Jetzt endigte er schneller, als er erwartet hatte.
Wir wollen hier dem Leser dieses Bild kürzlich beschreiben. Ein dunkles Abendrot dämmerte auf den fernen Bergen, denn die Sonne war schon seit lange untergegangen, in dem bleichroten Scheine lagen alte und junge Hirten mit ihren Herden, dazwischen Frauen und Mädchen; die Kinder spielten mit Lämmern. In der Ferne gingen zwei Engel durch das hohe Korn, und erleuchteten mit ihrem Glanze die Landschaft. Die Hirten sahen mit stiller Sehnsucht nach ihnen, die Kinder streckten die Hände nach den Engeln aus, das Angesicht des einen Mädchens stand völlig im rosenroten Schimmer, vom fernen Strahl der Himmlischen erleuchtet. Ein junger Hirt hatte sich umgewendet, und sah mit verschränkten Armen und tiefsinnigem Gesichte der untergegangenen Sonne nach, als wenn mit ihr die Freude der Welt, der Glanz des Tages, die anmutigen und erquickenden Strahlen verschwunden wären; ein alter Hirt faßte ihn beim Arm, um ihn umzudrehen und ihm die Freudigkeit zu zeigen, die von morgenwärts herschritt. Dadurch hatte Franz der untergegangenen Sonne gegenüber gleichsam eine neuaufgehende darstellen wollen, der alte Hirt sollte den jungen beruhigen und zu ihm sagen: »Selig sind die nunmehr sterben, denn sie werden in dem Herrn sterben!« Einen solchen zarten, trostreichen und frommen Sinn hatte Franz für den vernünftigen und fühlenden Beschauer in das Gemälde zu bringen gesucht.
Er hatte es nun vollendet, und stand lange nachdenkend und still vor seinem Werke. Er empfand eine wunderbare Beklemmung, die er an sich nicht gewohnt war, es ängstete ihn, von dem teuren Werke, an dem er mehrere Wochen mit so vieler Liebe gearbeitet hatte, Abschied zu nehmen. Das glänzende Bild der ersten Begeisterung war während der Arbeit aus seiner Seele gänzlich hinweggelöscht, und er fühlte darüber eine trübe Leere in seinem Innern, die er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem Bilde wieder ausfüllen konnte. »Ist es nicht genug«, sagte er zu sich selber, »daß wir von unsern lebenden Freunden scheiden müssen? Müssen auch noch jene befreundeten Lichter in unsrer Seele Abschied von uns nehmen? So gleicht unser Lebenslauf einem Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren, wo wir halb verrückt stets etwas Neues einsetzen, das uns kostbar ist, und niemals keinen Gewinn dafür austauschen. Es ist seltsam, daß unser Geist uns treibt, die innere Entzückung durch das Werk unsrer Hände zu offenbaren, und daß wir, wenn wir vollendet haben, in unserm Fleiß uns selbst nicht wiedererkennen.«
Das Malergeräte stand unordentlich um das Bild her, die Sonne schien glänzend auf den frisch aufgetragenen Firnis, er hörte das taktmäßige Klappen der Drescher in den Scheuren, in der Ferne das Vieh auf dem Anger brüllen, und die kleine Dorfglocke gab mit bescheidenen Schlägen die Zeit des Tages an; alle Tätigkeit, alle menschliche Arbeit kam ihm in diesen Augenblicken so seltsam vor, daß er lächelnd die Hütte verließ, und wieder seinem geliebten Walde zueilte, um sich von der innern Verwirrung zu erholen.
Im Walde legte er sich in das Gras nieder und sah über sich in den weiten Himmel, er überblickte seinen Lebenslauf und schämte sich, daß er noch so wenig getan habe. Er betrachtete jedes Werk eines Künstlers als ein Monument, das er den schönsten Stunden seiner Existenz gewidmet habe; um jedes wehen die himmlischen Geister, die dem bildenden Sinn die Entzückungen brachten, aus jeder Farbe, aus jedem Schatten sprechen sie hervor. »Ich bin nun schon dreiundzwanzig Jahr alt«, rief er aus, »und noch ist von mir nichts geschehn, das der Rede würdig wäre; ich fühle nur den Trieb in mir und meine Mutlosigkeit, der frische tätige Geist meines Lehrers ist mir nicht verliehen, mein Beginnen ist zaghaft, und alle meine Bildungen werden die Spur dieses zagenden Geistes tragen.«
Er kehrte zurück als es Abend war, und las seiner Pflegemutter einige fromme Gesänge aus einem alten Buche vor, das er in seiner Kindheit sehr geliebt hatte. Die frommen Gedanken und Ahndungen redeten ihn wieder an wie damals, er betrachtete sinnend den runden Tisch mit allen seinen Furchen und Narben, die ihm so wohlbekannt waren, er fand die Figuren wieder, die er manchmal am Abend heimlich mit seinem Messer eingeritzt hatte, und er mußte über die ersten Versuche seiner Zeichenkunst lächeln. »Mutter«, sagte er zu der alten Brigitte, »am künftigen Sonntage wird nun mein Gemälde in unsrer Kirche aufgestellt, da müßt Ihr den Gottesdienst nicht versäumen.« »Gewiß nicht, mein Sohn«, antwortete die Alte, »das neue Bild wird mir zu einer sonderlichen Erbauung dienen; unser Altargemälde ist kaum mehr zu erkennen, das erweckt keine Rührung, wenn man es ansieht. Aber sage mir, was wird am Ende aus solchen alten Bildern?«
»Sie vergehn, liebe Mutter«, antwortete Franz seufzend, »wie alles übrige in der Welt. Es wird eine Zeit kommen, wo man keine Spur mehr von den jetzigen großen Meistern antrifft, wo die unerbittliche, unkünstliche Hand der Zeit alle Denkmale ausgelöscht hat.«
»Das ist aber schlimm«, sagte Brigitte, »daß alle diese mühselige Arbeit so vergeblich ist; so unterscheidet sich ja deine Kunst, wie du es nennst, von keinem andern Gewerbe auf der Erde. Der Mann, dessen Altarblatt nun abgenommen werden soll, hat sich gewiß auch recht gefreut, als seine Arbeit fertig war, er hat es auch gut damit gemeint; und doch ist das alles umsonst, denn nun wird das vergessen, und er hat vergeblich gearbeitet.«
»So geht es mit aller unsrer irdischen Tätigkeit«, antwortete Franz, »nichts als unsre Seele ist für die Unsterblichkeit geschaffen, unsre Gedanken an Gott sind das Höchste in uns, denn sie lernen sich schon in diesem Leben für die Ewigkeit ein, und folgen uns nach. Sie sind das schönste Kunstwerk, das wir hervorbringen können, und sie sind unvergänglich.«
Am Sonntage ging Franz mit einigen Arbeitsleuten früh in die Kirche. Das alte Bild wurde losgemacht; Franz wischte den Staub davon ab und betrachtete es mit vieler Rührung. Es stellte die Kreuzigung vor, und manche Figuren waren ganz verloschen, es war eins von denen Gemälden, die noch ohne Öl gearbeitet waren, die Köpfe zeigten sich hart, die Gewänder steif, und Zettel mit Sprüchen verbreiteten sich aus dem Munde der Personen. Sternbald bemühte sich sehr, den Namen des Meisters zu entdecken, aber vergebens; er sorgte dann dafür, daß das Bild nicht weggeworfen wurde, sondern er verschloß es selbst in einen Schrank der Kirche, damit auch künftig ein Kunstfreund dies alte Überbleibsel wiederfinden könne.
Jetzt war sein Gemälde befestigt, die Glocke fing zum ersten Male an, durch das ruhige Dorf zu läuten, Bauern und Bäuerinnen waren in ihren Stuben, und besorgten emsig ihren festlichen Anzug. Man hörte keinen Arbeiter, ein schöner heitrer Tag glänzte über die Dächer, die alten Weiden standen ruhig am kleinen See, denn kein Wind rührte sich. Franz ging auf der Wiese, die hinter dem Kirchhofe lag, hin und her, er zog die ruhige heitre Luft in sich, und stillentzückende Gedanken regierten seinen Geist. Wenn er nach dem Walde sah, empfand er eine seltsame Beklemmung; in manchen Augenblicken glaubte er, daß dieser Tag sehr merkwürdig für ihn sein würde; dann verflog es aus seiner Seele wie eine ungewisse Ahndung, die zuweilen nächtlich um den Menschen wandelt, und beim Schein des Morgens schnell entflieht. Es war jetzt nicht mehr sein Gemälde, was ihn beschäftigte, sondern etwas Fremdes, das er selbst nicht kannte.
So ist die Seele des Künstlers oft von wunderlichen Träumereien befangen, denn jeder Gegenstand der Natur, jede bewegte Blume, jede ziehende Wolke ist ihm eine Erinnerung, oder ein Wink in die Zukunft. Heereszüge von Luftgestalten wandeln durch seinen Sinn hin und zurück, die bei den übrigen Menschen keinen Eingang antreffen: besonders ist der Geist des Dichters ein ewig bewegter Strom, dessen murmelnde Melodie in keinem Augenblicke schweigt, jeder Hauch rührt ihn an und läßt eine Spur zurück, jeder Lichtstrahl spiegelt sich ab, er bedarf der lästigen Materie am wenigsten, und hängt am meisten von sich selber ab, er darf in Mondschimmer und Abendröte seine Bilder kleiden, und aus unsichtbaren Harfen niegehörte Töne locken, auf denen Engel und zarte Geister herniedergleiten, und jeden Hörer als Bruder grüßen, ohne daß sich dieser oft aus dem himmlischen Gruße vernimmt und nach irdischen Geschäften greift, um nur wieder zu sich selber zu kommen. In jenen beklemmten Zuständen des Künstlers liegt oft der Wink auf eine neue nie betretene Bahn, wenn er mit seinem Geiste dem Liede folgt, das aus ungekannter Ferne herübertönt. Oft ist jene Ängstlichkeit ein Vorgefühl der unendlichen Mannigfaltigkeit der Kunst, wenn der Künstler glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu ahnden.
Jetzt hatte die Glocke zum letzten Male geläutet, die Kirche war schon angefüllt, Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnlichen Platz eingenommen. Franz stellte sich in die Mitte der kleinen Kirche und das Orgelspiel und der Gesang hub an; die Kirchtür ihm gegenüber war offen, und das Gesäusel der Bäume tönte herein. Franz war in Andacht verloren, der Gesang zog wie mit Wogen durch die Kirche, die ernsten Töne der Orgel schwollen majestätisch herauf, und sprachen wie ein melodischer Sturmwind auf die Hörer herab; aller Augen waren während des Gesanges nach dem neuen Bilde gerichtet.
1 comment