Aber beim Kaffee war alles wieder munter. Man sang Lieder, vollführte allerlei Kraftleistungen, stemmte schwere Steine, schoß Purzelbäume, hob Schubkarren bis zur Schulterhöhe, erzählte gepfefferte Geschichten und scharwenzelte mit den Damen.
Vor dem Aufbruch war es kein leichtes Stück Arbeit, den Pferden, die allesamt der allzu reichlich vertilgte Hafer stach, die Kumte und Geschirre aufzulegen. Die übermütigen Tiere stiegen, bockten und schlugen aus, während die Herren und Kutscher fluchten und lachten. Die ganze Nacht hindurch gab es auf den mondbeglänzten Landstraßen in Karriere über Stock und Stein heimrasende Fuhrwerke.
Die nachtüber in Bertaux bleibenden Gäste zechten am Küchentische bis zum frühen Morgen weiter, während die Kinder unter den Bänken schliefen.
Die junge Frau hatte ihren Vater besonders gebeten, sie vor den herkömmlichen Späßen zu bewahren. Indessen machte sich ein Vetter — ein Seefischhändler, der als Hochzeitsgeschenk selbstverständlich ein paar Seezungen gestiftet hatte — doch daran, einen Mund voll Wasser durch das Schlüsselloch des Brautgemachs zu spritzen. Vater Rouault erwischte ihn gerade noch rechtzeitig, um ihn daran zu hindern. Er machte ihm klar, daß sich derartige Scherze mit der Würde seines Schwiegersohnes nicht vertrügen. Der Vetter ließ sich durch diese Einwände nur widerwillig von seinem Vorhaben abbringen. Insgeheim hielt er den alten Rouault für aufgeblasen. Er setzte sich unten in eine Ecke mir vier bis fünf andern Unzufriedenen, die während des Mahles bei der Wahl der Fleischstücke Mißgriffe getan hatten. Diese Unglücksmenschen räsonierten nun alle untereinander auf den Gastgeber und wünschten ihm ungeniert alles Üble.
Die alte Frau Bovary war den ganzen Tag über aus ihrer Verbissenheit nicht herausgekommen. Man hatte sie weder bei der Toilette ihrer Schwiegertochter noch bei den Vorbereitungen zur Hochzeitsfeier um Rat gefragt. Darum zog sie sich zeitig zurück. Ihrem Manne aber fiel es nicht ein, mit zu verschwinden; er ließ sich Zigarren holen und paffte bis zum Morgen, wozu er Grog von Kirschwasser trank. Da diese Mischung den Dabeisitzenden unbekannt war, staunte man ihn erst recht als Wundertier an.
Karl war kein witziger Kopf, und so hatte er während des Festes gar keine glänzende Rolle gespielt. Gegen alle die Neckereien, Späße, Kalauer, Zweideutigkeiten, Komplimente und Anulkungen, die ihm der Sitte gemäß bei Tische zuteil geworden waren, hatte er sich alles andre denn schlagfertig gezeigt. Um so mächtiger war seine innere Wandlung. Am andern Morgen war er offensichtlich wie neugeboren. Er und nicht Emma war tags zuvor sozusagen die Jungfrau gewesen. Die junge Frau beherrschte sich völlig und ließ sich nicht das geringste anmerken. Die größten Schandmäuler waren sprachlos; sie standen da wie vor einem Wundertier. Karl freilich machte aus seinem Glück kein Hehl. Er nannte Emma „mein liebes Frauchen“, duzte sie, lief ihr überallhin nach und zog sie mehrfach abseits, um allein mit ihr im Hofe unter den Bäumen ein wenig zu plaudern, wobei er den Arm vertraulich um ihre Taille legte. Beim Hin- und Hergehen kam er ihr mit seinem Gesicht ganz nahe und zerdrückte mit seinem Kopfe ihr Halstuch.
Zwei Tage nach der Hochzeit brachen die Neuvermählten auf. Karl konnte seiner Patienten wegen nicht länger verweilen. Vater Rouault ließ das Ehepaar in seinem Wagen nach Haus fahren und gab ihm persönlich bis Vassonville das Geleite. Beim Abschied küßte er seine Tochter noch einmal, dann stieg er aus und machte sich zu Fuß auf den Rückweg.
Nachdem er hundert Schritte gegangen war, blieb er stehen, um dem Wagen nachzuschauen, der die sandige Straße dahinrollte. Dabei seufzte er tief auf. Er dachte zurück an seine eigne Hochzeit, an längstvergangne Tage, an die Zeit der ersten Mutterschaft seiner Frau. Wie froh war er damals gewesen.
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