Einige zerbrochene Fichten lagen ringsherum zerstreut, und das feierliche Schweigen ward nur unterbrochen durch das Murmeln des Baches oder das Poltern eines herabfallenden Felsstückes, das Donnern von Lawinen oder das Krachen berstenden Eises, das an den Wänden widerhallte. Dieses majestätische Schauspiel vermochte mir etwas Ruhe zu geben. Es erhob mich und ließ mich das als klein empfinden, was ich fühlte. Jedenfalls zerstreuten sie die düsteren Gedanken, über die ich die letzten zwei Monate nicht hinausgekommen war. Als ich abends heimkehrte und mich zur Ruhe legte, verflocht sich das Herrliche, was ich den Tag über gesehen, in meine Träume. Alle kamen sie: schneebedeckten Bergspitzen, die schimmernden Felszinnen, die Fichten und das zerklüftete Tal, der Adler, der seine Kreise in den Lüften zieht; sie alle kamen und baten, daß ich mich beruhigen möge.

Aber wohin waren sie entflohen, als ich am nächsten Tage die Augen auftat? Alle Fröhlichkeit war mit dem Schlaf entflohen und eine graue Wolke tiefster Melancholie lagerte auf meiner Seele. Der Regen rauschte in Strömen hernieder und dichte Nebel verhüllten die Häupter meiner geliebten Berge. Trotzdem beschloß ich, den Nebelschleier zu durchdringen und hinaufzusteigen auf die steilen Höhen. Was bedeuteten mir Sturm und Regen? Man brachte mir mein Maultier und ich machte mich auf den Weg nach dem Montanvert. Ich erinnerte mich des Eindruckes, den der mächtige, immer von Unruhe erfüllte Gletscher ausgeübt hatte, als ich ihn das erste Mal sah. Sein Anblick hatte mich damals in Entzücken versetzt und meiner Seele Schwingen verliehen, die sie weit über den Alltag hinaus in lichte, freudige Gefilde erhoben. Das Erhabene in der Natur hatte mir immer Feierstimmung eingeflößt und mich die kleinlichen Sorgen vergessen lassen. Ich beschloß auf den Führer zu verzichten, denn ich kannte ja Weg und Steg hier oben und fürchtete, die Anwesenheit eines Zweiten würde mir die Stimmung verderben.

Der Anstieg ist sehr steil, aber der Weg ist in weiten Serpentinen in die Wand eingeschnitten, so daß die Überwindung des senkrechten Absturzes möglich wird. Es ist ein Bild furchtbarster Öde und Einsamkeit, das sich hier den Augen bietet. An tausend Stellen bemerkte man noch die Spuren der winterlichen Lawinen, zerbrochene und abgerissene Bäume bezeichnen die Wege, die sie gegangen. Einzelne Bäume waren vollkommen vernichtet, andere beugten sich schräg über den Abgrund oder lehnten sich müde an andere, die noch festgeblieben. Der Weg wird, je höher man steigt, umso öfter von Schneewällen unterbrochen, auf denen unaufhörlich Steinbrocken zu Tale schießen. An einzelnen Stellen ist es besonders gefährlich, indem das leiseste Geräusch, sogar das Sprechen, imstande ist, eine Lawine zu erzeugen und Gefahr auf das Haupt des Unvorsichtigen herabzuziehen. Die dort wachsenden wenigen Bäume sind nicht groß und geben mit ihrer dunklen Färbung der Gegend das Gepräge des Ernstes. Ich sah hinunter gegen das Tal. Weiße Nebel stiegen von den Flüssen, die dort unten dahineilten, und krochen in dicken Schwaden an den Hängen der Berge herauf, deren Häupter von den Wolken in einförmiges Grau gehüllt wurden. Vom düsteren Himmel rann der Regen und erhöhte die Melancholie meiner Umgebung. Warum rühmen wir Menschen uns der größeren Feinfühligkeit gegenüber dem Tiere? Wenn unsere Sinne sich lediglich auf Hunger, Durst und Liebe erstreckten, wären wir nahezu frei; aber so, wie wir jetzt sind, bewegt uns jeder Hauch der Luft und wir hängen ab von einem zufälligen Wort oder Anblick.

Es war fast Mittag, als ich die Höhe erreichte. Eine Zeitlang saß ich auf einem Felsstück und sah hinunter auf das Eismeer, auf dem Nebel brüteten wie auf den umgebenden Bergen. Zuweilen zerstreute ein Windstoß die Wolken, so daß die Aussicht frei wurde. Die Oberfläche des Gletschers war sehr uneben, es war, als sei ein Meer in seiner Erregung erstarrt und von tiefen Spalten zerrissen. Das Eisfeld war nur etwa eine Meile breit, aber ich brauchte beinahe zwei Stunden, um es zu überqueren. Drüben ragte die Felswand senkrecht gegen den Himmel. An der Stelle, wo ich nun stand, hatte ich den Montanvert gerade gegenüber, über dem sich der Montblanc in grausiger Majestät erhob. Ich drückte mich in einen Felsspalt und konnte mich an der herrlichen Szenerie kaum sattsehen. Die eisigen, glitzernden Bergspitzen leuchteten über den Wolken in goldigem Sonnenschein. Mein Herz, das vorher noch so gedrückt war, empfand etwas wie Freude und ich rief: »Wandernde Geister, laßt mir dieses Glück, oder wenn das nicht möglich ist, nehmt mich zu euch fort von den Gefilden dieser Erde!«

Während ich mich diesen Gedanken hingab, bemerkte ich in einiger Entfernung die Gestalt eines Menschen, der mit übernatürlicher Eile auf mich zukam. Er sprang über die Eisschrunden, die ich nur mit äußerster Vorsicht überklettert hatte; er schien, je näher er mir kam, immer mehr von außergewöhnlicher Größe. Ich zitterte – ein Schleier legte sich über meine Augen und ich meinte umsinken zu müssen. Aber rasch erholte ich mich wieder unter dem eisigen Wind, der mir da oben um die Schläfen fegte. Ich erkannte, als er näher kam, daß es mein gehaßter Feind war, den ich mir geschaffen. Zorn und Abscheu hatten sich meiner bemächtigt und ich konnte kaum mehr den Augenblick erwarten, daß er mir nahe genug war, um mich mit ihm im Kampfe auf Leben und Tod zu messen.