Nur wer es an sich selbst
erfahren, kann sich einen Begriff machen
von den Wonnen, die die Wissenschaft zu bieten hat. In anderen
Wissenszweigen kommt man nur so weit, als eben andere vor uns
gekommen sind, und mehr ist nicht zu erfahren. Aber hier gibt es
immer Nahrung für Bewunderung und Forschung. Ein Geist von mäßiger
Forschungsgabe, der sich unbeirrt auf irgend ein Gebiet wirft, muß
zweifellos große Fortschritte machen. Ich aber hatte schon von
Jugend auf mich mit solchen Dingen beschäftigt und kam deshalb so
rasch vorwärts, daß ich nach den zwei Jahren meines Studiums schon
wesentliche Verbesserungen an einzelnen Apparaten erfunden hatte,
was mir auf der Universität einen außerordentlichen Nimbus verlieh.
Als ich auf diesem Punkte angekommen war und ich einen Nutzen von
meinem weiteren Studium in Ingolstadt nicht mehr erwarten durfte,
dachte ich daran, in meine Heimatstadt und zu meinen Freunden
zurückzukehren. Ein Zufall aber verlängerte meinen Aufenthalt.
Eines der Phänomene, das meine Aufmerksamkeit in besonderem Maße
erregte, war der Bau des menschlichen Körpers, überhaupt aller mit
Leben begabten Wesen. Woher, fragte ich mich oftmals, kommt das
Leben? Es war eine kühne Frage, eine von denen, auf die es keine
Antwort gab. Und wie manchen Dingen vermöchten wir nicht auf die
Spur zu kommen, wenn nicht Feigheit und Unbesonnenheit die Früchte
der Studien wieder vernichtete? Von diesem Standpunkte ausgehend
entschloß ich mich, mich fernerhin speziell mit den Doktrinen zu
beschäftigen, die mit der Physiologie im Zusammenhange stehen.
Hätte mich nicht ein mehr als natürlicher Eifer beseelt, wäre mir
dieser Teil meiner Studien zu beschwerlich, überhaupt unerträglich
gewesen. Um die Ursachen des Lebens zu entdecken müssen wir zuerst
wissen, was der Tod ist. Ich machte mich an die Anatomie, aber das
war noch nicht genügend; es handelte sich auch noch darum, die
natürliche Zerstörung, den Verfall des menschlichen Körpers zu
studieren. Bei meiner Erziehung war großer Wert darauf gelegt
worden, daß ich nicht durch Schauermärchen ängstlich gemacht wurde.
Deshalb kann ich mich auch nicht erinnern, bei irgend einer Gespenstergeschichte gezittert oder
mich vor dem Erscheinen eines Geistes gefürchtet zu haben. Die
Dunkelheit war mir nicht, wie vielen anderen, die Quelle des
Schreckens, und Kirchhöfe waren für mich nichts anderes als Orte,
an denen man die ihres Lebens beraubten Körper bringt, die, bisher
mit Schönheit und Kraft begabt, nunmehr zum Würmerfraß geworden
waren. Nun, da ich mir vorgenommen hatte, die Ursachen und
Erscheinungen dieses Verfalles zu studieren, mußte ich ganze Tage
und Nächte in Grabgewölben und Beinhäusern verbringen. Meine
Aufmerksamkeit richtete sich besonders auf diejenigen Dinge, die
sonst dem menschlichen Feingefühl am meisten widerstreben müssen.
Ich sah zu, wie die schönen Formen des Leibes verfielen und
vernichtet wurden, wie die Greuel des Todes die blühende Pracht des
Lebens ablöste, wie die Würmer sich der wundervollen Gebilde
bemächtigten, wie sie Auge und Gehirn darstellen. Ich analysierte
und prüfte den Übergang vom Leben zum Tode und wiederum vom Tode
zum Leben, bis mir mitten in all der Ungewißheit ein Licht
aufblitzte, so glänzend und wunderbar und doch so einfach, daß ich,
ganz geblendet von dem Anblick, der sich vor mir auftat, zugleich
überrascht war, daß unter den vielen genialen Köpfen, die sich mit
derselben Wissenschaft beschäftigt hatten, keiner auf das Geheimnis
gekommen war, das zu entdecken jetzt mir vergönnt war.
Ich bitte Sie, sich immer vor Augen zu halten, daß es nicht
Visionen eines Irren sind, die ich Ihnen berichte. Wenn das, was
ich Ihnen nun erzähle, nicht wahr ist, dann gibt es keine Sonne am
Himmel. Ein Zufall mag mir ja zu Hilfe gekommen sein, aber die
einzelnen Phasen der Entdeckung lagen klar und unzweideutig vor
mir. Nach Tagen und Nächten der unglaublichsten Mühen und
Anstrengungen war ich den Ursachen des Werdens und des Lebens auf
die Spur gekommen, und, mehr noch als das, ich war selbst imstande,
toten Dingen Leben einzuflößen.
An die Stelle des Erstaunens, der Überraschung, trat bald eine
rasende Freude. Das war der schönste Lohn meiner Arbeit,
daß ich mich nun am Ziele meiner
sehnlichsten Wünsche befand. Aber so groß und überwältigend war
meine Entdeckung, daß alle Schritte, die sie vorbereitet hatten,
wie aus meinem Gedächtnis gelöscht waren und ich nur mehr das
Resultat erblickte. Was war nun Fleiß und Arbeit der weisesten
Männer wert, da ich den Schlüssel der Schöpfung in Händen
hielt?
Ich sehe an Ihrer Erregung, an Ihren erstaunten und zugleich
erwartungsvollen Blicken, mein Freund, daß Sie hoffen, von mir in
das Geheimnis eingeweiht zu werden. Aber das kann ich nicht. Warten
Sie geduldig das Ende meiner Geschichte ab und Sie werden
begreifen, warum ich mir da Zurückhaltung auferlegen muß. Ich will
nicht, daß Sie, wissensdurstig wie einst ich, in Ihre eigene
Vernichtung, in Ihr Elend rennen. Erkennen Sie an mir, an meinem
Beispiel, wie gefährlich es ist, sich wissend zu machen, und wie
viel glücklicher ein Mensch ist, dem seine Heimatstadt seine Welt
bedeutet, der nicht größer sein will, als seine Natur es ihm
erlaubt.
Nachdem ich mir dieser ungeheuren Macht bewußt geworden war,
zögerte ich noch einige Zeit mit der Anwendung, da ich mir noch
nicht klar war, in welcher Weise diese erfolgen sollte. Wenn ich
auch die Fähigkeit besaß, Leben zu verleihen, so stand mir doch
zunächst die ungeheuer schwierige Aufgabe bevor, einen Leib zu
schaffen mit all seinen Muskeln, Sehnen und seinem Geflecht von
Adern und Nerven. Ich war mir anfänglich im Zweifel darüber, ob ich
gleich ein Wesen schaffen sollte, das mir gleich war, oder ob ich
mich zuerst mit einem einfacheren Organismus begnügen sollte. Aber
ich war durch meine Entdeckung dermaßen kühn geworden, daß ich
nicht einsah, warum mir nicht sofort die Herstellung eines Wesens
gelingen sollte, das so kompliziert und wundervoll ist wie der
Mensch. Das mir zur Verfügung stehende Material schien allerdings
noch kaum genügend für die schwierige Aufgabe, aber ich zweifelte
keinen Augenblick, daß ich doch schließlich Erfolg haben müßte. Ich
bereitete mich auch auf alle Eventualitäten vor; meine Bemühungen
konnten unter Umständen immer wieder vereitelt werden, mein Werk
unvollendet bleiben.
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