Franziska

Frank Wedekind: Franziska

 

 

Frank Wedekind

Franziska

Ein modernes Mysterium in fünf Akten

 

 

 

Zeno.org

 

Impressum

 

 

»Wende die Füßchen zum Himmel nur ohne Sorge!

Wir strecken Arme betend empor; aber nicht schuldlos, wie du.«

 

 

Artur Kutscher

 

gewidmet

 

 

 

Personen.

 

Der Herzog von Rotenburg.

 

Die Herzogin.

 

Freiherr von Hohenkemnath.

 

Gislind von Glonnthal.

 

Pater Emmeran.

 

Der Rotenburger Polizeipräsident.

 

Frau Eberhardt.

 

Franziska, ihre Tochter.

 

Dr. Hofmiller, Chemiker.

 

Veit Kunz.

 

Dr. Malkolm

 

Kiesgräber,

Kullmann,

Laurus Bein,

Hagelmeier,

Gespensterschreck,

Rohrdommel,

Schlammgrundel,

Spreizfüßchen,

Karaminka,

Mausi, Weinstubengäste.[7]

 

Oberleutnant Dirckens.

 

Sophie, seine Schwester.

 

Lydia Höpfl, Tänzerin.

 

Ein Kind.

 

Ein Drache.

 

Ralf Breitenbach, Schauspieler.

 

William Fahrstuhl, Zeitungskorrespondent.

 

Ein Regisseur.

 

Ein Livreebedienter.

 

Dr. Hornstein, Arzt.

 

Karl Almer, Maler.

 

Der kleine Veitralf.

 

Lakaien, Reitknechte, Chorsängerinnen.[8]

 

Erster Akt.

Erstes Bild

Erste Szene

Dämmerung im Zimmer, zur Seite weit offenes Fenster. Heller Abendhimmel.

 

MUTTER. Sonderbar! Das Städtchen liegt schon im tiefsten Dunkel, und bei uns hier im Zimmer ist noch jeder Winkel hell.

FRANZISKA. Das kommt vom Abendhimmel. Das hellgrüne Licht über den Bergen reicht nicht viel höher hinauf, als wir beide hier stehen. Bei uns oben auf dem Schloß müssen die Zimmer am Abend doch noch heller gewesen sein.

MUTTER. Das ist wahr. Erinnerst du dich noch, wie wundervoll es aussah, wenn nachts ein Gewitter losbrach? Dann schienen die Bilder, die am höchsten[9] hingen, plötzlich die farbigsten zu sein. Aber du hörst gar nicht, was ich sage.

FRANZISKA. Doch, doch, ich höre. Die Blitze leuchteten vom Horizont aus in die Zimmer hinein.

MUTTER. Du denkst natürlich an deinen Geliebten. Er kommt heute wohl noch?

FRANZISKA. Möglich. Ich habe ihn nicht dazu aufgefordert.

MUTTER. Mir ist es nicht klar, wie dein Schicksal werden soll. Aber du gehst ja deine eigenen Wege.

FRANZISKA. Ich denke im Gegenteil an euch. Mir ist es immer noch unbegreiflich, wie euer Zusammensein überhaupt möglich war.

MUTTER. Mir scheint es jetzt manchmal, als hätte ich drei ganz verschiedene Leben hinter mir. Als wäre ich dreimal immer wieder ganz jemand anders gewesen.

FRANZISKA. Aber daß ihr euch nicht ein einziges Mal gesagt habt, daß ihr eure Lebenskraft zu etwas Schönerem verwenden könnt, als einander jeden dritten Tag wie Mordbrüder an die Gurgel zu fahren.[10]

MUTTER. So schlimm war es doch eigentlich gar nicht.

FRANZISKA. Eure Schimpfreden möchte ich niemals aussprechen und von niemandem hören.

MUTTER. Daran ist deine Verweichlichung schuld. Wenn man den Tag verschläft und die Nacht zum Tag macht, dann kennt man die Welt nicht. Wären wir so empfindlich gewesen wie du, dann hätten wir uns schon in Brasilien getrennt.