Niemals war sie
lieblicher, als wenn der Sonnenschein ihres Lächelns uns alle
erwärmte und wenn sie, ihren Gram vergessend, uns zur Trösterin
wurde.
Schließlich kam aber doch der Tag meiner Abreise heran. Clerval
verbrachte den letzten Abend noch bei uns. Er hatte vergebens
versucht, seinen Vater zu bestimmen, daß er ihn mit mir nach
Ingolstadt ziehen und dort studieren ließe. Aber sein Vater war
eine engherzige Krämerseele und betrachtete diese Wünsche seines
Sohnes als unnützen Ehrgeiz. Henry empfand es tief schmerzlich, für
immer auf eine höhere Bildung verzichten zu müssen. Er sagte wenig;
aber wenn er sprach, las ich in seinen glänzenden Augen den
stillen, aber festen Entschluß, sich nicht für ewig an den
kleinlichen Krämerberuf zu fesseln.
Wir blieben lange beisammen sitzen, denn es schien uns unmöglich
einander Lebewohl zu sagen. Und dennoch mußte es schließlich
geschehen. Wir gingen auseinander, indem wir vorgaben der Ruhe zu
bedürfen, und trotzdem wußte jeder, daß der andere die Unwahrheit
gesagt hatte. Als ich dann beim Morgengrauen hinunterging, um
meinen Wagen zu besteigen, waren sie alle wieder da: mein Vater, um
mich noch einmal zu segnen, Clerval, um mir zum Abschied die Hand
zu drücken, und meine Elisabeth, um mir erneut das Versprechen
abzunehmen, daß ich ihr fleißig schreiben werde, und um ihrem
scheidenden Freund und Spielkameraden noch einige kleine
Liebesdienste zu erweisen.
Ich lehnte mich tief im Wagen zurück, der mit mir
dahinrollte, und gab mich trübseligen
Betrachtungen hin. Ich war nun allein! Auf der Universität mußte
ich mir erst Freunde suchen und für mich selbst sorgen. Mein Leben
war bisher ein außergewöhnlich zurückgezogenes gewesen und daher
mochte es wohl kommen, daß ich einen fast unbezwinglichen Abscheu
vor allen neuen Gesichtern hatte. Ich liebte meinen Bruder, ich
liebte Elisabeth und Clerval; das waren mir altbekannte, liebe
Gesichter; aber ich hielt mich für total ungeeignet, mit Fremden
Bekanntschaften anzuknüpfen. Das waren also meine Betrachtungen zu
Anfang meiner Reise, aber je weiter ich mich von der Heimat
entfernte, desto mehr wuchsen mir Mut und Hoffnung. Ich war von
brennendem Lerneifer erfüllt. Ich hatte oft, als ich noch zu Hause
war, es bitter beklagt, an diesen kleinen Erdenfleck gekettet zu
sein, und gewünscht, die weite Welt zu sehen und den mir
gebührenden Platz innerhalb der Menschheit einzunehmen. Nun, da
diese Wünsche in Erfüllung gehen sollten, wäre es töricht gewesen,
Reue zu empfinden.
Für diese und andere Betrachtungen fand ich auf der langen und
ermüdenden Reise nach Ingolstadt hinreichend Muße. Endlich
erblickte ich die Kirchturmspitzen der Stadt. Ich stieg an meinem
Quartier ab und wurde nach meinem einsamen Zimmer geführt, um dort
den Abend nach meinem Gutdünken zu verbringen. Am nächsten Morgen
machte ich den hervorragendsten Professoren Besuch und gab meine
Empfehlungsbriefe ab. Der Zufall, oder vielleicht auch der Dämon
der Vernichtung, der mich umschwebte, seit ich mit zögerndem
Schritt aus dem Vaterhause in die Welt getreten war, führte mich
zuerst zu dem Dozenten der Naturphilosophie, namens Krempe. Er war
ein wunderlicher Mensch, aber unerreicht in seinem Fach. Er stellte
mir mehrere Fragen aus verschiedenen Gebieten der Naturphilosophie,
um zu sehen, was von mir zu erwarten sei. Ich antwortete freimütig
und erwähnte dabei halb verächtlich die Namen der Alchymisten,
deren Werke ich zuerst studiert hatte. Der Professor war sehr
erstaunt, dann sagte er: »Haben Sie wirklich Ihre Zeit mit diesem
Unsinn vertan?«
Ich bejahte. »Jede Minute,« fuhr Herr Krempe
ernst fort, »jeder Augenblick, den Sie sich mit jenen Büchern
beschäftigt haben, ist unwiederbringlich und für immer verloren.
Sie haben Ihr Gedächtnis mit veralteten Systemen und zwecklosen
Dingen belastet. In welchem verlassenen Lande haben Sie denn um
Gotteswillen gelebt, daß niemand Sie aufmerksam gemacht hat, daß
diese Phantasien, mit denen Sie begierig Ihr Hirn vollpfropften,
schon tausend Jahre alt und ganz verschimmelt sind? Ich muß
gestehen, daß ich in unserm aufgeklärten Jahrhundert nicht erwartet
hätte, noch auf einen Jünger des Albertus Magnus und des Paracelsus
zu stoßen. Mein lieber, junger Freund, Sie müssen mit Ihren Studien
ganz von vorn beginnen.«
Er trat dann an sein Schreibpult und notierte mir eine Reihe von
Büchern, die ich mir beschaffen sollte. Dann entließ er mich,
nachdem er mich aufmerksam gemacht hatte, daß er vom Beginn der
nächsten Woche ab ein Kolleg über Naturphilosophie, und sein
Freund, Herr Waldmann, abwechselnd mit ihm ein solches über Chemie
lesen werde.
Ich kehrte nach meiner Wohnung zurück, keineswegs enttäuscht,
denn auch ich hatte schon seit langer Zeit, wie ich Ihnen schon
sagte, die Wertlosigkeit jener Bücher erkannt, die der Professor
verdammte. Aber ich hatte mir vorgenommen, trotzdem zu diesen
Studien in irgend einer Weise zurückzukehren. Herr Krempe war ein
kleiner, untersetzter Mensch mit barscher Stimme und abstoßendem
Gesicht.
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