Es würde aber ein eigener Geschmack dazu gehören, mit seinen Kreaturen Haus und Garten zu bevölkern. Sie haben es gehört; er hat wieder einmal sein Kind nackt abgebildet; – nun sage, Eilike, hast du dich da wiedererkannt, und hast du dir gefallen?«

Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf und schauderte wie in einem unüberwindlichen Grauen.

»Es war das, weshalb ich aus dem Fenster sprang. Es war nicht der Hunger. Ich will leben und möchte auch ein schönes Kleid haben wie die schöne Dame. Er aber bildet mich tot ab. Oh, ich wollte, ich wäre tot; aber dann auch begraben und mit grünem Gras und Blumen auf meinem Grabe; dann brauchte ich mich nicht mehr zu fürchten und zu schämen!«

»Scholten?!« rief die Frau Salome, zusammenschauernd wie eben Eilike Querian. »Oh, das unselige Geschöpf! Und Sie dulden das? Sie ertragen es, derartiges in dem Tone sich sagen zu lassen?«

»Prometheus im Dorf! Ein Tropfen vom Blute der Götter, Madam«, sagte der Justizrat finster.

»Oh, und Sie haben mehrmals den Versuch gewagt, mich über das unglückliche Kind lächeln zu machen! Der Himmel verzeihe das Ihnen. Aber ich will diesen Mann kennenlernen! Wenn er Geld haben will, soll er es haben. Er soll mir heraus! – Wenn er ein Künstler – ein Bildhauer ist, soll er weg von hier – einerlei wohin – nach Italien – nach Rom, und mir soll er sein Kind lassen. So antworten Sie doch, Scholten; sagen Sie etwas, sprechen Sie doch!«

Der Justizrat war aufgestanden und ging in der Stube auf und ab. Nun blieb er vor der Frau Salome stehen und sagte mit einer Stimme, die ob der Rührung nur noch schnarrender wurde:

»Ich würde es da nicht zum erstenmal erfahren, daß Ihnen der Gott Abrahams in Fällen Gedeihen gibt wo andere Leute unfehlbar und ohne Gnade fehlgreifen. Wissen Sie was? Ich will in dieser Nacht einmal nach Pilsum schreiben. Darf ich Ihnen übrigens jetzt noch die Hand küssen, teure Freundin?«

Er tat das letztere und behielt diese Hand dann noch mehrere Augenblicke zwischen seinen Händen. Eilike Querian aber sah und hörte dem allen zu. Der Esel vor der Tür aber wurde nun in der Tat recht ungebärdig, zog an seinem Zaume, scharrte und stampfte und ließ Töne hören, die dem Kinde sehr spaßhaft vorkamen und über die es leise, aber doch sehr herzlich lachte.

 

Siebentes Kapitel

 

Die Dämmerung des schönen Sommertages war gekommen, und die Baronin Veitor zögerte immer noch im Hause der Witwe Bebenroth.

»Es würde mir so lieb sein, heute abend noch den Mann mit Augen zu sehen. Ich glaube, ich würde viel besser schlafen«, sagte sie.

»Was meinst du, Eilike«, fragte der Justizrat Scholten, sich an das junge Mädchen wendend, »würde der Papa sich heute abend sehen lassen?«

Eilike Querian schüttelte den Kopf:

»Ich steige wieder ins Fenster und schleiche zu Bett. Die Dachluke lasse ich offen wegen der Sterne und Wolken, und daß ich den Nachtwächter hören kann und die Katzen und Hunde und die Kühe in den Ställen. Ich schlafe dann auch viel besser. Weil aber der Mond scheint, ist's noch besser, denn da habe ich auch meiner Mutter weißes Bild am Bette, das sieht mich freundlich an und bewacht mich.«

»Es ist ein Gipsabguß des Kopfes irgendeiner Muse, Nymphe oder Nereide; aber es ist ein gutes griechisches Frauenzimmergesicht in der Tat, und so läßt man das Kind in Gottes Namen am besten bei seinem Troste. Seine Mutter kann es nicht gekannt haben, sie starb ihm zu früh«, sagte Scholten leise erklärend zu der Frau Salome.

»So lassen Sie uns die Kleine jetzt nach Hause begleiten und zeigen Sie mir wenigstens ihre und ihres Vaters Wohnung.«

Der Justizrat nahm seinen Hut und Eichenstock Eilike Querian sprang vor die Tür und löste dem Maulesel den Zaum von der Hecke und legte ihm denselben geschickt zurecht. Die Witwe Bebenroth kam auch wieder herbeigekrochen und sagte höflich:

»Wollen Sie uns schon verlassen? Nun, besuchen Sie uns recht bald einmal wieder!«

»Verlassen Sie sich darauf!« murmelte die Baronin von ihrem Reittiere herunter. »Es ist nicht das letzte Mal, daß ich mich hier befand.«

So zogen sie ab vom Hause der Witwe quer durch das Dorf.

Es war längst Feierabend, und längst waren die müden Einwohner von ihrer Arbeit auf und unter der Erde heimgekommen; aber der Ort war kaum lebendiger dadurch geworden. Die Leute saßen müde Vor ihren Türen, und nur die Kinder waren wie gewöhnlich vor dem Schlafengehen noch einmal recht munter geworden und trieben wilder und mit helleren Stimmen ihre letzten Spiele an diesem Tage. Nun senkte sich wiederum am äußersten Rande des Dorfes der Weg in eine Talmulde, in die der Wald hineinwuchs. Da lag das Haus Querians, das sich, soviel man in der Dämmerung sehen konnte, durch nichts von den übrigen Gebäuden der Ortschaft unterschied. Mit Schindeln gedeckt und behangen, lehnte es sich an das Gebüsch und an die Hügelwand: ein einstöckiges Bauwerk mit einem Giebel.

»Da wohne und schlafe ich«, sagte Eilike, auf diesen Giebel deutend. »Aber nach hinten hinaus«, fügte sie hinzu. »Ein krummer Zweig reicht gerade an mein Fenster, und ich kann klettern. Hier unten wohnt mein Vater, Madam. Wir könnten drei Tage klopfen, und er machte doch nicht auf, wenn es ihm nicht gefällig wäre.