Er rauchte mit aufgeworfenen Lippen und spuckte dabei aller Minuten, und bei jedem Zuge lehnte er sich zurück, damit ihm der Rauch nicht in die Nase stieg.
„Das Rauchen wird dir nicht bekommen!“ bemerkte Emma verächtlich.
Karl legte die Zigarre weg, lief schnell an die Plumpe und trank gierig ein Glas frisches Wasser. Währenddessen nahm Emma die Zigarrentasche und warf sie rasch in einen Winkel des Schrankes.
Der Tag war endlos: dieser Tag nach dem Feste!
Emma ging in ihrem Gärtchen spazieren. Immer dieselben Wege auf und ab wandelnd, blieb sie vor den Blumenbeeten stehen, vor dem Obstspalier, vor dem tönernen Mönch, und betrachtete sich alle diese ihr so wohlbekannten alten Dinge voll Verwunderung. Wie weit hinter ihr der Ballabend schon lag! Und was war es, das sich zwischen vorgestern und heute abend wie eine breite Kluft drängte? Diese Reise nach Vaubyessard hatte in ihr Leben einen tiefen Riß gerissen, einen klaffenden Abgrund, wie ihn der Sturm zuweilen in einer einzigen Nacht in den Bergen aufwühlt. Trotzdem kam eine gewisse Resignation über sie. Wie eine Reliquie verwahrte sie ihr schönes Ballkleid in ihrem Schranke, sogar die Atlasschuhe, deren Sohlen vom Parkettwachs eine bräunliche Politur bekommen hatten. Emmas Herz ging es wie ihnen. Bei der Berührung mit dem Reichtum war etwas daran haften geblieben für immerdar.
An den Ball zurückdenken, wurde für Emma eine besondre Beschäftigung. An jedem Mittwoche wachte sie mit dem Gedanken auf: „Ach, heute vor acht Tagen war es!“ — „Heute vor vierzehn Tagen war es!“ — „Heute vor drei Wochen war es!“ Allmählich aber verschwammen in ihrem Gedächtnisse die einzelnen Gesichter, die sie im Schlosse gesehen hatte. Die Melodien der Tänze entfielen ihr. Sie vergaß, wie die Gemächer und die Livreen ausgesehen hatten. Immer mehr schwanden ihr die Einzelheiten, aber ihre Sehnsucht blieb zurück.
Neuntes Kapitel
Oft, wenn Karl unterwegs war, holte Emma die grünseidene Zigarrentasche aus dem Schrank, wo sie unter gefalteter Wäsche verborgen lag. Sie betrachtete sie, öffnete sie und sog sogar den Duft ihres Futters ein, das nach Lavendel und Tabak roch. Wem mochte sie gehört haben? Dem Vicomte? Vielleicht war es ein Geschenk seiner Geliebten. Gewiß hatte sie die Stickerei auf einem kleinen Rahmen von Polisanderholz angefertigt, ganz heimlich, in vielen, vielen Stunden, und die weichen Locken der träumerischen Arbeiterin hatten die Seide gestreift. Ein Hauch von Liebe wehte aus den Stichen hervor. Mir jedem Faden war eine Hoffnung oder eine Erinnerung eingestickt worden, und alle diese kleinen Seidenkreuzchen waren das Denkmal einer langen stummen Leidenschaft. Und dann, eines Morgens, hatte der Vicomte die Tasche mitgenommen. Wovon hatten die beiden wohl geplaudert, als sie noch auf dem breiten Simse des Kamines zwischen Blumenvasen und Stutzuhren aus den Zeiten der Pompadour lag?
Jetzt war der Vicomte wohl in Paris. Weit weg von ihr und von Tostes! Wie mochte dieses Paris sein? Welch geheimnisvoller Name! Paris! Sie flüsterte das Wort immer wieder vor sich hin. Es machte ihr Vergnügen. Es raunte ihr durch die Ohren wie der Klang einer großen Kirchenglocke. Es flammte ihr in die Augen, wo es auch stand, selbst von den Etiketten ihrer Pomadenbüchsen.
Nachts, wenn die Seefischhändler unten auf der Straße vorbeifuhren mit ihren Karren und die „Majorlaine“ sangen, ward sie wach. Sie lauschte dem Rasseln der Räder, bis die Wagen aus dem Dorfe hinaus waren und es wieder still wurde.
„Morgen sind sie in Paris!“ seufzte die Einsame. Und in ihren Gedanken folgte sie den Fahrzeugen über Berg und Tal, durch Dörfer und Städte, immer die große Straße hin in der lichten Sternennacht. Aber weiter weg gab es ein verschwommenes Ziel, wo ihre Träume versagten. Sie kaufte sich einen Plan von Paris und machte mit dem Fingernagel lange Wanderungen durch die Weltstadt. Sie lief auf den Boulevards hin, blieb an jeder Straßenecke stehen, an jedem Hause, das im Stadtplan eingezeichnet war. Wenn ihr die Augen schließlich müde wurden, schloß sie die Lider, und dann sah sie im Dunkeln, wie die Flammen der Laternen im Winde flackerten und wie die Kutschen vor dem Portal der Großen Oper donnernd vorfuhren.
Sie abonnierte auf den „Bazar“ und die „Modenwelt“ und studierte auf das gewissenhafteste alle Berichte über die Premieren, Rennen und Abendgesellschaften. Sie war unterrichtet, wenn berühmte Sängerinnen Gastspiele gaben oder neue Warenhäuser eröffnet wurden; sie kannte die neuesten Moden, die Adressen der guten Schneider; sie wußte, an welchen Tagen die vornehme Gesellschaft im Bois und in der Oper zu finden war.
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