Höre mich an,
Frankenstein. Du beschuldigst mich des Mordes und wolltest, ohne
daß sich dein Gewissen geregt hätte, dein Geschöpf vernichten.
Gepriesen sei die ewige Gerechtigkeit der Menschen! Aber ich bitte
dich gar nicht um Schonung. Höre mich zuerst an, und dann, wenn du
kannst und mußt, dann zerstöre das Werk deiner Hände.«
»Warum erinnerst du mich,« erwiderte ich, »an die unseligen
Ereignisse, die mich heute noch erschauern machen, an die Zeit, da
ich dich ins Leben rief? Verdammt sei der Tag, elender Teufel, da
du das erste Mal das Licht sahst. Verflucht seien die Hände, die
dich formten! Du hast mich über alle Maßen unglücklich gemacht. Du
hast mir die Kraft genommen zu unterscheiden, was gut und böse ist.
Geh! Laß mich deine verhaßte Gestalt nie wieder sehen.«
»So will ich meine Gestalt deinen Blicken entziehen,« sagte er
und hielt mir seine mächtige Hand vor die Augen, die ich mit Grauen
wegschlug. »So könntest du mich wenigstens hören und Mitleid mit
mir haben. Bei meinem besseren Ich beschwöre ich dich, höre meine
Worte. Die Geschichte, die ich zu erzählen habe, ist lang und
seltsam, und auf diesem Platze herrscht eine Temperatur, die deinem
feinen, zierlichen Leib nicht zusagen dürfte. Komm mit mir in meine
Hütte auf dem Berge. Die Sonne steht jetzt noch hoch. Ehe sie
hinter jenen schneeigen Höhen hinuntergestiegen ist und anderen
Ländern leuchtet, hast du meine Geschichte gehört und kannst dich
entscheiden. An dir liegt es, ob ich dann die Nähe der Menschen
fliehe und irgendwo versteckt ein harmloses Dasein führe oder dir
und vielen anderen zum Würger werde.«
Unterdessen hatte er den Weg über das Eis eingeschlagen und ich
folgte ihm. Mein Herz war zu voll und ich fand keine
Worte, um ihm irgend etwas zu erwidern.
Aber während ich ging, erwog ich die verschiedenen Umstände, deren
er Erwähnung getan, und beschloß, zum mindesten seine Geschichte
anzuhören. Hauptsächlich war es Neugierde, die mir diesen Entschluß
eingab, aber auch ein schwaches Gefühl des Mitleids mengte sich
hinein. Ich hatte ihn bisher für den Mörder meines Bruders gehalten
und war begierig, aus seinen Worten eine Bestätigung oder
Widerlegung dieser Ansicht zu vernehmen. Ich empfand auch das erste
Mal, daß ein Schöpfer seinem Werke gegenüber Verpflichtungen habe
und daß ich versuchen müsse, dem Armen etwas Glück zu bescheren.
All diese Erwägungen machten mich seinen Bitten geneigter. Wir
passierten das Eis und stiegen die Felswand hinan. Es war eiskalt
und der Regen begann wieder herab zu rieseln. Wir betraten die
Hütte. Mein Feind mit einer Geberde des Triumphes, ich aber mit
schwerem Herzen und in tiefster Niedergeschlagenheit. Aber ich
hatte versprochen ihn anzuhören und setzte mich deshalb zum Feuer,
das mein unangenehmer Gesellschafter angezündet hatte. Dann begann
er seine Erzählung.
Kapitel 11
»Mit Mühe nur erinnere ich mich der ersten Zeit, nachdem ich
entstanden war. Alles, was sich in jener Zeit ereignete, ist mir
unklar und verschleiert. Eine Menge unbestimmter Gefühle
bemächtigte sich meiner, meine sämtlichen Sinne traten zugleich in
Aktion und es bedurfte längerer Erfahrung, bis ich sie auseinander
zu halten vermochte. Ich erinnere mich, daß helles Licht auf mich
eindrang, so daß ich die Augen schließen mußte. Dann wurde es
dunkel um mich und ich fürchtete mich. Als ich dann die Augen
wieder öffnete, war es so hell wie zuvor. Ich setzte mich in
Bewegung und stieg auf die Straße hinab. Da war es nun wieder ganz
anders. Vorher hatten mich undurchsichtige Grenzen umgeben, die ich
weder körperlich noch auch mit den Augen durchdringen konnte;
draußen aber bemerkte ich, daß ich mich ungehindert zu bewegen vermochte.
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