Gerade in diesen letzten Augenblicken tut es mir besonders wohl, wenn jemand in Güte meiner gedenkt. Daß man mir, der Verdammten, noch Liebe entgegenbringt, das macht mir das Sterben leichter.«

So versuchte die arme Dulderin uns und sich selbst zu trösten. Und sie ergab sich in ihr Schicksal. Aber ich, der eigentliche Mörder, fühlte den nagenden Wurm in meiner Brust und wußte, daß ich nimmer froh werden konnte. Elisabeth weinte, aber ihr Leid glich mehr einer Wolke, die das Glück wohl eine Zeit lang verhüllen, aber es nicht ganz vernichten kann. Reue und Verzweiflung hatten sich meiner bemächtigt, eine ganze Hölle brannte in mir. Wir blieben noch einige Stunden bei Justine und nur mit großer Mühe vermochte ich Elisabeth wegzubringen. »Könnte ich nur mit dir sterben,« rief sie, »ich kann in dieser schrecklichen Welt nicht mehr leben!«

Justine trug große Ruhe zur Schau, obgleich sie kaum ihres Schmerzes Herr zu werden imstande war. Sie umschlang Elisabeth und sagte mit halberloschener Stimme: »Leb wohl, liebe, teure Elisabeth, meine geliebte Freundin! Gott segne und schütze dich in seiner großen Güte. Möge dies das letzte Leid sein, das dir beschieden ist. Leb wohl, sei glücklich und mache auch andere glücklich!«

Am nächsten Morgen mußte dann Justine sterben. Elisabeths herzbewegendes Flehen vermochte die harten Richter nicht in ihrer Überzeugung von Justines Schuld zu erschüttern. Auch meine leidenschaftlichen, erregten Bitten hatten nicht die geringste Wirkung. Und die kalten Antworten, das herzlose Sprechen dieser Männer brachte das Geständnis, das ich auf den Lippen trug, wieder zum Schweigen. Sie hätten mich wohl für irrsinnig erklärt, aber an dem Urteil über das arme Opfer hätte das nichts geändert. Und so kam es, daß Justine als Mörderin auf dem Schaffot ihr junges Leben lassen mußte.

Nicht nur die Qualen in meiner eigenen Brust, sondern auch das tiefe, wortlose Weh in Elisabeths Herz brachten mich fast zur Verzweiflung. Das also war mein Werk! Und das Leid meines Vaters, die Verwüstung unseres sonst so traulichen Heims – das alles hatten meine tausendfach verfluchten Hände angerichtet! Weint nur, ihr Unseligen, das sind noch lange nicht eure letzten Tränen gewesen! Wiederum ist es euch bestimmt, die Totenklage anzustimmen und zu weinen. Frankenstein, euer Sohn, euer Bräutigam, euer treuer, geliebter Freund und Bruder, der für euch gern sein Herzblut vergossen hätte, der keine Freude empfand, die sich nicht zugleich in euren Augen wiedergespiegelt hätte, der euer Leben gern mit Glück erfüllt – er muß euch Tränen, ungezählte, bittere Tränen verursachen.

So sprach meine ahnende Seele, als ich, erdrückt von Gewissensbissen, Entsetzen und Verzweiflung auf meine Lieben sah, die sich in Gram an den Gräbern von Wilhelm und Justine, den ersten, armen Opfern meiner verruchten Künste, verzehrten.

Kapitel 9

 

Nichts ist furchtbarer für die Seele, als wenn nach einer Reihe aufregender Ereignisse die Totenstille der Untätigkeit eintritt und sie der Fähigkeit zu hoffen oder zu fürchten beraubt. Justine war tot und hatte ihre Ruhe, aber ich lebte. Das Blut floß frei in meinen Adern, aber auf mir lag ein schweres Gewicht von Leid und Reue, dessen ich nicht ledig werden konnte. Es floh mich der Schlaf und ich wanderte umher wie ein böser Dämon, denn ich hatte Verbrechen begangen, die über die Maßen gräßlich waren, und mehr, viel mehr noch lag vor uns, das wußte ich gewiß. Und doch war ich nicht schlecht. Ich hatte mein Leben mit den besten Absichten begonnen und hatte gehofft, all meine edlen Pläne in Wirklichkeit umzusetzen und meinen Mitmenschen nützlich zu sein. Aber das war alles dahin. Anstatt jener Ruhe des Gewissens, die uns mit Genugtuung zurückblicken läßt auf unser bisheriges Leben und uns Kraft gibt zu neuem Schaffen, wohnte in mir das Gefühl der Schuld und verursachte mir Qualen, die ein Menschenmund nicht zu beschreiben vermag.

Dieser Gemütszustand wirkte natürlich auf meine Gesundheit sehr nachteilig ein, die vielleicht sich noch gar nicht ganz von dem ersten heftigen Stoß erholt hatte, den sie erlitten. Ich scheute das Antlitz der Menschen und jeder Laut der Lust und Freude tat mir weh. Einsamkeit – tiefe, dunkle, totengleiche Einsamkeit war mein einziger Trost, mein einziger Wunsch.

Mein Vater bemerkte mit Sorge den Wechsel in meinem Befinden und meinen Gewohnheiten und bemühte sich, mit Argumenten, die er aus seinem makellosen Leben und seinem reinen Gewissen schöpfte, mir Mut einzuflößen und die düsteren Wolken zu zerstreuen, die über meiner Seele brüteten. »Glaubst du, Viktor,« sagte er, »daß ich nicht ebenso leide wie du? Niemand konnte das Kind lieber haben als ich,« (hier füllten sich seine Augen mit Tränen), »aber ist es nicht eine Pflicht unserer Umgebung gegenüber, ihr Unglück nicht noch durch den Anblick ungezügelten Schmerzes zu vergrößern? Aber auch uns selbst sind wir es schuldig, denn wenn wir unseren Schmerz nicht beherrschen, sind wir unfähig, uns zu betätigen und uns wieder zu freuen; Dinge, ohne die wir nicht ins Leben passen.«

Dieser Rat war zwar gut, hatte aber gar keine Wirkung auf mich. Wie gern hätte ich selbst mein Leid verborgen und meine Lieben getröstet, wenn nicht das schlechte Gewissen all meine anderen Gefühle unterdrückt hätte. Die einzige Antwort, die ich jetzt meinem Vater zu geben vermochte, war ein verzweiflungsvoller Blick und das Bestreben ihm auszuweichen, wo ich konnte.

Zu jener Zeit zogen wir uns in unsere Wohnung in Belrive zurück. Dieser Wechsel war einigermaßen wohltuend für mich. Der Umstand, daß die Stadttore allnächtlich um zehn Uhr geschlossen wurden und die Unmöglichkeit, mich nach dieserStunde noch am See aufzuhalten, hatten mir den Aufenthalt in Genf sehr verleidet. Nun war ich frei.