Die mannigfachen Umstände, die darin eine Rolle
spielten, verfehlten nicht, auf mich, der ich so gänzlich
unerfahren war, einen tiefen Eindruck zu machen.
Der alte Mann hieß de Lacey. Er stammte aus einer guten
französischen Familie und war bei seinen Standesgenossen geachtet
und beliebt. Sein Sohn stand im Kriegsdienste und seine Tochter
verkehrte mit den vornehmsten Damen. Noch wenige Monate vorher
hatten sie in einer großen, prächtigen Stadt, die Paris hieß,
gelebt, umgeben von guten Freunden, und erfreuten sich alles
dessen, was mäßiger Reichtum zu bieten vermag.
Der Vater Safies war der Urheber ihres Unglücks. Er war ein
türkischer Kaufmann und hatte lange Jahre in Paris gewohnt, als er,
ich weiß nicht aus welchem Grunde, der Regierung verdächtig wurde.
Er wurde gefangen genommen und in den Kerker geworfen, am gleichen
Tage als Safie aus Konstantinopel eintraf. Er wurde verhört und zum
Tode verurteilt. Die Ungerechtigkeit dieses Richterspruches lag
klar zu Tage und ganz Paris war darüber empört. Man vermutete wohl
mit Recht, daß seine Religion und sein Reichtum mehr zu seiner
Verurteilung beigetragen hatten, als das ihm zur Last gelegte
Verbrechen.
Felix war zufällig in der Gerichtsverhandlung gewesen und hatte
mit Entsetzen und Entrüstung den Richterspruch vernommen. In diesem
Augenblicke hatte er sich feierlich gelobt, den Verurteilten zu
befreien, und sich sofort an die Ausführung seines Vorhabens
gemacht. Nachdem er verschiedene Male vergebens versucht hatte, Zutritt zu dem Gefangenen zu
erhalten, entdeckte er zufällig die stark vergitterten Fenster der
Zelle, in der der unglückliche Mann, beladen mit schweren Ketten,
der Exekution entgegensah. Felix gelang es, nächtlicherweile an
dieses Fenster zu kommen und dem Gefangenen mitzuteilen, daß er
seine Befreiung zu erwarten habe. Der Türke war zugleich erstaunt
und erfreut und versprach Felix reiche Belohnung, die dieser aber
rauh zurückwies. Als er aber Safie kennen lernte, die ihren Vater
öfter besuchen durfte, wußte er, daß dieser einen Schatz besaß, den
er doch von ihm annehmen und der ihn für seine Mühen und Gefahren
belohnen würde.
Rasch hatte der Türke bemerkt, daß seine Tochter Eindruck auf
den jungen Mann gemacht hatte, und suchte diesen in seinem Vorhaben
zu bestärken, indem er ihm die Hand des Mädchens versprach. Sobald
er an einem sicheren Platze sei, sollte die Hochzeit stattfinden.
Felix war zu zartfühlend, von diesem Versprechen Notiz zu nehmen,
erwartete aber von dessen Erfüllung sein ganzes zukünftiges
Glück.
Während der folgenden Tage machten die Vorbereitungen zur
Befreiung des Kaufmannes um so bedeutendere Fortschritte, als Felix
von der Geliebten einige Briefe erhielt, die diese mit Hilfe eines
alten Dieners ihres Vaters, der französisch verstand, an ihn
geschrieben. Sie dankte ihm in den glühendsten Worten für das, was
er ihrem Vater zu Liebe zu tun beabsichtigte, und beklagte zugleich
auch darin ihr eigenes Geschick.
Ich habe Abschriften dieser Briefe im Besitz, denn ich hatte
unterdessen das Schreiben erlernt, und da die Briefe oftmals den
Gegenstand des Gespräches bildeten, konnte ich mir ihren Inhalt zu
eigen machen. Ehe ich wieder gehe, werde ich sie dir geben, denn
sie sollen dir die Wahrheit dessen beweisen, was ich dir berichte.
Aber jetzt, da die Sonne sich anschickt, hinter den Bergen
unterzugehen, kann ich dir nur kurz angeben, was sie
enthielten.
Safie teilte ihm mit, daß ihre Mutter eine Christin gewesen, die
von den Türken gefangen genommen und in die Sklaverei abgeführt
worden war. Bezwungen von ihrer Schönheit, hätte ihr,
Safies Vater, sie zum Weibe genommen. Das
junge Mädchen sprach in den Ausdrücken tiefster Liebe und Verehrung
von ihrer Mutter, die, in Freiheit aufgewachsen, die Knechtschaft,
in der sie leben mußte, sehr schmerzlich empfand. Sie unterrichtete
ihre Tochter in den Lehren ihrer Religion und riet ihr, stets nach
höheren geistigen Gütern und nach geistiger Freiheit zu streben,
die ja den Mohammedanerinnen strenge verboten ist. Die Frau starb,
aber ihre Lehren hatten sich Safies Geist tief eingeprägt, die der
Gedanke, nach Asien zurückkehren und sich in irgend einen Harem
einsperren lassen zu müssen, tief niederdrückte; denn die
kindischen Vergnügungen, die allein ihr dort erlaubt sein würden,
hätten schlecht zu dem gepaßt, was sie sich in Europa an großen
Ideen angeeignet hatte. Die Aussicht, einen Christen heiraten und
in einem Lande bleiben zu dürfen, wo auch der Frau es möglich war,
eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, bereitete ihr
Entzücken.
Der Tag der Hinrichtung des Gefangenen war nun herangekommen.
Aber in der vorhergehenden Nacht war er entwichen und befand sich
bei Tagesanbruch schon viele Meilen von Paris entfernt. Felix hatte
sich Pässe auf seinen Namen sowie die seines Vaters und seiner
Schwester verschafft. Er hatte dem ersteren davon Mitteilung
gemacht, und dieser erleichterte das Vorhaben seines Sohnes
dadurch, daß er bei seinen Bekannten die Absicht äußerte, eine
Reise zu unternehmen zu wollen, und dann mit seiner Tochter in
irgend einem entfernten Stadtteil von Paris Wohnung nahm.
Felix begleitete die Flüchtlinge durch Frankreich bis nach Lyon
und von dort über den Mont Cenis nach Livorno, woselbst der
Kaufmann eine günstige Gelegenheit abwarten wollte, in einen Teil
des türkischen Reiches zu entkommen.
Safie beschloß, bis zur Hochzeit bei ihrem Vater zu bleiben, die
kurz vor dessen Abreise in die Heimat stattfinden sollte. Und Felix
erwartete voll Sehnsucht diesen Moment. Mittlerweile erfreute er
sich der Gesellschaft des schönen Mädchens, das ihm die wärmste und
zarteste Liebe entgegenbrachte. Sie unterhielten sich mit Hülfe eines Dolmetschers und dazwischen auch
in der Sprache ihrer Augen. Manchmal sang ihm Safie die herrlichen
Lieder ihrer Heimat vor.
Der Kaufmann hatte scheinbar gegen dieses Verhältnis nichts
einzuwenden und ermutigte die Liebenden, während in seinem Herzen
ein ganz anderer Plan reifte. Er dachte nur mit Abscheu daran, daß
sein Kind einen Christen heiraten sollte. Aber er fürchtete, daß
sich Felix an ihm rächen könne, wenn er wortbrüchig würde, denn er
war ja immer noch in dessen Gewalt. Es bedurfte nur einer Anzeige
bei der italienischen Regierung und alles war wie vorher, wenn
nicht schlimmer.
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