen Triumphator Carpzov dienen, welcher bloß mit seinem Federmesser, wozu er das Themisschwert ausgeschliffen, an zwanzigtausend Mann niedergehauen? So schickt ihn doch, fuhr man fort, nur versuchsweise mit einem Gerichtssiegel zu einer blassen Witwe, die mit gefalteten Händen auf dem Sessel sitzt und die schwach und leise ihre Effekten anzeigt, und lasset ihn den Auftrag, unbehindert alle ihre alten Türen und Schränke und des Mannes letzte Andenken gerichtlich zu verpetschieren, vollziehen und seht zu, ob ers kann vor Herzklopfen und Mitleiden! –
Aber der jüngere Zwilling, Vult, sagte man in froherem Tone, der schwarzhaarige, pockennarbige, stämmige Spitzbube, der sich mit dem halben Dorfe rauft und immer umherstreift und ein wahres tragbares théâtre aux Italiens ist, das jede Physiognomie und Stimme nachspielt – dieser ist ein anderer Mensch, dem gebt Akten unter den Arm oder einen Schöppenstuhl unter den Steiß. Wenn Walt am Fastnachtstage in der tanzenden Schulstube den Kandidaten und dessen Geige mit dem Bäßlein unterstützte und mit nichts hüpfte als mit ungemein freudigen Blicken und mit dem Bogen: so sprang Vult zugleich allein tanzend und mit einer Groschenflöte im Maule herum und fand noch Zeit und Glieder zu vielem Schabernack – Sollen solche Talente nicht für das Jus benutzt werden, Herr Schulz? beschloß man – –
Sie sollens, sagt' er. Also Gottwalt wurde auf die Himmelsleiter gesetzt als zukünftiger Pfarrer und Konsistorialvogel; Vult aber mußte sich die Grubenleiter in die delphische Rechtshöhle zimmern, damit er ein juristischer Steiger würde, von welchem der Schultheiß alle Ausbeuten seiner Zukunft erwartete, und der ihn aus der giftigen Grube ziehen sollte, zugleich mit Gold- und Silber-Geäder umwunden, es sei nun, daß der Sohn Prozesse für ihn führte, oder schwere ihm ersparte, oder Gerichtshalter im Orte wurde, oder Regierungsrat, oder wie es etwa ginge, oder daß er ihm jeden Quatember viel schenkte.
Allein Vult hatte außerdem, daß er bei dem Schulmeister und Kandidaten Schomaker nichts lernen wollte, noch das Verdrüßliche an sich, daß er ewig blies auf einer Batzenflöte, und daß er sich im 14. Jahr bei der Kirms unten vor die spielende Flötenuhr des Schlosses hinstellte, um bei ihr als seiner ersten Lehrerin, wenn nicht Stunden zu nehmen, doch Viertelstunden. – Hier sollte Zeit sein, das Axiom einzuschichten, daß überhaupt die Menschen mehr in Viertelstunden als in Stunden gelernt. Kurz, an einem Tage, wo Lukas ihn in die Stadt und unter das Rekrutenmaß geführet (scheines- und ordnunghalber), lief er mit einem betrunkenen Musikus, der nur noch sein Instrument, aber nicht mehr sich und die Zunge regieren konnte, in die weite breite Welt hinein. Er blieb dann weg.
Jetzt mußte Gottwalt Peter daran, ans Jus. Aber er wollte auf keine Weise. Da er stets las – was das Volk beten heißet, wie Cicero religio von relegere, oft lesen, ableitet –, so lief er dem Dorfe schon als Pfarrherrlein durch die Finger, ja ein Metzger aus Tirol nannte ihn bald den Pfarrbuben, bald den Pfarrknecht3, weil er in der Tat ein kleiner Kaplan und Küster, nämlich dessen Koadjutorie war, insofern er die schwarze Bibel gern auf die Kanzel trug, das Kommunikantentüchlein am Altare den Oblaten und dem Kelche unterhielt, allein den Nachmittagsgottesdienst, wenn Schomaker sich nach Hause geschlichen, hinausorgelte und ein fleißiger Kirchengänger bei Wochentaufen war. Ja, sah abends der Pfarrer nach dem Studieren mit Mütze und Pfeife aus dem Fenster, so hofft' er nicht zurückzubleiben, wenn er sich mit einer leeren kalten Pfeife und weißen Mütze an seines legte, welche letztere dem Knabengesicht ein zu altväterisches Ansehen gab. Nahm er nicht einmal an einem Winterabend ein Gesangbuch unter den Arm und stattete, wie der Pfarrer, bei einer ihm ganz gleichgültigen, arthritischen, steinalten Schneidersfrau einen ordentlichen Krankenbesuch ab und fing an, aus dem Liede »O Ewigkeit, du Freudenwort« ihr vorzulesen? Und mußt' er nicht schon bei dem zweiten Verse den Aktus einstellen, weil ihn Tränen übermannten, nicht über die taube, trockne Frau, sondern über den Aktus?
Schomaker nahm sich seines Lieblings so sehr an, daß er eines Abends vor dem Gerichtsmann – »so hör' ich mich lieber nennen als Schulz«, sagte Lukas – frei erklärte, er glaubte, im geistlichen Stande komme man besser fort, besonders zarte Naturelle.
Da nun der Kandidat selber nichts geworden war als sein eignes Minus und seine eigne Vakanzstelle, so beantwortete der Gerichtsmann die Rede bloß mit einem höflichen Gemurmel und führte nur seine schimmlige Geschichte wieder auf, daß einmal ein juristischer Professor seine Studenten so angeredet habe: »Meine hochzuverehrende Herren Justizminister, Geheime Kabinettsräte, Wirkliche Geheime Räte, Präsidenten, Finanz-, Staats- und andere Räte und Syndikus, denn man weiß ja noch nicht, was aus Ihnen allen wird!« Er führte noch an, im Preußischen werde die Stunde eines Advokaten auf 45 Kreuzer von den Gesetzen selber taxiert, und bat, man solle das nur einmal für ein Jahr ausschlagen – ferner einem rechten Juristen komme der Teufel selber nicht bei, und er wolle ebensogut ein Ferkel am eingeseiften Schwanz festhalten als einen Advokaten am jus -(welches wohl im edlern Stile heißen würde: Kenntnis des Rechts ist die um einen Mann geschriebene Münz-Legende und verwehrt das Beschneiden des Stücks) – und Heringe wie sein Peter Walt wären eben die ganzen Hechte; je dünner der Messerrücken, desto schärfer die Schneide; und er kenne Iktusse, die durch Nadelöhre zu fädeln waren, die aber ungemein zustachen.
Wie immer, halfen seine Reden nichts; aber die verständige Veronika, seine Frau, wollte gegen die Sitte der Weiber, die im häuslichen Konsistorium immer als geistliche Räte gegen die weltlichen stimmen, den Sohn aus dem geistlichen Schafstall in die juristische Fleischscharre treiben; und das bloß, weil sie einmal bei einem Stadtpfarrer gekocht habe und das Wesen kenne, wie sie sagte.
Diese hielt, als sie einst allein mit dem Sohne war, der mehr an ihr als am Vater hing, ihm bloß soviel vor: »Mein Gottwalt, ich kann dich nicht zwingen, daß du dem Vater folgst; aber höre mich an: das erstemal, wo du predigst, so tue ich meinen Trauerrock an und die weißen Tücher um und gehe in die Kirche und bücke mich unter der ganzen Predigt wie bei einer Leichenpredigt mit dem Kopfe nieder und weine, und wenn mich die Weiber fragen, so zeig' ich auf dich.« – Dieses Bild packte seine Phantasie so gewaltsam an, daß er weinend »nein, nein« schrie womit er das Trauer-Verhüllen meinte – und »ja, ja« zum Advozieren sagte.
So werden uns die Lebensbahnen, wie die Ideen, vom Zufall angewiesen; nur das Fort- und Absetzen der einen wie der andern bleibt der Willkür freigestellt.
Walt erlernte nun, wie Völker, Sprachen fast von selber. Er warf dadurch den Vater in ein Freuden-Meer; denn Dorfleute finden, wie die Schulleute, fast bloß auf der Zunge den Unterschied des Lehr- und Nährstandes. Der Ex-Mäuerer bauete daher in einem trocknen Frühjahr ohne allen Widerspruch des toten Dachshundes und des Gewerks ein eignes Studierstübchen für seinen Iktus. Dieser frequentierte das Lyzeum (illustre) Johanneum; darauf wurd' er ins Gymnasium (illustre) Alexandrinum geschickt; – welches beides niemand war als in kollegialischer Eintracht der Kandidat Schomaker allein, der Johann Alexander hieß. Anfangs hatte Walt noch mit Vulten, eh' er davongelaufen, die Kleintertia und darauf die Großtertia sowohl besucht als repräsentiert; aber nachher mußt' er ohne den Pfeifer die ganze Sekunda und Prima allein ausmachen, worin er das Hebräische, das in beiden Klassen die Theologen trieben, wie gewöhnlich auch mit aufschnappte. Im zwanzigsten Jahre war er vom Gymnasium oder Gymnasiarchen unmittelbar als Abiturient abgegangen auf die hohe Schule Leipzig, in welche er aus Mangel einer höhern so lange täglich ging, als er es vor Hunger aushalten konnte. »Seit Ostern sitzt er bei den Eltern und wird morgen abends zum Notarius kreieret, um zu leben«, beschloß der Kandidat Schomaker die artige Historie.
Nr. 6. Kupfernickel
Quod Deus Vultiana
Nach dem Ende der Geschichte trat der Flötenist mit grimmigem Gesicht an den betrübten Schulmeister, fragend: »Wäret Ihr nicht wert, daß ich sogleich ins Prisma sähe und Euch darin als lange Leiche anträfe? Wie, Ihr moralischer Mikrolog, Ihr moralischer esprit de bagatelle, Ihr konntet Euch aus Furcht vor schätzbaren Weissagungen erfrechen, gegen Euer Gewissen die Geheimnisse zweier bedeutender Brüder und Eltern aus dem Laub herauszuziehen? Es soll Euch gereuen, wenn ich Euch entdecke, daß ich kein wahres Wort gesagt und daß ich die Geheimnisse nicht vom Prisma, sondern von dem davongelaufenen Flötenisten Vult selber erfahren, der ein ganz anderer Mensch ist. Ich habe mit dem Manne im andern Elterlein, nämlich im Bergstädtlein bei Annaberg, vereint geblasen. Damit ich aber nach dem bisherigen Weismachen der Gesellschaft glaubhaft werde, so will ichs ihr so beschwören: ewig verdammt will ich sein, kenn' ich ihn nicht und habe ich nicht alles von ihm.«
Es war kein Meineid; denn er war ja jener entlaufne Vult selber, aber ein starker Schelm.
Der Kandidat nahm alles friedlich hin, weil ihn eine neue Lage, in welche er sich immer so schnell geworfen fühlte, daß er keine Sekunde Zeit zum Ausarbeiten eines moralischen Modells und Lineals bekam, über alles abstieß. Es gab wenige Kasuisten und Pastoraltheologen, die er nicht gelesen, sogar den Talmud, bloß um selig zu werden.
Er hielt mit jedem Steckbrief seine eigne Person zusammen, um, im Falle sie zufällig der begehrten gleichsähe, sofort juristisch und sittlich gesattelt zu sein, so wie er sich häufig des Mords, der Notzucht und anderer Fraischfälle heimlich aus Spaß anklagte, um sich darein zu finden, falls ein Bösewicht öffentlich dasselbe täte im Ernst.
Er versetzte daher nur, daß er dem Bruder Gottwalt keine frohere Nachricht bringen könne als die von Vults Leben, da er den Flüchtling unendlich liebe. »So, lebt die Fliege noch?« fiel der Wirt ein. »Wir hielten sie sämtlich für krepiert. Wie sah er denn aus, gnädiger Herr?«
»Sehr wie ich (versetzte Vult und sah bedeutend trinkende Dikasterianten an), falls nicht das Geschlecht einen Unterschied macht; denn ich könnte wohl ebensogut eine verkleidete Ritterin d'Eon sein als diese bekannte Frau, Messieurs, – ob wir gleich davon abbrechen wollen. – Vult selber ist wohl der artigste Mann und der schönste, ohne es aber zu wissen, dem ich je ins Gesicht gesehen, nur zu ernst und zu gelehrt, nämlich für einen Musikus.
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