Dann plauderte sie von ihrem Aufenthalt im Kloster und er von seiner Gymnasiastenzeit. So gerieten sie in ein Gespräch. Sie führte ihn in ihr Zimmer und zeigte ihm ihre Notenhefte von damals und die niedlichen Bücher, die sie als Schulprämien bekommen hatte, und die Eichenlaubkränze, die im untersten Schrankfache ihr Dasein fristeten. Dann erzählte sie von ihrer Mutter, von deren Grabe, und zeigte ihm sogar im Garten das Beet, wo die Blumen wüchsen, die sie der Toten jeden ersten Freitag im Monat hintrug. Der Gärtner, den sie hatten, verstünde nichts. Mit dem seien sie schlecht dran. Ihr Wunsch wäre es, wenigstens während der Wintermonate in der Stadt zu wohnen. Dann aber meinte sie wieder, an den langen Sommertagen sei das Leben auf dem Lande noch langweiliger. Und je nachdem, was sie sagte, klang ihre Stimme hell oder scharf; oder sie nahm plötzlich einen matten Ton an, und wenn sie wie mit sich selbst plauderte, ward sie wieder ganz anders, wie flüsternd und murmelnd. Bald war Emma lustig und hatte große unschuldige Augen, dann wieder schlossen sich ihre Lider zur Hälfte, und ihr schimmernder Blick sah teilnahmslos und traumverloren aus.

Abends auf dem Heimritt wiederholte sich Karl alles, was sie geredet hatte, bis ins einzelne, und versuchte den vollen Sinn ihrer Worte zu erfassen. Er wollte sich damit eine Vorstellung von der Existenz schaffen, die Emma geführt, ehe er sie kennen gelernt hatte. Aber es gelang ihm nicht, sie in seinen Gedanken anders zu erschauen als so, wie sie ausgesehen hatte, als er sie zum ersten Male erblickt, oder so, wie er sie eben vor sich gehabt hatte. Dann fragte er sich, wie es wohl würde, wenn sie sich verheiratete, aber mit wem? Ja, ja, mit wem? Ihr Vater war so reich und sie ... so schön!

Und immer wieder sah er Emmas Gesicht vor seinen geistigen Augen, und eine Art eintönige Melodie summte ihm durch die Ohren wie das Surren eines Kreisels: „Emma, wenn du dich verheiratetest! Wenn du dich nun verheiratetest!“ In der Nacht konnte er keinen Schlaf finden. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er verspürte Durst, stand auf, trank ein Glas Wasser und machte das Fenster auf. Der Himmel stand voller Sterne. Der laue Nachtwind strich in das Zimmer. Fern bellten Hunde. Er wandte den Blick in die Rötung nach Bertaux.

Endlich kam er auf den Gedanken, daß es den Hals nicht kosten könne, und so nahm er sich vor, bei der ersten besten Gelegenheit um Emmas Hand zu bitten. Aber sooft sich diese Gelegenheit bot, wollten ihm vor lauter Angst die passenden Worte nicht über die Lippen. Vater Rouault hätte längst nichts dagegen gehabt, wenn ihm jemand seine Tochter geholt hätte. Im Grunde nützte sie ihm in Haus und Hof nicht viel. Er machte ihr keinen Vorwurf daraus: sie war eben für die Landwirtschaft zu geweckt. „Ein gottverdammtes Gewerbe!“ pflegte er zu schimpfen. „Das hat auch noch keinen zum Millionär gemacht!“ Ihm hatte es in der Tat keine Reichtümer gebracht; im Gegenteil, er setzte alle Jahre zu. Denn wenn er auch auf den Märkten zu seinem Stolz als gerissener Kerl bekannt war, so war er eigentlich doch für Ackerbau und Viehzucht durchaus nicht geschaffen. Er verstand nicht zu wirtschaften. Er nahm nicht gern die Hände aus den Hosentaschen, und seinem eigenen Leibe war er kein Stiefvater. Er hielt auf gut Essen und Trinken, einen warmen Ofen und ausgiebigen Schlaf.